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Nabucco – Fundamentalismus sorgt für fehlendes Happy End

Die Intendanz von Jens-Daniel Herzog an der Dortmunder Oper neigt sich so langsam dem Ende zu. Als letzte Oper unter seiner Regie hatte am Samstag, den 10.03.2018 die Oper „Nabucco“ von Giuseppe Verdi (1813-1901) mit dem Libretto von Temistocle Solera hier vor Ort Premiere.

Es ist ein dramatisches und leidenschaftliches lyrisches Drama (Uraufführung 1842) um Macht, Fundamentalismus, Liebe, und der Sehnsucht nach Freiheit, Einheit und Selbstbestimmung. Inspirieren ließ sich Herzog bei seiner Inszenierung von der 444 Tage andauernden Geiselnahme in der in der US-Botschaft in Teheran (1979-1981) durch fanatische Khomeini-Anhänger.

Die Herrschaft wankt. Nabucco (Sangim lee) mit seiner Tochter Fenena (Almerija Delic) und seinem Getreuen Abdallo (Fritz Steinbacher). Foto: © Thonas Jauk, Stage Picture
Die Herrschaft wankt. Nabucco (Sangim lee) mit seiner Tochter Fenena (Almerija Delic) und seinem Getreuen Abdallo (Fritz Steinbacher). Foto: © Thonas Jauk, Stage Picture

In diese Zeit wurde auch diese Operninszenierung verlegt, wie das Publikum auch an Kleidung erkennen konnte. Eine Drehbühne führte in verschiedene Räumlichkeiten. Je nach Bedarf in den Königspalast, einem religiösen Schulungsraum, einem „Krankenzimmer“ für den zeitweise „wahnsinnigen“ babylonischen König Nabucco (bibl. Nebukadnezar) oder eben als bedrückendes Gefängnis für die unterdrückten Israeliten.

Babylon mit den Götzen Baal gegen den Gott Jahwe, König Nabucco gegen den jüdischen jüdischen Hohepriester Zaccaria. Inmitten dieser politischen Feinschaft als Katalysator der Eskalation ein Dreieck von Liebenden. Nabuccos vergötterte sanfte jüngere Tochter Fenena und die ältere Adoptivtochter Abigaille lieben beide den Israeli Ismaele. Eine brisante Mischung aus Gefühlen und politischem Kalkül entwickelt sich, als Ismaele seine Gunst Fenena schenkt. Abigaille ist gleich doppelt getroffen. Zurückgesetzt durch die Affenliebe seines Vaters zu seiner leiblichen Tochter und verschmäht von Ismael. In ihrer Rachsucht wendet sie sich gegen alle, die sie als ihre Feinde sieht. Fenena, Ismaele, ihren Vater und ganz Israel. Das ist die Stunde der Fundamentalisten, die diese Gemengelage für ihre Zwecke instrumentalisieren. Der Oberpriester des Baal befeuert den Konflikt geschickt und bestärkt Abigaille in ihrer Rachsucht. Auf der anderen Seite gießt der jüdische Hohepriester Öl ins Feuer und beeinflusst das jüdische Volk mit religiösen Fundamentalismus. Das kann für alle nicht gut ausgehen. Ein Happy End scheint es nur im Jenseits zu geben….

Eine großartige Leistung bot der Chor und Extrachor des Theaters Dortmund unter der Leitung von Manuel Pujol sowie die Statisterie. Interessant war zu sehen, wie sich die Kostümauswahl (Sibylle Gädeke) s den Einfluss der religiösen Fundamentalisten im Lauf der Aufführung veränderte.

Als Nabucco konnte der scheidende beliebte Bariton Sangmin Lee nicht nur sein gesangliches Können beweisen. Stark auch in seiner Zerrissenheit zwischen Staatssaison und der großen Liebe zu seiner leiblichen Tochter, die ihm so ähnlich war. Diese Rolle füllte Almerija Delic wunderbar aus. Thomas Paul wusste mit seiner starken Stimme zu gefallen. Gastsängerin Gabriele Mouhlen berührte mit starker Stimme und Empathie in ihrer Rolle als tragische Person Abigaille. Morgan Moody hatte als Oberpriester des Baal eine zurückgezogenere ,aber wichtige Rolle im Hintergrund. Es lohnt sich, ihn bei seiner „Hintergrund-Arbeit“ zu beobachten. Charismatisch und mit seinem warmen tiefen Bassbariton Karl-Heinz Lehner.

In kleinen aber feinen Nebenrollen gefielen Enny Kim (Anna) und Fritz Steinbrecher (Abdallo).

Was wär „Nabucco“ ohne die eindringlich-emotionale Musik von Guiseppe Verdi? Die Dortmunder Philharmoniker unter der sensiblen Leitung von Motonori Kobayashi ließ sie für die Inszenierung für das Publikum lebendig werden.

Eine moderne und aktuelle Inszenierung in einer Zeit, wo Fundamentalisten jeglicher Art in den Startlöchern sitzen, um immer mehr Einfluss auf das Weltgeschehen zu nehmen.

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Ode an die Freude – bewegender Einstieg in das Jahr 2018

In den unruhigen und unsicheren Zeiten wissen wir natürlich nicht, was das Jahr 2018 uns bringen wird. Musik hat auf alle Fälle eine besondere Bedeutung in unserem Leben. Was passt in den Zeiten von Brexit und weiteren politischen Wirrnissen besser als die 9. Sinfonie von Beethoven. Nicht irgendein Land „first“, sondern „alle Menschen werden Brüder“
Ein bewegendes und intensive Erlebnis hatte das Publikum beim Neujahrskonzert 2018 der Dortmunder Philharmoniker unter der einfühlsam-temperamentvollen Leitung von Generalmusikdirektor Gabriel Feltz im Opernhaus Dortmund (01.01. und 02.01.2018). Ars tremonia war am 02.01.2018 mit dabei.

Auf dem Programm stand nichts geringeres als Ludwig van Beethovens (1770-1827) 9. Sinfonie d-Moll op. 125 (Ode an die Freude). Drei Jahre vor seinem Tod hatte Beethoven dieses epochale Werk als Vertonung von Friedrich Schillers Gedicht „An die Freude“ fertig gestellt. Seit 1972 ist das bekannte Finale die Hymne Europas.Die Einbeziehung eines großen Chores in die Sinfonie war damals einmalig.

