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Tag 3 – Internationales Frauenfilmfestival Dortmund / Köln

Ins Rennen um den internationalen Spielfilmwettbewerb für Regisseurinnen ging am 3. Tag des IFFF Dortmund / Köln der brasilianische Film „Los Silencios“ der Regisseurin Beatriz Seigner. Es ist in verschiedener Hinsicht ein bemerkenswerter Film. Für unsere westlich geprägte europäische Sichtweise etwas befremdlich anmutend, lotet er unterschiedliche Grenzerfahrungen aus. Abends wurde der Film „Der Boden unter den Füßen“ von Marie Kreutzer gezeigt. Es ist eine Geschichte zweier unterschiedlicher Schwestern.

Magischer Realismus aus dem Amazonasgebiet.

Es sind zum einen die Grenzen zwischen Brasilien, Kolumbien Peru, aber auch die Übergänge zwischen Lebenden und den Toten sowie Land und Fluss. „Los Silencios“ bewegt sich zwischen Dokumentation und Fiktion, Geistern und Realismus.

Den politisch-gesellschaftlichen Hintergrund bildet der Bürgerkrieg in Kolumbien. Konflikt zwischen Paramilitärs und Guerilla machen die Situation für die Bevölkerung lebensgefährlich und zwingen viele Menschen zur Flucht.

"Los Silencios" (R: Beatriz Seigner, BR 2018) spielt nicht nur im politischen Zwischenreich, sondern auch in dem zwischen Lebenden und Toten.  (© Trigon-Film)
„Los Silencios“ (R: Beatriz Seigner, BR 2018) spielt nicht nur im politischen Zwischenreich, sondern auch in dem zwischen Lebenden und Toten. (© Trigon-Film)

Der erste Zufluchtsort für die Protagonistin Ampora (neben ihrem Ehemann im Film die einzige professionelle Schauspielerin) und ihre Kinder Nuria und Fabio vor den bewaffneten Konflikt ist die auch real existierende Insel „Isla de la Fantasía“. Diese befindet sich mitten im Amazonas im Grenzgebiet von Brasilien, Kolumbien und Peru.

Bis auf die Mutter Ampora und dem Vater in der Geschichte wurden alle anderen Personen von Menschen (Laien) dargestellt, die wirklich auf der Insel wohnen. Sie bekamen erstmals Gelegenheit, „Ihre Geschichte“ zu erzählen. Das sorgte neben den Naturgeräuschen des Amazonas für eine besondere Authentizität.

Der harte Kampf ums Überleben, gegen den Ausverkauf und für Entschädigungen wird lebendig vor Augen geführt. So muss Ampora, die ihren Mann und Tochter im Bürgerkrieg verloren hat, nicht nur um eine Aufenthaltserlaubnis kämpfen, sondern auch darf hoffen, dass die beiden Toten gefunden werden und sie Reparationszahlungen bekommt. Die Ölgesellschaft möchte ihr mit wenig Geld die Klagerechte abkaufen.

Das Publikum erfährt nicht nur aus erster Hand von der Situation der Dorfbewohner, sondern auch über ihr besonderes Verhältnis zu ihren Toten und Geistern. Sie sind in der Gemeinschaft weiter allgegenwärtig. Es gibt neben der wöchentlichen Dorfversammlung auch eine „Versammlung der Geister der Toten“ statt. Hier bekommen sie eine Stimme und ihren Platz in der Gesellschaft zurück.

Auch Ampora geht in ihrem Alltag zunächst so um, als würden die Tochter und ihr Mann noch unter ihnen Leben. Sie spricht zu ihnen und wäscht sogar ihre Tochter. Erst ein Paket mit den gefundenen Überresten der beiden Familienangehörigen bringt die erschütternde Realität ins Haus.

Einiges erfährt man über Riten der Bewohner. Die Totengeister werden mit fluoreszierenden Farben gekennzeichnet, die sich zum Ende hin immer mehr verstärken. (Lisa Lemken)

Eindringliches Geschwisterdrama

Mit „Der Boden unter den Füßen“ gelang der österreichischen Regisseurin Marie Kreutzer ein starker Film. In 109 Minuten erzählt sie die Geschichte zweier Schwestern. Lola ist Unternehmensberaterin und steckt ihre ganze Kraft in ihre Karriere. Sie pendelt zwischen Konferenzen, Büro und anonymen Hotelzimmern. Ihre ältere Schwester Conny leidet an paranoider Schizophrenie, einmal im Jahr geht es ihr besonders schlecht. Dieses Mal begeht sie einen Selbstmordversuch. Hier nimmt die Geschichte Fahrt auf. Conny wird vorübergehend in die Psychiatrie eingewiesen. Jetzt ist Lola mehr gefordert als sie geplant hat. Sie versucht in ihrem streng getakteten Alltag mit den unberechenbaren Anforderungen durch die Krankheit ihrer Schwester klarzukommen, steht kurz vor einem Burn-out. Es zeigt sich wie dicht Aufstieg und Chaos beieinander liegen. Nach mehreren Verwicklungen und Schwierigkeiten nimmt Lola ihre Schwester mit nach Hause. Sie organisiert deren Alltag, sodass sie wieder ihrer Arbeit nachgehen kann. Doch die leichte Entspannung hält nicht lange vor, Conny stürzt sich vom Balkon der Wohnung in den Tod. Lola erleidet einen Nervenzusammenbruch und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Sie erhält Antidepressiva verschrieben und ist bei der Beisetzung ihrer Schwester die einzige Hinterbliebene.

Ein Schwesterndrama aus Österreich. "Der Boden unter den Füßen" (R: Marie Kreutzer, AT 2019) © Novotnyfilm - Juhani Zebra
Ein Schwesterndrama aus Österreich. „Der Boden unter den Füßen“ (R: Marie Kreutzer, AT 2019) © Novotnyfilm – Juhani Zebra

Im Interview erzählt Marie Kreutzer, dass der Film autobiografische Züge trägt. Ihre Tante litt ebenfalls an Schizophrenie und als Jugendliche hat sie diese regelmäßig in der Psychiatrie besucht. Sie konnte so auf einige ihr bekannte Gesprächsverläufe zurückgreifen. Zwei extreme Rollenentwürfe stehen sich hier gegenüber. Im Verlauf des Films verschwimmen immer wieder die Grenzen und man fragt sich, welcher der Schwestern eher geholfen werden müsste. Am Ende war die Ältere, Conny an vielen Stellen die Stärkere. Sie setzte die Akzente, während Lola mit der Furcht vor den Auswirkungen der Krankheit auf ihr eigenes Leben kämpfte.

Die Regisseurin Marie Kreutzer im Interview mit Stefanie Görtz (IFFF). (Foto: Anja Cord)
Die Regisseurin Marie Kreutzer im Interview mit Stefanie Görtz (IFFF). (Foto: Anja Cord)

Die schauspielerische Leistung von Pia Hierzegger, die die Conny verkörperte, war beeindruckend. (Anja Cord)