Nicola Schubert schlüpft in die Rollen von Täterinnen und Opfern der NS-Zeit

In „Arrest“ geht es um die Rolle von Frauen im Nationalsozialismus: Die Steinwache Dortmund bietet die Kulisse für die Geschichte von Widerstandskämpferinnen und einer Gestapo-Mitarbeiterin. Am 29. Juni ist die ergreifende Inszenierung erstmalig zu sehen.



Nicola Schubert trägt ein uniformähnliches Hemd, zurückgekämmte Haare und steht verzweifelt in einer Arrestzelle der Mahn- und Gedenkstätte „Steinwache“, dem ehemaligen Gestapo-Gefängnis. Sie agiert nur durch Mimik und Gestik. Ist sie Täterin oder Opfer? Für ihre Inszenierung schlüpft sie in verschiedene Rollen, bewegt sich stumm, aber ausdrucksstark, während die Zuschauer*innen ihr durch die Flure der Steinwache folgen und über Kopfhörer der Geschichte im Hörspiel lauschen.

Geschichten von Täter*innen und Opfern

Erzählt wird die Geschichte von Erna K., die in Dortmund als Schreibkraft für die Gestapo arbeitet. Im Gefängnis begegnet sie politisch inhaftierten Frauen, darunter der Kommunistin Johanna Melzer, der ukrainischen Zwangsarbeiterin Marija Klimenko und einer Frau, die niemand so recht einschätzen kann: Ist sie wirklich Antifaschistin? Die Audio-Performance „Arrest“ nimmt weibliche Biografien von politisch Gefangenen und Gestapo-Helferinnen aus Dortmund und Köln in den Blick.

Reale Biografien waren die Basis für den Text

Vieles hat die gebürtige Dortmunderin und in Köln lebende Theatermacherin und Performerin Nicola Schubert dazu recherchiert, vieles aber auch für ihre Inszenierung abgeändert. Der Text entstand auf Basis realer Biografien von politisch verfolgten Frauen und Gestapo-Mitarbeiterinnen in Dortmund und Köln. Zusammen mit Nicola Schubert bewegen sich die Zuschauer*innen durch die Gedenkstätte und vollziehen die Wege der Frauen nach – drei Inhaftierten und der ehrgeizigen Nationalsozialistin Erna K., die bei der Polizei Karriere machen will.

Zur Person: Nicola Schubert

Nicola Schubert, geboren in Dortmund, studierte Theater- und Medienwissenschaft in Bochum sowie Schauspiel an der HfMDK Frankfurt am Main und arbeitet als Schauspielerin, Performerin, Autorin und Regisseurin. Nach Festengagements an Stadttheatern arbeitet sie seit 2021 vorwiegend an eigenen Projekten – als Einzelkünstlerin oder mit ihrem Kollektiv schubert-stegemann. Bisher zeigte sie Arbeiten im Museum Ulm, Haus der Kunst München und in öffentlichen Räumen in Köln und Dortmund, zum Beispiel auf dem Dortmunder Hansaplatz. In ihren „performativen Audiowalks“, einem Format, das sie mit schubert-stegemann entwickelte, stehen ortsspezifische Auseinandersetzungen mit gesellschaftspolitischen, historischen und feministischen Themen im Vordergrund. Dabei ist ein Hörstück die Basis für performative Arbeiten, die sich zwischen Schauspiel, Physical Theatre und Choreografie bewegen.

Termine: 29. Juni, 18 und 20 Uhr; 30. Juni, 18 Uhr (ausverkauft) sowie im Rahmen der Dortmunder Museumsnacht am 21. September um 20 und 22 Uhr, am 5. Oktober, 18 und 20 Uhr und am 6. Oktober, 18 Uhr.

Das städteübergreifende und Recherche-basierte Projekt, entwickelt zusammen mit den Sounddesignern von timecode audio, wird sowohl in der Steinwache als auch im NS-DOK in Köln gezeigt (18., 19. und 20. September sowie 17. und 18. Oktober, um jeweils 19 Uhr).

Ticketreservierung wegen begrenzter Platzzahl empfohlen unter arrest.performance@mail.de, Eintritt frei, ausgenommen Dortmunder Museumsnacht.




Niemals vergessen! Immer erinnern!

Der Truck der Erinnerung vom Arolsen Archiv in Dortmund befindet sich an der Gedenkstätte Steinwache am Nordausgang des Hauptbahnhof Dortmund, der Auslandsgesellschaft und Feuerwache.



