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Im Krieg des Bewusstseins

Das ist nicht das Holodeck der "Enterprise". In dem Würfel wird das Stück gespielt. Rechts zu sehen sind: Lucas Pleß, Stefan Kögl, Anne-Kathrin Schulz, Mario Simon und Tommy Finke. (Foto: ©Edi Szekely)
Das ist nicht das Holodeck der „Enterprise“. In dem Würfel wird das Stück gespielt. Rechts zu sehen sind: Lucas Pleß, Stefan Kögl, Anne-Kathrin Schulz, Mario Simon und Tommy Finke. (Foto: ©Edi Szekely)

Der dritte Teil der Stadt der Angst Trilogie am 03. Mai spielte im Studio. Sarah Kanes „4.48 Psychose“ unter der Regie von Kay Voges war eine radikale Innensicht in einen Menschen, der an Depressionen litt.

 

Depression, Psyche, Seele. Wie behandelt man Krankheiten der Seele? Gibt es die Seele überhaupt? Kann man sie irgendwie fassbar machen? Angeblich soll sie ja 21 Gramm wiegen, wie der amerikanische Arzt Duncan MacDougall 1901 zu beweisen schien. Leider waren seine Experimente aus heutiger Sicht völlig unbrauchbar.

Aber das Messen von Körperfunktionen ist im Kommen. „Self-Hacking“ heißt der neue Trend. Immer und überall sind die Daten verfügbar Puls, Gewicht, Blutdruck, EKG oder Muskelspannung. Hier spannt sich der Bogen zum Stück „4.48 Psychose“. Die drei Akteure Merle Wasmuth, Uwe Rohbeck und Björn Gabriel sind verkabelt und liefern ständig die Aktuellen Daten an die Außenseite eines riesigen Würfels.

Die Wände des Würfels bestehen aus Gaze, so dass sie einen Blick ins Innere gewähren, aber auch die Möglichkeit bieten, etwas darauf zu projizieren. Die Zuschauer sitzen in vier Ecken, so dass die Blickwinkel unterschiedlich sind.

 

Das Stück selbst ist radikal und führt in die Tiefe einer depressiven Frau. Kane schreibt hier ihre Leidensgeschichte auf, die geprägt ist von Klinikaufenthalten und Behandlungen mit Psychopharmaka. Die Medikamente schützen sie die meiste Zeit vor ihrem Wahn, doch zerstören ihren Geist. Nur zwischen 4.48 und 6.00 Uhr besitzt sie Klarheit (oder Wahn).

 

„4.48 Psychose“ ist eine eindringliche und schonungslose Dokumentation eines Menschen, der leidet und den die Ärzte nicht helfen können. Vielleicht weil sich niemand wirklich für Kanes Schicksal interessiert. Oder weil die glauben, dass man durch biochemische Eingriffe, seelische Erkrankungen heilen kann.

 

Es gibt nicht nur eine Kane, alle drei Schauspielerinnen und Schauspieler übernehmen im Prinzip die Rolle der Erzählerin. Merle Wasmuth brilliert mit körperlichen Einsatz, aber auch Björn Gabriel und Uwe Rohbek spielen sehr eindringlich.

 

Das Stück gibt natürlich keine Antwort auf die Frage, ob es eine Seele gibt oder wo sie ist. Es ist eher eine Art Kriegsberichterstattung. Das Bewusstsein führt Krieg gegen sich selbst. Und die Bilder sind drastisch. Blut fliesst, Haare werden abgeschnitten, man spürt die Verzweiflung, aber auch die zwischendurch aufflackernde Zärtlichkeit Kanes in jeder Zeile.

 

Bei der Produktion waren der Choasclub Dortmund sowie Mario Simon für die Videos beteiligt. Tommy Finke generierte die Musik dazu. Darüber hinaus erklang Wagnerische Musik und das „Lux aeterna“ aus Mozarts Requiem.

 

Ein Abend, der mal wieder bewies, warum Dortmund zurecht als Theaterlabor der Nation bezeichnet werden kann.

