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Judas tritt ins Rampenlicht

Judas, der Name, der zum Synonym des Verrats schlechthin geworden ist … Du Judas Du … wie oft mögen wir das schon gehört haben, wie es jemandem in Verachtung entgegengeschleudert wurde, wir es vielleicht sogar waren, die es herausspuckten.

JUDAS (Amelle Schwerk) erzählt uns seine Version der Geschichte. (Foto: © Schauspielhaus Dortmund)


Dieses Synonym für Verrat hat sich längst aus dem religiösen Kontext gelöst und ist zu etwas eigenem geworden. Wirklich? Steckt nicht doch sehr viel mehr Religion und auch noch das andere, diese widerwärtige Haltung darin oder dahinter?

Lot Vekemans, die niederländische Autorin des Bühnenstückes, lässt Judas in ihrem Monolog zum ersten Mal durch Amelle Schwerk selbst sprechen. Vekemans lässt uns in dem Monolog teilhaben an den Gedanken des Apostels, der Jesus auslieferte, damit der die Prophezeiung erfüllt und die Schuld der Menschen auf sich nimmt. Judas provoziert mit seinem Statement, das ja eigentlich er und nicht Jesus die Schuld der Menschen, mit seinem Handeln auf sich, seine Schultern, die Schultern des Judas Iskariot, genommen habe. Starker Tobak.

Judas tritt damit endgültig aus dem Schatten der jahrhundertelangen Verachtung ins Rampenlicht einer erstaunten Öffentlichkeit und lässt uns teilhaben an seiner Geschichte. Eine Geschichte die wir alle glauben zu kennen, weil sie uns hinlänglich erzählt, gepredigt wurde, und nachzulesen war im Buch der Bücher …  Eine Geschichte, die vor mehr als 2000 Jahren begann.

Judas liefert uns keine Rechtfertigung, lamentiert nicht, keine Entschuldigung, sondern er nimmt uns mit auf seine Seite der Geschichte. Die Geschichte von Judas und Jesus, in der die Tat des Verrats neu beleuchtet wird. Die Seite der Geschichte, die die Evangelisten nicht niedergeschrieben haben.

Einige Zuschauer schienen irritiert worden zu sein. Zu Recht, denn es besteht keine allgemeine, alleinige Wahrheitsgültigkeit der Evangelien. Es sind Geschichten, die Jahrzehnte nach den Ereignissen in Judäa niedergeschrieben wurden von Menschen … und Erinnerungen sind flexibel, ändern sich mit der Zeit, der Distanz zum Ereignis. Auch dem nicht religiösen, kritischen Zeitgenossen gehen zu Judas doch weitere, andere Gedanken durch den Kopf.

Unser Judas ist Amelle Schwerk die mit uns zu flirten scheint, damit ihre Sicht der Dinge einfacher zu verdauen ist. Sie kungelt geradezu mit uns dem Publikum. Sie wird laut, schreit und fleht gar. Warum? Bringt uns mit ihrem kraftvollen Gesang ihr Anliegen nahe. Dieser Monolog in der Inszenierung von Oliver Meyer ist mehr als nur ein Rahmen, in dem eine Schauspielerin ihre künstlerischen Fertigkeiten demonstriert. Amelle Schwerk ist energiegeladen, nicht aufgedreht oder geltungssüchtig, sondern immer ganz bei sich. Mit dieser Innerlichkeit füllt Schwerk die Bühne aus und greift über in den Raum des Publikums, nicht nur mit der Frage nach der nicht bezahlten Eintrittskarte. Es ist eine Show, eine ruhige Show. Nachdenklich und Nachdenklichkeit erzeugend.

Judas, ist nicht mehr der Name, der zum Synonym des Verrats schlechthin geworden ist.

Judas – Amelle Schwerk
REGIE – Oliver Meyer
BÜHNE – Vanessa Maria Sgarra
KOSTÜM – Annabelle Gotha
MUSIK – Christian Decker
DRAMATURGIE – Melanie Hirner
Credits – Staatstheater Hannover