Sweeney Todd – Zwischen Rache, Liebe und Gesellschaftskritik

Am 12.10.2024 feierte das Publikum die Premiere von „Sweeney Todd“ (The Demon Barber of Fleet Street) in der Oper Dortmund. Die Musik und Gesangstexte stammen von Stephen Sondheim (Buch: Hugh Wheeler, nach Christopher Bonds gleichnamigem Stück). Im Mittelpunkt steht die fiktive Geschichte des Serienmörders Benjamin Barker, alias Sweeney Todd.

1979 wurde „Sweeney Todd“ als Musical von Sondheim am Broadway uraufgeführt, und es diente 2007 auch als Vorlage für den bekannten Spielfilm mit Johnny Depp.
Die Inszenierung von Gil Mehmert überzeugte durch eine stimmige Zusammenarbeit von Bühnenbild, Kostüm, Choreografie und Lichtdesign, wodurch eine düster-geheimnisvolle Atmosphäre entstand. Die Dortmunder Philharmoniker, unter der Leitung von Koji Ishizaka, begleiteten die Aufführung mit vielseitiger Musik. Diese reichte von Anspielungen auf Britten und Weill über Zitate aus Hitchcocks „Psycho“-Soundtrack bis hin zu Broadway-Melodien. Zudem erzählte der Opernchor des Theaters Dortmund die Geschehnisse in Rückblenden, die 15 Jahre zurückliegen.

Sweeney Todd – Ein blutiges Rachedrama mit schwarzem Humor

Das Ensemble brillierte sowohl mit stimmlichen als auch schauspielerischen Leistungen. Besonders hervorzuheben sind Kammersänger Morgan Moody als „Sweeney Todd“ und Bettina Mönch als die gerissen-mütterliche sowie geschäftstüchtige Mrs. Lovett, die Besitzerin einer Pastetenbäckerei.

Ks. Morgan Moody als "Sweeney Todd" greift zum Rasiermesser. Mit dabei ist Andreas Laurenz Maier als "Richter Turpin"Foto: (c) Björn Hickmann
Ks. Morgan Moody als „Sweeney Todd“ greift zum Rasiermesser. Mit dabei ist Andreas Laurenz Maier als „Richter Turpin“
Foto: (c) Björn Hickmann

Nach 15 Jahren Verbannung durch den skrupellosen Richter Turpin (Andreas Laurenz Maier) kehrt der Barbier Benjamin Barker, unterstützt vom jungen Matrosen Anthony Hope (Jonas Hein), nach London zurück. Dort erfährt er, dass seine Frau Lucy vom Richter missbraucht wurde und sich vergiftet haben soll. Seine Tochter Johanna, die Turpin als Baby entführt hat, wird wie eine Gefangene gehalten. Todds Verlangen nach Rache steigert sich allmählich zu einem tragischen, pathologischen Rausch.

Auf den ersten Blick mag die Handlung wie eine Splatter-Horror-Komödie erscheinen, doch „Sweeney Todd“ ist in Wahrheit eine bitterböse Moralparabel. Sie erinnert an Brecht und zeigt, wie sich gesellschaftliche Schichten durch Misstrauen, Wut und Gewalt immer weiter voneinander entfernen. Machtmissbrauch von oben führt dabei zu fatalen Folgen. Nur die junge Generation, dargestellt durch die Liebesgeschichte zwischen Johanna und Anthony, kann diese Spaltung überwinden. Die gesellschaftlichen Spannungen, die in der Inszenierung thematisiert werden, machen das Musical leider bedrückend aktuell.

Auf der Bühne verschmelzen blutiges Rachedrama, ergreifende Romanze und schwarze Komödie. Ein komödiantisches Highlight war der „Barbier-Wettstreit“ zwischen Fritz Steinbacher als Adolfo Pirelli und Morgan Moody als Todd.

Langanhaltender Beifall belohnte diesen großartigen Musicalabend. Weitere Aufführungstermine finden Sie unter www.theaterdo.de oder telefonisch unter 0123/5027222.




