Das ist unser Bad – Der Volksfeind

Am 09. März 2024 zeigte das Schauspielhaus Dortmund die Premiere von „Der Volksfeind“ von Ibsen in einer Bearbeitung von Julienne De Muirier. Das naturalistische Stück wurde von De Muirier ordentlich durchgeschüttelt und gerührt und dem Publikum serviert. Nur der Cocktail schmeckte nicht allen…



Ich persönlich finde moderne Interpretationen von klassischen Stücken nicht nur gut, sondern sogar notwendig. Denn ich möchte schon, dass die heutigen Probleme auf der Bühne thematisiert und verhandelt werden. Mich interessiert nicht, ob ein Adeliger eine Bürgerliche heiraten kann, mich würde interessieren ob der Spross eines mittelständischen Unternehmens eine Supermarkt-Kassiererin heiraten dürfte. Aber wir sind beim falschen Stück.

Antje Prust, Nika Mišković, Viet Anh Alexander Tran, Sarah Quarshie und Lukas Beeler als Bademeister in "Ein Volksfeind". (Foto: (c) Birgit Hupfeld)
Antje Prust, Nika Mišković, Viet Anh Alexander Tran, Sarah Quarshie und Lukas Beeler als Bademeister in „Ein Volksfeind“. (Foto: (c) Birgit Hupfeld)

Das faszinierende beim „Volksfeind“ von Ibsen ist ja, dass es leider(!) immer noch hochaktuell ist. Was ist wichtiger: Der Profit oder die Gesundheit der Menschen oder der Natur. Wenig überraschend ist es meistens so, dass für den schnellen Euro oder Dollar vor allem die Natur und später dann die Gesundheit der Menschen leidet. Die Beispiele dafür sind Legion.

De Muirier versucht sich an einem Kniff und erzählt die Geschichte aus der Sicht eines Bademeisters. Halt stopp, aus der Sicht von fünf Bademeistern. Das Stück hat selbstverständlich auch seine komischen Momente, schließlich ist es ja auch eine „Katastrophenkomödie“, vor allem wenn die fünf AkteurInnen „Lösungen“ für die Klimakatastrophe diskutieren. Argumente wie „nie wieder fliegen“ oder „aufhören, außereuropäisch zu importieren“ zeigen die Diskrepanz der „aufgeklärten“ Menschen in Europa und Nordamerika, die eigentlich wissen müssten, was die Stunde geschlagen hat, aber zwischen „komplett unrealistisch“ und „Nichtstun“ hin- und herschwingen. Da zeigt das Stück seine Qualitäten.

Leider sind Teile dazwischen, die auf mich total unorganisch wirken. Plötzlich tauchen tanzende Bakterien auf, eine Bademeisterin macht Werbung für ihr neues Wasser, seltsame Diskussionen finden statt.  

Keinen Vorwurf möchte ich den fünf Schauspielenden auf der Bühne machen: Viet Anh Alexander Tran, Nika Mišković, Sarah Quarshie, Lukas Beeler und Antje Prust machten noch das Beste aus der Vorlage.  

Wer Ibsens „Volksfeind“ kennt und mit der Erwartung ins Theater geht, zumindest einige Teile oder handelnde Personen wiederzukennen, der wird sicher enttäuscht sein. Ich denke je weniger die Vorlage bekannt ist, desto eher ist die Chance unvoreingenommen in das Stück zu gehen.

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Der Ring des Nibelungen – alle gegen Wotan

Tja, er hat es halt verkackt, der gute Wotan. Dabei hat er doch nur das Beste gewollt. Aber wie heißt es doch so schön: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Dafür bekommt er nun Feuer von allen Seiten. Alberich, Fricka, Brünnhilde, die Kinder der Riesen: Alle haben ein Hühnchen mit Wotan zu rupfen. Denn es ist schon peinlich für einen Gott der Verträge, wenn man sich selbst nicht an Abmachungen hält.



Während es bereits zahlreiche Analysen des Werkes von Richard Wagner gibt, die sich auf die ökonomischen Aspekte des „Rings“ beziehen, so setzt sich Autor Necati Öziri mit den zwischenmenschlichen Dingen auseinander. Intendantin Julia Wissert inszenierte das Stück.