Mit bewegender und emotionaler Musik ging es ins Jahr 2018. (Foto: © Anneliese Schürer)
Mit bewegender und emotionaler Musik ging es ins Jahr 2018. (Foto: © Anneliese Schürer)

Bei diesem Neujahrskonzert waren gleich drei Dortmunder Chöre mit ihren guten Stimmen beteiligt. Der Opernchor des Theater Dortmund (Leitung: Manuel Pujol), der Jugendkonzertchor der Chorakademie Dortmund (Leitung: Felix Heitmann) und der Sinfonische Chor der Chorakademie Dortmund (Leitung: Joachim Gerbes).
Daneben werden im finalen vierten Satz auch noch vier Gesangssolisten zur Unterstützung eingesetzt. Dabei waren die hochkarätigen Sängerinnen Akiho Tsujii (Sopran) und Ileana Mateescu (Alt) sowie die Sänger Sangmin Lee (Bass) und Tenor Joshua Whitener.
Der unvermittelt mit einer offenen Quinte beginnende 1. Satz, bei der die Tonart, ob Dur oder Moll, zunächst nicht zu erkennen ist. Im Laufe der vier Sätze finden häufige Tempowechsel in der Musik statt. Sanfte melodisch und zerbrechlich Töne einerseits, dann wieder zunehmende heftige Steigerungen bis zum Paukenschlag, die seinen grandiosen Höhepunkt am Ende im strahlenden D-Dur Finale findet.
Im zweiten Satz klingen schon versteckt Fragmente von „Freude schöner Götterfunken…“ an. Die Streicher und Blasinstrumente überzeugten im Zusammenspiel oder als Einzel-Gruppen mit viel Feingefühl.
Der vierte und finale Satz war geprägt durch die starken Stimmen der vier Sänger auf der Bühne und dem kraftvollen Chor-Einsatz.
Das begeisterte Publikum wurde mit dem Radetzky-Marsch (Johann Strauss) belohnt und zum Sektempfang entlassen.

Arabella oder die Suche nach dem „Richtigen“

Am Tag der Bundestagswahl, dem 24.09.2017, stand gleichzeitig die Premiere die lyrische Komödie „Arabella“ von Richard Strauss ( 1864-1949) auf dem Programm im Opernhaus Dortmund. Opernintendant und Regisseur der Inszenierung Jens-Daniel Herzog gab vor der Aufführung schon einmal die ersten Hochrechnung der Wahl bekannt.

Musikalisch sensibel begleitet wurde „Arabella“ von der Dortmunder Philharmoniker unter der routinierten Leitung von GMD Gabriel Feltz. Der Chor des Theaters Dortmund unter der Leitung von Manuel Pujol und die Statisterie des Theater unterstützte die Handlung tatkräftig und mit bunten Kostümen zum Karneval.

Die Bühne war spärlich mit einem Spielautomaten an der linken Seite und vielen Stühlen recht sparsam aber zur Situation des verarmten Grafen Waldner und seiner Familie entsprechend, ausgestaltet. Eine durchsichtige Leinwand ermöglichte dem Publikum zwischendurch Einblicke auf den so oft wie möglich am Spieltisch sitzenden Grafen. Im dritten Akt wurde das Bühnenbild gewechselt und die häusliche Treppe zu den Zimmern als Hintergrund benutzt.

Der Graf aus der Provinz und das IT-Girl aus der Hauptstadt: Sangmin Lee (Mandryka), Eleonore Marguerre (Arabella) ©Thomas Jauk, Stage Picture.
Der Graf aus der Provinz und das IT-Girl aus der Hauptstadt: Sangmin Lee (Mandryka), Eleonore Marguerre (Arabella)
©Thomas Jauk, Stage Picture.

Zur Situation:

In Wien versucht der Graf Waldner, die finanziellen Probleme wegen seiner Spielsucht in den Griff zu bekommen. Seine hysterische Frau Adelaide ist keine Hilfe, Die schöne Tochter Arabella kann sich nicht wirklich zwischen ihren vielen Verehrern, darunter der Waschlappen Matteo (der ständig mit Selbstmord droht, wenn sie ihn nicht erhört), entscheiden. Die jüngere Tochter Zdenka wird als „Bub“ gehalten, da für die Familie eine zweite Tochter zu teuer kommt. Diese ist zudem noch unglücklich in Matteo verliebt. Die Zeit drängt, und nach dem Ball am Faschingsdienstag muss eine Entscheidung her. Der Graf schickt verzweifelt dem alten Regiments-Kameraden Mandryka ein Foto seiner schönen Tochter. Der reiche Großgrundbesitzer aus Slawonien wäre eine gut Partie. Statt dessen kommt ein Neffe des inzwischen Verstorbenen, der sich in das Foto aus dem Nachlass verliebt hat, nach Wien. Als Grundbesitzer, Naturbursche und Herr der Wälder ist er so ganz anders als die üblichen Verehrer. Für Arabella scheint Madrynka der „Richtige“ zu sein. Bevor sie mit ihm nach Slawonien fährt, will sie vor dem Abschied noch einmal feiern und tanzen. Aus Angst um Matteo, behauptet Zdenka, Arabella erwarte diesen in ihrem Schlafzimmer. Dazu gibt sie ihm auch einen Schüssel. Mandryka bekommt das mit und will Arabella wütend zur Rede stellen. Die Situation ist chaotisch und droht zu eskalieren. In einem Akt der späten Befreiung outet sich Zdenka und klärt die Situation auf…

Der Spielsüchtigen Graf Waldner war gut mit Morgan Moody besetzt worden. Der verfügt nicht nur über eine gute Stimme, sondern besitzt auch schauspielerisches und komödiantisches Talent. Almerija Delic überzeugte in ihrer Rolle als hysterische Ehefrau.

Im Mittelpunkt standen mit ihrer ausdrucksstarker Präsenz und ihren starken Stimmen Eleonore Marguerre als Arabella und der urig direkte Sangmin Lee als Mandryka. Situationskomik gab es mit den vier „Verehrer“ Alexander Sprague als arroganter Graf Elemer, Marvin Zobel als Domink, Lue Stoker als Lamoral oder jammernde Thomas Paul als Matteo.

Besonders feinfühlig zeigte sich Ashley Thouret in der schwierigen Rolle der Zdenka. Julia Amos als Kartenlegerin und Jeannette Wernecke als Fiakermilli füllten ihre Nebenrollen gut aus.

Das hohe musikalische Niveau konnte aber nicht ganz über ein paar Längen und das eher schwache Libretto (Hugo von Hofmannsthal) hinweg täuschen. Denn selbst zu Zeiten von Richard Strauss zog es IT-Girls aus der Großstadt wie Arabella kaum in die Nähe von Unbekannten aus der Provinz. Wie lange sie wohl dort glücklich bliebe?

