Ausbruch zum Menschsein – Sepidar Theater

In der neuen Produktion des Sepidar Theaters „Ich werde Tier sein“, die am Freitag im Theater im Depot Premiere hat, verhandelt die Gruppe die Fragen der menschlichen Existenz. Was macht den Menschen zum Menschen? Was macht das Tier zum Tier? Und wie unterscheidet sich der Mensch vom Tier in einer Welt, die Menschen nicht mehr als Individuen sieht?

Eine dystopische Szenerie

In einem fast dystopisch wirkenden Bühnenraum hängen Plastikplanen von der Decke, sie bedecken den Boden, sie grenzen ein, sie verhüllen und verstecken unter sich zwei Körper, die das Publikum erst nach und nach wahrnimmt. Das Zuschauerlicht geht aus, Sounds ertönen, und die Körper beginnen sich zu bewegen. Sie kriechen unter den Planen hervor, kämpfen sich aus ihrem Versteck und beginnen mit ihrer Arbeit.

Sepidar Theater (Foto: Jonathan Zipfel)
Sepidar Theater (Foto: Jonathan Zipfel)

Die Bewegungen der Performer sind mechanisch, routiniert, fast wie in einer Fabrik. Ein stetiger Rhythmus von Arbeit und Pausen, unterbrochen nur von dem schrillen Gong der Pausenglocke, der sowohl Erleichterung als auch Unbehagen mit sich bringt. Wie in einer endlosen Schleife wiederholen sich die Handgriffe, die immer gleiche Tätigkeit – das Packen von Plastik, das Zubinden von Tüten. Der Körper wird zur Maschine, zum Ding, das sich in einem System bewegt und nichts anderes verlangt als Leistung. Es sind vor allem diese starren und eintönigen Abläufe, die in Erinnerung bleiben, und die verzweifelte Standhaftigkeit der arbeitenden und performenden Körper.

Mamadoo Mehrnejad und Bahareh Sadafi liefern eine überzeugende Performance, wenn sie sich körperlich vollkommen, mit scheinbar nie enden wollender Energie in diese wiederholenden, fast animalisch wirkenden Bewegungen werfen, Plastikplanen in Plastiktüten packen und sie wieder ausleeren. Es scheint kein Ausbrechen aus diesen Strukturen möglich zu sein – vielmehr werden die Körper davon vereinnahmt, sie werden geradezu von der Routine verschluckt, scheinbar unbemerkt von der anderen Person. Gleichzeitig schaffen die Planen aber auch eine Distanz, denn der Zuschauer sieht den Arbeitsablauf zunächst nur hinter dem Vorhang als Schattenspiel. So bleibt ein Abstand zu Gefühlen und Gewissen – wir nehmen nur einen Schatten von dem, was passiert, wahr, ohne es wirklich zu erkennen.

Wiederholungen als Spiegel der Gesellschaft

An diesem Abend sehen wir viele Wiederholungen: Wiederholungen von Bewegungen, von Routinen, von Sounds, von Pausen, von Strukturen und von Erzählungen. Und die Wiederholung des Gefühls: Wo soll das hier hingehen? Der Abend – aber vielleicht auch wir als Menschen? Denn die Muster, die wir hier sehen, sind zwar künstlerisch aufgearbeitet, in ein mattes Licht gehüllt und von live-produzierten Sounds unterlegt, aber es sind Muster, die wir kennen. Einfache Metaphern für komplexe Systeme.

Was wir an diesem Abend beobachten können, ist die Blaupause einer kapitalistischen Gesellschaft, die durch Hierarchie und Machtdemonstration funktioniert – durch Wiederholungen in Strukturen und Narrativen. Es ist anstrengend zu beobachten, weil es so erschreckend real ist. Und es entsteht der Wunsch nach einem finalen Ausbruch, einer Störung der Routinen in diesem Kampf bis aufs Blut.

