Das ist unser Bad – Der Volksfeind

Am 09. März 2024 zeigte das Schauspielhaus Dortmund die Premiere von „Der Volksfeind“ von Ibsen in einer Bearbeitung von Julienne De Muirier. Das naturalistische Stück wurde von De Muirier ordentlich durchgeschüttelt und gerührt und dem Publikum serviert. Nur der Cocktail schmeckte nicht allen…



Ich persönlich finde moderne Interpretationen von klassischen Stücken nicht nur gut, sondern sogar notwendig. Denn ich möchte schon, dass die heutigen Probleme auf der Bühne thematisiert und verhandelt werden. Mich interessiert nicht, ob ein Adeliger eine Bürgerliche heiraten kann, mich würde interessieren ob der Spross eines mittelständischen Unternehmens eine Supermarkt-Kassiererin heiraten dürfte. Aber wir sind beim falschen Stück.

Antje Prust, Nika Mišković, Viet Anh Alexander Tran, Sarah Quarshie und Lukas Beeler als Bademeister in "Ein Volksfeind". (Foto: (c) Birgit Hupfeld)
Antje Prust, Nika Mišković, Viet Anh Alexander Tran, Sarah Quarshie und Lukas Beeler als Bademeister in „Ein Volksfeind“. (Foto: (c) Birgit Hupfeld)

Das faszinierende beim „Volksfeind“ von Ibsen ist ja, dass es leider(!) immer noch hochaktuell ist. Was ist wichtiger: Der Profit oder die Gesundheit der Menschen oder der Natur. Wenig überraschend ist es meistens so, dass für den schnellen Euro oder Dollar vor allem die Natur und später dann die Gesundheit der Menschen leidet. Die Beispiele dafür sind Legion.

De Muirier versucht sich an einem Kniff und erzählt die Geschichte aus der Sicht eines Bademeisters. Halt stopp, aus der Sicht von fünf Bademeistern. Das Stück hat selbstverständlich auch seine komischen Momente, schließlich ist es ja auch eine „Katastrophenkomödie“, vor allem wenn die fünf AkteurInnen „Lösungen“ für die Klimakatastrophe diskutieren. Argumente wie „nie wieder fliegen“ oder „aufhören, außereuropäisch zu importieren“ zeigen die Diskrepanz der „aufgeklärten“ Menschen in Europa und Nordamerika, die eigentlich wissen müssten, was die Stunde geschlagen hat, aber zwischen „komplett unrealistisch“ und „Nichtstun“ hin- und herschwingen. Da zeigt das Stück seine Qualitäten.

Leider sind Teile dazwischen, die auf mich total unorganisch wirken. Plötzlich tauchen tanzende Bakterien auf, eine Bademeisterin macht Werbung für ihr neues Wasser, seltsame Diskussionen finden statt.  

Keinen Vorwurf möchte ich den fünf Schauspielenden auf der Bühne machen: Viet Anh Alexander Tran, Nika Mišković, Sarah Quarshie, Lukas Beeler und Antje Prust machten noch das Beste aus der Vorlage.  

Wer Ibsens „Volksfeind“ kennt und mit der Erwartung ins Theater geht, zumindest einige Teile oder handelnde Personen wiederzukennen, der wird sicher enttäuscht sein. Ich denke je weniger die Vorlage bekannt ist, desto eher ist die Chance unvoreingenommen in das Stück zu gehen.

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Der Ring des Nibelungen – alle gegen Wotan

Tja, er hat es halt verkackt, der gute Wotan. Dabei hat er doch nur das Beste gewollt. Aber wie heißt es doch so schön: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Dafür bekommt er nun Feuer von allen Seiten. Alberich, Fricka, Brünnhilde, die Kinder der Riesen: Alle haben ein Hühnchen mit Wotan zu rupfen. Denn es ist schon peinlich für einen Gott der Verträge, wenn man sich selbst nicht an Abmachungen hält.



Während es bereits zahlreiche Analysen des Werkes von Richard Wagner gibt, die sich auf die ökonomischen Aspekte des „Rings“ beziehen, so setzt sich Autor Necati Öziri mit den zwischenmenschlichen Dingen auseinander. Intendantin Julia Wissert inszenierte das Stück.