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Die Tragik des Otello

[fruitful_alert type=“alert-success“]Langsam geht die Saat des Zweifels auf. Lance Ryan (Otello), Sangmin Lee (Jago). Foto: ©Thomas Jauk, Stage Picture[/fruitful_alert]

Giuseppe Verdis (1813 -1901) „Otello“ nach dem Melodrama von William Shakespeare, in einer modernen Inszenierung vom scheidenden Opernintendant Jens-Daniel Herzog, hatte am 26.03.2017 im Dortmunder Opernhaus Dortmund seine Premiere. Für die musikalische Begleitung war die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung des GMD Gabriel Feltz verantwortlich. Den unterschiedlichen Emotionen auf der Bühne einen entsprechenden musikalischen Hintergrund zu geben, gelang ihnen sensibel und kraftvoll.

Eine wichtige Rolle spielte wieder einmal der Chor-und Extrachor des Dortmunder Theaters unter der Leitung von Manuel Pujol und die Statisterie des Theaters.

Nach am Anfang auf einer Leinwand durch eine Videoprojektion im Hintergrund einen Blick wie quasi aus einem U-Boot auf gefahrvolle Kämpfe und tosenden Meereswellen zur dramatischen Musik werfen konnten, empfängt das Volk (Chor) kurz danach enthusiastisch ihren siegreichen Helden Admiral Otello auf dem von Venedig besetzten Zypern. Er hatte die Türken besiegt und die venezianische Flotte heil durch das schweres Unwetter geführt.

Selbsthaß und Selbstzweifel

Das Otello (Lance Ryan) ein starker und wenn nötig grausamer Admiral ist, wird auf der Bühne durch seinen blutige Trophäe, ein Wolfskopf, deutlich symbolisiert. Vielleicht ein kleiner Seitenhieb auf die „grauen Wölfe“ eine sehr nationalistische Gruppierung in der Türkei. Stark ist Otello aber nur als Soldat. Auf seine schöne Frau Desdemona (Emily Newton) ist er rasend Eifersüchtig. Er ist gefangen in Selbstzweifeln, Selbstmitleid und und einem Hang zur Selbstzerstörung. Er kann und will sich überhaupt nicht vorstellen, dass eine so schöne Frau wie Desdemona „einem Mann wie ihm“ treu ist. Herzog wählt dabei nicht wie im Original das Motiv des „andersfarbigen“ Menschen, sondern stellt der jungen Desdemona einen älteren Otello an die Seite.

Wie die zweite Seite einer Medaille ist da der ihn hassende Fähnrich Jago (Sangmin Lee). Er würde selbst gerne mindestens Hauptmann werden und versucht unerbittlich, Otello zu schaden. Das tragische an der Situation ist, dass beide sich gegenseitig brauchen. Otello möchte unbedingt den Beweis für die von ihm eigentlich schon als feststehend angenommene Untreue seiner Frau. Jago seinerseits will ihn vernichten und bietet dem Feldherrn und Gouverneur von Venedig durch Intrigen den vermeintlichen Beweis für das Fremdgehen von Desdemona. Alle weiteren Personen der Handlung sind nur Statisten in diesem Intrigenspiel. So zum Beispiel der bedauernswerte Hauptmann Cassio (Marc Horus), der als vermeintlicher Geliebter instrumentalisiert wird. Jago schreckt nicht einmal davor zurück, seine eigene Frau Emilia (Almrija Delic) für seine Zwecke einzuspannen.

Die Idee, den Bühnenraum in vier Zimmer einzuteilen, ermöglichte,es dem Publikum, parallel die Reaktion der verschieden Beteiligten zu erleben. Ein guter Schachzug.

If you want blood…

Das Melodrama geht zwangsläufig auf sein tragisches Ende zu. Otello ersticht Desdemona (zum Glück nicht im Bett). Als er von Emilia erfährt, dass Desdemonas Beteuerungen ihrer Unschuld stimmen, richtet er sich selber. Es fließt an diesem Abend viel Theaterblut und das Sterben dauert, wie es sich bei einer Oper gehört, ziemlich lange.

Bei Otello wird das fragwürdige Frauenbild der Zeit Shakespeares deutlich. Desdemona beteuert zwar ihre Unschuld, ergibt sich dann aber doch recht unterwürfig ihrem Schicksal. Warum klärt Emilia nicht früher die Intrige ihres Ehemannes auf? Ist die Frau etwa dem Manne zum Gehorsam verpflichtet?

Bei der Klasse der SängerInnen fällt es schwer, speziell jemanden heraus zu heben.

Sangmin Lee spielte die Rolle des grausamen und wirklich Bösen hinterlistigen Jago jedoch wirklich besonders glaubwürdig. Auch Emily Newton singt eine betörende Desdemona als Quell aller Unschuld, die völlig ratlos in die Mühlen von Jagos Intrigen gerät. Das wird im Stück schön von Herzog auf den Punkt gebracht mit einem Bild von Desdemona mit einem Heiligenschein.

Letztlich sind Desdemona und Otello beide blind. Sie vor Liebe und Unschuld, er vor Eifersucht und Selbstzweifeln. Jago braucht die meiste Zeit gar nichts zu tun, außer ein paar Nadelstiche zu setzen.

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Täter und Opfer zugleich

Ein kurzer Moment des Glücks: Emily Newton (Ellen Orford), Peter Marsh (Peter Grimes)  ©Thomas M. Jauk / Stage Picture GmbH
Ein kurzer Moment des Glücks: Emily Newton (Ellen Orford), Peter Marsh (Peter Grimes)
©Thomas M. Jauk / Stage Picture GmbH

Doppelte Premiere in Dortmund. Am 09. 04. 2016 hatte nicht nur Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“ Premiere, es war sogar das erste Mal, dass der britische Komponist in Dortmund aufgeführt wurde. Sicherlich ist „Peter Grimes“ keine leichte Kost und garantiert nicht sofort volle Opernhäuser wie etwa die eingängigen italienischen Opern, Mozart oder Wagner. Es ist zu begrüßen, dass nun mutig gegen den „Mainstream-Geschmack“ endlich auch in Dortmund eine Britten-Oper aufgeführt wird.

Peter Grimes ist eine düstere Oper mit ein wenig britischen schwarzen Humor, geprägt von der rauen See. Ort der Handlung ist die Ostküste Englands, die Heimat des Komponisten. Das einfache Bühnenbild zeigte ein heruntergekommenes Fischerdorf mit einem Pub und Kiosk in düsterer Beleuchtung. Regisseur Tilman Knabe lässt das Publikum wie durch ein Guckloch auf das Geschehen sehen. Die ursprüngliche Handlung verlegt er von den 30iger Jahren des 19. Jahrhundert der Kleidung nach zu Urteilen in die 80iger des 20. Jahrhunderts. Eine Zeit des wirtschaftlichen Niedergangs und hartem Überlebenskampf der Fischer. Eine Welt von Korruption, Drogen- und Kinderhandel und Prostitution.