Kafkas „Prozess“ als Kammerspiel

Kurz vor der Hinrichtung scheint Josef K. (Björn Gabriel) das Unheil zu ahnen. Im Hintergrund: Andreas Beck und Sebastian Graf. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Kurz vor der Hinrichtung scheint Josef K. (Björn Gabriel) das Unheil zu ahnen. Im Hintergrund: Andreas Beck (links) und Sebastian Graf. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Nach „Peer Gynt“ von Henrik Ibsen zeigte das Schauspielhaus Dortmund Franz Kafkas „Der Prozess“ in einer konzentrierten Form. Die Premiere am 14. Februar im Studio dauerte etwa 90 Minuten. Regisseur Carlos Manuel präsentierte das Stück vor allem zu Beginn auch mit einer guten Prise Humor.

 

Zum Stück: Die Hauptfigur, Josef K., wird an seinem 30. Geburtstag verhaftet. Im Verlauf einer immer bizarrer werdenden Handlung versucht Josef K. herauszufinden, wer und vor allem weswegen er angeklagt wird. Trotz anwaltlicher Hilfe bekommt er keine Antworten. Nach einem Jahr wird er unvermittelt hingerichtet.

 

Die bis dahin allgemeine Lesart des Stückes war der aussichtslose Kampf des Individuum gegen eine übermächtige Bürokratie. Die Bilder des Films von Orson Welles aus dem Jahre 1962 verstärken diese Sichtweise noch. Carlos Manuel hat einen anderen Zugang gewählt. Zum einen betont er die durchaus komischen Aspekte des Stückes. Beispielsweise als Josef K. in der Vorstadt geht und die Frau des Gerichtsdieners beim Wäscheaufhängen antrifft. Manuel geht es im „Prozess“ auch darum , dass mit dem „Gesetz“ Spielregeln gemeint sind. Auch von Josef K, der ein Teil dieses Systems ist wird erwartet, dass er sich daran hält. Schon in der Anfangsszene wird dies deutlich: Die beiden Wächter (Uwe Rohbeck und Andreas Beck) sind nach ihrer Ansicht überaus freundlich zu dem Verhafteten, während Josef K. (Björn Gabriel) das Verhalten der beiden Beamten anmaßend findet. Er begreift nicht, dass er nicht die Spielregeln gestaltet. Im weiteren Verlauf des Stückes versucht Josef K. immer wieder, sich kleine Vorteile zu verschaffen, macht dabei aber den Fehler, den sirenenhaften Frauen wie Leni, der Frau des Gerichtsdieners oder Frau Bürstner (alle Merle Wasmuth) zu vertrauen.

Eine wichtige Rolle spielen die Begriffe wie Scham, Dominanz und Erniedrigung als Mittel der (Selbst-)Kontrolle und. Besonders deutlich wird es, wenn Sebastian Graf als kaufmann Brock die Hände des Advokaten (Uwe Rohbeck) die Hände küsst und sich wie ein Hund benehmen muss. Dazu passt der letzte Satz, der in der Inszenierung vom sterbenden Josef K. gesprochen wird. „Wie ein Hund! Als sollte mich die Scham überleben.“

 

Die Bühnenwand ist auf der rechten Seite eingerissen, und es schaut nur ein Augenpaar neugierig als Symbol für „Kontrolle“ heraus. Auf der gegenüberliegenden Seite ist die Wand mit einigen Postern beklebt, die eine leicht bekleidete Frau zeigen, deren Augen abgeschnittenen sind. Für den Maler Titorelli (Andreas Beck) die Vorlage für die „Justitia“. Inder Mitte der Bühne ist eine gutbürgerliche Tapetenwand zu sehen. Die Bühne ändert sich nicht, wenn der Ort der Handlung wechselt. Es hat eher den Eindruck, die Orte kämen auf Josef K. zu.

 

Björn Gabriel spielt den Josef K. in all seinen Facetten. Erst belustigt, weil er es für einen Scherz hält, dann immer fassungsloser werdend. Er bleibt fast immer beherrscht, auch wenn um ihn herum der Wahnsinn tobt. Eine beeindruckende Vorstellung von Gabriel.

Andreas Beck, Sebastian Graf und Uwe Rohbeck spielen mehrere Rollen. So spielt Graf unter anderem den arrogant wirkenden Direktor-Stellvertreter und den devoten Kaufmann Block. Uwe Rohbeck hat als Aufseher Franz einen komischen Auftritt und zeigt als Advokat die kalte, abweisende Seite eines Menschen, der über Macht verfügt und sie huldvoll gewährt oder nicht.