Die Ausstellung auf dem LKW aus den 1930er Jahren ist verstörend, erschreckend und sie tut weh. Sie muss und sollte es auch. Ganz besonders in diesen Zeiten, in denen wir wieder eine Gruppe im Reichstagsgebäude sitzen haben, die auch Verbindungen zu den gerade aufgegriffenen Reichsbürger-Terroristen haben. Der Stoff der Demokratie und unser aller Freiheit ist nur dünn und kann schnell zerrissen werden, durch Lügen, Vorurteile, Ungleichheit und Ignoranz.

Die Steinwache am Nordausgang des Dortmunder Hauptbahnhofes ist ein idealer Standort für diese Erinnerungs- und Ermahnungsausstellung. Sie ist zwar nicht groß, aber dafür umso intensiver. Fotos von Tätern, die ihre „Effizienz“ und „deutsche Gründlichkeit“ der NAZI Führung dokumentieren wollten und von Beobachtern, die dokumentieren wollten was passierte … der Abtransport von Juden, Mitbürgern, Freunden … Mitmenschen. Dies geschah zum Teil unter Lebensgefahr.

Viele der Fotos, von denen nur wenige gezeigt werden, stammen aus Privatarchiven, welche erst die Enkel gesichtet haben und dem Arolsen Archiv zur Verfügung stellten. Die NAZI Zeit Deutschlands wurde lange, zu lange, mit einem Tabu und einem Schleier des Vergessens belegt. aus Unsicherheit, Aus Nichtbewältigen können … wie soll man mit dem Bruch der Zivilisation umgehen … im Grunde hätte Deutschland als Nation auf die Couch eines Psychiaters gehört.

Dortmund war den NAZIs, als Hochburg von Gewerkschaften. KPD und SPD, zuwider, weshalb sie auch brutal in der Stadt ihre Ideologie durchsetzten. Nicht nur mit der Umbenennung, Nazifizieren von Straßennamen … So wurde die Rathenau-Allee zur Adolf-Hitler-Allee, die Stresemann- zur Göringstraße, die Erzberger- zur Schlageterstraße oder der Republikplatz zum Horst-Wessel-Platz.

Viele Anhänger der KPD, SPD, der Gewerkschaften, aber auch Personen aus anderen demokratischen Parteien und den Kirchen, schlossen sich illegalen Widerstandskreisen an. Dortmund blieb aufgrund seiner intensiven Widerstandsaktionen weiterhin bei der NS-Führung eine ungeliebte Stadt.

Das seit 1906 in der Dortmunder Steinstraße beheimatete Polizeirevier, die „Steinwa­che“, ist Mitte der 1920er-Jahre um ein Polizeigefängnis erweitert worden, welches ab 1933 in einigen Bereichen zur Folterung und Erpressung von Geständnissen poli­tischer Gegner missbraucht worden ist. Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) machte die Steinwache zur sprich­wörtlichen „Hölle Westdeutschlands“.

Das Polizeigefängnis, bis Ende der 50er Jahre weiterhin als solches genutzt, ist An­fang der 1990er Jahre als Mahn- und Gedenkstätte mit einer ständigen Ausstellung eröffnet worden.

Neben politischen Gegnern sind es zu großen Teilen jüdische Bürger und ausländische Zwangsarbeiter, die von der Gestapo in die Steinwache nach Dortmund verschleppt worden sind. Bei massiver Mehrfachbelegung der Zellen und den damit verbundenen desolaten Zuständen sind in der Zeit von 1933 bis 1945 insgesamt mehr als 66.000 Menschen in der Steinwache inhaftiert gewesen: Zahlreiche Funktionäre politischer Parteien und der Gewerkschaften, Vertreter der christlichen Kirchen, jüdische Bürger, Sinti und Roma und ausländische Zwangsarbeiter, noch 45.000 1945, wurden in der Steinwache festgehalten, verhört und misshandelt. Ein Großteil der Verhafteten ist aus der Steinwache in Konzentrationslager gebracht worden.

Die jüdische Bevölkerung wurde seit 1933 systematisch ausge­grenzt und verfolgt. Jüdische Gewerbetreibende und Unternehmer sahen sich einer Verdrängungs­kampagne gegenübergestellt, die bald zu einer „Arisierungs”-Kampagne wurde. Bereits vor dem Pogrom vom 9./10. November wurde in Dortmund die schöne Synagoge am Hiltropwall, Platz der Synagoge, die sich in der unmittelbaren Nachbarschaft zum Stadttheater einerseits, zur NSDAP-Kreisleitung andererseits befand, zerstört.

