Zum Objekt degradiert

Uwe Rohbeck als John Merrick. (Foto: © Edi Szekely)
Uwe Rohbeck als John Merrick. (Foto: © Edi Szekely)

Am 29. November hatte im Studio des Schauspielhauses das Stück „Der Elefantenmensch“ von Bernard Pomerance in der Inszenierung von Jörg Buttgereit Premiere. Ähnlich wie bei „Kannibale und Liebe“ basiert das Stück auf eine wahre Geschichte.

 

Wer Jörg Buttgereit nur von seinen Arthouse-Horrorfilmen kennt, wird von seinen Theaterarbeiten überrascht sein. Widmete er seine erste Arbeit „Green Frankenstein / Sexmonster“ noch dem typischen Schmuddelkino der 70er Jahre, entlockte er dem „Monster“ und Serienkiller Ed Gein, dem Urvater aller Slasherfilme, mit „Kannibale und Liebe“ ein menschliches Gesicht. Zusammen mit Schauspieler Uwe Rohbeck erzeugte er ein beklemmendes, aber auch menschliches Theaterstück vom Grauen, das nebenan wohnt.

 

Auch „Der Elefantenmensch“ hat ein sogenanntes Monster zum Thema und auch wie bei Ed Gein ist es im Prinzip eine wahre Geschichte. John Merrick, der in Wirklichkeit Joseph hieß, wird mit einer äußerst seltenen Krankheit geboren, die seinen Körper bis zur Groteske deformiert. Die einzige Möglichkeit zu überleben ist, als „Der Elefantenmensch“ aufzutreten, bis ihn der Arzt Dr. Treves in das London Hospital aufnimmt. Doch wird er dort wirklich glücklich?

 

Jörg Buttgereit nimmt das Theaterstück von Bernard Pomerance von 1977 als Basis, das auch David Lynch für seinen gleichnamigen Film benutzte. Buttgereit entfernt sich aber von der Schwarz-Weiß-Ästhetik von Lynch und setzt stärker auf die Bühnenfassung.

 

Im Mittelpunkt des Stückes steht nicht nur die Frage: Wer ist dass Monster? Der Begaffer oder der Begaffte? Sondern schnell wird dem Zuschauer deutlich, dass Merrick von den meisten Personen nur als Objekt, aber nicht als Subjekt gesehen wird. Jeder will etwas von Merrick oder durch ihn erreichen. Bischof How will Merrick zu einem guten Christen erziehen, Ross will sein bestes Zugpferd wieder zurück und mit ihm Geld verdienen, Carl Gomm als Klinikdirektor will möglichst viele Spenden und Dr. Frederick Treves will wissenschaftlichen Ruhm. Aber alle wollen angeblich „nur das Beste“ für Merrick und alle wissen, was gut für ihn ist. Einzig die Schauspielerin Mrs. Kendall sieht John Marrick als Subjekt, als einen Menschen an.

 

Trotz der Jahrmarktatmosphäre auf der Bühne (es gab auch Zuckerwatte) schafft es Buttgereit ein berührendes Stück über einen Menschen zu machen, dem es nicht gestattet wird ein Mensch zu werden, weil er anderen Zwecken dienen soll. Andere Menschen bestimmen die Spielregeln und Merrick muss sich auch noch dafür bedanken, weil er ein Dach über den Kopf hat und dreimal am Tag Essen bekommt. Doch von Selbstbestimmung keine Spur. Geld, Glaube, Wissenschaft und Ruhm sind wichtiger.

 

Frank Genser spielt mit einen für heutige Verhältnisse recht modernen Dr. Treves. Er wettert im viktorianischen Zeitalter gegen Korsetts bei Frauen und andere ungesunde Dinge. Dr. Treves wäre heute sicher einer der stärksten Verfechter des Rauchverbots oder des „Veggie Days“. Bei all seiner Wissenschaftlichkeit kommt ihm aber das Menschliche abhanden und er degradiert Merrick vielleicht sogar unabsichtlich zum Labortier. In einer wunderbaren Alptraum-Szene wird Treves bewusst, dass er vielleicht zu weit geht.

 

Christoph Jöde, einer der beiden Rückkehrer, spielt mehrere Rollen, von denen die des Bischofs How und die des Schaustellers Ross, die wichtigsten sind. How und Ross sehen Merrick nicht als eigenständigen Menschen, sondern nur als Projektionsfläche für ihre Wünsche (Geld, Glaube). Jöde singt als Ross auch ein schönes Lied über Geldgier und Kapitalismus.

 

Uwe Schmieder als Carl Gomm sieht in Merrick natürlich nur das Vehikel, um für barmherzige Spenden einzutreiben, was natürlich seinem Krankenhaus zu Gute kommt.

 

Bettina Lieder spielt ebenso wie Jöde mehrere (Neben-)Rollen, unter anderem Frauen aus der britischen High-Society, die sich als karitativen Gnadenakt mit dem „Elefantenmensch“ zeigen und ihm Geschenke überreichen.

