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Nur ein kleiner Schnitt?

Noch herrscht ungetrübte Stimmung: Ibrahim (Murat Seven), Ismail (Nima Majedzadeh) und Judith (Jasmina Musić).
Noch herrscht ungetrübte Stimmung: Ibrahim (Murat Seven), Ismail (Nima Majedzadeh) und Judith (Jasmina Musić). Foto: © Edi Szekely).

Theatermacher und Mediziner Tuğsal Moğul rückt mit seinem Stück „Der goldene Schnitt“ ein brisantes Thema in den Blickpunkt in der Öffentlichkeit. Während die weibliche Genitalverstümmlung, besonders nach der Veröffentlichungen des autobiografischen Buches „Wüstenblume“ (Waris Dirie) und dessen Verfilmung wegen seiner offensichtliche schmerzhaften dauerhaften Folgen für die Betroffenen weltweit mehrheitlich geächtet ist, ercheint die Diskussion um die Beschneidung (Zirkumzision) von minderjährigen Säuglingen oder Jungen aus religiösen Gründen verhaltener.

Seit 2012 ein Gesetz verabschiedet wurde, dass eine „medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen“ als „grundsätzlich zulässig“, stehen sich zwei Lager unvereinbar gegenüber. Die Vertreter der jüdischen und muslimischen Gemeinden sowie die koptischen Christen fordern ihr Grundrecht auf Religionsfreiheit ein, auf der anderen Seite das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit steht. Eine wissenschaftlich fundierte Diskussion über das Thema mit allen beteiligten Gruppen im Interesse des Kindeswohls, wie in einer Petition vom Humanistischen Verband, Kinderschützern, Jugendhilfe, verschiedener Ärztegruppen und weiterer Experten vor der Gesetzesverabschiedung damals gefordert, konnte es nicht verhindern.

Mit der Premiere vom „Der goldene Schnitt“ am 16.04.2016 im Studio des Dortmunder Schauspiels wird das Publikum teil einer großen Feier zur Beschneidung von Ismail (Levin Can Engin), den zehnjährigen Sohn von Judith (Jasmina Musić) und Ibrahim (Murat Seven). Bevor die Zuschauer den festlich mit einer Ballon-Girlande geschmückten Raum eintreten, bekommen sie eine türkische Süßigkeit in die Hand gedrückt, die Sitze sind rund herum angeordnet.

Die Eltern, in betont freudig-aufgeregter Stimmung, begrüßen humorvoll ausgiebig ihre zahlreich aus dem In-und Ausland angereiste Verwandtschaft. Die Eltern, er mit türkisch-muslimischem Hintergrund, sie mit väterlicherseits jüdischen Wurzeln, sind beide Mediziner und haben alles aufs Beste vorbereitet. Alles , auch die notwendige Narkose für den Jungen.

Wie üblich, werden dem Kind vor der Beschneidung noch besondere Wünsche erfüllt, wie eine rasante Autofahrt mit dem Onkel zu interessanten Stätten wie etwa das Fußball-Museum erfüllt.

Während die Zeit bis zur Ankunft des Kindes schnell vergeht, schlägt die fröhliche Stimmung vor allem beim Vater um. Der Junge kommt wie ein kleiner Prinz mit weißem Anzug und Kopfbedeckung mit einem kleinen roten Flitzer in das Studio gefahren und wird reichlich beschenkt. Die Freude darüber ist ihm im Gesicht anzusehen. Wie bei einem Fest üblich, wird auch getanzt und – begleitet vom Kind mit der Gitarre – gesungen. Dennoch kommen seinem Vater immer mehr Zweifel, ob die Beschneidung des eigenen Sohnes die richtige Entscheidung ist. Das Publikum erfährt von traumatischen Erlebnissen Ibrahims. Die schief gegangenen Anästhesie bei einer Routine Operation vor drei Jahren und das Erlebnis seiner eigenen Beschneidung. Er bezeichnet sie als „symbolische Kastration“ und verweist auch auf die wirtschaftlichen Interessen hinter dem Spektakel.