Andreas Beck spielt bis auf die Rolle des Gerichtsdieners Personen, die es eher gut mit Josef K. meinen wie seinen Onkel oder den Maler Titorelli.

Merle Wasmuth spielt ebenfalls mehrere Rollen: Sie ist sehr oft als verführerische Frau zu sehen (Frau Bürstner, Leni), aber auch das Sadomaso-Domina in der Rolle der Prüglerin.

Wenn sie dem „Prozess“ beiwohnen möchten, haben Sie ab April wieder die Möglichkeit dazu. Mehr Infos unter www.theaterdo.de

Mal kurz die Welt verbessern

Der lustige Heiner (Uwe Schmieder) und Inge Borg (Eva Verena Müller)  verbesserten die Welt.
Der lustige Heiner (Uwe Schmieder) und Inge Borg (Eva Verena Müller) verbesserten die Welt.

Ein teilweise surrealer, bunt komischer Abend erwartete die Besucher bei der „Großen Weltverbesserungsshow“ am Samstag, dem 18. Januar um 23 Uhr im Institut des Schauspielhauses. Dabei waren viele Mitglieder des Schauspielensembles.

 

Lag es am „Goldenen Zeitalter“, dem Stück, das vorher gespielt wurde oder waren gerade viele Weltverbesserer unterwegs? Jedenfalls quoll das Institut über vor Leuten. Gleich zu Beginn wurde einige Besucher ausgewählt, um entweder in den Keller oder in die erste Etage zu fahren, um dort den ersten der vielen Programmpunkte zu erleben. Den Berichterstatter zog es in den ersten Stock, wo er in einer Behindertentoilette Julia Schubert beim – nun ja- philosophieren traf. Ihr Text drehte sich um das menschliche Verständnis, jederzeit im Mittelpunkt der Welt zu sehen und die mangelnde Empathie, sich in andere hineinzudenken, etwa in einer Schlange vor der Supermarktkasse.

 

Danach ging es wieder zurück und die Show begann. Aufgebaut wie eine Art Talkshow wurde der Abend moderiert von Inge Borg (Eva Verena Müller). Auf Stichwort gab es Beiträge von Thorben (Frank Genser), dem lustigen Heiner (Uwe Schmieder), dem Finanzfuzzi Josef Ackermann (Ekkehard Freye) und dem Philosofisch (Björn Gabriel). Mit dabei war auch noch Oscar Musinowski.

 

Die vorgetragenen Texte stammten von unterschiedlichen Autoren wie Georg Büchner, Heiner Müller (logischerweise vom lustigen Heiner vorgetragen) und Thorben las aus dem Buch „In Afrika ist immer August“, das aus Schulaufsätzen neapolitanischer Kinder bestand. Sie waren sehr entlarvend, weil sie aus kindlicher Perspektive sehr ehrlich waren.

 

Neben Liedern (unter anderem „Ein bisschen Frieden“ live gesungen oder besser: interpretiert von Ekkehard Freye mit Sebastian Graf) wurden noch Fotos und Videos auf die Leinwand geworfen. Anhand der Videos wurde an diesem Abend die fast schon rassistische Sichtweise von Entwicklungshilfeorganisationen kritisiert.

 

Die Besucher durften selbst aktiv werden. Einerseits wurden Organspendeausweise verteilt, zum anderen durften die Besucher etwas zu Papier bringen, was sie 2014 nicht mehr tun werden. Diese Vorsätze wurden dann durch einen Schredder gejagt.

 

Zuletzt gab es auch etwas zu essen und trinken: Einerseits Kaffee, davor wurde ein Schluck Sekt gereicht. Statt wie im Vorfeld angekündigt Sophia Loren kochte an ihrer Stelle Darlene Mietrich (Merle Wasmuth) Spaghetti mit einer vegetarischen Sauce.

 

Was bleibt am Ende? Werden wir jetzt alle Weltverbesserer? Nun ja, es tut gut mal daran zu denken, dass es nicht immer optimal für einen selbst läuft und ein wenig Empathie für andere Menschen kann auch nicht schaden.