Begleitet wird die Performance von einer Stimme von oben (aus dem Off?): Sie erzählt, sie informiert, sie gibt Anweisungen. Wer diese Stimme ist – Gott, ein Engel oder das System? – bleibt unklar, aber ihre Macht ist spürbar. Es ist eine Stimme von oben, die kontrolliert und der gefolgt wird.

In einer eindrucksvollen Szene fordert die Stimme den Menschen immer wieder zur Opferung eines Schafes auf. Die Szene erinnert an die biblische Geschichte von Abraham, der von Gott auf die Probe gestellt und angewiesen wurde, seinen Sohn Isaak zu opfern, im letzten Moment aber von einem Engel davon abgehalten wird. Es könnte sich um die Folgegeschichte handeln, denn statt Isaak wird ein Schaf geopfert – oder auch nicht, denn die Stimme von oben kann sich nicht entscheiden. Sie ist nicht zufrieden mit der Erzählung, mit den Worten, mit dem Ablauf. Immer wieder wiederholen Mensch und Schaf die Bewegungen, das Ziel bleibt immer die Opferung, doch der Weg und die Ansprache verändern sich.

Dieser Abend ist ein Abend der Routine. Die Bewegungen der Performenden auf der Bühne werden unterstützt von den live produzierten Sounds von Amir Reza Edalat Nobarzad. Es entstehen keine Lücken, keine Brüche, sondern ineinanderfließende Erzählungen. Der Abend liefert beeindruckende Bilder, er ist inhaltlich und ästhetisch rund, und doch lässt er die Zuschauer*innen mit Fragen zurück: Können wir aus diesem System ausbrechen? Wie können wir mehr als die Schatten erkennen? Wie kämpfen wir gegen die Stimme von oben? Und wie werden wir alle Mensch?

Judith Grytzka




Parabel „Der kleine schwarze Fisch“ als Schattentheater

Als Thema der Bürger*innen-Oper in Dortmund wurde das iranische Märchen von Samad Behranghi „Der kleine schwarze Fisch“ schon vor der Sommerpause für die Opernbühne bearbeitet.



Am 18./19. August.2023 wurde die im Jahr 1967 veröffentlichte Parabel (die unter der Zensur des damaligen Schah-Regimes fiel) dem Publikum im Fletch Bizzel (Dortmund) vom Performance-Kollektiv Sepidar Theater als Schattentheater nahegebracht. Das 2016 von den Theaterwissenschafts-Studierenden Bahareh Sadafi und Maarnadoo Mehrnejad gegründete Kollektiv besteht aus darstellendem Künstler*innen mit verschiedenem kulturellem Hintergrund.

Die Geschichte vom kleinen schwarzen Fisch, der mutig, stark, hoffnungsvoll und neugierig über die Grenzen der Enge seines kleinen Heimatbaches hinaus strebt und andere Lebewesen kennenlernen will hat nichts an Aktualität und Brisanz verloren. Gerade auch in der Situation der Mädchen und Frauen im Iran 2023.

Ermutigt durch eine (weise) Schnecke, nimmt der kleine schwarze Fisch den langen Weg ins unbekannte weite Meer auf sich und muss sich mit verschiedenen gefährlichen Tieren oder misstrauischen anderen Fischen auseinandersetzen. Die reagieren unterschiedlich auf den „Fremdling“.

Klar wird im Märchen die Bedeutung von Zusammenhalt, Mut, Beharrlichkeit und kreativer Ideen gegenüber den Bedrohungen durch Pelikan, Kormoran oder Säbelfisch.

Den vier Mitgliedern des Sepidar Theaters gelang es, das Publikum mit eindringlichem Spiel mit Licht und Schattenfiguren, der Situation angepassten Geräuschen und Musik mit unterschiedlichsten Instrumenten sowie sensiblen Bewegungsabläufen in die Parabel hineinzuziehen.

Die uns Menschen bekannten Ängste und Misstrauen gegenüber den „Fremden“, aber auch Offenheit und Willkommenskultur finden sich in der Geschichte wieder.