Sarah Quarshie (Erda) und das Ensemble. (Foto: (c) Birgit Hupfeld)
Sarah Quarshie (Erda) und das Ensemble. (Foto: (c) Birgit Hupfeld)

Der Beginn des Stückes ist sehr launig, denn Arda (Tamer Tahan) erklärt erst einmal seinem fiktiven Onkel, was eigentlich die „Nibelungensage“ ist. Schließlich hat er Zweifel, ob er als Gastarbeiterkind und bildungsfern aufgewachsen überhaupt „mitmachen kann“. Nach einer kleinen Zusammenfassung übernimmt Erda (Sarah Quarshie) die Bühne und liest der Menschheit die Leviten, spart dabei auch nicht mit aktuellen Bezügen. „Ihr verschanzt euch auf eurer Burg Walhall hinter hohen Mauern, hinter Zäunen aus Feuer du aus Furcht vor den Heimlosen, die euch heimsuchen, gewährt ihr nur noch den Toten den Eintritt in euer Reich.“

Danach waren die „Götter“ an der Reihe. Alberich (Adi Hrustenović), der als hässlich gebrandmarkte Zwerg machte den Anfang.  Er sprach für die „Einsamen, die Anstrengenden, die Unsympathischen“. Als nächstes sprach die Walküre und Tochter Wotans, Brünnhilde (Nika Mišković). Um Nachschub für Wotans Armee der toten Helden zu sammeln, müssen die Walküren dafür sorgen, „dass die Völker dieser Welt sich weiterhin bekriegen“. Diese Sinnlosigkeit ist sie satt und kündigt an, auf Alberichs Schiff mit den „Verlierern der Geschichte“ zu gehen.

Die Kinder der Riesen, die sich für den Bau der Burg Walhall kaputtgeschuftet hatten und beim Lohn von Wotan betrogen wurden (statt der Göttin der Jugend bekamen sie verfluchtes Gold) forderten von Wotan die Jugend zurück. Die Live-Komponistinnen Isabelle Papst und Maike Küster spielten auf das Schicksal der Gastarbeiter an, die sich in Deutschland und anderen Ländern kaputtgeschuftet hatten.

Auch Wotans Ehefrau Fricka (Antje Prust), auf der Bühne nackt und somit verletzlich,  hatte mit ihm ein Hühnchen zu rupfen, was ihr sichtlich schwerfiel. Denn sie liebt ihn eigentlich immer noch, obwohl er sich von ihr entfernte, wie sie beklagt. Auch die Tatsache, dass Wotan eine Geliebte hat (Brünhilde ist das Kind von Erda und Wotan), macht ihr nicht so sehr zu schaffen wie die Tatsache, dass sie in seinen Augen „verschwindet“, weil sie zu alt geworden ist.

Zum Schluss darf sich Wotan (Alexander Darkow) rechtfertigen. Seine Argumente, er habe schließlich aus dem Chaos etwas aufgebaut, seiner Familie ein Heim geschaffen. Er verhält sich wie der typische „alte, weiße Mann“, der weder seine Fehler eingestehen will, noch akzeptiert, dass sich die Welt gerade verändert. Frustriert, dass seine Arbeit und Mühen nicht von der Nachfolgegeneration gewürdigt werden. Letztlich steckt er „seine“ Welt selbst in Brand.

Julia Wissert gelang ein durch den „Ring“ eine gelungene Inszenierung des alten, germanischen Mythos. Wagner-fern und Dank Öziri auf aktuelle Themen konzentriert. Ragnarök, also die Götterdämmerung, wird kommen und Wotan und die alten Götter und ihre Ordnung hinwegfegen. Sie halten sich leider bis zum Schluss an die Macht und sorgen für Not und Elend. Die angeblichen Verlierer der Weltgeschichte sammeln sich und keine Burg Walhall wird sie aufhalten.

Ein gelungenes Spektakel, auch dank der Livemusik von Isabelle Papst, Maika Küster und Yotam Schlezinger, die die Bühne teilweise ordentlich gerockt haben.

