Die Ursachen der Fremdheit – Fremd/Yabancı

Wie fühlt es sich an, fremd zu sein? In einem fremden Land zu leben, in einem fremden Körper? Das künstlerische Team Ayşe Kalmaz, Kemal Dinç, Sinem Süle, Shari Streich und Elena Tilli hat sich in ihrem Stück Fremd/Yabancı auf die Suche nach Antworten gemacht. Das Werk wurde am 22. November 2024 im Theater im Depot aufgeführt.

Im Zentrum der Inszenierung stehen die Schauspielerinnen Sinem Süle und Shari Streich. Sie setzen sich intensiv mit den Themen Fremdheit und Identität auseinander und finden in absurden, humorvollen und oft berührenden Momenten zueinander.

Beeindruckende Inszenierung und tiefere Botschaften

Die Inszenierung beeindruckt nicht nur visuell: Alles ist in Schwarz-Weiß gehalten, ein Gazevorhang schränkt die Sicht auf die Bühne ein, dient jedoch als vielseitige Projektionsfläche. Die Arbeit mit Kameras auf der Bühne eröffnet ungewohnte Perspektiven. Zunächst könnte man annehmen, es handele sich um eine klassische Familiengeschichte – schließlich lauten die Kapitelüberschriften zu Beginn „Vater“ und „Mutter“. Doch die Handlung greift viel tiefer.

Sinem Süle (links) und Shari Streich spielen die beiden Protagonistinnen auf der Bühne (Foto: (c) Theater im Depot)
Sinem Süle (links) und Shari Streich spielen die beiden Protagonistinnen auf der Bühne (Foto: (c) Theater im Depot)

Im Kern steht die Schwierigkeit, einander wirklich zu verstehen oder zu erkennen. Das Stück beleuchtet, wie komplexe Informationen vereinfacht und dabei oft verzerrt werden. Dies führt zu Missverständnissen und falschen Wahrnehmungen, die auch mit digitalen Mitteln für das Publikum sichtbar gemacht werden.

Im zweiten Teil des Stücks schlägt die Inszenierung eine wissenschaftlich fundierte Richtung ein. Sie basiert auf den Studien von Dr. Gabor Maté und Dr. Liya Yu, die sich mit den epigenetischen Folgen traumatischer Erfahrungen beschäftigen. Diese zeigen, wie solche Erfahrungen über Generationen hinweg weitergegeben werden können.

Sinem Süle und Shari Streich präsentieren eine herausragende Bühnenperformance, die an Intensität kaum zu überbieten ist. Am Ende wird die vierte Wand durchbrochen, was die Zuschauer*innen unmittelbar einbindet. Zusammen mit der kraftvollen Musik von Kemal Dinç wird Fremd/Yabancı zu einem außergewöhnlichen Erlebnis.




Theater und Diversität: Herausforderungen und Chancen in der modernen Kunst

Das Theater steht vor der Herausforderung, bestimmte Themen und die damit verbundenen gesellschaftlichen Konflikte zu verarbeiten. Dabei steht zur Debatte, ob Kunst oder Künstler:innen überhaupt noch in der Lage sind, Positionen zu beziehen. Beziehungsweise, ob Künstler:innen ihrer Aufgabe gerecht werden können, ein Spiegelbild der Gesellschaft zu sein.



Seit August letzten Jahres waren die Künstler:innen Ayse Kalmaz, Sinem Süle, Aydın Işık, Aylin Kreckel und Eymen Nahali in tiefer Auseinandersetzung mit Themen rund um Diversität in Kunst und Kultur. Sie forschten in Arbeitsgruppen mit Vertreter:innen der Kulturpolitik, Kulturverwaltung und Kulturbetriebe über den Ist-Zustand des strukturellen Bodens, auf dem die Kunstproduktion stattfindet. Dabei haben sie ihre eigenen Perspektiven auf Problemlagen zu Tage gelegt. Die Ergebnisse ihrer Arbeit wurden am 31. Mai und am 1. Juni jeweils um 20:00 Uhr im Theater Fletch Bizzel in Dortmund gezeigt. Ein Stück von Theatermachern für Theatermacher und Interessierte.

Die Auseinandersetzung mit dem Kulturbetrieb kann auch tragikomische Seiten haben. Beispielsweise, wenn Eymen Nahali als typischer Deutscher gecastet werden möchte und sich dämliche Fragen anhören muss, ob er sich als echter Deutscher fühlt. Das ist natürlich eine Replik auf alle Castings, bei denen ein ausländischer Schauspieler gesucht wird, der alle Klischees erfüllen muss.

Sprache ist ein Werkzeug, das verbinden, aber auch teilen kann. Es kann als Herrschaftsinstrument gebraucht werden und kann faul und schlecht werden, wie Aylin Kreckel als Brotbäckerin erklärt. Selbst die „Modebegriffe“ wie Postkolonialismus oder andere können Schmerzen verursachen. Wenn Worte sich ändern, aber nicht die Missachtung der Person, ist niemandem geholfen.

Das Theater hat das Potenzial, ein Ort des Dialogs und der Verständigung zu sein, an dem unterschiedliche Stimmen Gehör finden und gesellschaftliche Konflikte auf konstruktive Weise verhandelt werden können. In einer Welt, die immer komplexer und vielfältiger wird, bleibt das Theater ein unverzichtbarer Raum für die Auseinandersetzung mit den großen Fragen unserer Zeit.