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Die Verwandlung: Transformation einer Familie

Was tun, wenn der Ernährer der Familie plötzlich ausfällt und darüber hinaus noch zur Last wird? Was macht das mit den Angehörigen? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der Erzählung „Die Verwandlung“ von Franz Kafka. Antje Siebers machte aus dem Stoff für das Kinder- und Jugendtheater in Dortmund eine Geschichte über Emanzipation. Ein Premierenbericht vom 22. September 2107.

„Die Verwandlung“ gehört zur bekanntesten Geschichte von Kafka. Das surreale Ereignis, dass sich Gregor, der Sohn und wie sich herausstellt, der Ernährer der Familie, in ein Ungeziefer verwandelt, hat seinen festen Platz im Literaturkanon. Doch die Geschichte handelt von mehreren Verwandlungen, wie Sievers in ihrer Inszenierung herausarbeitet. Denn die übrigen Familienmitglieder (Eltern und Tochter) müssen sich neu orientieren und ihren eigenen Weg gehen. Das wird vor allem bei der Tochter Grete deutlich.

Gregor, der Sohn, ist Reisender und ernährt durch sein Geld die Familie. Die Eltern arbeiten nicht und lassen den Sohn sogar in dem Glauben, dass der Vater keinerlei Vermögen mehr hat, was sich aber als falsch herausstellt. Grete ist 16 und an Kleider sowie dem Violinspiel interessiert. Gregor will sie mit seinem Geld sogar auf ein Konservatorium schicken. Gregor fühlt sich ausgeschlossen und abgekapselt. So geht er in seinem Pflichtbewusstsein auf, bis zu jenem Tag der „Verwandlung“. Er wird vom Leistungsträger zum Leistungsempfänger und Hilfsbedürftigen. Die Familie muss sich jetzt um ihn kümmern, was sie zuerst gerne tut, dann aber feststellt, dass Gregor immer mehr zur Belastung wird. Gregor bemerkt dies und verweigert im Akt der Selbstaufopferung die Nahrung bis zu seinem Tod.

Die Verwandlung macht aber auch vor den anderen Familienmitgliedern nicht halt, teilweise aus Zwang. Denn das gesparte (und vor Gregor verschwiegene) Geld ist nur als Notgroschen gedacht und so müssen Vater, Mutter und Tochter Geld hinzuverdienen. Der Vater als eine Art Page, die Mutter näht und die Tochter arbeitet als Verkäuferin und bildet sich weiter. Daher endet die Geschichte, dass die Familie mit Zuversicht in die Zukunft blickt.

Siebers inszeniert „Die Verwandlung“ als Kammerstück mit Gregors Zimmer als Art Gucklochbühne, in das man hereinsehen kann, ihn aber (wie Kafka es wollte) nicht sieht. Er ist nur als Stimme (Philip Pelzer) präsent. Eine wichtige Rolle hat auch Ann-Kathrin Hinz als Schwester Grete. Sie spielt die Verwandlung der Grete von naiven Mädchen, die zu einer Frau reift, die Verantwortung trägt. Bezeichnend ist sie es, die öffentlich macht, dass Gregors Pflege die Familie langsam zerstört. Auch Vater (Andreas Ksienzyk) und Mutter (Chris Nonnast) werden in ihrer Entwicklung schön charakterisiert: Von am Boden zerstört über Schicksalsergebenheit bis hin zu neuer Hoffnung nach Gregors Tod. In ihrem neuen Leben hat das Dienstmädchen (Thorsten Schmidt) keinen Platz.

Trotz der doch traurigen Geschichte baut die Inszenierung von Siebers kleine Slapstickeinlagen ein, manches wirkt ein wenig wie aus der Stummfilmära. Das lockert den Stoff auf. Gesungen wurde auch: Unter anderen wurde die „Kleine Fabel“ von Kafka vertont.

Ist das Angesichts Gregors Schicksal herzlos? Zu Zeiten von Kafka gab es sicherlich mehr Krankheiten, die jemanden für immer ans Krankenbett fesseln konnten. Auch ein Unfall konnte den Ernährer von heute auf morgen für den Rest seines Lebens arbeitsunfähig machen. Für die Familie war dies eine Katastrophe, denn ein soziales Netz wie heute gab es damals sicherlich noch nicht. So wurde der Kranke zur Belastung und sein Tod auch ein Teil der Befreiung.

