Schlagwort-Archive: Nora Bauckhorn

Intensives Kammerspiel

Der Ort war wie für „Sechs Gramm Caratillo“ gemacht. Der kleine, enge Keller des „Sissikingkong“ im Dortmunder Norden verströmte ein Gefühl des Eingesperrtseins. Hinzu kam das intensive Spiel von Nora Bauckhorn, die aus dem Hörspiel von Horst Bienek ein fesselndes Theaterstück machte. Schließlich hatte Bauckhorn auch ein großes Vorbild: „Sechs Gramm Caratillo“ wurde ursprünglich 1960 von keinem geringeren als Klaus Kinski gesprochen. Ein Premierenbericht vom 08. Mai 2015.

Die Idee „Sechs Gramm Caratillo“ auf die Bühne zu bringen, hatte Nora Bauckhorn schon lange. Zusammen mit dem Regisseur Jens Dornheim wurde das Stück die zehnte Produktion der Theatergruppe glassbooth realisiert (wir berichteten). Aufgepeppt mit einigen Multimediaelementen wie Film und Projektion – „Projektionen sind ja jetzt in“, machte sich die Hauptfigur zu Beginn über den neuesten Theatertrend lustig – verwandelte sich der Keller in einen Performanceraum.

Die Geschichte ist im Grunde die gleiche geblieben: Die namenlose Hauptfigur nimmt zu Beginn ihrer „Performance“ eine tödliche Dosis Gift und erlebt/erleidet mit den Zuschauern ihre letzte Stunde bis zum bitteren Ende. Dabei berichtet sie aus einigen Phasen aus ihrem Leben, die ihr Handeln erklären.

Handelte das Stück in der Originalfassung von einem medizinischen Experiment, so ging es diesmal um eine künstlerische Performance. Die Hauptdarstellerin ist Künstlerin und Schauspielerin, aber es scheint, als ob sie aus dem Leben gefallen ist. „Bin ich denn wirklich so anders“, fragt sie zu Beginn. Mit diesem Anders-sein hat sie ihr ganzes Leben zu kämpfen. Es scheint, dass sie an einem Vaterkomplex leidet: Ihre Träume von ihrem Vater, die Liebe zum Vater ihres Freundes, das alles quält sie. Bis sie sich letztlich zur tödlichen Performance entscheidet. Wie sich zeigt, eine Kurzschlussreaktion. Denn am Ende bekennt sie: „Die Träume sollten doch nur sterben“. Doch die Erkenntnis kommt zu spät.

Bauckhorn und Dornheim haben es geschafft, dieses Hörspiel auf die Theaterbühne zu bekommen. Neben der Protagonistin konnten die Zuschauer auf der Leinwand kurze Filmsequenzen sehen, die von Sascha Bisley und Thaisen Stärke gedreht wurden. Dabei spielten Tobias Schulz den Freund und Robert Adamek den Vater des Freundes. Während der Aufführung filmte Timo Knop das Geschehen. Ein ganz besonderes Gimmick waren die Einspielungen des Originalhörspiels, deren Stimme allen bekannt vor kam, doch es war in Wirklichkeit Jörg Schulze-Neuhoff, der den Kinski mit verblüffender Exaktheit sprach. Gelungen war auch die Auswahl der Musik und Geräusche im Hintergrund. So verbreitete zum Beispiel eine auf der Leinwand projizierte Uhr eine beängstigende Stimmung. Auch die „Störungen“ wurden modernisiert: Klingelte bei Kinski noch das Telefon im abgeschlossenen Raum, musste die Protagonistin in der heutigen Zeit Handy- und Smartphonebesitzer mit Waffengewalt drohen.

„Sechs Gramm Caratillo“ ist kein Stück für große Bühnen. Es kann seine besondere Faszination nur dann richtig zur Geltung bringen, wenn die Zuschauer eng beieinander sitzen und die Wände bedrohlich nahe sind. Ein ideales Stück für kleine Theater. Ansonsten lebt das Stück von seiner großartigen Darstellerin Nora Bauckhorn, die die Zuschauer auf einem emotionalen Parforceritt nimmt. Unbedingt ansehen!

Inszenierter Selbstmord vor der Kamera

Mit „Sechs Gramm Caratillo“ schrieb Horst Bienek ein Hörspiel, das sich um einen Medizinstudenten dreht, der in einem Selbstversuch ein tödliches Gift nimmt und den Versuch mit einem Tonband aufnimmt. Gesprochen wurde es 1960 von Klaus Kinski. Bienek erhielt 1981 den Dortmunder Nelly-Sachs-Preis.
Das Theater glassbooth bringt das Stück ins 21. Jahrhundert. Hier ist es eine Schauspielerin/Künstlerin, die sich in einer Performance das Gift injiziert und ihr Sterben auf einer Kamera dokumentiert. Gespielt wird dies von Nora Bauckhorn, Regie führt Jens Dornheim und Videoeinspielungen wurden von Sascha Bisley erstellt. Die Premiere ist am 07. Mai 2015 im Sissikingkong. Ars tremonia sprach mit den drei Verantwortlichen.