Das Goldene Zeitalter – ein Update

Am 18. Januar 2014 startete Schauspieldirektor Kay Voges zusammen mit Videokünstler Daniel Hengst, Dramaturg Alexander Kerlin und einigen tapferen Ensemblemitgliedern im Dortmunder Schauspielhaus zum neunten Mal den Versuch, auf 100 Wegen den Schicksal im „Goldenen Zeitalter“ die Show zu stehlen. So klang unsere Kritik damals.

 

Mir war klar, keine Vorstellung des Stücks gleicht der Anderen. Was hatte sich seit der Premiere im letzten Jahr entwickelt und verändert?

 

Zu meiner ersten Überraschung saß mitten im bekanntem Bühnenbild ein an seinem Stuhl gefesselter Mensch mit der Maske eines Greises (Björn Gabriel). Ansonsten war er wie die anderen Schauspieler/innen mit Kniestrümpfen und Faltenrock und Jacke. Über einen langen Zeitraum musste der Arme dort lange verharren. Nur dann und wann änderte er etwas seine Position und seinen Gesichtsausdruck. Interessant zu beobachten, was für Ausdrucksmöglichkeiten auch durch so eine Maske vermittelt werden können. Ihm oblag es im Laufe des Abends das Ende des „Postmodernen Zeitalters“ zu proklamieren.

Bei der Vorstellung am 18. 01. wurde auf aktuelle Themen wie etwa der Skandal um den umstrittenen Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst oder der Skiunfall von Kanzlerin Merkel Bezug genommen. Auch auf Wagner und seine Tannhäuser-Oper ( hatte im Dezember unter der Regie von Kay Voges Premiere in der Dortmunder Oper) wurde humorvoll-ironisch hingewiesen.

Wegen der Erkrankung von Caroline Hanke fiel die „Adam und Eva“ Nummer leider aus. Dafür nutzte Voges seine guten Beziehungen zur Oper und konnte den zuletzt auch im Tannhäuser zu hören und zu sehenden Bass-Bariton Morgan Moody als „Special Guest“ gewinnen. Moody glänzte mit seiner Stimme und sorgte zum Schluss vor allem mit dem Song „Wunderbar“ aus dem Musical „Kiss me Kate“ (vielen durch die deutsche Version von Zarah Leander bekannt) von Cole Porter für ausgelassene Stimmung.

Auffällig im Unterschied zur Premiere ist, dass die Schauspieler/innen sich inzwischen öfter direkt ins Publikum wagen und der Regisseur oder der Dramaturg auch mal auf der Bühne mitmischen.

 

Wir dürfen auf die Fortsetzung gespannt sein…

Jede Generation braucht eine neue Revolution

Kommen wir in unserer Spaßgesellschaft eigentlich noch zum Rebellieren? (Foto: © Mario Simons)
Kommen wir in unserer Spaßgesellschaft eigentlich noch zum Rebellieren? (Foto: © Mario Simons)

Die Überschrift ist ein Zitat eines Revolutionserfahrenen: Thomas Jefferson, der dritte Präsident der USA. Doch wir befinden uns in einem Dilemma. Einerseits leben wir auf der Seite des Zufriedenen und Satten, andererseits sehen wir auch Dank der Globalisierung das Elend der Verlierer in der dritten und vierten Welt. Das Schauspiel „Dantons Dilemma“, einer Produktion des Theaterkollektivs Sir Gabriel Dellmann unter der Regie von Björn Gabriel widmetet sich dieser Zwickmühle. Die Premiere war am 04. Oktober im Theater im Depot.

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Wie wollen wir leben?

Das Theaterkollektiv „Sir Gabriel Dellmann“ versucht sich in „Dantons Dilemma“ an einer Bestandsaufnahme der aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse. Sie entwickeln eine Textcollage aus persönlichen Erfahrungsberichten unserer Zeitgenossen (Befürwortern, Gegnern und Opfern des pekuniären Systems), politischen Ereignissen (Euro-Krise, Amokläufen, Revolutionen …) und Analysen (Zizek, Samuelson, …) – welche unsere demokratische Ordnung hinterfragen.

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