Der Fischer Peter Grimes ist ein gewalttätiger Sonderling und Außenseiter, der sich Kinder aus einem Armenhaus als Lehrlinge kauft, um sie zu misshandeln, auszubeuten und zu missbrauchen. Jedem in der Ortschaft ist das klar. Aber es wird weggesehen. Nur die Mrs. Sedley eine Art Opiumsüchtige Miss Marple und der Alkoholabhängige Methodist Bob Boles erheben ihre Stimme nach dem Tod eines Lehrlings bei einer Verhandlung gegen Grimes. Der stellt das Geschehen als ein Unglücksfall dar.

Mit Hilfe der Lehrerin Ellen Orford, eine Frau mit Helfersyndrom und in ihn verliebt, kommt er an einen neun Jungen als Lehrling. Der Traum von einen gemeinsamen Neuanfang und Heirat zerplatzt wie eine Seifenblase. Der Junge John wird schon bald vermisst und der erzürnte Mob jagt Grimes. Dem bleibt nur ein Ausweg….

Die Inszenierung stellt die ambivalente Persönlichkeit des Peter Grimes als Täter und gleichzeitig Opfer in den Mittelpunkt. Er ist ein gewalttätiger Mörder, der als einsamer Sonderling mit pädophiler Neigung aber auch keine Hilfe bekommt. In seiner Verzweiflung ist der Freitod für ihn die einzige Lösung. Gleichgültigkeit und Verrohung der Mehrheitsgesellschaft in seinem verarmten Heimatort entspricht der Gewalt und Unberechenbarkeit der Natur des Meeres.

Der Regisseur setzt in der Aufführung keine plakativ offensive Zeichen, aber klare symbolhafte. So lässt er den wütenden Mob mit Fackeln durch die Gegend laufen, ohne sie aber direkt (wie in Karlsruhe) als Faschisten zu kennzeichnen. Auch die pädophilen Neigungen des Peter Grimes werden nur mit Gesten angedeutet. Für Knabe ist Peter Grimes eher jemand, der seine sadistischen Triebe nicht unter Kontrolle hat, unter denen auch Ellen zu leiden hat.

Peter Marsh, Gastsänger aus Frankfurt, sang und spielte den Peter Grimes mit seiner kräftigen Statur in all seiner Ambivalenz und seiner Verzweiflung in allen Nuancen eindrucksvoll und sensibel. Emily Newton als Ellen Orford steht ihm in ihrer vielschichtigen Charakterdarstellung und Stimme in nichts nach. Die Sängerinnen und Sänger in den wichtigen Nebenrollen, ohne sie jetzt alle einzeln zu nennen, gingen in ihre verschiedenen Charakteren auf und trugen zur Veranschaulichung des gesellschaftlichen Gesamtbildes bei. Sangmin Lee hat als Kapitän Balstrode so eine Art Beschützerfunktion als „Leader of the pack“.

Der Opern und der Extrachor unter der Leitung von Manuel Pujol hatten bei der Aufführung eine herausragende Funktion. Sie waren praktisch immer auf der Bühne präsent und bildeten einen kraftvollen „Mob“.

Eine große und wesentliche Rolle spielt bei der Oper das Orchester als kommentierende Begleiter der verschiedenen Emotionen und Bedrohungen. Während der vier „Sea Intercludes“ gelang es außerdem der Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Generalmusikdirektor Gabriel Feltz, die Gewalt der See und der Natur in all ihren verschiedenen Ausformungen und Nuancen vor dem Auge des Publikums lebendig werden zu lassen. Sie schafften eine Einheit von Musik, Gesang und Darstellung.

Leider hat das „Nicht-Wissen-wollen“ und nicht genau hinsehen auch heutzutage nichts an Aktualität verloren.

Mit Standing Ovations und „Bravo-Rufen“ wurde die gelungene Premiere vom Publikum gefeiert.

Hingehen lohnt sich!

Berührendes Melodrama in der Oper

Keine Chance für die Zukunft haben Violetta  (Eleonore Marguerre) und Alfredo (Ovidiu Purcel). Foto: © Thomas Jauk.
Keine Chance für die Zukunft haben Violetta (Eleonore Marguerre) und Alfredo (Ovidiu Purcel). Foto: © Thomas Jauk.

Am 28. November 2015 war Premiere von Giuseppe Verdis berühmten „La Traviata“ (Die vom Weg Abgekommene) nach der „Kameliendame“ „Alexandre Dumas fils) in der Oper Dortmund.

Die junge Regisseurin Tina Lanik legte den Schwerpunkt ihrer Inszenierung auf die Darstellung der Pariser Edelprostituierten Violetta Valéry als Einsame, oberflächlich lebende aber sensiblen Frau mit weichem Herz, die alles was sie macht, radikal bis zum Ende durchzieht. Die tödliche Krankheit Tuberkulose liegt dabei immer wie ein Schatten über ihr Leben.

Violetta lässt sich von den Liebesbekundungen Alfredo Germont, seinem hartnäckigen Werben berühren und wagt eine radikale Änderung ihres bisherigen Lebenswandels. Sie zieht mit Alfredo in ein Landhaus und erlebt ein kurzes Glück als dessen treue Lebensgefährtin. Diese scheinbare Idylle wird jedoch abrupt durch Alfredos Vater, dem Geschäftsmann Giorgio Germont, gestört. Der herrische Patriarch der aufkommenden Bourgeoisie verlangt von ihr, sich von seinem Sohn zu trennen, um die „Ehre“ seiner Familie wieder herzustellen. Überrascht erkennt Giorgio, dass Violetta so gar nicht in die Schablone der „ausgebufften Betrügerin und raffgierigen Prostituierten“ entspricht, sondern eine liebende Frau ist, die für den gemeinsamen Lebensunterhalt selber aufkommt. Trotz seiner Zuneigung für Violetta, setzt Alfredos Vater gnadenlos seine Interessen durch. Nun beginnt die nächste Wandlung der Violetta, zu einer Verzichtenden. Nach anfänglichen Zögern willigt sie ein, sich radikal von Alfredo zu trennen, wenn sein Vater ihm nur nach ihrem Tod von ihrem großen Opfer aus Liebe erzählt. Sie macht Alfredo vor, einen anderen zu lieben. Der ist voll rasender Eifersucht und wie ein trotziges Kind wirft ihr das beim Spiel gewonnen Geld vor die Füße verschwindet später ins Ausland. Kurz vor ihrem Tod erfährt er die ganze Wahrheit über Violettas Verzicht, kommt zu ihr und möchte krampfhaft an eine gemeinsame Zukunft glauben. Es ist aber zu spät. Wie sein herbeigeeilter Vater, die treue Freundin und Haushälterin Annina und der Doktor können sie nur zusehen, wie sie stirbt.

