Schlagwort-Archive: Linus Ebner

DEPECHE MODE – oder Überleben in der Zwischenzeit

Autor Serhiy Zhadan
Übersetzt von Juri Durkot und Sabine Stöhr

Im freien Fall auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, ein schräges, postsozialistisches Roadmovie

Charkiw 1993. Sowjetische Kriegsveteranen und neureiche biznesmeny, ein amerikanischer Erweckungsprediger. In ehemaligen Komsomolbüros der ostukrainischen Metropole residieren Werbeleute. Das Jugendradio bringt in Kooperation mit London ein Feature über die irische Musikgruppe DEPECHE MODE und die Rolle der Mundharmonika beim Kampf gegen kapitalistische Unterdrückung. Durch diese aberwitzige Szenerie irren drei Freunde, Teenager, Dog Pawlow, Wasja Kommunist und der Ich-Erzähler Zhadan, neunzehn Jahre alt und arbeitslos, um ihren Kumpel Sascha Zündkerze zu finden. Sie müssen ihm mitteilen, dass sich sein Stiefvater erschossen hat. Ihre Suche führt sie auf ein verfallendes Fabrikgelände, wo sie eine Molotow-Büste klauen, ins Roma-Viertel zu einem befreundeten Dealer und schließlich per Nahverkehrszug ins Pionierlager »Chemiker«, wo Zündkerze als Betreuer arbeitet. DEPECHE MODE, Zhadans erster Roman, adaptiert zu diesem Bühnenstück im Schauspiel Dortmund, führt mitten hinein in die Anarchie der postsowjetischen Umbruchzeit und entfaltet ihre enorme ästhetische, aber auch anarchische Produktivkraft.

Adi Hrustemović, Linus Ebner, Valentina Schüler und Mervan Ürkmez in "Depeche Mode" (Foto: © Birgit Hupfeld)
Adi Hrustemović, Linus Ebner, Valentina Schüler und Mervan Ürkmez in „Depeche Mode“ (Foto: © Birgit Hupfeld)

Am 24.02.2022 meldeten die Medien den Beginn des Überfallkrieges von Russland auf die Ukraine, doch der Krieg begann lange zuvor. Putin ging es um die Einflussnahme auf die Ukraine, nach der 2003 Orangenen Revolution, wieder 2014 nach dem Euro Maidan, Annexion der Krim, Separatisten im Dombass … seitdem herrscht in der Ukraine Krieg.
In seinen Romanen, Gedichten und Tagebüchern beschreibt der ukrainische Autor Serhij Zhadan wie der Krieg näher kommt, sich anschleicht, unter die Haut geht, die Menschen verändert, bis er offen ausbricht und seine ganze hässliche Gewalt mit den übelsten Fratzen zeigt, und wie dann Menschen immer noch weitermachen, weiter leben.
Zhadan lebt in Charkiw und berichtet von dort über die aktuellen Entwicklungen seit dem 24. Februar, der Zeitenwende in Europa.

Mit seinem ersten Roman DEPECHE MODE, unserem Bühnenstück, den wir in einer Fassung von Markus Bartl zeigen, erzählt er aus seiner Jugendzeit. Wir reisen zurück ins Jahr 1993 nach Charkiw, in stillgelegte Fabriken, neu eröffnete Werbeagenturen und gehen mit den drei Freunden Dog Pawlow (Valentina Schüler), Wasja Kommunist (Mervan Ürkmez) und dem Ich-Erzähler Zhadan (Adi Hrustemović), 19 Jahre alt und arbeitslos, auf einen Road-Trip durch die Anarchie der postsowjetischen Umbruchszeit. Die drei machen sich auf den Weg, um ihren Kumpel Sascha Zündkerze (Linus Ebner), zu finden. Sie müssen ihm mitteilen, dass sich sein Stiefvater erschossen hat. Ihre Suche führt sie auf ein verfallendes Fabrikgelände, wo sie eine Molotow-Büste klauen, zu einem befreundeten Dealer und schließlich per bummelnden Nahverkehrszug ins Pionierlager »Chemiker«, wo Zündkerze als Betreuer arbeitet. Der Dialog aber mit Zündkerze ist belanglos, geradezu unbedeutend. Man redet, aber aneinander vorbei. Ist sich seltsam fremd, ganz so wie das neue System, das von der Ukraine Besitz ergriffen hat und das Land und seine Menschen verändert.

