Ars tremonia

Der zerbrochne Krug

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Am 11.10.2025 feierte die dritte Inszenierung von Lola Fuchs Premiere auf der Bühne des Dortmunder Schauspiels. „Der zerbrochne Krug“ kündigt sich als eine Mystery-Seifenoper nach Heinrich von Kleist an und hält damit mindestens die Hälfte seines Versprechens. Die Eckdaten aus Kleists ursprünglichem Lustspiel sind gleich, jedoch entstaubt Fuchs die Figuren und Handlung und katapultiert sie in eine schräge Szenerie zwischen entrücktem CDU-Dorfleben und überdrehter Influencer-Realität.

Die Handlung rund um einen Gerichtsprozess bekommt auf der Dortmunder Bühne einen grotesk modernen Anstrich. Die Klägerin und Geschädigte Marthe Rull (Antje Prust) tritt als überambitionierte Keramik-Unternehmerin von „The Pottery Fairy“ auf, die ihre Tochter Evangelista aka Eve (Puah Abdellaoui) für ihren Lebenstraum vereinnahmt. Ihr Trailerpark-Look steht dem von Eves prolligen Geliebten Ruprecht Tümpel (Roberto Romeo) in nichts nach, und doch sind die beiden sich spinnefeind. Das reicht so weit, dass Marthe Ruprecht beschuldigt, ihre Töpferware zerstört zu haben, und wendet sich dafür direkt an den Dorfrichter Mr. A (Linus Ebner). Dieser ist als aktives Mitglied im CDU-Landesverband und Naturwein-Liebhaber Vertrauensperson für die Dorfbewohner:innen, entpuppt sich jedoch schließlich als der Schuldige des Verbrechens. Der Gerichtsschreiber Licht (Lukas Beeler) bezeichnet sich selbst augenzwinkernd als seine „Magd“ und mimt den Erzähler für das Publikum. Aus Gerichtsrat Walter wird bei Fuchs die unterkühlte Compliance-Managerin Wendy Walter (Nika Mišković), die die Ermittlungen überwacht. Und zu guter Letzt taucht noch das Dorfmedium Brigitte auf, die sich zwischen mysteriösem Orakeln, gewitztem Geschäftssinn und verrücktem Vogelnest auf dem Kopf bewegt.

Der zerbrochne Krug.: v.l.n.r.: Tobias Hoeft, Lukas Beeler, Roberto Romeo, Antje Prust, Puah AbdellaouiFoto © Birgit Hupfeld
Der zerbrochne Krug.: v.l.n.r.: Tobias Hoeft, Lukas Beeler, Roberto Romeo, Antje Prust, Puah Abdellaoui
Foto © Birgit Hupfeld

Fuchs verpackt in ihrer Adaption von Kleists Stück über Wahrheit und Recht jede Menge  Gesellschaftskritik. Angefangen bei ihrem humoristischen, aber pointiert kritischen Blick auf digitale Medien, neoliberale Geschäftsmodelle und moderne Sozialstrukturen richtet Fuchs ihre Aufmerksamkeit besonders auf Phänomene, die uns die Gegenwart leicht bekömmlich, aber klar aufzeigen. Eve wurde seit ihrer Kindheit von ihrer Mutter an die Töpferscheibe gezwungen und verkörpert eine Type des Millennials, die unter Leistungsdruck und digitaler Omnipräsenz lost zwischen Hingabe für ihren Geliebten und Selbstbehauptung ihrer Selbst ist.

Dem Publikum werden durch den Modellbau der Dorfgesellschaft Klassismus und soziale Ungleichheiten aufgezeigt – Marthe ist hochverschuldet und Mr. A bereichert sich an privaten Darlehen – ebenso wie patriarchale Strukturen zum Vorschein kommen – Mr. A ist die Autorität über Wahrheit und Sein im Dorf. Und auch Feinheiten wie ein kritischer Blick auf die moderne Vermarktung von Esoterik und Spiritualität werden von Fuchs mit skurriler Leichtigkeit herausgearbeitet. Der Spagat zwischen der alten Sprache des 19. Jahrhunderts und neudeutschen Konstruktionen gelingt dabei nur halb und kommt etwas spröde daher. Auch der Umzug von Fuchs Stücken auf die große Bühne des Theaters kommt ihrer Arbeit nicht unbedingt zugute. Der Charme der Live-Kamera, die zwei simultane Perspektiven auf das Bühnengeschehen zulässt, verkommt jenseits der Studiobühne zur Spielerei, die höchstens noch an ein filmisches Reenactment bei Gericht erinnert. Die extreme Typisierung der Figuren, die fast bis zur Parodie ihrer selbst reicht, gelingt Fuchs wie so oft erneut. Jedoch bewegen sich Handlung und Personen nicht weit genug aus dem Korsett der Stückvorlage und dem Habitus einer großen Bühneninszenierung heraus, wodurch die Adaption teils hölzern wirkt. Lola Fuchs‘ künstlerische Handschrift und ihre eigenwillige Art, die Gegenwart pointiert zu sezieren, verbinden sich nur schwerlich mit den Scherben von Kleists zerbrochenem Krug. Dennoch entsteht ein unterhaltsamer Theaterabend, der den Klassiker mit Witz und schrillen Bildern neu befragt.