Eleonore Marguerre, bekannt aus verschiedenen Produktionen (wie beispielsweise Don Giovanni), überzeugte nicht nur bei der Bewältigung der hohen gesanglichen Herausforderung, sondern auch durch ihre intensive und sensiblen Darstellung der Violetta Valéry in ihrer Verzweiflung, Sehnsüchten, Radikalität und Einsamkeit. Drastisch zum Beispiel, als sie ihre blonde Perücke und Kleidung als Zeichen für das Ende ihres Leben als Edelprostituierte ablegt. Als Vertretung für den erkrankten Tenor Lucian Krasznec sprang Ovidiu Purcel von der Rheinoper als Alfredo Germont. Mit weichem Timbre und viel Emotionen stellte er www.theaterdo.desowohl den verliebten als auch eifersüchtig-beleidigten Alfredo dar. Mit großer Bariton-Stimme und Präsenz auf der Bühne begeisterte Sangmin Lee als Giorgio Germont.

Ein großes Kompliment dem Opernchor des Theaters Dortmund unter der Leitung von Manel Pujol. Die Damen und Herren hatten ihren großen Auftritt im zweiten Akt als „Zigeunerinnen“ und „Matadore“. Zusammen mit Natascha Valentin als Flora Bervoix und Morgan Moody als Marquis d’Obigny sorgten sie für ordentlich Feierstimmung. Die weiteren Nebenrollen in „La Traviata“ fügten sich mit ihren Leistungen in das gelungene Gesamtbild ein.

Die Kostüme waren zeitgenössisch, raffiniert und bei der Farbauswahl mit Bedacht ausgewählt.

Die Bühnenausstattung war mit wenigen, stimmungsvollen Elementen wie zum Beispiel ein loderndes Feuer dezent ausgewählt.

Die Dortmunder Philharmoniker begleiteten das Geschehen musikalisch unter der Leitung von Motonori Kobayashi mit Sicherheit und Gespür für die jeweilige Stimmungslage. Die Inszenierung zeigte nicht nur das Schablonendenken der sogenannten „besseren Gesellschaft“, die Violetta keine Chance gibt, auf, sondern entlarvt auch deren gnadenlose Heuchelei und verbreiteten Voyeurismus. Ein leider immer (noch) aktuelles Thema.

Ein gelungener und begeistert gefeierte Abend für alle Opernfans.

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Familienoper im perfektem Licht

Hänsel (Ileana Mateescu) und Gretel (Julia Amos) verirrten sich im Wald. (Foto: © ©Anke Sundermeier)
Mit Smartphone wäre das nicht passiert: Hänsel (Ileana Mateescu) und Gretel (Julia Amos) verirrten sich im Wald. (Foto: © Anke Sundermeier)

„Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck ist ein Klassiker. Seine kindgerechte Bearbeitung des Grimmschen Märchen steht in Regelmäßigkeit auf den Spielplänen der Theater. Regisseur Erik Petersen tat gut daran, den Stoff nicht krampfhaft zu modernisieren, sondern wie bei seiner vorherigen Arbeit „La Cenerentola“ einige visuelle Highlights zu setzen. Neben den fantastischen Kostümen und dem aufwändigen Bühnenbild, war vor allem das Lichtdesign ein Hingucker. Ein Premierenbericht vom 08. November 2015.

Die Lebenssituation von Selbstständigen scheint in Petersens Inszenierung extrem schlecht zu sein, denn die Eltern von Hänsel und Gretel haben Mühe über die Runden zu kommen. Die Mutter (Martina Dike) unterrichtet als Lehrerin für Lebensmittel und der Vater (Sangmin Lee) ist als Besenbinder eine Art „Ich AG“. Die Behausung der Familie erinnert ein wenig an das berühmte Bild von Spitzweg mit dem armen Poeten, das Dach ist im Eimer und die Töpfe sammeln das Regenwasser. Klar ist auch, dass es in dieser Zeit kein Arbeitsschutzgesetz gibt und die Kinder kräftig mithelfen sollen. Gretel (Julia Amos) soll Strümpfe stricken und Hänsel (Ileana Mateescu) seinem Vater nachfolgen und Besen binden.

Diese fast schon pittoreske Situation verändert sich im zweiten Bild völlig. Denn Vater kommt mit Lebensmitteln zurück und Mutter muss ihm beichten, dass sie die Kinder in den Wald geschickt hat. Die Szenerie wird etwas gruseliger als der Vater das „Hexenlied“ anstimmt. Türen öffnen sich und am Ende tanzt eine in roten Licht getauchte Hexengestalt über dem Szenario.

Auch im Wald geht es bald gruselig zu. Nach dem bekannten „Ein Männlein steht im Walde“ senkt sich der Abend über die Kinder und unheimliche Gestalten und Irrlichter tauchen auf. Gut, dass der Sand- und Taumann (Tamara Weimerich) sowie 14 sterndurchflutete Engeln um die Kinder wachen.

Nach der Pause gelangen die Kinder ins Herrschaftsgebiet der Knusperhexe (Fritz Steinbacher) und das Schicksal nimmt ihren Lauf für die alte Dame: Sie wird von den Kindern ausgetrickst und landet im Ofen. Passend-erweise kommen noch die Eltern von Hänsel und Gretel vorbei und die von der Hexe verzauberten Lebkuchenkinder erwachen wieder zu neuem Leben.

Diese Inszenierung ist eine großartige Arbeit von Tatjana Ivschina (Bühne und Kostüme) und Florian Franzen (Licht). Beide zaubern ein märchenhaftes, buntes Ambiente, in der sich die Sängerinnen und Sänger sichtlich wohlfühlen. Das Hexenhaus besteht aus mehreren Etagen und ist liebevoll und detailliert ausgeschmückt. Ein optisches Highlight.

Gut aufgelegt war auch das Ensemble bei der Premiere. Mateescu gab einen frechen und übermütigen Hänsel, während Amos (mit roter Perücke), eine etwas schüchterne, aber zum Schluss entschlossene Gretel sang.

Großen Applaus gab es auch für Sangmin Lee, der einen herrlich überdrehten Vater spielte und dem man die Lust auf diese Rolle förmlich ansah. Eine kleinere, aber eindrucksvolle Rolle hatte Martina Dike als Mutter, die mit ihren Kindern überfordert war. Das Sandmännchen und das Taumännchen sind eine Erfindung von Humperdinck. In der Doppelrolle überzeugte Tamara Weimerich nicht nur gesanglich, sondern sorgte durch ihre Kostüme für ein märchenhaftes Erlebnis.