Sarah Quarshie (Erda) und das Ensemble. (Foto: (c) Birgit Hupfeld)
Sarah Quarshie (Erda) und das Ensemble. (Foto: (c) Birgit Hupfeld)

Der Beginn des Stückes ist sehr launig, denn Arda (Tamer Tahan) erklärt erst einmal seinem fiktiven Onkel, was eigentlich die „Nibelungensage“ ist. Schließlich hat er Zweifel, ob er als Gastarbeiterkind und bildungsfern aufgewachsen überhaupt „mitmachen kann“. Nach einer kleinen Zusammenfassung übernimmt Erda (Sarah Quarshie) die Bühne und liest der Menschheit die Leviten, spart dabei auch nicht mit aktuellen Bezügen. „Ihr verschanzt euch auf eurer Burg Walhall hinter hohen Mauern, hinter Zäunen aus Feuer du aus Furcht vor den Heimlosen, die euch heimsuchen, gewährt ihr nur noch den Toten den Eintritt in euer Reich.“

Danach waren die „Götter“ an der Reihe. Alberich (Adi Hrustenović), der als hässlich gebrandmarkte Zwerg machte den Anfang.  Er sprach für die „Einsamen, die Anstrengenden, die Unsympathischen“. Als nächstes sprach die Walküre und Tochter Wotans, Brünnhilde (Nika Mišković). Um Nachschub für Wotans Armee der toten Helden zu sammeln, müssen die Walküren dafür sorgen, „dass die Völker dieser Welt sich weiterhin bekriegen“. Diese Sinnlosigkeit ist sie satt und kündigt an, auf Alberichs Schiff mit den „Verlierern der Geschichte“ zu gehen.

Die Kinder der Riesen, die sich für den Bau der Burg Walhall kaputtgeschuftet hatten und beim Lohn von Wotan betrogen wurden (statt der Göttin der Jugend bekamen sie verfluchtes Gold) forderten von Wotan die Jugend zurück. Die Live-Komponistinnen Isabelle Papst und Maike Küster spielten auf das Schicksal der Gastarbeiter an, die sich in Deutschland und anderen Ländern kaputtgeschuftet hatten.

Auch Wotans Ehefrau Fricka (Antje Prust), auf der Bühne nackt und somit verletzlich,  hatte mit ihm ein Hühnchen zu rupfen, was ihr sichtlich schwerfiel. Denn sie liebt ihn eigentlich immer noch, obwohl er sich von ihr entfernte, wie sie beklagt. Auch die Tatsache, dass Wotan eine Geliebte hat (Brünhilde ist das Kind von Erda und Wotan), macht ihr nicht so sehr zu schaffen wie die Tatsache, dass sie in seinen Augen „verschwindet“, weil sie zu alt geworden ist.

Zum Schluss darf sich Wotan (Alexander Darkow) rechtfertigen. Seine Argumente, er habe schließlich aus dem Chaos etwas aufgebaut, seiner Familie ein Heim geschaffen. Er verhält sich wie der typische „alte, weiße Mann“, der weder seine Fehler eingestehen will, noch akzeptiert, dass sich die Welt gerade verändert. Frustriert, dass seine Arbeit und Mühen nicht von der Nachfolgegeneration gewürdigt werden. Letztlich steckt er „seine“ Welt selbst in Brand.

Julia Wissert gelang ein durch den „Ring“ eine gelungene Inszenierung des alten, germanischen Mythos. Wagner-fern und Dank Öziri auf aktuelle Themen konzentriert. Ragnarök, also die Götterdämmerung, wird kommen und Wotan und die alten Götter und ihre Ordnung hinwegfegen. Sie halten sich leider bis zum Schluss an die Macht und sorgen für Not und Elend. Die angeblichen Verlierer der Weltgeschichte sammeln sich und keine Burg Walhall wird sie aufhalten.

Ein gelungenes Spektakel, auch dank der Livemusik von Isabelle Papst, Maika Küster und Yotam Schlezinger, die die Bühne teilweise ordentlich gerockt haben.

Wer also den „Ring“ mal ohne Wagnerianisches Pathos in weniger Zeit erleben möchte oder überhaupt mal wissen möchte, worum es beim „Ring“ geht, sollte auf jeden Fall eine Vorstellung besuchen.

Infos unter www.theaterdo.de




Humorvoll-absurdes Theater ums „Über Leben“

Im Studio des Schauspiel Dortmund hatte am 25.11.2022 das Stück „ÜBER LEBEN“ (von Annalena und Konstantin Küspert) unter der Regie von Ruven Bircks seine Premiere. Dem Regisseur interessieren hier die Wendepunkte, Grenzerfahrungen durch verschiedene Krisen und was dann mit der Gesellschaft passiert. Die wichtige frage stellt sich. Wie wird die Menschheit erinnert und oder überdauert werden?



In unterschiedlichsten Szenarien (Experimenten) werden utopische Bilder von der Vergangenheit bis in die Zukunft menschlicher Lebensformen verhandelt.

Etwa vom Untergang der mystischen Insel Atlantis, der Titanic, Verhalten bei Bärenangriffen, Hungersnöten, Kriegen, Flugzeugabstürzen bis zur Voyager Raumsonde. Die Voyager verschickt bedeutende Informationen aus verschiedenen Bereichen menschlichen Lebens in den Weltraum. Das Ganze in der Hoffnung, dass sich entfernte Lebensformen sie entdecken und sich so ein Bild von der Menschheit machen können.