Am Ende steht die Hoffnung, dass auch nach dem Tod des kleinen schwarzen Fisches ein anderer (roter) Fisch stark und selbstbewusst gegen Widerstände seinen individuellen Weg über Grenzen hinaus geht.




Phantomschmerz – Geschichten über Verlust und Widerstand

Mit „Phantomschmerz“ hatte der letzte Teil der Trilogie über die Existenz der Frau Premiere, die das Sepidar Theater auf die Bühne brachte. Nach „Ich bin schon tot“ (2021) und „Hosenrolle“ (2022) ging es bei „Phantomschmerz“ feministischen Kämpfe und Wunden von Frauen. Das Solostück für Bahar Sadafi hatte am 26. Mai 2023 im Theater im Depot Premiere.



Wer hat die Macht über den Körper der Frau? Gewalt gegen den Körper der Frau hatte in der Geschichte viele Formen angenommen. Von Säureangriffen über Fußbinden im alten China, Narben- und Brandmarkierungen, um äußerlich zu zeigen, zu welcher Gemeinschaft die Frau gehört reicht das (sicherlich nicht vollständige) Repertoire. Doch eine der schlimmsten Formen der weiblichen Verstümmlung ist die der Genitalverstümmlung, die immer noch praktiziert wird.   

Phantomschmerz von Sepidar Theater. Bild: (c) Parva Zahed)
Phantomschmerz von Sepidar Theater. Bild: (c) Parva Zahed)

Um diese Genitalverstümmlung drehte sich der Anfang der Performance von „Phantomschmerz“. Eindrucksvoll berichtet Sadafi als Erzählerin von der Beschneidung ihrer älteren Schwester, wobei deutlich wird, dass auch Frauen dieses barbarische Ritual unterstützt haben.

Die zweite Geschichte handelt von einer kämpferischen Frau, die im Gefängnis versucht, sich individuelle Freiräume zu erkämpfen, was aber – auch durch die Mitinsassinnen – niedergeschlagen wird. Das Abschneiden ihrer Haare ist auch eine Form der Verstümmelung.

Das Stück hat natürlich auch eine positive Perspektive. Denn wenn Frauen sich gegen jegliche Verstümmelung und Aneignung ihres Körpers zur Wehr setzen, diesen „Phantomschmerz“ über den Verlust in Wut und Energie umsetzen, dann können sie den Kampf gewinnen. Im Stück präsentiert Sadafi folgende Analogie: Bei Schere-Stein-Papier gewinnt die Schere gegen das Papier. Aber das Papier wird zerschnitten und die Streifen werden immer mehr.




Hosenrolle – Mit Pseudonym oder ohne

Früher war es für eine Autorin absolut notwendig, ein männliches Pseudonym zu haben, um überhaupt veröffentlicht zu werden.  Doch ist das heute immer noch so? Was bedeutet das? Das Kollektiv Sepidar Theater versucht in seinem Stück „Hosenrolle“ die Frage auszugreifen: Soll die Autorin als weibliche Figur präsent sein, sich hinter einem männlichen Namen verstecken oder dieses Mittel sogar als Ermächtigung sehen? Die Performance hatte am 28.Oktober 2022 Premiere.



Die „Hosenrolle“ war ein gutes Beispiel für „physical theatre“, während den rund 60 Minuten waren die beiden Schauspieler*innen Elina Brams Ritzau und Mamadoo Mehrnejad fast ständig in Bewegung. Höhepunkt war sicherlich der „Schwertkampf“ mit Büchern unterstützt vom bekannten „Wellermann“-Song.

Dennoch blieb das Stück immer bei seinem Hauptthema: Was soll nun die arme Autorin (Ritzau) tun? Mann oder Frau oder gibt es noch etwas dazwischen oder darüber hinaus? Mithilfe des männlichen Gegenparts (Mehrnejad), oder besser des männlichen Bestandteils einer Persönlichkeit wurde nach Lösungen gesucht.

Dabei gingen die beiden durch die Historie, in die Zeiten, als Frauen meist nicht offen als Autorin in Erscheinung treten konnten oder durften, bis hin zu berühmten Piratinnen wie Anne Bonny.