[Update: Mittlerweile gibt es den Premierenbericht.]

 

Ars tremonia: In dem Stück „Sechs Gramm Caratillo“ geht es im Original um einen Selbstversuch eines Medizinstudenten. Gibt es in ihrer Inszenierung Veränderungen?

Nora Bauckhorn: Der Text ist umgearbeitet worden, er ist etwas moderner. Es geht in unserem Fall nicht um ein medizinisches Experiment, sondern eher um ein künstlerisches.

Ars tremonia: Herr Dornheim, wie sind sie auf die Idee gekommen, dieses Stück zu inszenieren, das ja ursprünglich aus dem Jahre 1960 stammt?

Jens Dornheim: Die Idee stammt von Nora, sie hatte das Stück in ihrer Schublade und es bereits für eine Frau umgeschrieben. Nora hatte mich gefragt, ob ich das Stück mit ihr machen möchte. Dann habe ich mir als erstes das Original von Kinski angehört, danach Noras Text gelesen und das hat mich sofort überzeugt, es machen zu wollen.

Ich werde mit glassbooth dieses Jahr zwei Premieren machen, eine mit kleinerer Besetzung und die andere mit mehr Schauspielern. Das hier ist bewusst für kleinere Locations konzipiert worden. Wir hätten es auch im Theater im Depot spielen können, aber ich finde, das Stück passt da nicht so gut rein. Ich finde, es braucht einen intimen Charakter mit wenig Zuschauer, die sehr nah dran sind.

Wir brauchen relativ wenig Platz auf der Bühne, aber die Möglichkeit auf einem Hintergrund etwas zu projizieren.

Ars tremonia: Frau Bauckhorn, was hat Sie an diesem Stück fasziniert?

Nora Bauckhorn: Ich glaube, zunächst einmal Kinski. Als Die-Hard-Fan finde ich es ein sehr auffälliges Werk, weil es so untypisch ist für ihn. Kinski spricht das sehr zurückgenommen, sehr ruhig eigentlich. Ich fand das Stück schon immer sehr spannend und faszinierend. Ich finde die Idee des Selbstmordes, was es im Prinzip ja ist, unter diesem Vorwand eines Experimentes interessant. Auch ein Thema was mich fasziniert, die Frage eben, wie echt muss Schauspiel, Film oder Kunst überhaupt sein? Wie echt darf es sein? Was will man sehen? Das ist zwar kein neues Thema, aber ich finde es halt interessant. Die Vorstellung, irgendjemand dabei zu zugucken, wie er sich gerade umbringt, ist natürlich extrem abstoßend, aber es hat natürlich einen sehr finsteren Reiz.

Ars tremonia: Es soll ja diese „Snuff“-Filme geben.

Nora Bauckhorn: Das wäre das auf die Spitze getrieben. Wobei ich das persönlich weder besonders interessant finde. Aber es scheint irgendetwas zu geben, was Leute daran fasziniert und sei es nur die Idee, dass es solche Filme geben soll. Allein das macht schon etwas mit Leuten. Ich finde es spannend zu fragen: Was will das Publikum? Was glaubt es zu wollen und will es das dann wirklich noch?

Ars tremonia: Gibt es Unterschiede zwischen der wissenschaftlichen Original-Hauptfigur und der neuen künstlerischen Figur?

Nora Bauckhorn: Ich glaube, da gibt es nicht so viele Unterschiede im Sinne der Intention. Ich versuche bestimmt nicht, auf der Bühne Herrn Kinski zu imitieren. Es ist deutlich anders gespielt, es ist eine Frau.

Jens Dornheim: Wir haben den Charakter schon deutlich verändert. Die Persönlichkeit der Künstlerin ist eine andere, ich wollte auch einen gewissen Abstand zum Original haben. Wobei der Herr Kinski bei uns auch eine Rolle spielen wird.

Nora Bauckheim: Im Original ist es ein Medizinstudent, in unserer Fassung ist es eine Schauspielschülerin oder eine kunstaffine Person.

Jens Dornheim: Bei uns ist es kein Experiment, sondern eine Performance.

Nora Brauckheim: Sie produziert sich auch anders als Kinskis Medizinstudent.

Sascha Bisley: Sie ist auch triebhafter, mit weniger Kalkül und emotionaler.

Ars tremonia: Es gibt nicht nur den Monolog auf der Bühne, sondern auch audiovisuelles. Was gibt es zu sehen und zu hören?