Seine Frau vertritt vehement die Argumente der religiösen Gemeinschaft. Gerade in der aktuell islamkritischen Stimmungslage suche sie nach Heimat. Ihre besonderen Rituale sollen ihnen nicht auch noch genommen werden.

Das kleine rote Auto mit dem Namen des Jungen wird zu einem Operationstisch umfunktioniert, Ismail vorbereitet. Im Hintergrund läuft auf der Leinwand eine Filmszene über eine Beschneidung. Ob Ismail nun tatsächlich beschnitten wird, bleibt letztlich unklar, denn am Ende zerstört der Junge die Ballon-Girlande.

Die Inszenierung ist eine gute Grundlage für eine notwendige Auseinandersetzung mit dem Thema.

Denn abgesehen von dem gesundheitlichen, medizinischen Risiko des Eingriffes, hat die Vorhaut durchaus eine wichtige Funktion. So ist das innere Vorhautblatt mit 20.000 Nervenendungen und Tatkörperchen durchzogen, die für das sexuelle Empfinden von großer Bedeutung sind. Außerdem hat die die Vorhaut eine Rolle als Gleitlager und hält die Eichel feucht. Das innere Blatt enthält auch Drüsen, die mit verschiedenen Enzymen, unter anderem Lysozym eine antibakterielle Wirkung haben. Die psychischen Folgen einer Zirkumzision sind noch gar nicht vollständig untersucht.

Mehr und umfassendere Information bietet die Broschüre „Das große Zirkumpendium“vo MOGiS e.V. /Eine Stimme für Betroffene (sei 2009).

Weitere Vorstellungstermine und Information unter www.theaterdo.de

Der Kampf um die Vorhaut

Judith (Jasmina Musić) und Ibrahim (Murat Seven) diskutieren über die Beschneidung ihres Sohnes. (Foto:  © Edi Szekely)
Judith (Jasmina Musić) und Ibrahim (Murat Seven) diskutieren über die Beschneidung ihres Sohnes. (Foto: © Edi Szekely)

Ein kleines Stück Haut hat in den letzten Jahren die Gesellschaft in Aufruhr gebracht: Darf man einem Kind aus religiösen Gründen an seiner empfindlichsten Stelle etwas abschneiden? Die Beschneidung ist das Thema bei der Uraufführung von „Der Goldene Schnitt“ am 16. April 2016 um 20 Uhr im Studio des Schauspielhauses. Geschrieben hat das Stück der Regisseur Tuğsal Moğul, der mit dem Stück „Die deutsche Aische“ beim Theaterfestival 2014 in Dortmund für Furrore gesorgt hat,

Ibrahim und Judith bereiten die Feier zur Beschneidung ihres Sohnes vor. Verwandte ud Freunde werden eingeladen, alles ist grell und bunt, doch je näher der Tag rückt, desto stärker werden die Bedenken. Denn Ibrahim und Judith haben nicht nur muslimisch-jüdische Wurzeln, sondern sind auch Ärzte. So wird das Thema von verschiedenen Seiten beleuchtet.

Was wiegt höher: das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit oder das Grundrecht auf Religionsfreiheit? Während die Beschneidung bei Mädchen meistens geächtet wird, hat die Bundesregierung im Schnellverfahren ein Gesetz von 2012 die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen durch den Bundestag gebracht. Damit ist die Diskussion aber nicht beendet. Wie geht eine Gesellschaft mit diesem Thema um, wie wirkt sich der Zuzug von überwiegend muslimischen Flüchtlingen auf eine säkularisierte Gesellschaft aus?

Das Stück lädt zu einer intensiven Auseinandersetzung ein und ist als Dialog mit der türkischen und arabischen Community gedacht, so Dramaturg Michael Eickhoff.

Da die meisten Ensemblemitglieder bei der „Borderline Prozession“ beschäftigt sind, spielen zwei Gäste in dem Stück. Jasmina Musić spielt die Judith und Murat Seven den Ibrahim.

Mehr Informationen unter www.theaterdo.de