Juden aus dem Umland von Dortmund wurden von der Steinwache aus zu den Zügen verbracht, „verladen“ und in Ghettos im Osten, z.B. nach Riga, und Konzentrationslager „verfrachtet“. Die letzte Deportation erfolgte noch am 13. Februar 1945 nach Theresienstadt. Aber nicht nur Bürge­rinnen und Bürger jüdischer Herkunft, sondern auch Angehörige anderer „rassischer” oder sozial diskri­minierter Minderheiten wie die der Sinti und Roma wurden verfolgt und von Dortmund aus in die Ver­nichtungslager der Nationalsozialisten deportiert.

Das in den 20er Jahren so lebendige kulturelle und wirtschaftliche Leben, nicht zuletzt positiv beeinflusst durch Künstler und Unternehmer jü­discher Herkunft, verarmte in der Zeit des National­sozialismus. Dortmund konnte jedoch immerhin den zweifelhaften Ruf für sich in Anspruch nehmen, dass die Ausstellung über „Entartete Kunst” bereits 1935 – also zwei Jahre vor München, in Dortmund im damaligen „Haus der Kunst” am Königswall gezeigt wurde. Auch weitere Ausstellungen wie die HJ-Ausstellung „Schaffende Jugend” (1936), „Volk und Rasse” (1938) oder „Kunst der Front” (1940) verkündeten in erster Linie die Ideologie von Blut, Boden und Rasse. Dass diese Ideologie in einen Weltkrieg münden konnte oder musste, war für viele Anhänger und Gegner des National­sozialismus vorhersehbar. Und trotz vieler anderslau­tender Legenden blieb die wirtschaftliche Situation Deutschlands bis 1936 schwierig. Der vorgegaukelte Aufschwung war auf Papier, die MeFa Wechsel basiert, und ging mit sinkenden Löhnen einher.

Dortmund als Bergbau- und Industriezentrum unterlag heftigen Bombardierungen und verlor völlig, im Hagel der Bomben, sein städtebauliches Gesicht, das in der Zeit von 1890 bis 1930 entscheidend geprägt worden war.

Für die noch etwa 300.000 Dortmunder, die die letz­ten Kriegstage in ihrer Heimatstadt erlebten, schien die Stadt bei Kriegsende 1945, mehr als jemals zuvor, am Ende ihrer historischen Entwicklung zu stehen. Von Seiten der britischen Militärregierung und in Teilen der fragmentarisch wieder entstehen­den Stadtverwaltung spielte man sogar mit dem Gedanken, die Stadt außerhalb ihres historischen Kerns wieder neu zu errichten. Der Wiederaufbau brach dann auch mit allen Traditionen.




Sonderausstellung in der Steinwache Dortmund beleuchtet Mitläufertum und Widerstand

Passend zum Antikriegstag am 01.09.2020 eröffnete die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in Dortmund eine Sonderausstellung unter dem Titel „Einige waren Nachbarn“. Es geht dabei um Täterschaft, Mitläufertum und Widerstand in der Zeit des Nazianalsozialismus.

Grundlage ist ein dazu entwickeltes Konzept des „United States Holocaust Memorial Museums“ aus Washington (USA). Bis zum 31. Oktober untersucht die Ausstellung dieses Museums die Rolle der „gewöhnlichen Menschen“ im Holocaust. Beleuchtet werden die Vielzahl ihrer Motive und Handlungspositionen. Hinterfragt werden in Fotos und Erzählungen die Vielzahl von Motiven und individuellen Handlungsoptionen.

Ein oft gehörte Argument zu Kriegsende war, dass man nur ein kleines Rädchen im Getriebe gewesen sei und sich konnte sich nicht gegen die Staatsgewalt im Nazi-Reich wehren konnte. Das widerlegen die Beispiele derjenigen, die einfach nicht anders konnten, als human und empathisch zu handeln. Denn es gab auch Menschen in Deutschland, die (manchmal mit nur kleinen Gesten) ihren Teil von Widerstand leisteten und ihre Mitmenschen nicht verrieten. Auch in außergewöhnlichen Zeiten gibt es Alternativen zu Kollaboration und Täterschaft.

In Kooperation mit der Gedenkstätte Villa ten Hompel (Münster) wurde die Ausstellung mit dem „United States Holocaust Memorial Museum“ für das deutsche Publikum übersetzt.

Präsentierten die Ausstellung: (v.l.n.r.) Thomas Köhler (pädagogisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte „Villa ten Hompel“) und der Leiter der Steinwache Markus Günnewig.
Präsentierten die Ausstellung: (v.l.n.r.) Thomas Köhler (pädagogisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte „Villa ten Hompel“) und der Leiter der Steinwache Markus Günnewig.

Der pädagogisch-wissenschaftliche Mitarbeiter der Gedenkstätte „Villa ten Hompel“, Thomas Köhler erklärte im Gespräch, das diese Sonderausstellung schon im Deutschen Bundestag und 2020 (27. Januar 2020) in Münster gezeigt wurde. Sie wird nach und nach bis 2023 in allen Bundesländern zu sehen sein.