Vier Freunde müsst ihr sein, dann kann euch auch in der Ost-Ukraine nichts Schlimmes geschehen. Zumal, wenn ihr so sprechende Namen tragt wie Dog Pawlow, Wasja Kommunist, Sascha Zündkerze und Zhadan. Der letzte Name ist natürlich eine Ausnahme von der Regel der comicartigen Charakterisierung, der Ich-Erzähler heißt so wie der Autor. Das Literaturwunderkind Serhij Zhadan, 1974 im ostukrainischen Starobilsk, Oblast Luhansk, geboren und Verfasser von bereits elf Büchern Lyrik und Prosa, erzählt in seinem ersten Roman DEPECHE MODE von drei Freunden, die an vier Tagen im Juni 1993 nach dem fehlenden vierten suchen. Das 2004 erschienene Debüt wirft einen Blick zurück auf eine Ukraine, in der der Sozialismus vorüber ist, der Manchesterkapitalismus sich ankündigt, die Verwirrung komplett und die Suche nach dem Freund daher durchaus symbolisch zu verstehen ist.

Das zeigt schon das ungewöhnliche Personal des Road Movies DEPECHE MODE: prügelnde Polizeibeamte, besoffene Wodka-Schmuggler, durchgeknallte Kleinkriminelle, ein amerikanischer Erweckungsprediger, ein bekiffter Roma-Dealer und eine unschuldig-promiske verstrahlte Lolita, eindringlich durch Linus Ebner personifiziert. Denn noch spielen Liebe und Sex keine große Rolle. Die Herzen der Freunde schlagen für Alkohol in jeder Form sowie Tabak und Hasch, deren Konsum nach vorheriger Beschaffung durch Schmuggel, Betrug und Einbruch die Suche nach dem Freund recht kurzweilig gestaltet.

In der Mitte des Buches hören die Suchenden im Haus eines schwulen Chefredakteurs im „Superphono“ eine Sendung über die „legendäre irische Musikgruppe DEPECHE MODE“, in der die Reste sozialistischer Ästhetik („Dave beschließt, ein eigenes musikalisches Kollektiv zu gründen“) heftig aneinandergeraten mit der souveränen Wurschtigkeit des Moderators.

Später blättert Zhadan in einem Band der „Bibliothek des fleißigen Werktätigen“, worin die „humanitär-technische Abteilung des Donezker Gebietskomitees“ der ukrainischen Kommunisten allerlei hilfreiche Hinweise zum Verständnis der „Prinzipien und Tendenzen der Entwicklung der sozialen Produktionsverhältnisse“ gibt: von „1.1. Genosse! Stell Napalm her!“ über „1.3. Genosse! Bastle dir einen Molotowcocktail!“ bis zur Gasbombe unter 1.5. Eine bitterböse Persiflierung sozialistischer Parolen und Kampfbegriffe, die sich besonders in den Köpfen der AltRight bewegten Faschisten eingefressen haben, um ihre zersetzende Demagogie herauszuspucken.

Die Parodien und Travestien von eben noch ehrenwerten sozialistischen Texten, Motiven und Erklärungsmustern entfalten auch hierzulande erheblichen subversiven Charme. Dabei belässt es Zhadan jedoch nicht. Mit Genuss persifliert er die übliche Erzählweise: DEPECHE MODE bietet vier Prologe, ebenso viele Epiloge und schreitet mithilfe präziser Stundenangaben chronologisch voran. Bleibt den Freunden, die über sozialistische, mit Unsinnigkeit und Begrifflichkeiten überfrachteten Begriffe, ironisierend den „Piep-Schnurzismus“ so eloquent zu referieren vermögen wie über die Unmöglichkeit ehrlicher Geschäfte in der Ukraine. Hier ist Zhadan, das Ensemble, am Erheiterndsten. Man kann nicht anders als Lachen, aber es schwingt etwas Düsteres mit. Das zwingende Scheitern des Kommunismus an seinen eigen Ansprüchen, den er nie auch nur im Ansatz gerecht werden konnte.