Doch es gibt weitere Möglichkeiten. So bietet die Drag-Szene die Chance, als Dragqueen oder Dragking in eine andere Rolle zu schlüpfen. Im Stück wird auch die surrealistische Künstlerin Claude Cahun erwähnt, ein Pseudonym von Lucy Schwob. Sie wählte den Vornamen Claude, weil er ein Unisex-Name ist, also von Männern und Frauen getragen werden kann. Somit konnte Cahun zwischen den Geschlechtern oszillieren.

Im Bühnenbild spielten Bücher eine zentrale Rolle. So wurden sie  – wie erwähnt – zum Schwertkampf benutzt, dienten als Dominosteine oder als Weg über die Bühne.

„Hosenrolle“ ist ein kreatives Stück voller Ideen, Bewegung und Musik mit zwei engagierten Performer*innen.

Zu sehen am 25. Und am 26. November 2022 jeweils um 20 Uhr im Fletch Bizzel.

www.fletch-bizzel.de




Hosenrolle – Das Weibliche zwischen Selbst- und Fremdbestimmung

Eine Frau steht vor einer entscheidenden Frage: Soll sie ihr Buch unter ihrem Namen veröffentlichen oder unter einem Pseudonym. Männlich? Weiblich? Was würde es bedeuten? Verschwindet dadurch das Weibliche oder ist das ein emanzipatorischer Akt. Dieser Frage geht das Theaterkollektiv „Sepidar“ im Fletch Bizzel unter dem Titel „Hosenrolle“ nach. Premiere ist am 28. Oktober 2022.



In der Theatersprach bezeichnet die „Hosenrolle“ einen männlichen Charakter, der von einer Frau (meist Mezzosopran) gesungen wird. Im Theaterstück geht es aber um eine Autorin, die sich entscheiden muss, unter ihrem Namen oder unter männliches Pseudonym zu veröffentlichen. Beides hat Vor- und Nachteile.  

Das Team um die beiden Performer*innen Elina Brams Ritzau und Mamadoo Mehrnejad hat viel recherchiert. Herausgekommen ist ein Stück, bei dem die beiden Performer*innen die die Vor- und Nachteile und die Widersprüche einer  Pseudonymwahl herausarbeiten. Dabei wird darauf geachtet, keine Klischees zu bedienen. Es gibt auch keine eindeutigen Antworten, denn jede*r sollte die Freiheit haben, zu entscheiden, was ihm oder ihr passt.

Die Bühne wird sehr minimalistisch gehalten sein und es wird viel mit Schatten gearbeitet. Bücher spielen eine große Rolle.

Sepidar Theater – „Hosenrolle“

Fr. 28. Oktober 20.00 Uhr PREMIERE

Fr. 25. November 20.00 Uhr

Sa. 26. November 20.00 Uhr

PREISE: 17/8 €

www.fletch-bizzel.de




Interaktive Performance im Dortmunder dott.werk

Das neue Experimentierlabor dott.werk (Dortmunder Tanz & Theaterszene) in der Düsseldorfer Straße 18) war am 11.02.2022 ab 18:00 Uhr ein Ort für die interaktive Performance des Sepidar Theater Kollektivs. Es ist bekannt für seine Stückentwicklungen aus den Elementen Schauspiel, Klanginstallationen sowie Physical Theatre.

Dazu gehören Aylin Kreckel, Bahareh Sadafi und Mamadoo Mehmejad. Sie haben unter dem Motto „Erzähl mir eine Geschichte!“ ein interessantes Projekt mit dem Ziel entwickelt, an dessen Ende ein Theaterstück stehen soll. Für ihr neues Projekt haben sie prägende Geschichten aus dem Kaiserstraßenviertel gesammelt und auf diese Weise neue Erzählungen initiiert. Am Freitag konnten sich Zuschauer*innen von außen durch das große Schaufenster des Kulturortes ein Bild von dem gegenwärtigen Entwicklungsstand machen.