Wer also den „Ring“ mal ohne Wagnerianisches Pathos in weniger Zeit erleben möchte oder überhaupt mal wissen möchte, worum es beim „Ring“ geht, sollte auf jeden Fall eine Vorstellung besuchen.

Infos unter www.theaterdo.de




Humorvoll-absurdes Theater ums „Über Leben“

Im Studio des Schauspiel Dortmund hatte am 25.11.2022 das Stück „ÜBER LEBEN“ (von Annalena und Konstantin Küspert) unter der Regie von Ruven Bircks seine Premiere. Dem Regisseur interessieren hier die Wendepunkte, Grenzerfahrungen durch verschiedene Krisen und was dann mit der Gesellschaft passiert. Die wichtige frage stellt sich. Wie wird die Menschheit erinnert und oder überdauert werden?



In unterschiedlichsten Szenarien (Experimenten) werden utopische Bilder von der Vergangenheit bis in die Zukunft menschlicher Lebensformen verhandelt.

Etwa vom Untergang der mystischen Insel Atlantis, der Titanic, Verhalten bei Bärenangriffen, Hungersnöten, Kriegen, Flugzeugabstürzen bis zur Voyager Raumsonde. Die Voyager verschickt bedeutende Informationen aus verschiedenen Bereichen menschlichen Lebens in den Weltraum. Das Ganze in der Hoffnung, dass sich entfernte Lebensformen sie entdecken und sich so ein Bild von der Menschheit machen können.

Die Studio-Bühne wurde zum Simulationsraum, und die Schauspieler*innen Alexander Darkow, Ekkehard Freye, Nika Mišković und Sarah Quarshie begaben sich in ein „Überlebens-Bootcamp“ mit passender Kleidung. Begleitet wurden sie mit einer Live-Kamera von Daniela Sülwold. Mit viel Spielfreude begaben sich die vier Schauspieler*inne auf der Bühne in unterschiedliche Rollen (der Geschlechter). Auch physisch wurde ihnen einiges abverlangt. Dabei wurden sämtliche Emotion von der Kamera für das Publikum nah abgelichtet.

Musikalisch wurde das Geschehen von der Performerin houaïda. Diese ist nicht nur Musikerin, Performerin sondern auch Astrophysikerin.

Live sang eindrucksvoll Ekkehard Freye den Song „Space Oddity“ (David Bowie).

Eine humorvoll-ironische, absurd und manchmal groteske Aufführung, welche die Mittel des modernen Theaters (Live-Kamera, Video-Projektionen von Elizaweta Veprinskaja) geschickt ausnutzte.

Es bietet zudem gerade in unsere turbulenten Krisenzeiten genug Stoff zum Nachdenken. Für die starke Leistung gab es viel Applaus vom Publikum.

Infos zu weiteren Vorstellungsterminen erfahren Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/50 27 222




Das Vieh ist noch Natur – Woyzeck zum Spielzeitauftakt

Bunt, reduziert und mit SM-Anleihen – die Inszenierung von Georg Büchners „Woyzeck“ durch Jessica Weisskirchen setzt auf skurrile Einfälle und schräge Kostüme. Die Regisseurin rückt Nebenfiguren wie den Hauptmann und den Doktor stärker in den Mittelpunkt. Die Premiere war am 09. September 2022 im Studio des Schauspielhauses.



Eigentlich ist die Geschichte von „Woyzeck“ aktuell wie nie. Es geht einerseits um einen klassischen Femizid, das heißt ein Mann tötet seine Frau/Freundin aus Eifersucht, andererseits um das Thema „psychische Erkrankung“, den das Woyzeck Probleme hat, spürt man direkt am Anfang, als er über Freimaurer fabuliert. Doch viel wichtiger: Das Stück hat auch eine gesellschaftliche Dimension. Denn Woyzeck steht in der sozialen Rangordnung ganz unten. Er verdient als Soldat nicht genug, um seine Marie zu heiraten und lässt sich daher zu Menschenversuchen ein, die zu einer Mangelernährung führen.  Das verstärkt seine psychischen Probleme immer mehr.