Serhij Zhadan gelingt das Kunststück, aus hochtourigem Leerlauf höheren erheiternden Blödsinn zu generieren, was das Ensemble gekonnt interpretiert und umsetzt und den Zuschauer mitreißt. Das Stück ist eine einzige Lockerungsübung. Er lässt Traditionen und Autoritäten aller Couleur ungeheuer alt aussehen.
Aber am Ende wird es dystopisch. Es kündigt sich mit dem leeren Gespräch von Zündkerze mit seinem Freund Zhadan an … Der freie Fall. Wenn am Ende Zhadan seinen Schlussmonolog hält, sitzen seine drei Freunde, inklusive dem unterwegs wegen Notdurft verloren gegangenen Wasja, der blutig geschlagenen Dog Pawlow, am Küchentisch sich laut anschweigend im Halbdunkel einer undefinierbaren Zukunft. Die sinnentleerte, keinen Halt gebende nähere Zukunft. Was wird aus der Ukraine, was aus der Gesellschaft, den Menschen … Ein Putin kann keine funktionierende Demokratie an seinen Grenzen dulden, sie könnte attraktiver als seine dystopische, vergiftende faschistische Mafia und KGB Diktatur sein.

Bis dahin hat die Ukraine und seine Menschen noch zwei demokratische Revolutionen, eine Annexion, und einen Separatisten-Bürgerkrieg Zeit, sich des revisionistischen russischen Bären zu erwehren.

Darsteller: Adi Hrustemović, Mervan Ürkmez, Linus Ebner, Valentina Schüler
Regie: Dennis Duszczak
Ausstattung: Thilo Ullrich
Sounddesign: Lutz Spira
Dramaturgie: Sabine Reich
Licht: Stefan Gimbel
Ton: Christoph Waßenberg, Gertfried Lammersdorf
Regieassistenz: Ruven Bircks
Bühnenbildassistenz: Meike Kurella
Kostümassistenz: Ksenia Sobotovych
Inspizienz: Christoph Öhl
Soufflage: Violetta Ziegler
Die im Bühnenbild verwendete Sonne wurde von Lili Anschütz entworfen.

Termine: 29.05.2022 18Uhr und 25.06.2022 19:30Uhr

Serhiy Zhadan, 1974 im Oblast Luhansk/Ostukraine geboren, seit 2014 Kriegsgebiet,studierte Germanistik, promovierte über den ukrainischen Futurismus und gehört seit 1991 zu den prägenden Figuren der jungen Szene in Charkiw. Er debütierte als 17-Jähriger und publizierte zwölf Gedichtbände und sieben Prosawerke. Für „Die Erfindung des Jazz“ im Donbass wurde er mit dem Jan-Michalski-Literaturpreis und mit dem Brücke-Berlin-Preis 2014 ausgezeichnet (zusammen mit Juri Durkot und Sabine Stöhr). Die BBC kürte das Werk zum »Buch des Jahrzehnts«.

The Head in the Door

oder Das Vaudeville der Verzweiflung

von Milan Peschel und Ensemble

Als Gestern noch Heute, also das Morgen von Vorgestern war …

Ein Abend im Vaudeville mit Sprachslapstick, tiefgreifenden Fragen nach der Kreativität dem Glück und der Selbstverwirklichung immer etwas tun müssen oder doch nicht, dadaesquem Humor, Lust am Stillstand der wortgewandt und bewegt übertönt wird und Schauspielern in einem Theater oder doch einem Vergnügungspark mit einem Anflug von Kafka …

Das Ensemble vollzieht einen gekonnten Spagat vom Vaudeville, den einstigen französischen Vor- und Kleinstadt Theatern. In den USA fand man den Begriff Chic und betitelte die Schaubuden so. Darin verdienten sich dann Charlie Chaplin, die Marx Brothers, Stan Laurel, W.C. Fields und Buster Keaton die ersten Meriten.