Dekorierte Fensterscheibe für das Projekt „Erzähl mir eine Geschichte!“  vom Sepidar Theater.
Dekorierte Fensterscheibe für das Projekt „Erzähl mir eine Geschichte!“ vom Sepidar Theater.

Der Innenraum war wie ein gemütliches Wohnzimmer eingerichtet. Die drei Künstler*innen hatten vor sich zwischen Kartons mit Aufdrucken wie „Vorsicht zerbrechlich“, „Fragil“ oder „Küche“, allerlei „Erinnerungsstücken“ sowie alten Schallplatten und ähnliches platziert.

Während unterschiedliche kurze Erzählungen der Befragten für das Publikum hörbar eingespielt wurden, wurden von innen am Schaufenster jeweils passende Begriffe aufgeklebt. Die Erinnerungen umfassten Erlebnisse am Meer, Natur, Geruch von Kaffee, Liebe, aber auch Ängste.

Danach wurden die Erzählungen der Viertelbewohner mit gemalten Begriffen oder Gegenständen angebracht und so ein Zusammenhang hergestellt.

Es gab auch die Möglichkeit, über eine Handy-Nummer mit den Akteuren im Innenraum (interaktiv) in Kontakt zu treten.

Der Prozess zeigt, wie die einzelnen Geschichten des Viertels zu einem kollektiven Gedächtnis verbunden werden können. Es stellt sich hier die Frage, inwieweit Heimat bedeuten kann, an gemeinsamen Erzählungen und Erlebnis-Erinnerungen zu partizipieren.

Schließlich wurde das Schaufenster mit den Begriffen und Symbolen noch auf eine Leinwand im Hintergrund des Innenraums projiziert und mit einer Video-Installation mit eindringlichen unterschiedliche Farbwellen begleitet.

Ein außen vor dem Schaufenster angebrachter Kasten lädt immer noch ein: „Erzähl deine Geschichte!“… Wir dürfen gespannt sein, wie es weiter geht.




Ich bin schon tot – Sepidar Theater thematisiert Misogynie

Sexual violence doesn’t start and end with rape
It starts in our books and behind our school gates
Men are scared women will laugh in their face
Whereas women are scared it’s their lives men will take
(„Mother“, IDLES)

Die Tänzerinnen, schwarz gekleidet, tanzen und erzählen Frauenschicksale. Von der Geburt über die Hochzeit bis hin zur Geburt der eigenen Tochter. Aber in Wirklichkeit ist das ein Zyklus der Benachteiligung. Auch wenn Fotos, die im Hintergrund der Bühne gezeigt werde, suggerieren, dass das Stück in einem arabisch geprägten Land spielt, so ist patriarchale Gewalt überall auf der Welt vertreten. Aktuelle Zahlen machen dies deutlich: 2017 wurden weltweit 50.000 Frauen Opfer eines Femizid, die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts, so berichtet die UNODC. 2019 wurden in Deutschland 69.881 Fälle von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung angezeigt. Frauenrechte müssen immer wieder neu erkämpft werden und haben auch Rückschläge erlitten wie aktuell in Afghanistan.

Regisseur Mamadoo Mehrnejad und Regisseurin Bahar Sadafi vom Sepidar Theater machen sofort deutlich: Alle Frauen haben mit schlimmen Erlebnissen zu kämpfen. Eine feministische Kunsthistorikerin kann scheinbar ohne Repressalien arbeiten, doch ihre Bemühungen laufen ins Leere. Ein junges Mädchen wird von ihrem Großvater sexuell missbraucht, getarnt als „Wolf und Schaf“-Spiel. Die dritte Frau heiratet, aber einen unbekannten Mann, den sie erst auf ihrer Hochzeit kennenlernt und der sie betäubt, um sie zu vergewaltigen. Die Rahmenhandlung des Stückes integriert ist die Geschichte des Serienmörders Saifulqalam, der verkleidet als Zauberer, Frauenarzt oder Fotograf unzählige Frauen ermordete.