Postapokalyptische Einsamkeit – György Kurtágs „Fin de Partie“

„Fin de Partie“ – Endspiel. Neben „Warten auf Godot“ wohl das bekannteste Werk von Samuel Beckett. Unvergessen ist auch die Inszenierung von Kay Voges im Dortmunder Schauspielhaus vor über zehn Jahren mit Frank Genser (Clov) und Uwe Schmieder (Hamm), die auf Tournee durch Europa ging.



Bei der Aufführung im Opernhaus Dortmund am 01. März 2024 handelte es sich um die szenische Deutsche Erstaufführung, beziehungsweise Zweit-Inszenierung der Oper des ungarisch-französischen Komponisten György Kurtág. Dabei vertonte Kurtág nicht den kompletten Text, sondern ausgewählte Szenen und Monologe.

Fin de Partie - (v.l.n.r.) Hamm (Frode Olsen), Clov (Morgan Moody) und Nagg Leonardo Cortellazzi (Foto: (c) Thomas M. Jauk)
Fin de Partie – (v.l.n.r.) Hamm (Frode Olsen), Clov (Morgan Moody) und Nagg Leonardo Cortellazzi (Foto: (c) Thomas M. Jauk)

„Fin de Partie“ schrieb Beckett in den 50er Jahren, als die beiden Großmächte USA und UdSSR mit Nuklearwaffen experimentierten. Ironischerweise ist die Gefahr eines Atomkrieges mit dem Ukraine-Krieg nicht geringer geworden, die Dystopie einer Welt, die durch Nuklearwaffen unbewohnbar wird, ist wieder in den Köpfen der Menschen gelangt.

Welche Art von Katastrophe die Menschheit fast vernichtet hat, lässt Becket offen. Hamm (Frode Olsen) ist einer der wenigen Überlebenden in seinem Haus am Meer. Er ist an einem Rollstuhl gefesselt und kann nicht mehr laufen. Sein Diener Clov (Morgan Moody) steht ihm zur Seite, sein Handicap ist, dass er nicht sitzen kann. Hamms Eltern Nell (Ruth Katharina Peeck) und Nagg (Leonardo Cortellazzi) haben keine Beine mehr und werden von Hamm wie Abfall behandelt. Obwohl sie voneinander abhängig sind, machen die Vier sich das Leben schwer. Selbst als Nell stirbt nimmt niemand Notiz. Später im Stück entlässt Hamm Clov, der letztendlich auch gehen will. Zurück bleibt Hamm, der sich seiner Einsamkeit bewusst wird.

Ein absurdes Theaterstück und ein zeitgenössischer Komponist: Wer Mozart-Arien erwartet oder wilde Handlungsstränge, der wird sicher enttäuscht sein, aber der Rest kann sich auf ein intensives Kammerspiel und ein Orchester, das kammmusikartig zusammenspielt, freuen. Denn Kurtág benutzt das große Orchester nicht für überladene Gesten, sondern lässt spannende Kombinationen erklingen, die zu dem Endzeit-Stück passen. Die Musik ist ein klanglicher Minimalismus, der aber in den Monologen manchmal von arien-haften Elementen durchbrochen wird.

So ein besonderes Stück verdient auch eine besondere Inszenierung. Regisseur Ingo Kerkhof lädt die BesucherInnen auf die Bühne. So sitzen alle fast direkt bei den SängerInnen und können beinahe den grünen Rasen betreten, der den Ort der Handlung begrenzt. Erst dahinter befindet sich hinter einem Gaze-Vorhang das Orchester unter der Leitung von Johannes Kalitzke.

Aber im Mittelpunkt stehen die SängerInnen, vor allem Frode Olsen und Morgan Moody, die als Hamm beziehungsweise Clov den größten Anteil haben. Olsen singt und spielt sehr eindringlich den Hausherrn im Rollstuhl, der letztlich erkennen muss, dass die alte hergebrachte Struktur gescheitert ist. Auch Moody spielt die Rolle des Clov, der gefangen ist zwischen Loyalität und Rebellion mit Bravour. Mit Frode Olsen und Leonardo Cortellazzi (Nagg) sind zwei Mitwirkende der Mailänder Uraufführung Teil der szenischen deutschen Erstaufführung an der Oper Dortmund.