Die Studio-Bühne wurde zum Simulationsraum, und die Schauspieler*innen Alexander Darkow, Ekkehard Freye, Nika Mišković und Sarah Quarshie begaben sich in ein „Überlebens-Bootcamp“ mit passender Kleidung. Begleitet wurden sie mit einer Live-Kamera von Daniela Sülwold. Mit viel Spielfreude begaben sich die vier Schauspieler*inne auf der Bühne in unterschiedliche Rollen (der Geschlechter). Auch physisch wurde ihnen einiges abverlangt. Dabei wurden sämtliche Emotion von der Kamera für das Publikum nah abgelichtet.

Musikalisch wurde das Geschehen von der Performerin houaïda. Diese ist nicht nur Musikerin, Performerin sondern auch Astrophysikerin.

Live sang eindrucksvoll Ekkehard Freye den Song „Space Oddity“ (David Bowie).

Eine humorvoll-ironische, absurd und manchmal groteske Aufführung, welche die Mittel des modernen Theaters (Live-Kamera, Video-Projektionen von Elizaweta Veprinskaja) geschickt ausnutzte.

Es bietet zudem gerade in unsere turbulenten Krisenzeiten genug Stoff zum Nachdenken. Für die starke Leistung gab es viel Applaus vom Publikum.

Infos zu weiteren Vorstellungsterminen erfahren Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/50 27 222




Zynische Persiflage auf eine kalte neoliberale Gesellschaft

Im Schauspiel Dortmund hatte am 08.10.2022 „GRM.Brainfuck Das sogenannte Musical“ nach dem Roman von Sybille Berg unter der Regie von Dennis Duszczak seine Premiere.



Diese Geschichte beginnt in einer nahen Zukunft im trostlosen Kaff Rochdale. Verlassen von ihren Eltern, fallen gelassen von Staat und Gesellschaft raufen sich dort vier jugendliche Außenseiter*innen (Don, Hannah, Karen, Peter) zusammen. Sie machen sich gemeinsam auf die Reise nach London. In leeren Fabrikanlagen suchen sie Zuflucht vor einem immer extremer werdenden Überwachungsstaat, der nur die Reichen immer reicher macht. Kraft und ein Ventil für ihre Wut findet vor allem Don (Donatella) in der aus Großbritannien stammenden Musikstil Grime (Englisch für Schmutz). GRM hat seine Wurzeln in der elektronischen Musik (etwa 2 Step, Jungle, UK Garage).

Auf ihrem Selbstfindungsprozess, der Suche nach Gerechtigkeit und Racheplänen gegen jene, die ihnen weh getan haben, treffen die Vier auf eine Gruppe von Hacker*innen. Diese streben eine digitale Revolution an. Außerdem werden sie mit der Lebensrealität von Thome (vernachlässigter Sohn aus reichem Elternhaus) konfrontiert. Dessen Vater ist ein Geld und machtgieriger Politiker auf Kosten anderer Menschen ohne Achtung vor Thome….

Das Bühnenbild war passend düster und als Bezug zu unserer Stadt im Hintergrund das Dortmund U in einem grauen Farbton zu sehen. Die in der Geschichte in einer nahen Zukunft dargestellten Probleme betreffen ja auch zunehmen unsere Stadt

Die sechs Schauspieler*innen Lola Fuchs, Christoph Heisler, Sarah Quarshie, Nina Karimy, Linus Ebner, Mervan Ürkmez schlüpften in die unterschiedlichen Figuren und verkörperten sie eindrucksvoll lebendig mit vollem Körpereinsatz. Diese Story von Ungerechtigkeit und Widerstand. Das Erzählte wurde immer jeweils anderen Schauspieler*innen ironisch kommentiert.

Trotz seiner derben dystopischen Grundstimmung gab auch einige humorvoll-ironische Momente im Stück. So sahen die Zuschauer*innen beispielsweise auf einem Bild von dem neuen König Charles III. mit einer Krone von „Burger King“. Dennoch klebt die negative Stimmung wie Kaugummi am Schuh, es gibt kein „Happy End“, keine Hoffnung. Wenn es einen Song gibt, der dieses Stück beschreibt, ist es die Stalker-Hymne von The Police „Every breath you take“, das von Lola Fuchs gesungen wird. Nur wird in „GRM.Brainfuck“ nicht eine Person überwacht, sondern die gesamte Gesellschaft, die das sogar überwiegend freiwillig macht.

Musikalisch begleitet wurde die Inszenierung stark von Malte Viehbahn (Bass, Synthie), Christoph Helm (Schlagzeug) und Emilia Golos (Klavier, Synthie). Schauspieler*innen konnten ihr auch ihr Gesangstalent unter Beweis stellen.

Die Leistung aller beteiligten bei dieser Inszenierung voll aktueller Brisanz wurde mit viel Applaus vom Publikum belohnt. Infos zu weiteren Aufführungsterminen erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel. 0231/ 50 27 222.