 

Die zweite Rückkehrerin Luise Heyer spielt die Schauspielerin Mrs. Kendall. Sie sieht als einzige in Merrick einen Menschen und behandelt ihn auch wie einen. Zwischen der desillusionierten Schauspielerin und Merrick, der ein ganz normaler Mensch sein will, entfaltet sich eine innige Freundschaft. Diese endet, als Kendall einer der starren Regeln von Treves bricht.

 

John Merrick wird von Uwe Rohbeck in einer warmherzigen Weise dargestellt, dass alle Zuschauer vom „Elefantenmenschen“ eingenommen werden, trotz seiner Deformierungen. Respekt auch an Rohbeck, die Tortur mit dem Bodysuit auf sich zu nehmen. Merrick, der einfach nur ein Mensch sein will, scheitert daran, dass andere ihn nur als Mittel zum Zweck sehen, mit Ausnahme von Mrs. Kandell. Rohbeck spielt Merrick wie einen deformierten Kasper Hauser, der einfach nur ein normales Leben führen möchte, aber genau weiß, dass dies unmöglich ist. Daher stammt auch Merricks Wunsch, in ein Blindenheim zu gehen. Es sind die berührendsten Momente, wenn Rohbeck als Merrick Vertrauen zu Mrs. Kandell findet oder er die starren Regeln von Dr. Treves in Frage stellt.

 

Eine allzu schrille Jahrmarktatmosphäre braucht es vielleicht nicht, denn das Stück lebt vom Zusammenspiel der starken Charaktere (vor allem Treves, Kandell und Merrick) und hat seine Stärken in den kleinen, zarten und leisen Momenten.

 

Für die Vorstellungen am 14. und 27. Dezember gibt es noch Karten.

 

Infos und Karten unter www.theaterdo.de oder 0231 5027222.




Wer ist eigentlich das Monster?

Jörg Buttgereit präsentiert in "Der Elefantenmensch" die Lebensgeschichte von John (Joseph) Merrick.
Jörg Buttgereit präsentiert in „Der Elefantenmensch“ die Lebensgeschichte von John (Joseph) Merrick.

Am 29. November 2013 ist wieder Premiere für ein Jörg-Buttgereit-Stück. Nach „Green Frankenstein/Sexmonster“, „Kannibale und Liebe“ beschäftigt sich der bekannte Arthouse-Horrorfilmer mit dem Schicksal von John Merrick, der als „Elefantenmensch“ im viktorianischen England auf Jahrmärkten ausgestellt wurde. Wer ist eigentlich das Monster? Merrick oder die Betrachter?

John (eigentlich Joseph) Merrick ist eine historische Figur. Geboren 1862, litt er unter einem seltenen genetischen Defekt, der eine seiner Körperhälften sowie den Kopf stark deformierten. Dadurch zu einer „Monstrosität“ geworden, wurde er auf Jahrmärkten dem Publikum als „Elefantenmensch“ präsentiert. Doch der Zeitgeist ändert sich: Kuriositätenkabinette werden immer mehr abgelehnt. Der Arzt Dr. Treves, der von Merrick fasziniert ist,bringt ihn ins London Hospital. 1890 stirbt Merrick mit 27 Jahren. Vermutlich ist er erstickt, weil er sich zum Schlafen hingelegt hatte. Wegen des Gewichts seines Kopfes konnte er nur aufrecht schlafen.

 

„Ein Mensch, der von Geburt an aus der Welt gefallen ist“, beschreibt Regisseur Jörg Buttgereit John Merrick. Bekannt geworden ist „Der Elefantenmensch“ durch den Film von David Lynch, doch Buttgereit will mehr an der Bühnenfassung von 1977 von Bernhard Pomerance bleiben.

 

Im Mittelpunkt steht die Frage: wer ist das eigentliche Monster. Begaffer oder Begaffter? Oder stecken wir da nicht in einem Dilemma, denn „Merrick konnte nur als ‚Monster‘ Geld verdienen“, konstatiert Buttgereit. So wird die Welt der Schausteller nicht so schwarz und bedrohlich gezeigt, sondern auch als eine Art Familie. Konsequenterweise wird die Bühne auch zu einem Jahrmarkt.

 

Schauspieler Uwe Rohbeck und Jörg Buttgereit waren schon bei „Kannibale und Liebe“ ein exzellentes Duo. Auch beim „Elefantenmensch“ spielt Rohbeck wieder die Titelrolle. Und für ihn steht ein Mammutprogramm auf dem Plan. Denn Rohbeck wird stundenlang in der Maske sein, um seinen Bodysuit anzuziehen und sich in John Merrick zu verwandeln.

 

Neben Frank Genser, Uwe Schmieder und Bettina Lieder gibt es beim „Elefantenmensch“ ein Wiedersehen mit zwei alten Bekannten: Christoph Jöde und Louise Heyer.

 

Ars tremonia drehte ein Interview mit Regisseur Jörg Buttgereit: [vsw id=“duJNfyiGLoY“ source=“youtube“ width=“600″ height=“480″ autoplay=“no“]

 

Die Premiere am 29. November und die Vorstellung am 05. Dezember sind schon ausverkauft, für den 14. und 27. Dezember hingegen gibt es noch Karten.