Marlena Keil, Linus Ebner, Ekkehard Freye, Bettina Engelhardt, Nika Misÿkovic, Anton Andreew in "The Head in the door" (Foto: © Birgit Hupfeld)
Marlena Keil, Linus Ebner, Ekkehard Freye, Bettina Engelhardt, Nika Misÿkovic, Anton Andreew in „The Head in the door“ (Foto: © Birgit Hupfeld)

Das Vaudeville hüben wie drüben ging mit der Depression nach 1929 und dem Tonfilm unter. Aber Peschel und sein Ensemble lassen es wieder auferstehen mit dem Scheitern, Straucheln und wieder Aufstehen. Nicht ohne einen Seitenhieb auf einen gewissen Ortsteil der einst spanischen Stadt der Engel, aber auch das Vaudeville welches einst im Fredenbaumpark war erinnernd.

Unsere Helden leben dann auch gleich im Theater, weil das Leben so teuer ist, aber das Leben auch Kunst ist, und Kunst Leben, sie, wir sie brauchen, wie die Luft zum Atmen, die Freiheit zum Leben. Als Metapher für die Lust des Künstlers/Schauspielers am Spiel und seinem Hunger nach verdientem Applaus. Witzig, schnell, wendig wieselt das Ensemble durch die Kulissen und den Kulissenregen, wobei sie uns die Schnelligkeit des Vaudeville mit Sprache und agieren vorführen und fast atemlos machen und man aufpassen muss, dass man beim Lacher, nicht die nächste Pointe überhört.

Wo bleiben die, die keinen langen Atem mehr haben? Hier wird das Stück hochmodern im Zeitalter des Fame für 15min, sich verkürzenden Aufmerksamkeitsspannen und sich überschlagender Social Media Aufmerksamkeitheischerei. Alles begann eigentlich im Vaudeville mit seinen kurzen Sketchen und Szenen, was sich im Film fortsetzte.

Ein szenischer Parforceritt durch die sich drehenden Kulissen, etwas gebremst durch Verständlich- und Verfolgbarkeit der Sprache, der Dramaturgie, ansonsten wäre man vielleicht etwas außer Atem geraten. Oder man hätte den Einsatz zum Lachen verpasst … wohltuend, das Lachen. Die Verzweiflung der Schauspieler erschien jedoch nicht allzu gravierend, zu sehr war ihre Spielfreude zu erleben.

Es braucht Menschen, hier unsere Schauspieler, die imstande sind, andere Menschen zu begeistern, das Publikum der Premiere.

Als Gestern noch Heute … also das Morgen … von Vorgestern war …

Besetzung

Anton Andreew

Alexander Darkow

Linus Ebner

Bettina Engelhardt

Ekkehard Freye

Marlena Keil

Nika Miskovic

Regie: Milan Peschel

Regieassistenz: Anna Tenti

Regiehospitanz: Victoria Di Bello

Bühne: Nicole Timm

Bühnenbildassistenz: Christiane Thomas

Kostüm: Magdalena Musial

Dramaturgie: Sabine Reich

Dramaturgiehospitanz: Sabine Buchholzer, Hannah Straßheim

Licht Design: Henning Streck

Licht: Stefan Gimbel

Inspizienz: Mathilde Wienand

Souflage: Violetta Ziegler

Weitere Termin

03. Feb. 2022 19:30

18. Feb. 2022 19:30

19. Feb. 2022 19:30

05. März 2022 19:30

13. März 2022 18:00

Eintritt € 9,00 bis 23,00

5G – Superhelden auf verzweifelter Mission

Eine ungewöhnliche Premiere gab es am 04. November 2021 im Studio des Schauspielhauses. „5G – Die Rückkehr der Superheld*innen“. Eine Stückentwicklung des Regie-Teams unter Dennis Duszczak und den Schauspielern Anton Andreew, Linus Ebner, Lola Fuchs und Sarah Yawa Quarshie.