Siebers und die Schauspieler präsentierten die Feinheiten des bekannten Stückes, das mehr ist als nur Schullektüre. In unseren heutigen Zeiten mit Pflege- und Unfallversicherung mag die existentielle Not beim Ausfall des Hauptverdieners gemildert sein, doch beispielsweise kann die Pflege der Eltern eine enorme Belastung für eine Familie sein.

Siebers Inszenierung von „Die Verwandlung“ zeigt deutlich, dass Kafkas Stück nichts an Aktualität eingebüßt hat, ganz im Gegenteil. Sie ist auch keinesfalls nur an Jugendliche gerichtet, sondern richtet sich auch an Besucher, die älter sind. Alles in allem ein gelungener Abend.

Kafkas „Prozess“ als Kammerspiel

Kurz vor der Hinrichtung scheint Josef K. (Björn Gabriel) das Unheil zu ahnen. Im Hintergrund: Andreas Beck und Sebastian Graf. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Kurz vor der Hinrichtung scheint Josef K. (Björn Gabriel) das Unheil zu ahnen. Im Hintergrund: Andreas Beck (links) und Sebastian Graf. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Nach „Peer Gynt“ von Henrik Ibsen zeigte das Schauspielhaus Dortmund Franz Kafkas „Der Prozess“ in einer konzentrierten Form. Die Premiere am 14. Februar im Studio dauerte etwa 90 Minuten. Regisseur Carlos Manuel präsentierte das Stück vor allem zu Beginn auch mit einer guten Prise Humor.

 

Zum Stück: Die Hauptfigur, Josef K., wird an seinem 30. Geburtstag verhaftet. Im Verlauf einer immer bizarrer werdenden Handlung versucht Josef K. herauszufinden, wer und vor allem weswegen er angeklagt wird. Trotz anwaltlicher Hilfe bekommt er keine Antworten. Nach einem Jahr wird er unvermittelt hingerichtet.

 

Die bis dahin allgemeine Lesart des Stückes war der aussichtslose Kampf des Individuum gegen eine übermächtige Bürokratie. Die Bilder des Films von Orson Welles aus dem Jahre 1962 verstärken diese Sichtweise noch. Carlos Manuel hat einen anderen Zugang gewählt. Zum einen betont er die durchaus komischen Aspekte des Stückes. Beispielsweise als Josef K. in der Vorstadt geht und die Frau des Gerichtsdieners beim Wäscheaufhängen antrifft. Manuel geht es im „Prozess“ auch darum , dass mit dem „Gesetz“ Spielregeln gemeint sind. Auch von Josef K, der ein Teil dieses Systems ist wird erwartet, dass er sich daran hält. Schon in der Anfangsszene wird dies deutlich: Die beiden Wächter (Uwe Rohbeck und Andreas Beck) sind nach ihrer Ansicht überaus freundlich zu dem Verhafteten, während Josef K. (Björn Gabriel) das Verhalten der beiden Beamten anmaßend findet. Er begreift nicht, dass er nicht die Spielregeln gestaltet. Im weiteren Verlauf des Stückes versucht Josef K. immer wieder, sich kleine Vorteile zu verschaffen, macht dabei aber den Fehler, den sirenenhaften Frauen wie Leni, der Frau des Gerichtsdieners oder Frau Bürstner (alle Merle Wasmuth) zu vertrauen.

Eine wichtige Rolle spielen die Begriffe wie Scham, Dominanz und Erniedrigung als Mittel der (Selbst-)Kontrolle und. Besonders deutlich wird es, wenn Sebastian Graf als kaufmann Brock die Hände des Advokaten (Uwe Rohbeck) die Hände küsst und sich wie ein Hund benehmen muss. Dazu passt der letzte Satz, der in der Inszenierung vom sterbenden Josef K. gesprochen wird. „Wie ein Hund! Als sollte mich die Scham überleben.“

 

Die Bühnenwand ist auf der rechten Seite eingerissen, und es schaut nur ein Augenpaar neugierig als Symbol für „Kontrolle“ heraus. Auf der gegenüberliegenden Seite ist die Wand mit einigen Postern beklebt, die eine leicht bekleidete Frau zeigen, deren Augen abgeschnittenen sind. Für den Maler Titorelli (Andreas Beck) die Vorlage für die „Justitia“. Inder Mitte der Bühne ist eine gutbürgerliche Tapetenwand zu sehen. Die Bühne ändert sich nicht, wenn der Ort der Handlung wechselt. Es hat eher den Eindruck, die Orte kämen auf Josef K. zu.

