Gemeinsam in den Tod?!

Es klingt wie eine
von diesen Fake-News, doch hat das Stück „norway.today“ von Igor
Bauersima einen realen Hintergrund. Mitte Februar 2000 sind ein
Norweger und eine Österreicherin gemeinsam vom „Prekestolen“-Felsen
int Norwegen gesprungen. Kennengelernt und verabredet hatten sich
beide in einem Chat. Bauersima dreht die tragische Geschichte ins
positive und schreibt ein kluges Stück über den Wert des „Echten“
gegenüber dem „Fake“. Premiere hatte das Stück am 26.01.2019.

Gemeinsam in den Tod
zu gehen hat durchaus etwas romantisches an sich. Man denke an
Heinrich von Kleist und andere. Doch Julie (Alexandra Sinelnikova)
ist anders. Sie hält das Leben in der Gesellschaft für sinnlos und
fühlt sich nicht authentisch mit anderen. Daher möchte sie
Selbstmord begehen, sucht aber Begleitung beim Sterben. Die sucht sie
in einem Chat und findet den 19-jährigen August (Frieder
Langenberger), den sie nach Norwegen fliegen lässt. August fühlt
sich nicht wirklich lebendig, für ihn ist alles „Fake“.

Am Anfang steht für
das „Blinddate“ erst einmal das Kennenlernen. Die Motive für den
Selbstmord werden abgeklopft und das Misstrauen von Julie weicht sehr
langsam. Denn sie ist die abgeklärte von beiden. Während August in
seiner Unsicherheit ein sehr starkes Redebedürfnis hat, braucht
Julie für ihre Selbstbeherrschung das Schweigen. Der Streit zwischen
den beiden birgt angesichts des Todes dennoch komödiantisches
Potential. Beispielsweise, als Julie halt von August braucht beim
Herunter sehen über den Felsen. Der erste Selbstmordversuch endet im
Fiasko, beide sind ängstlich und wütend. August, weil er Angst hat,
dass Julie ihn umbringen will, Julie, weil er sie hängen lässt.

Julie (Alexandra Sinelnikova) und August (Frieder Langenberger) stellen fest, dass man das "echte" Leben nicht auf Video bannen kann. (Foto: © Edi Szekely)
Julie (Alexandra Sinelnikova) und August (Frieder Langenberger) stellen fest, dass man das „echte“ Leben nicht auf Video bannen kann. (Foto: © Edi Szekely)

In der Nacht
geschieht ein besonderes Naturerlebnis: Ein Polarlicht ist zu sehen
und zwar in echt und nicht als „Fake“. Beim Versuch es mit der
Kamera aufzunehmen, erkennen sie den Unterschied. Das ist auch der
Punkt, an dem beide versuchen, sich emotional zu öffnen.

Am nächsten Morgen
probieren August und Julie einen medialen Abschiedsgruß an Familie
und Freunde – und scheitern total. Beide finden zurück ins Leben,
denn nur wer lebendig ist, ist echt. Der Wunsch zu Sterben und die
Lebenslust sind nicht miteinander vereinbar und was viel wichtiger
ist, sie sind auch nicht medial festzuhalten. Denn das Echte muss
erlebt werden.

Bei der Inszenierung
feierte Frank Genser sein Regiedebut. Er gab seinen beiden
Darstellern genug Raum sich zu entfalten und sie dankten es ihm mit
einem engagiertem Spiel. Die Bühne war minimalistisch, der Felsen
durch eine Kante angedeutet. Ein Zelt für die Nacht und zwei
Kleiderständer zum Umziehen, das war alles, was das Stück
benötigte.

Ein intensives Stück
nicht nur über das Leben, sondern auch über die postmoderne
Wirklichkeit, bei der Schein mehr ist als Sein und das Leben als
Schauspiel gesehen wird, welches inszeniert wird. „norway.today“
ist mit Recht eines der beliebtesten Jugendtheaterstücke (wegen des
Alters der Protagonisten), aber die Zahl der Menschen, die in einer
Filterblase voller „Fake-News“ leben, wächst. Daher ist das
Stück – nicht nur wegen den tollen Schauspielern – allen
Altersklassen zu empfehlen.