„Böse“ Rollen mit Charme und Humor zu spielen: eine Spezialität von Fritz Steinbacher. Nach einem Wiener Ganoven bei „Kiss me Kate“ singt er jetzt die Hexe.

Im Verlauf der Aufführungen wechselt die Besetzung ein wenig: Julia Amos und Tamara Weimerich tauschen ihre Rollen und anstelle von Steinbacher wird Kammersänger Hannes Brock die Hexe spielen.

Die Musik von Humperdinkc war bei Phillip Armbruster und den Dortmunder Philharmonikern in guten Händen, denn spät-romantische Musik gehört zu ihren Spezialitäten. Humperdinck kombiniert wagnerischen Pathos mit Kinder- und Volksliedern zu einer durchaus bekömmlichen Mischung.

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Liebe gegen das System

Ein kurzer Moment des Glückes für Tristan (Lance Ryan) und Isolde (Allison Oakes). Foto: © Thomas Jauk.
Ein kurzer Moment des Glückes für Tristan (Lance Ryan) und Isolde (Allison Oakes). Foto: © Thomas Jauk.

Mit der Inszenierung von Wagners „Tristan und Isolde“ befördert Regisseur und Opernintendant Jens-Daniel Herzog das romantische Mittelalterdrama in eine DDR der 80er Jahre. Für Romantik ist kein Platz mehr, selbst nicht für Isoldes Liebestod. Ein Premierenbericht vom 06. September 2015.

Romantik trifft auf ein kaltes, durchorganisiertes Regime. Kühler Beton, eine nüchterne Schreibstube und ein Porträt des Staatsoberhauptes, König Marke. So empfing der erste Akt von „Tristan und Isolde“ die Zuschauer. Jens-Daniel Herzog entführt uns nicht die die mittelalterliche Märchenwelt, sondern in die kalte Atmosphäre eines totalitären Systems. Von den Uniformen könnte es in der DDR der 80er Jahre Spiegeln oder in einem der unzähligen Militärdiktaturen. Welches Schicksal Systemfeinden droht, zeigt gleich eine Hinrichtung zu Beginn des ersten Aktes. Wer kann, der flüchtet. Auch dieses hochaktuelle Thema behandelt Herzog und sein Team Bühnenbildner Mathis Neidhardt und Sibylle Gädeke (Kostüme).

Tristan (Lance Ryan) ist in der Inszenierung treuer Gefolgsmann von Kornwalls König Marke (Karl-Heinz Lehner). Für den Erhalt des Staatswesens überredet Tristan Marke, eine Frau zu nehmen. Die Wahl fällt auf die Irenprinzessin Isolde (Allison Oakes), die von Tristan als eine Art Rosenkavalier nach Kornwall eskortiert wird. Pikant: Tristan hatte Isoldes Verlobten im Kampf umgebracht. Isolde will Rache, vertauscht aber die Zaubertränke und nimmt den Liebestrank. Die beiden verlieben sich ineinander, sehr zum Unwillen von König Marke und seinen Begleitern. Schnell wird die Liaison entdeckt und Tristan vom Ziehkind zum Verräter.

Herzogs Inszenierung wusste vor allem in den ersten beiden Akten zu gefallen. Es beginnt mit einem Schockmoment der Hinrichtung eines Gefangenen und der Abfertigung von Isolde und ihrer Begleiterin Brangäne (Martina Dike). Alles erinnert an die deutsch-deutsche Grenze und gleichzeitig an die aktuelle Flüchtlingssituation. Gegen Ende des ersten Aktes legt Herzog auch Wagners Humor frei, als Tristan den Liebestrank zu sich genommen hat. Lustig und beschwingt lässt er sich auch von Kurwenal (Sangmin Lee) kaum bändigen.

Auch im zweiten Satz ist das Bild perfekt. Tristan und Isolde scheinen es zu spüren, dass ihre Affäre nicht unentdeckt geblieben ist. Schon gar nicht in einem solchen Staat wie ihn Herzog zeigt. Tristan und Isolde gehen von einem Raum zum anderen, überall sitzt jemand, der Akten anlegt, überwacht und aufzeichnet. Im letzten Raum dann die dramatische Auflösung. Kurwenal sitzt blutüberströmt auf einen Stuhl, Tristan wird mit Melot, dem neuen Ziehsohn von Marke gefoltert.

Der dritte Akt bringt die Entscheidung: Kurwenal wird von Melot erschossen (im original ist es andersherum), Tristan stirbt, bekommt aber ein ehrenvolles Begräbnis, obwohl in autoritären Regimes die Abweichler gerne aus der Geschichte getilgt werden wie beispielösweise bei Stalin und Trotzki. Isolde bleibt der Liebestod erspart. Vielleicht ist in dieser kalten Gesellschaft auch kein Platz für solche Romantik.

Lance Ryan und Allison Oakes sind routinierte Wagner-Interpreten und sangen ihren Part ebenso gekonnt. Doch den größten Applaus gab es für die Lokalmatadoren Karl-Heinz Lehnert und Sangmin Lee. Lehnert spielte einen eiskalten Marke, der für den Machterhalt ohne mit der Wimper zu zucken auch seinen Ziehsohn fallen lässt. Lee spielte Kurwenal als treuen Adlatus, der seinem Freund Tristan auf Gedeih und Verderb folgt und konsequenterweise in dieser Inszenierung dessen Schicksal teilen muss.

Ein großes Lob verdienten sich die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Gabriel Feltz, der gekonnt die Feinheiten von Wagners Partitur ausarbeitete.

Die Inszenierung stieß nicht auf ungeteilten Beifall des Dortmunder Publikums. Waren die beiden Hinrichtungen (Gefangener, Kurwenal) zu viel? Auch wenn Herzogs Regiearbeit im dritten Akt nicht mehr die wunderbaren Bilder produzierte wie in den beiden ersten Akten, war die Gesamtkonzeption stimmig: Menschlichkeit (die Liebe als intensive menschliche Regung) dringt in ein bürokratisch-autoritäres System ein und muss scheitern. Es ist wie fast immer bei Herzogs Arbeiten: Man muss sich schon trauen, aber es lohnt sich.