 

Björn Gabriel spielt den Josef K. in all seinen Facetten. Erst belustigt, weil er es für einen Scherz hält, dann immer fassungsloser werdend. Er bleibt fast immer beherrscht, auch wenn um ihn herum der Wahnsinn tobt. Eine beeindruckende Vorstellung von Gabriel.

Andreas Beck, Sebastian Graf und Uwe Rohbeck spielen mehrere Rollen. So spielt Graf unter anderem den arrogant wirkenden Direktor-Stellvertreter und den devoten Kaufmann Block. Uwe Rohbeck hat als Aufseher Franz einen komischen Auftritt und zeigt als Advokat die kalte, abweisende Seite eines Menschen, der über Macht verfügt und sie huldvoll gewährt oder nicht.

Andreas Beck spielt bis auf die Rolle des Gerichtsdieners Personen, die es eher gut mit Josef K. meinen wie seinen Onkel oder den Maler Titorelli.

Merle Wasmuth spielt ebenfalls mehrere Rollen: Sie ist sehr oft als verführerische Frau zu sehen (Frau Bürstner, Leni), aber auch das Sadomaso-Domina in der Rolle der Prüglerin.

Wenn sie dem „Prozess“ beiwohnen möchten, haben Sie ab April wieder die Möglichkeit dazu. Mehr Infos unter www.theaterdo.de

Wer bestimmt die Regeln?

Josef K. (Björn Gabriel) wird in die Zange genommen von Andreas Beck (links) und Uwe Rohbeck.
Josef K. (Björn Gabriel) wird in die Zange genommen von Andreas Beck (links) und Uwe Rohbeck. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Am 14. Februar 2014 um 20 Uhr wird im Studio des Schauspiel der „Prozess“ von Franz Kafka eröffnet. Neben der „Verwandlung“ ist der „Prozess“ das wohl bekannteste Werk des Schriftstellers. Allgemein hin gilt „Der Prozess“ als eine Art der Auseinandersetzung mit einer unmenschlich agierenden Bürokratie.

 

Kurz zur Handlung: Der Bankangestellte Josef K. wird verhaftet, weiß aber nicht, welches Verbrechen er eigentlich beschuldigt wird oder wer hinter der Anklage steht. Da er zwar verhaftet, aber nicht eingesperrt wurde, versucht er vergeblich die Hintergründe herauszubekommen. Inzwischen wird Josef K. verurteilt und am Ende hingerichtet.

 

Für Dortmund haben sich Dramaturg Thorsten Bihegue und Regisseur Carlos Manuel eine Neuinterpretation ausgedacht. Stellt man sich den „Prozess“ als Art Anklage gegen den Bürokratismus vor , mit lauter Menschen in grauen Anzügen, geht es dem Regisseur eher um die Frage: Was ist privat und was ist öffentlich? Und vor allem: Wer bestimmt die Regeln?

 

Schon der Ablauf des Stückes von Kafka macht den Wechsel von Privat zu Öffentlichkeit deutlich: Beginnt das Stück im Zimmer von Josef K., werden die Orte immer öffentlicher: Erst sein Wohnzimmer, dann das Zimmer der Nachbarin, sein Büro in der Bank und letztendlich die Vorstadt. Josef K. muss erkennen, dass er nach den Regeln der anderen Akteure spielen muss. Die öffentliche und private Ebene vermischen sich.

 

Kann der „Prozess“ auch eine Komödie sein. Nach einer Anekdote soll sich Kafka bei einer Lesung von „Der Prozess“ unter Freunden amüsiert haben. Wahrheit oder Mythos? Jedenfalls nicht für Regisseur Carlos Manuel. Für ihn hat die Kritik gegen ein System, von dem man selber ein Teil ist, etwas komisches.

 

In der Inszenierung wird die Figur des Josef K. (gespielt von Björn Gabriel) immer im Mittelpunkt der Bühne stehen, das heißt alle Figuren drehen sich quasi um ihn.

 

Die ersten drei Vorstellungen sind schon ausverkauft, weitere Termine (ab April) folgen. Infos unter www.theaterdo.de