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Gefangen im Schubladendenken

Hinter der liberalen Fassade brodelt der Nahost-Konflikt. (v.r.n.l.) Amir (Carlos Lobo), Emily (Bettina Lieder) und Isaac (Frank Genser). Foto: © Birgit Hupfeld.
Hinter der liberalen Fassade brodelt der Nahost-Konflikt. (v.r.n.l.) Amir (Carlos Lobo), Emily (Bettina Lieder) und Isaac (Frank Genser). Foto: © Birgit Hupfeld.

Kann sich ein Mensch von seiner Religion lösen? Oder sehen ihn die Mitmenschen immer noch als Muslim, Christ, Hindu, Jude? Ist er immer noch verantwortlich für das, was seine Ex-Religion tut oder nicht tut? In dem intensiven Kammerstück „Geächtet“ von Ayad Akhtar in der Inszenierung von Kay Voges dreht sich alles um die Frage, wie schwer es ist, aus dem Schubladendenken zu entkommen. Die zweite Premiere im Megastore schafft es, ein punktgenaues Kammerspiel in der großen Halle zu kreieren.

Das Stück von Akthar handelt vom erfolgreichen Anwalt Amir und dessen Ehefrau und Künstlerin Emily. Zum gemeinsamen Abendessen haben sich das befreundete Ehepaar Isaac und dessen Frau Jory eingefunden. Jory arbeitet in der gleichen Kanzlei wie Amir. Eine kleine Rolle spielt Abe (Merlin Sandmeyer), der Neffe Amirs. Wer jetzt an „Der Gott des Gemetzels“ von Yasemine Reza denkt, der liegt nicht ganz falsch. Auch wenn „Geächtet“ über mehrere Monate spielt, ist doch das gemeinsame Essen der dramaturgische Höhepunkt.

Amir (Carlos Lobo) hat es geschafft. Der Sohn pakistanischer Eltern hat es als Einwanderungskind zum Anwalt in einer guten Anwaltskanzlei geschafft. Seine Religion hat er ad acta gelegt und fühlt sich eher der USA verpflichtet als seinem Heimatland, das er sogar verleugnet. „Mein Vater ist in Indien geboren, nicht in Pakistan. Pakistan gab es 1946 noch nicht“. Im Gegensatz zu Amir ist seine Frau Emily (Bettina Lieder) seit einiger Zeit in einen Islam vernarrt und zwar aus ästhetizistischen Gründen. Die politische und soziale Komponente des Islams versucht sie zu negieren oder zu verharmlosen. So entstehen schon einige Konflikte mit Amir, der auch die dunklen Seiten des Islams von seinem Elternhaus kennt.

Das zweite Ehepaar Isaac (Frank Genser) und Jory (Merle Wasmuth) wirkt im Vergleich ein wenig blass und konstruiert. Isaac, der Kurator, ist Jude und offensichtlich eher in Emily verknallt, als in ihre Bilder, was auch letztendlich das Fass zum Überlaufen bringt. Jory ist extrem opportunistisch, denn anstatt sich mit Amir solidarisch zu erklären, sie kommt als Schwarze ebenfalls aus schwierigen Verhältnissen, setzt sie ihre Karriere in der Kanzlei auf Amirs Kosten fort.

Schweinefleisch und Wein? Angepasst im „american dream“ bis ins kleinste Detail? Amir bekommt keine Chance. Man steckt einfach Menschen in Schubladen. Schublade „Muslim“ auf und Amir rein. Amir hat sich von seiner Religion losgesagt? „Du hast einen Selbsthass auf den Islam“. Amir möchte weiter Karriere machen in einer jüdischen Anwaltskanzlei? Ob man jemand vertrauen kann, der seiner Frau zuliebe einem Imam im Gefängnis unterstützt hat?

Letztendlich wird Amir das Stigma „Moslem“ nicht los, weil weder Emily noch Isaac oder Jory in ihm einen Menschen sehen, sondern nur eine Projektionsfläche für ihre Bedürfnisse. Die Abschlussszene ist eine Art Tribunal. Hier wird Amir vor allem von seinem Neffen Abe mit den Trümmern seines Lebens konfrontiert. Durch das Scheitern von Amir wird Abe radikalisiert. „Wenn schon du keine Chence bekommt, was soll ich dann tun…“

Kay Voges‘ Inszenierung beginnt mit einem Kniff. Alle Darsteller sind als Albinos mit weißer Haut und roten Augen geschminkt. Das verhindert nicht nur die Problematik mit einem eventuellen Blackfacing von Jory, sondern macht auch deutlich, dass trotz optischer Gleichheit tief im Inneren Vorurteile lauern. Dass das Stück von der ersten Sekunde fesselt, liegt am feinen Zusammenspiel von Lobo, Lieder, Genser, Wasmuth und Sandmeyer. Komplettiert wird das Ganze von einer feinen Videoarbeit von Mario Simon und der Musik von Tommy Finke.

Das Stück hat nicht nur wegen den Diskussionen um die Flüchtlingspolitik eine große Aktualität, es beschäftigt sich auch mit der Frage: Sind wir bereit den Menschen zu akzeptieren wie er ist ohne ihn in Schubladen zu stecken? Unbedingt ansehen!

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Kein Nathan 2.0

Noch eitel Sonnenschein oder schon Spannungen? Mit dabei sind (v.r.n.l.) Bettina Lieder, Carlos Lobo, Merle Wasmuth sowie Frank Genser im Hintergrund). Foto: © Birgit Hupfeld
Noch eitel Sonnenschein oder schon Spannungen? Mit dabei sind (v.r.n.l.) Bettina Lieder, Carlos Lobo, Merle Wasmuth sowie
Frank Genser im Hintergrund). Foto: © Birgit Hupfeld

Ein Christ, ein Jude und ein Moslem diskutieren über Moral und Religion. Doch anders als bei Lessings Parabel „Nathan der Weise“ bleibt bei „Geächtet“ von Ayad Akhtar nach 9/11 kein Platz für Friede, Freude, Eierkuchen. Das Setting ist ähnlich wie bei Yasmina Rezas „Gott des Gemetzels“: Zwei Ehepaare, aufgeklärt und kultiviert, unterhalten sich nett beim Abendessen, bis die Sprache auf den 11. September kommt. Die Premiere ist am 06. Februar um 19:30 Uhr im Megastore.

Zwei typisch New Yorker Ehepaare: Amir, ein Anwalt mit pakistanischen Wurzeln, seine Frau Emily, eine Künstlerin, ist weiß und protestantisch und Isaac, amerikanischer Jude und Kurator mit seiner Frau Jory, eine Schwarze. Alle liberal und aufgeklärt, bestes Bildungsbürgertum. Doch schnell dringt in diese Gesellschaft die Abgründe der Kulturen und Religionen. Wie gehen wir mit verschiedenen Kulturen um, ist laut Regisseur Kay Voges die Kernfrage des Stückes. Welche Unterschiede gibt es, welche Gemeinsamkeiten.

Doch ganz bierernst wird das Ganze nicht ablaufen, denn die verbalen Schlachten auf der Bühne haben natürlich auch etwas Komödiantisches. Wo wir bei der Bühne sind: Das Kammerspiel wird ja in einer großen Halle gezeigt. Die Bühne wird also nicht breit, sondern lang sein. „Ein Gefühl, als ob man bei einem Tennisspiel zuschaut“, so Kay Voges. Auch wenn die Konflikte durch das Bühnenbild abstrahiert werden, das Stück wird ein schönes Beispiel für die Freunde nuancierter Schauspielkunst werden, verspricht Voges.

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