Untergang eines Manipulators

Masetto (Sangmin Lee) muss gute Miene zum bösen Spiel von Don Giovanni (Gerado Garciacano) und Zerlina (Tamara Weimerich) machen. (Foto: © ©Thomas Jauk / Stage Picture GmbH)
Masetto (Sangmin Lee) muss gute Miene zum bösen Spiel von Don Giovanni (Gerado Garciacano) und Zerlina (Tamara Weimerich) machen. (Foto: © ©Thomas Jauk / Stage Picture GmbH)

Am 08. März 2015 stand die Premiere von „Don Giovanni“ auf dem Programm des Dortmunder Opernhauses. Die Inszenierung von Opernintendant Jens-Daniel Herzog überzeugte mit einer pfiffigen Bühnenidee, guten Sängerinnen und Sängern und aufregender Musik von Mozart.
Beim Bühnenbild hat sich Regisseur Jens-Daniel Herzog mit dem Bühnenbildner Mathis Neidhardt etwas ganz besonderes einfallen lassen: Musiker und Dirigent hinter einem Gaze-Vorhang, es gab kein Orchestergraben, dafür wurde eine Art Laufsteg quer durch den Zuschauerraum errichtet. Ansonsten war das Bühnenbild spartanisch, die Sängerinnen und Sänger standen im Mittelpunkt.
Schon der Beginn war ungewöhnlich inszeniert: Die Sänger stellten Stühle mach vorne und simulierten während der Ouvertüre eine Reihe im Theater mit Hustenden, Zuspätkommenden usw. Schon hier wurden die Konflikte zwischen den Figuren angerissen.

Die Geschichte: Das Hobby von Don Giovanni ist Frauen verführen. Zusammen mit seinem Diener Leporello reist er quer durch die Lande. Bei Donna Anna hatte er Erfolg, auch Zerlina ist ihm nicht abgeneigt, obwohl sie mit Masetto verlobt ist. Ihre Männer stehen mehr oder weniger hilflos daneben. Masetto mit Wut im Bauch. Don Ottavio, der Verlobte von Donna Anna, ist eher der kühle Analytiker. Zum Ärger von Don Giovanni heftet sich Donna Elvira auf seine Fährte, denn er habe ihr dir Ehe versprochen, behauptet sie. Als Don Giovanni aber Donna Annas Vater, den Komtur (Christian Sist) tötet, setzt er eine Spirale in Gang, die er nicht mehr stoppen kann.

Einen Don Giovanni in seiner Umgebung zu haben, ist für die meisten Menschen vermutlich der Alptraum. Jemand, der wie ein chirurgisches Instrument die Bruchstellen einer Beziehung erkennt und gnadenlos ausnutzen kann, ist wie Sprengstoff. Während er den Frauen ihre geheimen Wünsche nach Leidenschaft und Aufstieg befriedigt oder zumindest so tut, bleibt den Männern der Frust. Ob sie ihn wie Masetto offen zeigen oder wie Ottavio unter ihrer kühlen Hülle verbergen, bleibt gleich.

Morgan Moody sang den Leporello. Der Diener von Don Giovanni ist ein typischer Sidekick. Eine komische Figur, in deren Wunsch auch mal Frauen abzubekommen, eine gewisse Tragik liegt. Moody liegt die Rolle sichtlich. Hier kann er sein komisches Talent ausleben, und seine Anmachversuche gegenüber Donna Elvira (Emily Newton) spielen beide mit herrlichem Witz. Moody gibt den treuen Diener mit Hingabe und singt die bekannte Arie „Madamina, il catalogo e questo“, in der er Donna Elvira über die Eroberungen seines Herren aufklärt.

Eleonore Marguerre singt die Donna Anna. Eigentlich eine einfache Figur, Don Giovanni hat ihren Vater ermordet und sie will Rache. Das soll ihr Verlobter, Don Ottavio, besorgen. Eigentlich. Denn was ist zwischen Don Giovanni und ihr wirklich abgelaufen? Die Vorgeschichte kennen wir nicht, aber es scheint, als ob die beiden sich schon länger kennen. Ist Donna Anna also nicht so ganz unschuldig wie es scheint? Marguerre bringt den Zwiespalt der Figur zwischen der Rächerin, der Verlobten von Don Ottavio und ihrer Begierde für Don Giovanni sehr gut auf den Punkt.
Don Ottavio, gesungen von Lucian Krasznec, ist eine interessante Figur in der Oper. Er bleibt ruhig, obwohl Don Giovanni an seiner Verlobten Donna Anna baggert. Wenn man soll will, ist Don Ottavio eine moderne Figur, denn er nimmt die Frauen ernst. Er will eigentlich nicht in das Ränkespiel gegen Don Giovanni mitmachen, doch aus Liebe zu Donna Anna macht er mit. Krasznec spielt den Don Ottavio kühl und nachdenklich, nur in den Momenten, in denen er seine Liebe zu Donna Anna gesteht, ist seine Leidenschaft spürbar.

Kommen wir nur „niederen Paar“: Zerlina und Masetto. Zerlina (Tamara Weimerich) scheint glücklich verlobt mit Masetto (Sangmin Lee), doch wie heißt es so schön „Glück und Glas, wie leicht bricht das.“ Denn Zerlina hofft, durch Don Giovanni in die höheren Kreise aufzusteigen, möglicherweise ein besseres Leben zu führen als mit dem Bauer Masetto. Doch Zerlina durchschaut das böse Spiel von Don Giovanni sehr spät. Weimerich singt wunderbar die Zerlina zunächst als Dummerchen vom Land, dass aber durch die Bloßstellung von Don Giovanni auch zu den Verschwörern gehört.
Masetto ist ein Bauer und weder vom Stand her noch von der Eloquenz Don Giovanni gewachsen. Sangmin Lee ist herrlich komisch in seiner Rolle von Masetto. Seine Wutausbrüche und sein Versuch, Don Giovanni mit Gewalt ans Leder zu gehen, scheitern grandios. Auch lässt er sich immer wieder von Zerlinas Liebesschwüren überzeugen.

Donna Elvira (EmilyNewton) ist eine ebenso tragikomische Figur wie Masetto oder Leporello. Eigentlich ist sie wie eine Stalkerin hinter Don Giovanni her, nur um unfreiwillig mit Leporello vorlieb nehmen zu müssen. In Elviras Arien ist bis zum Schluss immer noch die Liebe zu Don Giovanni spürbar. Newton bringt sehr viel Witz in ihr Spiel ein und ihre Kabbeleien mit Morgan Moody (Leporello) sind herrlich.
Don Giovanni ist die zentrale Figur in der Oper. Gerado Graciacano mimt ihn mit einer gewissen Überheblichkeit und einer Spur Brutalität. Er nimmt sich das, was er kriegen kann, wenn nötig mit Gewalt, auch wenn Menschen (Komtur) dabei zu Tode kommen. Zudem ist er manipulativ (oft auf Kosten von Leporello) und versucht, die Fäden in der Hand zu halten. Das unterscheidet ihn von einem reinen Hedonisten.