Weisskirchen reduziert die Personen auf vier: Marie (Linda Elsner), Hauptmann (Ekkehard Freye), Doktor (Nika Mišković) und Woyzeck (Raphael Westermeier). Durch die Kostüme erscheinen die Akteure Chimärenhaft. Besonders schön ist der Doktor, der – komplett in Weiß – wirkt wie eine Mischung zwischen Domina und einem verrückten Professor.

Die Inszenierung von Weisskirchen thematisiert das Viehische im Menschen. Oder anders gesagt, Kleidung und Erziehung haben den Tieren die menschliche Seite verliehen. Gut in der Jahrmarktszene zu erkennen: „Mensch, sei natürlich! Du bist geschaffen aus Staub, Sand Dreck! Denn was willst du mehr sein als Staub, Sand, Dreck?“ singt der Chor der Tiere und weiter „Jetzt die Kunst, geht  aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein Säbel“.

Der animalischen Seite steht der Hauptmann mit seiner Moral und Tugendbegriffen und der Doktor als Mann der Wissenschaft entgegen, die beide auf Woyzeck herabsehen, der in seiner gesellschaftlichen Stellung keinen Platz für Moral hat.

Das Tierische, oder besser Viehische kommt den Besucher*innen gleich zu Beginn entgegen, denn die Schauspieler*innen begrüßen die Zuschauer wie Tiere im Zoo oder im Zirkus, die sicher hinter Gittern sind.    

Dadurch das Woyzeck, mehrere Jobs hat, um über die Runden zu kommen, hetzt er durch das Stück, das das Bühnenbild aufnimmt, indem es sich in ein Karussell verwandelt und Schwung aufnimmt.  Auch gelungen war die Szene, als Woyzeck in einem Popcornwagen saß, der mit Erbsen (aus Papier) gefüllt war und vom Doktor über die Bühne gezogen wurde.

Jessica Weisskirchen sorgt mit ihrer Inszenierung für einen neuen Einblick in den allzu bekannten Stoff und findet mit Günter Hans Wolf Lemke einen idealen Partner für Bühnenbild und Kostüme.

Weiter Termine und Informationen: www.theaterdo.de




Eindringliches „Zwischen den Stürmen“

Am 27.11.2021 hatte im Dortmunder Schauspiel „Zwischen den Stürmen“ unter der Regie von Poutiaire Lionel Somé (Burkina Faso) seine bemerkenswerte Premiere.

Grundlage für die Inszenierung bildete einerseits Shakespeares „Der Sturm“, andererseits das 1969 von Politiker, Schriftsteller und Mitbegründer der Négritude-Bewegung Aimé veröffentlichte „Ein Sturm“. Dieser konzentrierte die Geschichte auf Prospero (von seinem Bruder vertriebene einstige Herzog von Mailand, der zusammen mit seiner Tochter Miranda auf eine einsame Insel strandete.). Als Herrscher der Insel (bei ihm Karibik) unterstützen ihn der Luftgeist Ariel und sein Diener Caliban. „Ein Sturm“ ist eine Art Überschreibung des und Hinterfragung des Originals und stellt Fragen nach Macht, Kolonialisierung und Kultur in den Vordergrund. Somé sucht eine aktuelle Auseinandersetzung mit beiden Autoren und ihren Texten.

Es wurde eine modernen, interdisziplinären Inszenierung mit eindrucksvollen Video-Installationen, starken Bildern und fantasievollen Kostümen. Das Geschehen wurde zudem passend begleitet durch die Musik von Abdoul Kader Traoré.

Sarah Yawa Quarshie als "Caliban"  (Foto: © Birgit Hupfeld)
Sarah Yawa Quarshie als „Caliban“ (Foto: © Birgit Hupfeld)

Eindrucksvoll war das, wenn nötig flexibel nach oben verschiebbare, runde Bühnenkonstrukt mit Stelen, die herausgenommen werden konnten. Die sieben Schauspielerinnen verliehen dem Thema Kolonialisierung und seinen Folgen bis heute eine zusätzliche Authentizität.