„Fin de Partie“ von Kurtág kam nicht umsonst auf den vierten Platz der größten Werke der klassischen Musik des 21. Jahrhunderts bei einer Umfrage der britischen Zeitung „The Guardian“. Daher ist es (nicht nur) für Liebhaber klassischer zeitgenössischer Musik ein Muß.

Weitere Termine finden Sie unter: https://www.theaterdo.de/produktionen/detail/fin-de-partie/




Opulente, bildgewaltige Oper – Nixon in China

Eine Oper über einen Staatsbesuch in den 70er Jahren? Nicht nur ein Staatsbesuch, eines der wichtigsten Treffen zweier Staatsmänner nach dem Zweiten Weltkrieg. Nixons Staatsbesuch in China im Jahr 1972 war ein historisches Ereignis, das zu einer wichtigen Wende in den Beziehungen zwischen China und den USA führte. Vor diesem Besuch hatten China und die USA seit fast 25 Jahren keine diplomatischen Beziehungen mehr, und beide Länder betrachteten sich gegenseitig als Feinde. Der Besuch führte zu einer deutlichen Entspannung in einer Zeit des kalten Krieges.



Daraus machte John Adams nach einem Libretto von Alice Goodman eine Oper, die 1987 aufgeführt wurde. Martin C. Berger verwandelte mit seinem Team die Opernbühne in ein visuelles Kunstwerk. Musikalisch begleitet von den Dortmunder Philharmonikern unter der Leitung von Olivia Lee-Gundermann und einer starken Solistencrew stand einem gelungenen Opernabend zur Premiere am 26. Februar 2023 nichts im Weg.

Morgan Moody (Henry Kissinger), Daegyun Jeong (Chou En-lai), Petr Sokolov (Richard Nixon), Irina Simmes (Pat Nixon), Opernchor Theater Dortmund, Foto: (c) Thomas M. Jauk
Morgan Moody (Henry Kissinger), Daegyun Jeong (Chou En-lai), Petr Sokolov (Richard Nixon), Irina Simmes (Pat Nixon), Opernchor Theater Dortmund, Foto: (c) Thomas M. Jauk

Die Bilder, die Berger vor allem im ersten Akt auf die Bühne zauberte waren umwerfend. So lächelte uns ein riesiger Mao an, das bekannte Bild des Mondes mit einer Rakete im Auge aus „Frau Luna“ tauchte auch auf. Auf der Bühne hatte Kostümbildner Alexander Djurkov Hotter Nixon und Kissinger im ersten Akt in College-Uniformen gesteckt, während Mao und seine Sekretärinnen in einer Hippiekommune zu leben schienen.

Musikalisch betonte Komponist John Adams die kulturellen Unterschiede. Während bei den Amerikanern Jazz-Rhythmen eingewoben wurden, erklang bei den Chinesen eher traditionelle Klänge. Doch insgesamt ist die Musik von „Nixon in China“ typisch für den minimalistischen Stil von John Adams, der sich durch repetitive Rhythmen, klare melodische Linien und eine ständige Entwicklung und Transformation musikalischer Motive auszeichnet.

Während der erste Akt dem Besuch von Nixon gewidmet ist und allgemeine Freude darüber herrscht, wird es im zweiten Akt etwas ruhiger. Er zeigt im Dialog zwischen Nixon und Mao die politischen und ideologischen Unterschiede zwischen den USA und China auf. Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Ballett, aus der Feder von Maos Frau Chiang Chìng stammt. Dort kämpfen Frauen gegen den Missbrauch durch Männer. Es ist ein wichtiges politisches Statement, das die Ideologie der chinesischen Führung unterstreicht und die Rolle der Frauen im revolutionären Kampf betont. Nixons Ehefrau Pat nimmt das Ballett so mit, dass sie anscheinend Teil davon wird. Auch ein Seitenhieb an die Rolle der Frau im Westen.

