Schlagwort-Archive: Angelika Milster

Musikalische Reise durch die Wilden Zwanziger

Berlin Skandalös – Ein wilder Tanz auf dem Vulkan durch die 20er in die 30er Jahre inszeniert von Gil Mehmert im Opernhaus Dortmund

Berlin in den Goldenen Zwanzigern, als die Welt sich vom Krieg, der alle Kriege beenden sollte, zu erholen begann. Deutschland ohne Kaiser und preußische Prüderie. Die neuen Freiheiten der Weimarer Verfassung bescherten Deutschland eine Befreiung von verschiedensten Fesseln … nur nicht von Versailles. Es begann Elend, mit Hunger, Verzweiflung, sich finden nach dem verlorenen Krieg … Berlin wurde das neue Babylon der Welt und die Kulturhauptstadt. Das Deutschland Weimars war in vielerlei Hinsicht Stil- und Kulturprägend.

Bettina Mönch als Starlet mit Mitgliedern des Ensembles. (Foto: © Björn Hickmann)
Bettina Mönch als Starlet mit Mitgliedern des Ensembles. (Foto: © Björn Hickmann)



Skandalös war Berlin nur für zugeknöpfte oder wilhelminisch Prüde. Moral konnte sich nur leisten, wer noch genug zum Leben hatte, denn die Inflation ließ Einkaufstaschen zu Geldbörsen schrumpfen, während die Einkaufstaschen zu Börsen mutierten. Das Chaos regierte Deutschland, Berlin und die Menschen und machte erfinderisch für das Überleben. Genau dieses Chaos löste aber auch eine bislang ungeahnte Kreativität aus, wie ein Dammbruch.

Hier setzt die Revue inszeniert von Mehmert ein … mitten im Chaos, der Dystopie aus der die Weltkultur Hauptstadt der Avantgarde erwächst. Das skandalöse Berlin, das Babylon der Moderne. Das Ziel von Touristen auf der Suche nach dem Verruchten. Auf der Bühne dargestellt im Kontrast von Not und Elend und oberflächlichen Glamour, der nur in der Nacht als Glamour wirkt.

Die Songs spiegeln die Zeit, ihre Not,  Nöte und Nötigungen, den Überlebenswillen und den Triumph, auch wenn manchmal für den Augenblick.

Es ist reichlich nackte Haut zu sehen, ohne jedoch so weit zu gehen, wie es im Berlin der 1920er Jahre war. Dagegen mutet die Revue geradezu artig, ja konfirmantenhaft brav. Nicht so die Songs. Besonders, wenn Jörn-Felix Alt „mit seinen Beinen“ hüft- und beckenschwingend zeigt, was „ambach“ ist. In Worten, durch den wie Joel Grey angelegten, aber nicht kopierenden Conferencier, Rob Pelzer, erklärend verlautbart. Jeder Körper war zu haben, man musste überleben. Denn wirklich „golden“ waren die 20er des vergangenen Jahrhunderts nicht. Die Armut aus der Vorkriegszeit blieb und wurde durch die Inflation vermehrt. Die Wirtschaftsblüte dieser 20er war durch US-Kredite erkauft und ermöglicht. Bis, ja bis, in New York die Blase implodierte, und durch ökonomische Analphabeten die Welt infizierte.

Jetzt beginnt auch auf der Bühne der Abgesang auf die freien Wilden Zwanziger, die Roaring Twenties, symbolisiert durch „Mein Herr“ von Bettina Mönch, aus Cabaret. Hier wurde etwas Eigenes aus dem Song und der Performance, trotz Zitaten, aber keine Liza Minelli Kopie.

Angelika Milster als Diva … nicht nur das sie wie geschaffen für diese Rolle ist, war sie die Diva der Revue.

Das Ende kommt bald und jäh. Ein brauner Mob verprügelt den Conferencier, der geschunden, wie die Freiheit Berlins, die Kunst, das Leben, wie Weimar, am Boden liegen bleibt, um doch wieder aufzustehen und Show fortzuführen. „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“,  ein Song mit Heinz Rühmann aus dem Prä-Durchhaltefilmparadies der Junggesellen zeigt dem Publikum die „Neue Zeit“ und genormte, gleichgeschaltete Gesellschaft an … der NS Staat hat auch Berlin zur mediokren Karikatur seiner Glanzzeit kastriert.

Dazu singt, wie Gustaf Gründgens sich „verkaufend“, Mark Siebert, weiß wie die Unschuld … zum Ende, zum Untergang.

Zu Recht erntete die Revue Standing Ovations vom Publikum, denn sowohl die Solisten, als auch das gesamte Ensemble waren fantastisch. Ein kurzweiliger unterhaltsamer Abend mit Gesang, alten Melodien und verstecktem Geschichtsunterricht, der es lohnt sich anzuschauen.

Musikalische Leitung – Christoph JK Müller
Regie – Gil Mehmert
Bühne – Heike Meixner
Kostüme Falk Bauer
Choreografie – Yara Hassan
Lichtdesign – Michael Grundner
Sounddesign – Jörg Grünsfelder
Dramaturgie – Laura Knoll

Starlet – Bettina Mönch
Diva – Angelika Milster
Gigolo – Jörn-Felix Alt
Conferencier – Rob Pelzer
Chauffeur – Tom Zahner
Girls – Maja Dickmann, Yasmina Hempel, Florentine Kühne
Boys – Louis Dietrich, Nico Hartwig, Lukas Mayer, Samuel Türksoy
Crooner – David Jakobs, Alexander Klaws, Mark Seibert
Mitglieder der Dortmunder Philharmoniker