Die kurzfristig eingesprungene Marlena Keil spielte den etwas chaotischen, selbstverliebten und herrschsüchtigen Prospero mit viel Humor, Ironie und Temperament. Ariel, gespielt von Valentina Schüle, sehnt sich nach Freiheit und ist hier ein Verbündeter von Prosperos Tochter Miranda (Nika Mišković). Miranda, die seit früher Kindheit auf der Insel lebt, hat im Gegensatz zu Prospero Respekt vor Natur und der Kultur dort und fühlt sich hier frei. Ariel spielt Prospero einfach die Rolle des Ferdinands vor. Prospero wollte den Königssohn mit ihrer Tochter verkuppeln, um wieder Macht zu bekommen.

Selbstbestimmung und kulturelle Identität sucht Caliban (Sarah Yawa Quarshinie). Sein wachsendes Selbstbewusstsein zeigt sich deutlich, als er nur noch mit seinem wirklichen Namen Bamawo angesprochen werden will. Er ist der Sohn der als „Hexe“ verschrienen Sycorax (Storytelling / Co-Autorin Bernice Lysania Akouala). Diese kam Ursprünglich aus Algier, spricht mit ruhiger klarer Stimme und erzählt ihre Geschichte.

Yemaya wird in ihrer Kultur als die Göttin des Meeres und der Mutterschaft verehrt und man hat Respekt vor jeglichem Leben. Die Erde ist für sie nicht „tot“ und kann nicht nach Belieben durch Menschen wie Prospero oder andere Eroberer ausgeplündert werden.

Seine Macht ist gebrochen.

Gehen wir den Weg gegenseitigen Achtung oder der Ausbeutung und Zerstörung fremder Kulturen sowie der Natur? Es liegt an uns. Der nächste „Sturm“, ob gewalttätige Aufstände gegen Unterdrückung oder Umweltkatastrophen kommen sonst schneller als uns lieb ist.

Informationen zu weiteren Aufführungsterminen finden sie wie immer unter

www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/50 27 222




Im Strom der Gedanken – Das Mrs. Dalloway Prinzip / 4:48 Psychose

Mit „Das Mrs. Dalloway Prinzip“ von Virginia Woolf und „4:48 Psychose“ von Sarah Kane präsentierte das Schauspielhaus Dortmund am 25. September 2021 eine doppelte Premiere. Beide Stücke, die durch eine Pause getrennt waren, verband eine gemeinsame Ästhetik. Ein Premierenbericht …

Auch wenn beide Stücke zeitlich weit auseinanderliegen, Woolf schrieb „Mrs. Dalloway“ 1925 und „4:48 Psychose“ 1998/99 gibt es einiges, was beide verbindet. Beide Stücke sind von einer Frau geschrieben, beide Autorinnen kämpften gegen ihre psychischen Krankheiten und stellen eine Frau in den Mittelpunkt, auch wenn es bei „4:48 Psychose“ nicht explizit erwähnt wird, so ist der Text von Kane wohl aus eigenem Erleben geschrieben. In beiden Texten geht es auch um das gescheiterte Verhältnis zwischen Psychiater und Patienten, bei Sarah Kane steht das im Mittelpunkt des Stücks. Hinzu kommt noch, dass beide Texte dem Genre des „Stream of consciouness“ (Gedankenstroms) zuzuordnen sind. Bei dieser Literatur werden die Gedanken und Gefühle der handelnden Person beschrieben, wie sie aus ihnen hinauszufließen scheinen.

Szene aus "Das Mrs. Dalloway Prinzip": (v.l.n.r.) Raphael Westermeier, Linda Elsner, Bettina Engelhardt, Nika Mišković und Adi Hrustemović. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Szene aus „Das Mrs. Dalloway Prinzip“: (v.l.n.r.) Raphael Westermeier, Linda Elsner, Bettina Engelhardt, Nika Mišković und Adi Hrustemović. (Foto: © Birgit Hupfeld)

„Mrs. Dalloway“ spielt im England nach dem Ersten Weltkrieg und beschriebt zum einen eine Gruppe von Menschen aus der Oberschicht, die sich in eine neue Zeit zurechtfinden muss, sowie von Personen, die den Krieg zwar physisch, aber nicht psychisch überlebt haben. IM Mittelpunkt steht die Titelgeberin Clarissa Dalloway, die standesgemäß verheiratet war, aber immer noch Gefühle für den wiederkehrenden Peter Walsh zu haben scheint, der sich vor langer Zeit nicht getraut hatte, sie damals zu fragen. Clarissa erinnert sich zudem auch an eine kurze lesbische Episode. Der zweite Erzählstrang handelt von Septimus Warren Smith, der durch den Krieg schwer psychisch geschädigt wurde und sich letztlich umbringt, trotz der vergeblichen Bemühungen seiner behandelnden Ärzte.