Sepidar Theater zeigt bei „Ich bin schon tot“ eine faszinierende Kombination zwischen Schattentheater und „realem“ Theater. (Foto: © Gerd Schmedes)
Sepidar Theater zeigt bei „Ich bin schon tot“ eine faszinierende Kombination zwischen Schattentheater und „realem“ Theater. (Foto: © Gerd Schmedes)

Bahar Sadafi, Narges Moghimi, Elisa Marshall und Maedeh Mizaei zeigen sehr eindrücklich, wie die Unterdrückung, unter der Frauen immer noch zu leiden haben, weiterbesteht, auch wenn sich die Gesellschaftsform oberflächlich ändert. Denn auch als in dem fiktiven Land die „Partei“ die Macht übernimmt und scheinbar Männer und Frauen gleichstellt, wird schnell klar, dass das klassische Rollenbild weiter fortbesteht. Beispielsweise wird der moderne Tanz verboten, weil er zu „abstrakt“ ist und die Frauen besser „Folkloretänze“ machen sollen. Besserung für die Frauen stellt sich nicht ein.

„Ich bin schon tot“ zeigt in erschreckender Weise, dass Frauenfeindlichkeit in der Gesellschaft verankert ist und Frauen von ihrer Geburt an Angst haben müssen, von Männern getötet zu werden. Ob als junges Mädchen, Ehefrau oder generell deswegen, weil sie weiblich sind. Ein eindrucksvoller Abend im Theater im Depot. Einziger Wermutstropfen: Das Stück sollte häufiger zu sehen sein.




Auf der Suche nach der Identität

Mit „Die Geworfenen“ zeigte das Sepidar Theater im Roto-Theater eine beeindruckende Premiere

Zwei Koffer, zwei Spieler. Mehr brauchte das Sepidar Theater nicht,
um in dem Stück „Die Geworfenen“ im Roto-Theater für
Begeisterung zu sorgen. Die Premiere am 19. Oktober 2019 war
jedenfalls ein großer Erfolg.

Bahareh Sadafi und
Mamadoo Mehrnejad haben die beiden Akteure, die „in die Welt
geworfen wurden“. Nur mit einem Koffer, der aber alles enthielt,
was wichtig war. Die erste Assoziation für Menschen mit Koffer war
natürlich die Flucht. Und aus dem Off kamen passenderweise die Orte
und Daten von Kriegen und Krisen, die Menschen dazu genötigt haben,
ihre Heimat zu verlassen. Und das waren eine Menge vom 20.
Jahrhundert bis heute.

Safadi und Mahrnejad
ersinnen noch eine besondere Komponente: Sie markieren mit großen
Klettbändern ein Grenze auf dem Theaterboden. Beim Versuch, die
Grenzen zu durchschreiten, ertönt ein heulender Wind, der die beiden
zurück bläst.

Bahareh Sadafi und Mamadoo Mehrnejad beeindruckten mit ihrer Körperlichkeit bei "Die Geworfenen". (Foto: © Robin Junicke)
Bahareh Sadafi und Mamadoo Mehrnejad beeindruckten mit ihrer Körperlichkeit bei „Die Geworfenen“. (Foto: © Robin Junicke)

Daher müssen sie in
ihren engen Grenzen bleiben. Im Koffer finden sie Requisiten, die sie
für ihre Performance benötigen. Beim Fußballspielen wird
beispielsweise der Unterschied zwischen Frauen- und Männerfußball
hörbar, denn jedes mal wenn Mamadoo den Ball hat, ertönt Jubel, bei
Bahareh dagegen bleibt es still.

Humor beweisen die
beiden Akteure bei der Ballettszene, als Bahareh als verzweifelte
Balletttänzerin „Schwanensee“ tanzen soll und vom Ballettlehrer
ständig korrigiert wird, bis sie es satt hat. Die Koffer können
aber nicht nur Requisiten lagern, sondern sie dienen auch als Tafel
oder Schneidebrett für eine imaginäre Küchensendung.

