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Frech und frisch am Bambus

Die Beteiligten in "Pussy Riot"-Pose. (Foto: © Melanie Nagler)
Die Beteiligten in „Pussy Riot“-Pose. (Foto: © Melanie Nagler)

„Ich bin wie ein Teenager. Ich habe ein eigenes System. Und fast niemand außer mir kann es verstehen“ (Locas in Love, Teenager)

Das Dortmunder Kinder- und Jugendtheater präsentierte für das Projekt „Industriegebietskinder“ gleich zwei Projekte. Nach „Ach je die Welt“ von Anne Lepper (wir berichteten) präsentierten Jugendliche der Marie Reinders Realschule das theaterpädagogische Projekt „Asche unter meinen Docs“. Die Themen waren dieselben: Was mache ich nach der Schule und werde ich geliebt? Die Premiere am 15. Mai 2015 besuchte Ars tremonia.

Da die beiden Stücke ähnliche Themen behandeln, wurde das Bühnenbild von „Ach je die Welt“ behalten. So befinden sich die fünf Jugendlichen im „Bambus“, wo früher auf Phoenix-West Stahl gekocht wurde. Hier arbeiteten früher tausende Menschen und heute? So stellten sich die Fünf erst einmal per Video kurz vor und präsentierten ihre beruflichen Träume. Ob sie tatsächlich einen gesicherten Arbeitsplatz finden? Denn schnell ist ihnen klar „Berufsorientierung ist Kacke“, ruft einer.

Was also tun in einer Welt, in der nichts mehr sicher ist? Revolte. Doch der Verstoß gegen die Regeln ist schnell vorbei. Statt dem uralten Sponti-Motto „Macht kaputt, was euch kaputt macht“, heißt es „Gewalt ist auch keine Lösung“. Statt dessen stehen die Smartphones im Mittelpunkt des Lebens. Auch wenn sie „wie Seile an meinem Körper ziehen“, scheinen sie unentbehrlich. Zumal die Geräte ja auch nützlich sind, vor allem, wenn der Freund um 1 Uhr morgens eine SMS schickt, ob man noch raus kommt.

Doch gegen Ende kommt heraus, was den Jugendlichen letztendlich wirklich wichtig ist : Freundschaft, Vertrauen und Freiheit.

„Asche unter meinen Docs“ ist ein frisches kleines Stück, das die Problematiken der Jugendlichen auf angenehme authentische Art angeht. Es ist nicht verkopft wie „Ach je die Welt“ und bietet einen einfacheren Zugang. Lustiges Beiwerk waren die Allegorien auf den Phoenix-See mit schicken Hut, der eines der typischen Häuser dort präsentierte und auch der Bambus erschien auf der Bühne. Ein kleiner Seitenhieb auf den Film „Ted“ brachte auch einige Lacher.

Ein großes Lob an die fünf Schülerinnen und Schüler: Finn Ole Jaworek, Laura Jacqueline Färber, Lea Haubner, Michelle Burmester. Philip Effenberger. Judith Bruzies spielte den See und Michael Kieser den Bambus.

Begleitet haben das Stück die beiden Theaterpädagogen Melanie Nagler und Manuel Schmitt.

Freiraum in der Industriebrache

Glücklich über die Spende des Vereins "Bürger für ihr Schauspiel": (v.l.n.r.)  stellv. Vorsitzende Annegret Niedermeier, Vorsitzender Heinz Dingerdissen, die Schüler Laura Färber und Philip Effenberger, Leiter des KJT Andreas Gruhn. Im Hintergrund noch die Regisseure Melanie Nagler und Manuel Schmitt
Glücklich über die Spende des Vereins „Bürger für ihr Schauspiel“: (v.l.n.r.) stellv. Vorsitzende Annegret Niedermeier, Vorsitzender Heinz Dingerdissen, die Schüler Laura Färber und Philip Effenberger, Leiter des KJT Andreas Gruhn. Im Hintergrund noch die Regisseure Melanie Nagler und Manuel Schmitt

Die Dortmunder Premiere des theaterpädagogischen Projekts „Asche unter meinen Docs“ ist am 15. Mai 2015 im KJT. Regie und Choreografie Manuel Schmitt, Regie und Textentwicklung Melanie Nagler. Die Inszenierung ist eine 50-minütige Theater-/Textperformance zum Strukturwandel am Phönixgelände Dortmund.

Die beteiligten Jugendlichen haben während der Produktion des Stückes viel gelernt: Sie haben Freundschaften geschlossen, Selbstvertrauen entwickelt, freies Sprechen auf der Bühne trainiert und sich selbst und die Mitspieler sehr genau kennen gelernt. In den letzten Monaten ist das Vertrauen in sich und die Anderen gewachsen.

Auf dem Hörder Phönixgelände treffen sich die Jugendlichen in einem Klärbecken das mit Bambus überwuchert ist. Dies ist ihr Ort, den sie selbst gewählt haben, der ihren Freiraum darstellt. Dieser Ort spielt auch im Stück eine große Rolle. Er steht im Kontrast zu dem durchstrukturierten Stadtumfeld, das kaum Möglichkeiten zur Entwicklung bietet. Von zwanzig Jugendlichen zu Beginn sind fünf bis zum Ende dabei geblieben.