Selen Kara legte den ersten Teil wie eine Art Schachpartie an. Die Erzählerin (Linda Elsner) bewegt die Figuren auf ihre jeweiligen Positionen und lässt die dann agieren. Dazu ist die Bühne (Lydia Merkel) samt Kostüme (Anna Maria Schorles) in schwarz-weiß gehalten, alles ist reduziert, nur ein Baum mit Schreibmaschinenseiten als Element. So ist der Fokus der Zuschauenden unweigerlich auf die Schauspielerinnen und Schauspieler gerichtet.

Für den zweiten Teil hat sich Kara einen weiteren Kniff ausgedacht. Kann man „4:48 Psychose“ auch als Monolog aufführen, so splittete die Regisseurin den Text über die sieben Akteurinnen und Akteure. Der Text ist sehr eindringlich und erzählt, dass die Autorin nur um 4:48 „wach“ ist, das heißt, wenn die Medikamente keine Wirkung mehr haben. Dann wird der Geist klar, aber auch der Wahnsinn hält Einzug. Der Text liest sich stellenweise wie eine Anklage gegen eine Psychiatrie, die versucht hat, den Patienten nur mittels chemischen Keulen unter Kontrolle zu bekommen und weniger den Menschen hinter der Krankheit zu sehen. Somit ist das Schicksal der Erzählerin aus „4:48 Psychose“ ähnlich wie dem von Septimus aus dem ersten Teil. „Sie haben eine glänzende Karriere vor sich“, sagt Dr. Bradshow am Ende zu Septimus, anscheinend ohne zu ahnen wie sich sein Patient fühlt. Und der Psychiater fragt bei Sarah Kane: „Sie haben sehr viele Freunde. Was geben Sie Ihren Freunden, dass sie so hilfsbereit sind?“

Auch wenn zwischen den beiden Stücken über 70 Jahre liegen, es gibt doch erstaunliche Gemeinsamkeiten, die Regisseurin Selen Kara sauber herausarbeitet. Dabei hilft ihr das Ensemble, bestehend aus Linda Elsner, Bettina Engelhardt, Christopher Heisler, Adi Hrustemović, Nika Mišković, Antje Prust und Raphael Westermeier. Ein sehr intensiver Theaterabend, der sich auf alle Fälle lohnt.

Weitere Termine unter www.theaterdo.de




Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit

Happy, we lived on a planet – Die erste Premiere der Saison

Ausgangspunkt des neu entwickelten Stücks ist Tag X: Vor ca. 65 Millionen Jahren sind die Dinosaurier, die fast 200 Millionen Jahre die dominierende Spezies auf dem Planeten waren, in kürzester Zeit ausgestorben.

Das eigene Ableben wird gerne verdrängt. Zu sehr stört das Denken daran unser Streben nach Gesundheit und Lebensfreude. Wir wissen zwar, dass wir sterben. Aber das passiert irgendwann in der Zukunft, sind wir uns voll im prallen Leben Stehenden sicher. In früheren Zeiten ohne unsere medizinischen Fortschritte war der Tod, das Sterben ein bewusster Teil unseres Lebens und Denken.

Das Ensemble von "Happy, we lived on a planet" Foto: © Hans Jürgen Landes
Das Ensemble von „Happy, we lived on a planet“ Foto: © Hans Jürgen Landes

Egal, ob das Dahinscheiden heute noch kommt oder erst im hohen Alter, mit seiner ersten Regiearbeit möchte Mervan Ürkmez uns vorbereiten auf das Unausweichliche. Sinnlich-poetisch sucht das junge Mitglied des Dortmunder Schauspielensembles in seinem Stück, einem dramatischen Requiem, nach der Kraft, die uns die Begegnung mit dem Exitus, unserem, geben kann.