 

Infos und Karten unter www.theaterdo.de oder 0231 5027222.

 




Ein Egozentriker auf später Sinnsuche

Theater mit Kay Voges ist immer überraschend. Der Besucher weiß nicht, was ihn erwartet. War in der vergangenen Spielzeit die Vermischung zwischen Film und Theater das Motto, dreht sich in der aktuellen Spielzeit alles um Wiederholungen und Identitäten. So auch bei Ibsens Drama „Peer Gynt, das am 28. September 2013 Premiere feierte.



„Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele?“, der Bestellertitel von Precht könnte durchaus auch auf den Titelhelden „Peer Gynt“ zutreffen. Seien wir ehrlich: Peer Gynt ist nicht die Person, die vermutlich am meisten Sympathien einheimst. Er lügt, dass sich meterweise Balken biegen, er ist selbstsüchtig und nur auf seinen Vorteil bedacht. Ein Mensch, der verschiedene Rollen spielt. Doch was ist der wahre Kern von Peer Gynt? Vielleicht kennt ihn Solveig, die Frau die ihr ganzes Leben auf ihn gewartet hat, als er durch die Weltgeschichte reiste und seinen Zielen hinterher jagte.

Voges schafft es bravurös, den komplexen Stoff so einzudampfen, dass er in 90 Minuten erzählt werden kann. Dabei halfen ihm die sechs Schauspieler, der Musiker Thomas Truax und ein außergewöhnliches Bühnenbild. Der Regisseur konzentriert sich auf einige der Geschichten, die Peer Gynt wiederfahren sind: Der Brautraub, die Trollhöhle, der Tod der Mutter, die Irrenanstalt und seine Rückkehr, dennoch bleiben von der Vorlage auch einige surreale Elemente. Voges stellt die Sinnsuche Peer Gynts in den Mittelpunkt. Aber kann jemand ohne echten Kern eine Identität haben? Bei der berühmten „Zwiebelmethapher“ in Ibsens Stück vergleicht sich Peer Gynt ja mit einer Zwiebel, die Schichten hat, aber keinen Kern.

Da niemand weiß, wer oder was Peer Gynt wirklich ist, löst sich auch die klassische Rollenzuteilung auf. Alle Schauspieler spielen Peer Gynt. Schnelle Kleiderwechsel, archaisch wirkende Verwandlung durch Auftragen von Farbe macht das Spiel zu einem optischen erlebbaren Spiel: Mittels grüner Farbe wird eine Schauspielerin zur Tochter des Trollkönigs, durch rote Farbe zur entführten und entehrten Braut, das reine unschuldige Weiß bleibt Solveig vorbehalten.

Bei den sechs Schauspielern gab Peer Oscar Musinowski sein Dortmund-Debut. Er spielte energisch, voller Elan und lässt viel für die Zukunft hoffen. Uwe Rohbeck glänzte vor allem in der Rolle des deutschen Irrenarztes Dr. Begriffenfeldt, der seinen Patienten Peer Gynt mit Elektroschocks und Spritzen foltert. Berührend spielt Friederike Tiefenbacher die sterbende Mutter von Peer Gynt. Wobei sie, nachdem der Sargdeckel sich gesenkt hat – ihre Verwandlungskunst unter Beweis stellte und kurze Zeit später als eine neue Inkarnation von Peer Gynt „wiederaufersteht“.

Doch dahinter müssen sich Bettina Lieder, Julia Schubert und Sebastian Graf nicht verstecken. Sie alle sorgten für einen berührenden, manchmal auch komischen Theaterabend.

Passend dazu, gab es Musik von Thomas Truax. Wer Grieg erwartete, war auf dem Holzweg. Truax.spielte zwar das bekannte Stück „Marsch der Trolle“ von Grieg auf einem seiner selbst gebauten Instrumente, aber ansonsten unterstützte Truax das Stück mit seiner teils rockigen teils folkigen Musik perfekt.

Außergewöhnlich war das riesige Wasserbecken auf der Bühne (Bühnenbild Michael Sieberock-Serafimowitsch), in dem die Schauspieler das Stück spielten. Es war nicht nur praktisch (man konnte sich die Farbe aus dem Gesicht waschen), sondern das Wasser unterstützte die Akteure auf der Bühne. Die Schauspieler ließen es sanft durch die Hand rieseln oder kraftvoll nach allen Seiten wegspritzen. Das Wasser diente als riesige Reflexionsfläche.

Fazit: Ein rundherum gelungener Abend mit einem engagierten Schauspielensemble, guter Musik, dem Element Wasser und einer mutigen Inszenierung. Logisch, dass alle Beteiligten gefeiert wurden.

Weitere Termine: 04. Oktober 2013, 18. Oktober 2013, 02. November 2013, 17. November 2013, 04. Dezember 2013, 21. Dezember 2013, 16. Januar 2014 und 22. März 2014.

Karten gibt es unter www.theaterdo.de oder telefonisch 0231 5027222.