Theaterstück zwischen Todessehnsucht und Lebenslust

Im Studio des
Schauspiel Dortmund hat Ensemble-Mitglied Frank Genser am Samstag,
den 26.01.2019 um 20:00 Uhr mit dem Theaterklassiker „norway.today“
von Igor Bauersima (Schweizer Dramatiker) Premiere und feiert
gleichzeitig sein Regiedebüt.

Dieses Kammerspiel
für zwei Personen hat, obwohl vor neunzehn Jahre uraufgeführt,
nichts von seiner Aktualität und Brisanz eingebüßt. Ganz im
Gegenteil.

Im Stück treffen
die jungen Erwachsenen Julie und August aufeinander. Sie möchte sich
das Leben nehmen und sucht eine Person, die sich zusammen mit ihr von
einem 604 Meter hohen Fels am norwegischen Lyse-Fjord ins Bodenlose
stürzen will. Der von der Scheinheiligkeit des Lebens angewiderte
August sagt dem Vorhaben entschlossen zu. Das Datum wird festgelegt
und mit Proviant und Zelt sind die Beiden alleine und ohne
gesellschaftlichen Druck zusammen, lernen sich kennen und arbeiten
sich aneinander ab. Mit ihren Zweifeln, gespielten gesellschaftlichen
Rollen und den echten Gefühlen. Überrascht von ihren eigenen
Gefühlen und der der Naturschönheit, bewegen sie sich zwischen
Todessehnsucht und jugendlicher Lust auf Leben…

Es steht viel auf
dem Spiel!

Das Stück ist auf
mehreren Ebenen interessant. Es ist zum einen, so Genser, eine
Auseinandersetzung mit dem Tabu-Thema „Freitod“ oder
„Selbstmord“. Darf man das „geschenkte Leben“ von sich aus
beenden? Wofür lohnt es sich zu Leben? Das sind nur zwei der vielen
Fragen, die sich ergeben.

Alexandra Sinelnikova (Julie) und Frieder Langenberger (August) sind die Darsteller des kleinen Kammerstücks im Studio. (Foto: 
©Birgit Hupfeld)
Alexandra Sinelnikova (Julie) und Frieder Langenberger (August) sind die Darsteller des kleinen Kammerstücks im Studio. (Foto:
©Birgit Hupfeld)

Zum anderen spielt
der immer größer werdende Einfluss der modernen Medien auf das
Lebensgefühl, gerade bei Jugendlichen, eine wachsende Rolle. Das
Gefühl von „persönlichen Defiziten“ wird oft zu einem
unerträglichen Problem. Mobbing hat eine immense Dimension
angenommen und verzweifelte (junge) Menschen nehmen sich (wie schon
geschehen) das Leben. Dazu gibt es auch einschlägige Foren
(Suizid-Foren).

Es gibt eine
Diskrepanz zwischen dem „idealem“ und dem realen Leben. Es ist
das Gefühl, den Anforderungen des Lebens nicht zu genügen. Was für
ein Bild wollen wir vor anderen von uns abgeben? Zweifel bleiben. Am
Ende bleibt, so der Regisseur, die Frage: Was ist das richtige
Happy-End?

Für Bühne und
Kostüm ist Ann-Heine, für Video Laura Urbach verantwortlich. Einen
Eisberg aus Styropor, wie bei früheren Aufführungen des Stückes,
wird jedenfalls, soviel verrieten der Dramaturg Matthias Seier und
Regisseur Frank Genser, nicht auf der Bühne zu sehen sein.

Julie wird von
Alexandra Sinelnikova vom Ensemble, und August von Frieder
Langenberger gespielt.

In der Saison
2018/2019 ist Langenberger im Rahmen des Schauspielstudio Graz
Ensemblemitglied am Schauspiel Dortmund.

Für die Premiere am
26.01.2019 gibt es noch Rest-Karten.

Informationen über
weitere Aufführungstermine erhalten Sie wie immer unter
www.theaterdo.de oder Tel.:
0231/ 50 27 222