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Noch mal die „Sonne“ – oder auf der Suche nach der Alraune des Führers im Teutoburger Wald

Kein gewöhnlicher Theaterabend. Aber das war bereits bei dem Titel „Lolita (R)evolution (Rufschädigendst) – ihr alle seid die Lolita eurer selbst“ nicht zu vermuten. Und dann war da auch noch Regisseur Jonathan Meese, der auch auf der Bühne stand. Ein Theaterexperiment auf 2 ½ Stunden. Ars tremonia war am 15. Februar 2020 dabei.

Der Abend begann außergewöhnlich, aber unterhaltsam. Zunächst wurde dem Kunstlied gefrönt und danach gab es auf einer Leinwand eine kurze Zusammenfassung des Buches „Lolita“ von Vladimir Nakokov. Doch als der Vorhang endgültig aufging, changierte das Stück zwischen Theater und Kunstperformance. Hin und wieder hatte der Abend etwas von Erwachsenen, die ihren 5. Geburtstag nachfeiern wollen und auf dem Dachboden alte Klamotten gefunden haben, die sie nach Herzenslust anziehen. Besonders fasziniert ist Jonathan Meese von Nazi-Uniformen und er muss natürlich beinahe permanent den rechten Arm zum Hitlergruß heben. Wie provokant. Doch irgendwann wird die Provokation zur Pose und angesichts der Tatsache, dass beispielsweise in Dortmund mit der Partei „Die Rechte“ echte Nazis im Stadtrat sitzen und der Coup der AfD in Thüringen noch frisch im Gedächtnis ist.

Der Beginn der Kunstperformance war sehr vielversprechend. Auf einem überdimensionalem Bleistift saßen die sieben Schauspielerinnen und Schauspieler in einer Art Musketier-Verkleidung und warfen sich Schlagworte zu. Davon war noch „es muss ein Riss durch Deutschland gehen“ – nach der berühmten Herzog-Rede – noch ein witziger Bezug. Danach ergoss sich ein Schlagwortgewitter, in dem unter anderem die Alraune des Führers im Teutoburger Wald gesucht werden sollte. Später sollte die Alraune des deutschen Theaters gezüchtet werden.

Die Lolitas sind bereit für die Dikatatur der Kunst. (v.l.n.r.) Maximilian Brauer, Uwe Schmieder, Bernhard Schütz, Lilith Stangenberg and Anke Zillich. (Foto: © 020 © PHOTOGRAPHY JAN BAUER . NET / COURTESY JONATHAN MEESE . COM)
Die Lolitas sind bereit für die Dikatatur der Kunst. (v.l.n.r.) Maximilian Brauer, Uwe Schmieder, Bernhard Schütz, Lilith Stangenberg and Anke Zillich. (Foto: © 020 © PHOTOGRAPHY JAN BAUER . NET / COURTESY JONATHAN MEESE . COM)

Im weiteren Verlauf wurde unter anderem die Meuterei auf der Bounty aufs Korn genommen. Vor allem Fletcher Christian, der Anführer der Meuterer, bekam sein Fett weg. Denn schließlich ist die Seefahrt keine Demokratie. Der Seewolf und Ahab würden das bestätigen. Irgendeiner hat das Kommando.

Und ebenso ist das „Theater der Zukunft“, das Meese in seinem beigelegten Manifest beschreibt, keine Demokratie, auch keine Unterhaltung und paktiert nicht mit dem Publikum. Das ist ihm bei „Lolita“ ziemlich gut gelungen. Es hat auch niemand gesagt, dass die Diktatur der Kunst immer angenehm sein muss.

Das Bühnenbild war sehr beeindruckend. Einige Werke von Jonathan Meese („ich bin nicht ateliertauglich“) hingen in überdimensionaler Größe an der Decke und wurden hoch- oder runter gezogen. Links und rechts standen Telefonzellen, eine rote englische und eine gelbe deutsche, auf denen zwei Bildschirme standen. Die englische Telefonzelle zeigt den Film „Zardoz“ (1974) mit Sean Connery, auf den sich auch ein Bild von Jonathan Meese bezog und auf dem anderen „The Wicker Man“ (1973).

Musikalisch war es breit gefächert: Neben der Kunstmusik zu Beginn, gab es ein Poplied zu Deutschland und eine alte Schnulze von Peter Maffay. „Josey“ besingt ja gerade das gute alte Lolitathema.

Einen Knaller hatte Jonathan Meese noch gegen Ende, als er „Sonne“ von Rammstein quasi in Endlosschleife abspielen ließ. Doch nicht nur das, er sang im Refrain immer „Hier kommt die Mutter“ statt „Hier kommt die Sonne“. Wobei Rammstein auch ein schönes Lied mit dem Titel „Mutter“ hat, aber gut.

Am Ende kam tatsächlich (seine) Mutter auf die Bühne, bekam wie beim Kindergeburtstag auch ein Stück Küchen und durfte sich an den „Tisch der Erkenntnis“ setzen. Ihre Stimme aus dem Off war immer wieder wie ein kleiner Ordnungsruf an die Beteiligten.

Und jetzt das Fazit? „Lolita“ ist kein klassisches oder modernes Theaterstück, es bricht mit vielen Konventionen, aber es ist bunt, laut und schrill. Wer Loops liebt, der wird sich an den permanenten Wiederholungen erfreuen. Jonathan Meese, Maxililian Brauer, Henning Nass, Uwe Schmieder, Bernhard Schütz, Lilith Stangenberg und Anke Zillich performen bis an die Schmerzgrenze. Nur wer bereit ist, sich der totalen Dikatur der Kunst zu unterwerfen, wird einen tollen Abend genießen und mit „Sonne“ einen neuen Ohrwurm mit nach Hause nehmen.

Die weiteren Möglichkeiten, sich dem Diktat der Kunst unterzuordnen, bestehen am 21. März 2020, 03. April 2020, 25. April 2020 und am 16. Mai 2020. Alle Termine beginnen um 19:30 Uhr.