Besucher des Stückes „Ach je die Welt“ werden ein De-ja-vu-Erlebnis haben: Denn das Bühnenbild ist das gleiche.

Zum Projekt Industriegebietskinder: Jugendliche aus Halle an der Saale (Thalia Theater), Berlin (Theater Strahl) und Dortmund (KJT, Marie-Reinders-Realschule und Fachhochschule Dortmund) setzten sich mit dem Wandel ehemals eindeutiger Industriestandorte in neue Lebenswelten auseinander. Die Produktion ist Bestandteil des überregionalen Projekts, für das der Förderverein „Dortmunder für ihr Schauspiel“ 4000 Euro gespendet hat.

Jede Gruppe entwickelte anhand eines vorab ausgearbeiteten Fragenkatalogs je ein Theaterstück für eine Aufführung. Mit Unterstützung von Theaterpädagogen, Künstlern und Sozialarbeitern entwickelten die Jugendlichen Themenwelten zu Fragen die mit dem Strukturwandel aufgekommen sind. Ehemals hochproduktive Betriebe verschwanden und hinterließen große Brachen, Arbeitslose die heute Rentner sind. Wie empfinden die Jugendlichen diesen Wandel, wie finden sie ihren Platz in der heutigen Welt? Können sie mit den Erzählungen ihrer Eltern oder Großeltern etwas abfangen? Beeinflusst dies ihre heutiges Leben? Wie finden sie ihren Platz? Welche Träume, Hoffnungen und Frustrationen sind mit diesen Orten verbunden?

Ende Mai treffen sich alle in Halle zu einem Minifestival, bei dem alle Stücke aufgeführt werden sollen.

Zukunftsängste und Liebessehnsucht

Steffen Happel Désirée von Delft Thorsten Schmidt Götz Vogel von Vogelstein
Steffen Happel
Désirée von Delft
Thorsten Schmidt
Götz Vogel von Vogelstein

Mit der Uraufführung von „Ach je die Welt“ am 08. Mai 2015 um 19 Uhr präsentiert das Kinder- und Jugendtheater eines ihrer Beitrag zum Projekt „Industriegebietskinder“. Beim Stück, das Anne Lepper extra für das KJT geschrieben hat, dreht sich alles um zwei Fragen: Werde ich Arbeit haben? Werde ich geliebt?

Kohle ist weg. Bier ist auch nicht mehr der große Arbeitgeber und beim Stahl sieht es ähnlich aus: Arbeitssuchende können schon lange nicht mehr bei Karl Hoesch Arbeit finden. Was passiert also, wenn man die Schule verlässt? Gibt es überhaupt noch Arbeit? Wie finde ich mich in diesem Meer von Möglichkeiten zurecht?

Anne Leppers Stück dreht sich um die drei Jugendlichen Christopher, Tobias und Marc, die Angst haben, zu versagen. Zudem werden sie von der Gesellschaft geprägt: Was musst du haben, um dabei zu sein? Wie musst du aussehen, um Erfolg zu haben? Diese Konditionierung durch die Medien und das Umfeld haben ihre Spuren hinterlassen. Ebenso geht es Marie-Ann, der einzigen weiblichen Rolle im Stück. Sie sehnt sich nach Liebe und bietet den Jungen, als sie 15 Jahre alt wird, ihren Körper an.

Wo sind die Utopien geblieben, fragt das Stück. Stagnation, Ratlosigkeit allerorten. Symbolisiert wird dies durch den „Chor der Sechstklässler“, die quasi eine Kommentarfunktion innehaben.

Auf der Bühne wird der Bambus sehr präsent sein, als Symbol für den gleichnamigen Ort auf dem Phoenix-West-Gelände, der gleichzeitig auch ein Jugendtreff ist.

„Ach je die Welt“ wird viele Bezüge zur Popkultur und Filmgeschichte aufweisen wie beispielsweise „Vertigo“ oder „Metropolis“. Die Musik von Oliver Kostecka unterstützt die Szenerie.

Das Projekt „Industriegebietskinder“ ist ein gemeinsamen Projekt des KJT Dortmund, des Thalia Theaters Halle und des Theaters Strahl in Berlin. Dortmund wird neben „Ach je die Welt“ noch das Stück „Asche unter meinen Docs“, das mit Jugendlichen der Marie-Reinders-Realschule entstanden ist, präsentieren. Am 30. Mai werden in Halle an der Saale alle Stücke präsentiert.

Während die Premiere am 08. Mai bereits ausverkauft ist, gibt es noch Termine am: So, 10. Mai 2015, Mo, 11. Mai 2015, Mi, 13. Mai 2015, So, 17. Mai 2015, Di, 19. Mai 2015, Do, 18. Juni 2015, Fr, 19. Juni 2015, Sa, 20. Juni 2015, So, 21. Juni 2015, Do, 25. Juni 2015 und Fr, 26. Juni 2015.