Spezielle informative Seminare für Schüler, Studenten sowie n der Bundeswehr oder Polizei sind zusätzlich im Angebot. Die Ausstellung „Einige waren Nachbarn“ führt deutlich vor Augen, wie wichtig Zivilcourage, Achtsamkeit und individuelle Verantwortung.

Öffnungszeiten in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, Steinstraße 50, 44147 Dortmund: Dienstags bis sonntags zwischen 10:00 und 17:00 Uhr.

Der Eintritt ist frei. Derzeit dürfen maximal 20 Besucher*innen gleichzeitig in das Gebäude, es besteht Maskenpflicht.




Grundlegende Neuorientierung der Steinwache

Das Team der Steinwache (v.l.n.r.): Carmen Hause, Arnd Lülfing, Markus Günnewig, Stefan Mühlhofer und Stefan Klemp.

Seit 2014 entwickelten der Leiter der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache Dr. Stefan Mühlhofer und sein Stellvertreter Markus Günnewig ein Konzept für eine neue Dauerausstellung und einer grundlegenden Neuausrichtung. Eigen-und Drittmittel wurde generiert und das Team um die beiden Historiker Carmen Hause und Dr. Stefan Klemp sowie dem Grafiker und Fotografen Arnd Lülfing erweitert.

Mit ihrer Erfahrung als Vorsitzende des Vereins „Jugend für Dora“ wird Carmen Hause für die pädagogische Programmgestaltung für das jugendliche Publikum verantwortlich sein. Arnd Lülfing ist für die notwendigen Dokumentationen und überfälligen Aufarbeitungen zuständig. Darüber hinaus wird die Steinwache neu gestaltet. Moderne Sehgewohnheiten sollen dabei berücksichtigt und die Ausstellung exklusiv gestaltet werden. „Nicht nur die Optik soll verändert, sondern auch Inhalte transportiert werden“, so Dr. Mühlhofer.

Inhaltlich steht dabei als Kern der Ausstellung das Geschehen im Haus im Mittelpunkt. Das bedeutet vor allem , das ehemalige Polizeigefängnis als Zentrum lokaler und regionaler Verfolgung. Die Steinwache soll den „Nachgeborenen“ als Schnittstelle und Durchlaufstation der Gefangenen und Verfolgten bis zu den verschiedenen Vernichtungslagern erlebbar werden. Die Darstellung orientiert sich dabei am aktuelle Stand der Forschung. Dafür sorgen unter anderem auch die „Neuen“ im Team.

Im vergangenen Jahr hatte der Rat der Stadt Dortmund auch dem Bau eines neuen Funktionsgebäudes zugestimmt. Der genaue zeitliche Rahmen von der Durchführung bis zum Ende des Neubaus und Umbaus der Ausstellung lässt sich so nicht einschätzen. Die Schließung der Steinwache soll aber möglichst knapp gehalten werden, verspricht der Leiter der Mahn- und Gedenkstätte.

Außerdem wurde das Veranstaltungsprogramm der Steinwache für das erste Halbjahr 2017 vorgestellt.

Den Anfang macht am 19. Januar ein Vortrag von Bastian Pütter, Historiker und Chefredakteur der Zeitschrift bodo, zur Geschichte der Dortmunder Nordstadt und den periodisch wiederkehrenden Debatten und Vorurteilen über diese.

Martin Sabrow, Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Berliner Humboldt-Universität und Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam, spricht am 22. Februar über Erich Honecker im Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

Um den Journalisten und Philosophen Siegfried Kracauer geht es in einem Vortrag von Dr. Jörg Später von der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg am 4. Mai.

Dazwischen wie danach folgen Lesungen aus dem Werk des 2016 verstorbenen ungarischen Schriftstellers Imre Kertész durch Claus-Dieter Clausnitzer in der benachbarten Auslandsgesellschaft (5. April.)

Schon Tradition haben die Lesungen aus den Werken NS-Verfolgter durch Dortmunder Autoren anlässlich des Jahrestages der Bücherverbrennung (24. Mai).

Am 11. Mai stellt Schriftstellerin Dr. Eva Weissweiler die erste Frau des Malers Max Ernst vor: Luise Straus-Ernst ist Holocaust-Opfer, Muse der Dadaisten und Surrealisten, Kunsthistorikerin, Rundfunkautorin und Verfasserin von Kurzgeschichten, Reportagen und Romanen.

Am 21. Juni folgt der Vortrag von Professor Dr. Martin Aust (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) über die russischen Revolutionen von 1917 und ihre Bedeutung bis ins Jahr 2017.