Der Höllensturz, das Ende von Don Giovanni, erinnerte ein wenig an den Krimi „Mord im Orient-Express“. Die sechs Verschwörer haben mit Hilfe des toten Komturs die Kraft gefunden, Don Giovanni unschädlich zu machen und nacheinander stoßen sie ihr Messen in den Körper des Verführers.
Auch Dank der gut aufgelegten Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Gabriel Feltz wurde dieser Abend wieder zu einem besonderen Opernabend in Dortmund. Die Idee, das Orchester weiter nach hinten zu versetzen und die Sängerinnen und Sänger näher an das Publikum zu bringen, ist meiner Meinung nach voll aufgegangen. Über den Sinn und Zweck des Laufstegs kann man streiten, ich fand diese Idee nicht überzeugend. Dennoch war die Inszenierung insgesamt ein voller Erfolg.

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Wenn die Masken fallen

Welche Zukunft sagt Ulrica (Anja Jung) ihren Zuhörern voraus? (Foto: © ©Thomas M. Jauk / Stage Picture)
Welche Zukunft sagt Ulrica (Anja Jung) ihren Zuhörern voraus? (Foto: © ©Thomas M. Jauk / Stage Picture)

Die Oper Dortmund ging am Samstag, den 13. September 2014 mit dem Melodrama „Ein Maskenball (Un ballo in maschera)“ von Giuseppe Verdi unter der Regie von Katharina Thoma in die neue Spielzeit. Die Aufführung ist eine Koproduktion mit dem Royal Opera House Covent Garden in London.

Thoma verlegte die Handlung der Oper in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg , dem sogenannten Fin-de-siècle, einer Zeit der Unsicherheit und des Umbruchs. Verdis Maskenball wurde ja schon Mitte des 19. Jahrhunderts mehrfach wegen der damaligen Zensur in eine andere Zeit oder an einem anderen Ort „verlegt“. Die Zeit vor 1914 ist meiner Meinung nach nicht nur gut gewählt, weil gerade jetzt viel des vor einhundert Jahren ausgebrochenen Krieges gedacht wird. Sie gewinnt durch die vielen Krisenherde und die von vielen Menschen als bedrohlich empfundene Unsicherheit unser gegenwärtigen Zeit an Brisanz und Eindringlichkeit.

Das Bühnenbild mit seinen maroden Säulenkulissen, Grabsteinen mit Statuen weist schon zu Beginn deutlich auf das nahe Ende einer Zeitepoche. Der amtsmüde Graf Riccardo ist heimlich in Amelia, die Frau seines engsten Freundes und Sekretärs Renato verliebt.. Sein Freund Renato muss die Regierungsgeschäfte fast alleine leiten und warnt Riccardo vergeblich vor einer Verschwörung gegen ihn. Riccardo schlägt auch die Warnungen der Wahrsagerin Ulrica in den Wind,die ihm seine bevorstehende Ermordung durch eine vertraute Person ankündigt. Nachdem sich Amelia und Riccardo auf dem „Galgenfeld“ ihre „verbotene Liebe“ gestanden haben, treffen sie auf Renato und die Situation eskaliert. Der enttäuschte Ehemann von Amelia sinnt angesichts des seiner Meinung nach doppelten Verrats nach Rache.Riccardo spielt weiter mit dem Tod und geht trotz allem auf den Maskenball, um Amelia und Renato eigentlich wegzuschicken und auf die Liebe zu verzichten. Zu spät. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf…

Für die Inszenierung konnten hochkarätige, stimmgewaltige Sänger wie der Tenor Stefano La Colla, der nach Dortmund zurückgekehrte Bariton Sangmin Lee sowie die Verdi-Sopranistin Susanne Braunsteffer gewonnen werden. Es war schon ein Genuss, nicht nur diesen Stimmen zu lauschen, sondern auch ihrer leidenschaftlichen Darstellung zu folgen.

Begeistern konnten auch die immer als „Doppelpack“ auftretenden Verschwörer Morgan Moody als Samuel und Claudius Muth als Tom, sowie Anja Jung als Ulrica oder etwa Gerado Garciacano als Matrose Silvano.

Eine besondere Rolle hatte Tamara Weimerich als Riccardos Page Oscar. Diese Figur fiel nicht nur in seiner höfischen Funktion und Kleidung als ein Relikt aus einer älteren, feudalistischen Epoche auf. Sie war so gleichzeitig die jüngste, wie auch die älteste Figur des Stückes. .Nicht nur mit guter Stimme, sondern auch durch die gezeigte jugendliche Leichtfertigkeit, mit der sie sich beispielsweise als Page bei der Wahrsagerin vorgedrängelt hat, überzeugte Weimerich. Dabei aber dem vorgesetzten Grafen immer treu ergeben. Am Ende steht Oscar mit Stahlhelm auf dem Kopf desillusioniert und verloren auf der Bühne.

Die Kostüme wurden von Irina Bartels mit viel Sorgfalt und Liebe zum Detail ausgewählt. So konnte das Publikum unter anderem die zu dieser Zeit beliebten Matrosenanzüge und Frisurenmode bewundern. Ob die Auswahl wie etwa im Falle von Amalia immer vorteilhaft gelungen war, ist wohl Geschmackssache.

Die verstellbare Bühnenkulisse wurde genutzt, um bei Bedarf zusätzliche Räume an den Seiten zu schaffen. Eindringlich wie wie zum Beispiel der kleine Sohn von Amalia in seinem Bett im Zimmer nebenan liegt, während seine Mutter Renato anfleht, ihren Jungen noch einmal sehen zu dürfen. Auf der anderen Seite konnte man während des Gesprächs von Amelia und Riccardo während des Maskenballs auf der links ein Streichquartett sehen und hören.

Der Maskenball als ekstatisches Fest nach dem Motto „Heiter geht die Welt zugrunde“ gestaltet.

Ein großes Kompliment wieder einmal für den Opernchor des Theaters Dortmund unter der Leitung von Granville Walker. Hut ab auch vor den Statisten, die als „lebende Statuen“ fungierten, und schon mal mehr als zwanzig Minuten still stehen mussten. Die Dortmunder Philharmoniker unter der souveränen Leitung von GMD Gabriel Feltz sorgte mit einer passgenauen, harmonisch mit dem Bühnengeschehen abgestimmte musikalische Begleitung für einen gelungenen, runden Opernabend.

Wer „Ein Maskenball“ noch live erleben will, muss sich sputen. In knapp sechs Wochen wird die Oper nur noch in London zu sehen sein.

Weitere Termine: SO, 21. SEPTEMBER 2014, MI, 24. SEPTEMBER 2014, FR, 03. OKTOBER 2014, SO, 05. OKTOBER 2014, SO, 12. OKTOBER 2014, SA, 18. OKTOBER 2014 und SA, 25. OKTOBER 2014

Karten und Infos unter www.theaterdo.de oder 0231 50 27 222.