Superhelden wie wir sie kennen, gibt es seit etwa 100 Jahren. Lassen wir die antiken Hilden wie Herkules außen vor, gehören sie zur Comic-Kultur wie Enten und Mäuse aus dem Hause Disney. Superman war der erste Superheld mit Kostüm, Hintergrundgeschichte und Schwächen. Danach kamen seine Kollegen wie Spiderman, Batman und sicher hunderte andere. Inzwischen sind sie präsent im Kino in unzähligen Filmen und prägen die Pop-Kultur.

Lana (Sarah Yawa Quarshie), die Fliege (Anton Andreew), Asha (Lola Fuchs) und Lapsus of Light (Linus Ebner) wirken ratlos. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Lana (Sarah Yawa Quarshie), die Fliege (Anton Andreew), Asha (Lola Fuchs) und Lapsus of Light (Linus Ebner) wirken ratlos. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Doch die Dortmunder Superhelden sind anders. Sie können nicht fliegen oder sich an Spinnenfäden herunterhangeln, sie haben andere, spezielle Fähigkeiten. Da wäre Lana, die sich so vorstellt: „Ich bin Lana Morello und ich gehe jedes Risiko ein.“ Sie ist Influenzerin und Netzaktivistin und hat durch die Schwarmintelligenz die Fähigkeit erworben, Gedanken zu lesen. „Am Ende aller Tage werden das Recht und die Freiheit auf meiner Seite sein. Denn es gibt viele, die mir folgen, die so denken wie ich, denn sie denken durch mich. Meine Gedanken sind ihre Gedanken.“

Während Lana also eine Mission hat, sieht es bei Lapsus of Light (LOL) anders aus. „Ich hasse Recycling und vegane Mülltrennung. Aufräumen? Langweilig! Chaos, das ist das Ziel.Wisst ihr was? Ich lade Euch ein in meine kleine Chaosfamilie und stelle euch meine bezaubernden Verwandten vor“ Er ist eine Art Personifizierung der Spaßgesellschaft. Seine Fähigkeit ist, Menschen in Delfine zu verwandeln.

Das Gegenteil von LOL stellt „Die Fliege“ dar. Während LOL die Welt bunt und fröhlich sieht, steht die “Fliege“ für das Notwendige. „Wir sind die Deadline. Die Ersten bei jeder Katastrophe. Die Ersten bei der Leiche, die Ersten, wenn es ernst wird. Die ersten bei verdorbenen Fraß: Ich vertilge und beseitige.“ Er ist Recyclingspezialist.

Fehlt nur noch ein Superheld und dieser Held hat ein Geheimnis (Achtung! Spoiler), den Asha (kurz für X ASH – A 12) ist der Sohn eines superreichen Unternehmers mit Weltraumambitionen. Wem Tesla einfallt, liegt richtig. Sein geheimer Plan ist es, die Superkräfte der drei zu stehlen und für teures Geld als Produkt auf den Markt zu bringen. „Die Gabe von dem Mann in Lila, Lapsus of Light, Menschen in Delfine zu verwandeln, würde ich analysieren, um daraus die ultimative Droge zu entwickeln. Eine Art Heroin ohne Nebenwirkungen. Den enormen Bestand dieser zukünftigen Droge würde ich dann künstlich verknappen, das Gerücht, dass es etwas Neues auf dem

Markt gibt, bei den richtigen Leuten streuen und sie dann durch Unterhändler teuer im Darknet

verscherbeln. Die Fähigkeit von diesem komischen Typen mit dem S-Fehler, würde ich extrahieren, um ein effizientes Recyclingsystem für den Mars zu entwickeln. Und die Fähigkeit von Lana Morello, Gedanken zu lesen, würde ich schließlich als Marktforschungsinstrument an diverse High Ranking Unternehmen verkaufen.“

So kann man das Stück auch als Kritik lesen, menschliche Bedürfnisse, Fähigkeiten und Notwendigkeiten zu kapitalisieren.