Gesungen wurde auch:
Georg Kreislers „Tauben vergiften“ erklang unter kräftigen
Streuen von Vogelfutter. Doch das blieb das einzig makabere Stück in
der Performance. Gegen Ende verkleideten die beiden Schauspieler noch
in verschiedene Personen wie Monroe, Rocker oder Fußballer, um aber
sofort weggeweht zu werden. Nur als echte Persönlichkeit ohne
Verkleidung konnten dann zum Schluss auch die Grenzen überwunden
werden.

Neben Bahareh Sadafi
und Mamadoo Mehrnejad sorgte Ruben Philipp mit seinen Sounds und
Live-Klängen am Klavier für einen gelungenen Abend.

„Die Geworfenen“
ist ein gelungen Performance um Identitätsfindung, die mit einfachen
Mitteln Stück für Stück eine ungeheure Kraft entwickelt. Es zeigt
viele Facetten des menschlichen Lebens und die Möglichkeiten, sich
in dieser Welt zurecht zu finden.

Weitere Termine:
08.11.2019 | 20 Uhr (Parzelle im Depot | Immermannstraße 29,
Dortmund) und

09.11.2019 | 20 Uhr
(Parzelle im Depot | Immermannstraße 29, Dortmund).




In die Welt geworfen

Eine Welt, in der es kein Halten gibt. Heulender Wind und unsicheres Schwanken in der gähnenden Leere. Mit diesem Gefühl beschäftigt sich die aktuelle Performance der Gruppe „Sepidar Theater“.

Die jungen Theatermacher*innen feiern im Oktober im ROTO-Theater Premiere mit ihrer Produktion „Die Geworfenen“. Die Bühne ist leer – nur zwei Performer*innen und zwei Koffer befinden sich in dem großen, weiten Raum. Die Besucher*innen werden empfangen von einer akustischen Wolke.

Gemeinsam mit den Performer*innen sind sie dieser Geräuschkulisse ausgesetzt – sie werden in sie hineingeworfen. Rund um dieses Gefühl des Geworfen-Seins dreht sich die Arbeit der jungen Theatermacher*innen. Mit ihren Koffern begeben sie sich auf eine Erkundungssuche danach, wie sie sich zu dieser Welt verhalten können, sollen und wollen. Sie fragen danach, wer sie sind und was sie mit den Koffern und ihrem Inhalt verbindet.

Bahareh Sadafi und  Mamadoo Mehrnejad in Aktion bei "Die Geworfenen". (Foto: © Robin Junicke)
Bahareh Sadafi und Mamadoo Mehrnejad in Aktion bei „Die Geworfenen“. (Foto: © Robin Junicke)

Die Künstler*innen vom Sepidar Theater setzen bei ihrer Inszenierung gezielt auf Körperlichkeit. Sie werfen sich über die Koffer, klettern auf ihnen herum und fahren mit ihnen durch die Gegend. Mit ihren Körpern erforschen sie die Bühne und suchen, welchen Platz sie dort – und somit stellvertretend in der Welt – haben.

Das Sepidar Theater existiert seit 2016. Gegründet wurde die Gruppe von den iranischen Theaterwissenschafts-Studierenden Bahareh Sadafi und Mamadoo Mehrnejad. Mittlerweile gehören viele Kulturschaffende mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen der Gruppe an. Mit ihrer ersten Produktion „Der kleine schwarze Fisch“ wurde die Gruppe zum 45. Fritz-Wortelmann-Preis eingeladen.

„Die Geworfenen“ feiert Premiere am 19.10. Premiere im ROTO-Theater Dortmund (Gneisenaustraße 30). Weitere Vorstellungen finden am 8. und 9. November in der Parzelle im Depot (Immermannstraße 29) statt. Karten können per Mail reserviert werden unter sepidar.theater@gmail.com. Für die Premiere kosten die Karten 12 Euro (10 Euro ermäßigt) und können bei allen Vorverkaufsstellen von ProTicket erworben werden. Bei den weiteren Vorstellungen kosten die Karten 10 Euro (8 Euro ermäßigt).