Weitere Informationen unter http://www.theaterdo.de oder 0231 5027222.

Drei Theater erzählen Geschichte der Deindustrialisierung

Vorstellung des Dortmunder Beitrages mit Hilfe von KJT-Leiter Andreas Gruhn (ganz links). Ansonsten sind auf dem Bild zu sehen (v.l.n.r.) Désirée von Delft, Steffen Happel und Götz Vogel von Vogelstein.
Vorstellung des Dortmunder Beitrages mit Hilfe von KJT-Leiter Andreas Gruhn (ganz links). Ansonsten sind auf dem Bild zu sehen (v.l.n.r.) Désirée von Delft, Steffen Happel und Götz Vogel von Vogelstein.

Was haben Halle, Berlin und Dortmund gemeinsam? Sie waren große Industriestandorte, wovon heute außer Ruinen kaum noch etwas existiert. Im Berliner Vorort Schöneweide war früher einmal die AEG beheimatet und Elektroartikel in der DDR kamen von dort. In Halle an der Saale standen die Leuna-Werke und in Dortmund-Hörde gab das Stahlwerk vielen Menschen Arbeit. Wie kommen die Jugendlichen von heute zurecht? Welche Sorgen haben sie? Die Jugendtheater der drei Städte arbeiteten beim Projekt „Industriegebietskinder“ zusammen. Am 01. März 2015 gab es im KJT einen Zwischenstandbericht.

Das gemeinsame Projekt „Industriegebietskinder“ ist in drei Phasen geteilt. Im ersten Halbjahr 2014 fand die sogenannte Recherche statt. Abschluss und Höhepunkt der ersten Phase war ein mehrtägiges Camp in Juni 2014 in Berlin.

Im zweiten Halbjahr 2014 stand die Stückentwicklung auf dem Programm. Mit dem Schreiben der Theaterstücke wurden entweder Autoren (Berlin und Dortmund) oder die künstlerische Leiterin (Halle) betraut.

In der dritten Phase werden die Stücke produziert. In einer Vorstellungsreihe in Halle am Gasometer sind alle drei Stücke zu sehen. Am 29. Mai startet Halle mit „Neu statt sterben“, am 30. Mai ist Dortmund an der Reihe mit „Ach je die Welt“ und am 31. Mai zeigt das Theater Strahl aus berlin das Stück „The Working Dead“.

Beim Zwischenstandbericht am 01. März in Dortmund gab es einen kleinen Einblick, wie weit die Stücke schon gediehen sind. Allen drei ist gemeinsam, dass es um die Frage geht: Was entsteht nach dem Industriezeitalter? Für die Jugendlichen sind natürlich zwei Fragen ganz zentral, werde ich Arbeit haben und werde ich geliebt?

Der Autor Jörg Menke-Peitzmeyer, dessen Stücke auch in Dortmund gelaufen sind wie „Miriam, ganz in Schwarz“ präsentiert ein düsteres Stück. Drei Jugendliche gehen des Nachts in eine alte Fabrilhalle und treffen dort auf eine Art Geister. Die untoten Fabrikarbeiter, die ihrer Vergangenheit hinterherjammern? Schaffen es die Jugendlichen, etwas Neues aufzubauen?

Das Kinder- und Jugendtheater Dortmund präsentiert zwei Werke. Zum einen „Ach je die Welt“ von Anne Lepper. Hier suchen Jugendliche nach Orientierung. Gibt es Arbeit? Marc, Tobias und Christopher sind 15 Jahre alt und suchen nach einem Alfried Krupp, der Arbeit haben soll. Doch der ist verschwunden. Marie-Ann, fast 15, sucht das Glück. Die Suche wird in einer Tragödie enden.

Darüber hinaus wird eine 50-minütige Theater-/Textperformance erarbeitet, die den Strukturwandel am Phoenixgelände zum Thema hat. Der Titel „ASCHE unter meinen Docs“. Die Rollen werden Schülerinnen und Schüler der Marie-Reinders Realschule übernehmen.

Das Thalia Theater aus Halle an der Saale beschäftigt sich in ihrem Stück „Neu statt sterben“ mit dem Plattenbau von Halle-Neustadt. In der DDR ein beliebtes Wohnquartier, ist es heute teilweise rückgebaut worden. Im Stück soll eine Frau ein Theaterstück über den Plattenbau schreiben und trifft auf unterschiedlichste Personen. Ja, sogar der Plattenbau tritt als eigenständige Figur auf. Wie soll es mit Halle-Neustadt weitergehen. Mitwirkende sind neben den Schauspielern des Thalia Theaters auch Jugendliche aus Halle.

Bemerkenswert ist, dass in allen drei Stücken ein Chor eine wichtige Rolle einnimmt. In Berlin ist es der Geisterchor der Fabrikarbeiter, in Halle gibt es einen Jungpionierchor und in Dortmund tritt der „Chor der Sechstklässler“ auf.