Die vier Akteure auf der Bühne bieten ein grandioses Schauspiel. Anton Andreev hat mit seiner Fliegenmaske und seinem summenden S die Lacher auf seiner Seite. Ebenfalls exaltiert spielt Linus Ebener Lapsus of Light im schicken Lila, während Sarah Yawa Quarshie eine Lana spielt, deren Selbstbewusstsein nur so strahlt. Sie ist auch die einzige Superheldin mit Cape, das macht sie besonders. Lola Fuchs spielt den kühlen Asha als blassen hinterlistigen Elfen.

Ein gelungener Abend, der nicht nur lustig ist oder sich über Superhelden lustig macht, sondern versucht einen Blick in die Zukunft zu werfen: Wie weit lassen sich unsere Wünsche und Fähigkeiten kapitalisieren.

Mehr unter www.theaterdo.de

Ein schwacher Held – Faust unterliegt Frauenpower

Starke Frauen stehen im Mittelpunkt einer modernen Fassung des Faust. Mephisto, verkörpert von Antje Prust überzeugt genauso wie Margarete (Marlena Keil). Als Vorlage der Inszenierung dienten Auszüge aus den Romanen Eis und Bro von Vladimir Sorokin. Die Proben fanden unter erschwerten Bedingungen statt, da die Regisseurin Mizgin Bilmen eine Woche vor der Premiere erkrankt war. Intendantin Julia Wissert und ihre Dramaturgin Kirsten Müller vollendeten die Inszenierung in dieser heißen Probenphase gemeinsam mit dem Ensemble. Der Chor der Studierenden, bestehend aus Studierenden der Folkwang Universität musste Coronabedingt per Audioaufzeichnung eingespielt werden.

Als der Vorhang sich hebt, blicken die Zuschauer in einen weißen Raum, im Hintergrund führt eine Treppe zu einer Tür in der ersten Etage. Zu Beginn erscheint Faust (Linus Ebner) als verzweifelter Künstler auf der Suche nach größerer Inspiration und Bedeutung. Mit großen ausladenden Bewegungen zeichnet er seine Verzweiflung mit dynamische Linien auf die weißen Wände. Möglich wird dies durch virtuos eingesetzte Beamertechnik, gestaltet durch Tobias Hoeft, der für Bühne und Visual Art verantwortlich zeichnet.

Statt in einer Studierstube erlebt man den Faust wie in einem überdimensionierten Atelier. Er fühlt sich zu Höherem berufen. Gelangweilt vom Alltag, getragen von einer Art Hybris giert er nach Verführung, Abenteuer und Extase. Erdgeister und Hexen krauchen über die Bühne, Mephisto sieht die Chance gekommen den Verzweifelten mit Erlösung zu locken. Sexy gekleidet mit schwarzem, durchsichtigem Bodysuit, ist Antje Prust auf der Bühne in ständiger Bewegung. Während die Geschichte ihren Lauf nimmt, färben sich die Wände in immer stärkeres Violett, die feministische Kraft und das Geistige symbolisierend. Machtbewusst setzt Mephisto ihre zerstörerischen Kräfte ein. Mit teuflischen Gesten, als Pudel bellend und strampelnd beherrscht sie das Geschehen. Nachdem der Pakt mit Faust geschlossen ist, verfällt dieser im Liebeswahn der Margarete. Die Schauspielerin ist als moderne junge Frau gekleidet, ganz in schwarz mit kurzem Rock und dicken Boots. Kein Gretchen, sondern eine Margarete, die auch einmal laut Scheiße brüllt, nicht nur Opfer ist, sondern auch handlungsfähig. Entzückend gespielt ist die Liebesszene als Faust und Margarete einander verfallen.

Faust ist ein schwacher Held, zur Walpurgisnacht darf er nicht kommen, sondern Margarete nimmt daran teil. Selbst bei der Befreiung aus dem Kerker hockt er nur schwach im hinteren Bühnenbereich und sieht passiv zu wie Margarete durch Mephisto und die Hexen erlöst wird.