Sascha Bisley: Ich bin angesprochen worden, ob ich mir vorstellen könnte, das filmisch umzusetzen und wir haben überlegt, welchen Look wir nehmen. Machen wir das aufdringlich, schnell und laut wie heutige Installationen im Theater sind? Wir haben uns sehr schnell darauf geeinigt, etwas auszusuchen, was abgespeckt ist, sich auch ein bisschen in der Präsenz auf der Leinwand zurücknimmt und dafür mehr Raum für die Schauspieler lässt. Daher haben wir mit Schwarz-Weiß einen sehr klaren Look gewählt und die Bilder traummäßig angelegt. Das ist sehr surreal. Wir versuchen das Ganze mehr unterstützend statt aufdringlich zu untermalen. Installation wirken auch oft ablenkend und das haben wir vermieden. Die Herausforderung ist, die Lücken, die dieser Film hinterlassen muss, durch das Schauspielerische zu füllen. Der Film ist dazu da, um die Story zu etablieren, aber das Hauptaugenmerk dennoch auf der Schauspielerin zu lassen, die auf der Bühne und in den Installationen zu sehen ist. Das Filmische soll nur Beiwerk sein.

Ars tremonia: Wie lange wird das Stück ungefähr?

Jens Dornheim: Eine Stunde. Das Hörspiel ist 30 Minuten und da es bei uns etwas zusätzlich gibt und es auf der Bühne immer anders ist als im Studio, dauert es eine Stunde.

Weitere Termine: Donnerstag, 14.05.2015 im Wohnzimmer GE, Gelsenkirchen und am 17.05. 2015 im Theater Rottstr 5 in Bochum.

Wenn die Wirklichkeit im Drehbuch steht

Spät, aber sie kommt: Die Rezension von „Container Love“, dem dem neuen Stück vom Theater glassbooth. Ars tremonia besuchte die zweite Vorstellung am 30. August im Theater im Depot und erlebte eine gelungene Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Big Brother“.

 

Was fasziniert Menschen, die sich „Big Brother“ im Fernsehen anschauen? Die nackte Haut, die unterschiedlichen Typen, die von vor hinein Konflikte provozieren (sollen)? Regisseur Jens Dornheim ging auf die Spurensuche und mit „Container Love“ präsentierte er mit seinem Ensemble das Ergebnis.

 

Gleich zu Beginn spielte das Stück mit der Frage nach Spiel und Wirklichkeit? Es wurden nämlich zwei Kandidaten aus dem Publikum gewählt. Wie immer in solchen Fällen, kann man dann eine Stecknadel fallen hören und Blicke sagen „Bloß nicht mich“. Endlich werden zwei Kandidaten gefunden. Spätestens nach der gemeinsamen Choreografie des „Jingles“ fällt jedem im Publikum auf, die beiden gehören auch zum Ensemble.

Das Stück spielt in einem „Theatercontainer“, der mit sechs unterschiedlichen Schauspielern gefüllt ist. So ist Marlon (Marlon Bösherz) ein Abgänger von der Ernst-Busch-Schauspielschule, voller Hoffnung hier ein gelungenes Debut zu feiern. Alex (Alexandra Schlösser) spielt die „Übermutter“, die alle liebhat, besonders gelungen spielt Dietmar Meinel seinen Charakter „Dietmar“ als einen schrägen Charakter, der deutliche Züge von Klaus Kinski trägt. Auch sehr gut kommt Dominik Hertrich als selbstgefälliger Schlagersänger „Der Böhmer“ rüber. Weitere Container-Insassen waren: Nora Bauckhorn als junge „Nora“, die auf ihren Durchbruch wartet, Tanja Brügger, die als „Tanja“ im Container mit Qualität überzeugen möchte sowie Timo Knop und Anabel Starosta als „zufällig“ gecastete Teilnehmer.

 

Die Aufgaben werden wie im Fernsehen von einer Stimme aus dem Off gestellt und haben mit Theater zu tun: Die Kandidaten sollen beispielsweise ein Stück über „Mord und Liebe“ zum besten geben. Dabei werden Themen wie Kindesmord oder Kindesmissbrauch szenisch dargestellt. Bei der letzten Aufgabe „Theater und Kunst“ werden noch einmal alle Register gezogen: Hier wird eine Szene dargestellt, wie sich der „normale“ Mensch auf der Straße das moderne Theater vorstellt. Menschen in merkwürdigen Klamotten rezitieren merkwürdige Texte und machen merkwürdige Dinge (z.B. wickeln sich in Frischhaltefolie ein) und ein kunstsinniger Regisseur bekommt ein Nervenzusammenbruch, weil ein Schauspieler an der falschen Stelle schreit.

 

Jens Dornheim hat sein Ensemble gut im Griff, alle spielen wunderbar ihre „gescripteten“ Rollen wie im Fernsehen, wunderbar war auch ihre kleine getanzte Choreografie. Doch was bleibt am Ende? Ist es so wie im Fernseh-Leben, dass man den Sieger der vierten Staffel von DSDS nach einem Tag sowieso wieder vergessen hat? Dornheim stellt die Unterhaltung in den Mittelpunkt, es gibt keinen erhobenen Zeigefinger, doch werden die Zuschauer danach die Formate wie „Big Brother“ mit anderen Augen sehen?

 

Nichtsdestotrotz ein Stück, das mit viel Lust am Spielen gemacht wurde und zu dem man Dornheim und Ensemble nur gratulieren kann.

 

Wer es verpasst hat, kann es in Dortmund im Theater im Depot am 25. September um 20 Uhr noch einmal erleben.