„Ich stelle mir vor, ich bin ein Dinosaurier“, beginnt Oskar Westermeier. „Ich und alle meine Artgenossen sind, nachdem wir 200 Millionen Jahre lang die dominierende Spezies auf dem Planeten waren, innerhalb eines Nachmittags ausgestorben. Einfach so. Zufällig steuert ein Komet auf die Erde zu und zufällig schlägt er ein. Zufällig passiert das im heutigen Yucatán, Mexiko, zufällig ist es zwölf Uhr mittags und ich, viele tausende Kilometer entfernt, sagen wir hier, in Dortmund, bekomme nichts davon mit. Eigentlich hat es nichts mit mir zu tun. Kurz darauf bebt die Erde, der Himmel verdunkelt sich, Glaskugeln fallen herab und eine riesige Flutwelle reißt mich weg. Einfach so. Wir können nicht wissen, ob es wirklich genau so passiert ist.“

Von jetzt an könnte richtig dystopisch werden … zumindest suggeriert uns dies der Monolog von Westermeier auf der schwarzen Bühne.

Fünf Menschen unterschiedlichen Alters, personifiziert durch Ekkehard Freye, Nika Mišković, Raphael Westermeier, Renate Henze und im Wechsel Anton oder Oskar Westermeier, setzen sich mit der Vergänglichkeit auseinander.

Ein Komet ist eingeschlagen und hat eine Reihe von Ereignissen ausgelöst, die zum Ende der Dinosaurier, ihrer Auslöschung geführt haben. Und doch sind sie allgegenwärtig: Hier sind ihre Fußspuren im Boden, ihre versteinerten Überreste, Knochen, Nester, Eier, dort ihre Abbilder auf Schultüten von Kindern.

Wir finden die Dinosaurier wieder in den Vögeln, die über uns fliegen und den Schildkröten, die zu unseren Füßen krabbeln. Wir finden sie in uns. Denn Dinos und Säugetiere haben einen gemeinsamen Vorfahren.

In „Happy, we lived on a Planet“ beobachten wir fünf Menschen bei der Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit. Als Metapher schwebt der Komet über ihnen, das Ende immer projizierend. Doch muss das nichts Trauriges sein. Die befürchtete Dystopie bleibt aus. Im Gegenteil. In den alltäglichen Situationen, Gesprächen, Briefen, Telefonaten ist das Leben. Ein Spiegel unseres alltäglichen Lebens. Otto Normalverbraucher, nicht der Held aus griechischen Dramen oder nordischen oder anderen Heldendramen.

Was bleibt also, wenn etwas oder jemand geht? Ist ein Mensch, der nicht mehr Teil unseres Lebens ist, wirklich weg, wie in aus den Augen aus dem Sinn? Sind die Momente, die verblassen, wirklich aus der Welt? Endet etwas oder transformiert es sich in etwas anderes?

Über Endlichkeit zu sprechen, über die Endlichkeit von Beziehungen, die Endlichkeit des eigenen Lebens, die Endlichkeit des Lebens geliebter Menschen, die Endlichkeit von Tieren oder Pflanzen und die Endlichkeit der Menschheit, löst in der modernen westlichen kommerzorientierten Welt meist Unwohlsein aus.

Die zu Beginn befürchtete Dystopie bleibt aus, weil das Stück versöhnlicher mit der Frage nach dem Ende umgeht und sich mehr auf das Leben als solches konzentriert.

Woher kommt aber die Angst vor dem Ende? Ensemblemitglied und Regisseur Mervan Ürkmez schafft mit dem künstlerischen Team von „Happy, we lived on a Planet“ einen Erfahrungsraum für eine sinnliche und vielschichtige Auseinandersetzung mit der Endlichkeit.

Für die Ausstattung ist Elizaweta Veprinskaja verantwortlich, für den Sound Andreas Niegl, Hannah Saar ist Dramaturgin der Produktion.

www.theaterdo.de und 0231/50-27222.

Die nächsten Termine sind: 7. Oktober (18 Uhr).