Das Ende der 100minütigen Vorstellung ist unverhofft ein wenig kraftlos geraten. Obwohl zur Bildung einer widerständigen Bewegung aufgerufen wird, verpufft die Kraft der Worte. Ein starkes Bild ist jedoch Mephisto mit Flügeln aus Fleischhälften gekleidet, die Rolle der Lilith zitierend.

Die nächsten Vorstellungen sind am 2. und 3. Dezember geplant.

Faust (Linus Ebner) ist nicht nur in diesem Bild im Hintergrund. In der Inszenierung dominieren starke Frauen wie margarete (Marlena Keil) und Mesphisto (Antje Prust). (Foto: © Birgit Hupfeld)
Faust (Linus Ebner) ist nicht nur in diesem Bild im Hintergrund. In der Inszenierung dominieren starke Frauen (v.l.n.r.) wie Margarete (Marlena Keil) und Mesphisto (Antje Prust). (Foto: © Birgit Hupfeld)

Assoziative Theater-Performance zur „dunklen Seite“

[fruitful_alert type=“alert-success“]Um die dunklen Seite des Menschen dreht sich das Stück „Böse“. (Foto: © Guntram Walter)[/fruitful_alert]

Rolf Dennemanns „artsenico“ konfrontiert uns mit seiner neuesten Kreation „Böse – Dark Side“ humorvoll-ironisch, aber gleichzeitig sensibel assoziativ mit der „dunklen Seite“ in uns. „Böse“ ist nach „Missing Links“ und „Die Messe“ Teil III einer Trilogie um Seelentiefe. Am 02. September 2017 hatte diese besondere Tanz-Theater-Performance Premiere im Theater im Depot. Ars tremonia war bei der zweiten Vorstellung am 03.09.2017 anwesend.

Seine Wirkung entfaltet dieses „Physical Theatre“ durch das wunderbare miteinander und zusammenwirken von Tanz (Paul Hess) , Performance (Elisabeth Pleß, Linus Ebner), den Einsatz von eindrucksvollen Gesichtsmasken und Puppen sowie effektvollem Licht und Geräuscheinsatz mit passendem Musik-Hintergrund. So werden atmosphärisch in die Tiefe gehende Stimmungen erzeugt

Zu Beginn wird das Publikum von einem schwungvoll-optimistischen tanzenden in weiß gekleideten Paul Hess empfangen. Die ebenfalls in weiß gekleideten Elisabeth Pleß und Linus Ebner verbreiten strahlend gut Stimmung. Sie vermitteln all die vielen Dinge, die im Leben „schön sind“. Dabei beziehen sie das Publikum offensiv mit ein. So wird zum Beispiel die Blume auf der Jacke einer Zuschauerin als schön erkannt.

Dann geht auf die zum Leben gehörende „dunkle Seite“ in uns, die genauso dazu gehört.

Böse Gedanken“, Wünsche, oft religiös verstärkte Schuldgefühle werden assoziativ und verfremdet und mit Hilfe von Masken oder Puppen und mit einem „Augenzwinkern“ vermittelt. So spielt Elisabeth Pleß in roten Pumps und die „dominante Frau“, die den „unterwürfigen“ Linus Ebner Befehle erteilt. Bewusst benutzen sie dabei eine Art Kunstsprache, bei der das Publikum nur einzelne (wichtige) Worte versteht. Das „Böse“ wird in einer verfremdeten, teils grotesk-komisch auf die Bühne gebracht.

Dabei wird politische Korrektheit und Humorlosigkeit genauso eine Todsünde wie etwa die aus der Bibel bekannten wie Völlerei oder Habgier gesehen.

Ein gleichsam unterhaltender wie nachwirkender Theaterabend mit wunderbaren Künstlern.

Gelegenheit, sich „Böse“ anzusehen besteht noch am Freitag, den 08. und Samstag, den 09. September 2017 um 20:00 – RÜ Bühne Essen und am Freitag, den 15. Und Samstag den 16. September – Rottstrasse 5 Theater! Bochum.