Der dritte Akt ist geprägt von introspektiven und emotionalen Momenten und zeigt die persönlichen Auswirkungen der Reise auf die Protagonisten. Hier erinnern sich Nixon und seine Frau an Ereignisse aus dem Zweiten Weltkrieg und Mao und seine Frau an das erste Kennenlernen.

Ein paar besondere Einfälle hatte das Regieteam beim wechseln zwischen den Akten. Im ersten Akt gab es gegen Ende eine Sammlung von „ungleichen Paaren“, die sich in Zeitlupe küssten. Von Hitler und Stalin bis BVB-Fan und Schalke-Fan war einiges ungewöhnliches dabei.

Zwischen dem zweiten und dritten Akt hatte das SeniorInnentanztheater einen großen Auftritt, denn sie verkleideten sich als mehr und minder berühmte und beliebte Prominente. Das Ehepaar Honecker war vertreten, Karl Marx kam in Begleitung eines Queen Elizabeth war da, Saddam Hussein und viele mehr. Martin C. Berger hatte die Idee, den dritten Teil in einem Seniorenheim spielen zu lassen, passend zum ruhigen und zurückblickenden Charakter des Aktes.  

Bleiben die Stimmen: Hier jemanden herauszuheben ist schwer. Vielleicht noch Daegyun Jeong, der als Premier Chou En-lai brillierte. Aber auch Petr Sokolov (Richard Nixon), Irina Simmes (Pat Nixon), Alfred Kim (Mao), Hye Jung Lee (Chiang Ch’in) und Morgan Moody (Henry Kissinger) hatten ihre Szenen. Wichtig ist aber in der Oper der Chor, schließlich spielt das Stück ja in China. Hier konnte sich der Opernchor Dortmund und das Projekt Extrachor verdientermaßen auszeichnen. Mit dabei war auch das NRW Juniorballett.

Ein Opernabend der besonderen Art. Es lohnt sich.




Oper Tosca als brisant-melodramatischer Psycho-Thriller

Giacomo Puccinis (1858 – 1924) fünfte Oper „Tosca“ unter der Regie von Nikolaus Habjan (Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica) feierte am 11.09.2021 in der Oper Dortmund vor noch mit freien Zwischenplätzen (Schattenplätzen) nicht voll besetzten Rängen seine Premiere. Zur großen Freude des Hauses konnte die Dortmunder Philharmoniker unter der sensiblen Leitung von Generalmusikdirektor Gabriel Feltz das Geschehen in voller Besetzung begleiten.

Obwohl die Oper ursprünglich um 1800 (Napoleonisches Zeitalter) in Rom verortet ist, macht die Inszenierung ihren zeitlosen Charakter deutlich. In diesem Psychothriller geht es neben einer Liebesgeschichte samt Eifersucht zwischen Tosca und dem freiheitsliebenden Maler Mario Cavaradossi auch um persönliche und politische Machtspiele. Das Volk steht unter dem Diktat von Religion und Staatsgewalt. Kontraste und Konflikt werden musikalisch und szenisch auf die Bühne und die Charaktere dem Publikum nahegebracht.

Inga Kalna (Floria Tosca), James Lee (Mario Cavaradossi) Foto: Björn Hickmann, Stage Picture
Inga Kalna (Floria Tosca), James Lee (Mario Cavaradossi) Foto: Björn Hickmann, Stage Picture

Schon das düstere Bühnenbild von Heike Vollmer mit der zerstörten Kirchenstruktur weist auf die Folgen der kriegerischen Handlungen („Kirchenstaat“ gegen „Römische Republik“) hin. Als Kontrast ist auf der Bühne auch ein großes Gemälde von Maria Magdalena von Hugues Merle (1886), das mich etwas an Maria Furtwängler erinnerte. Sie strahlt eine gewisse Erotik aus und es gab in der Religion viele Spekulationen und Aufregung um sie. Eine Art kleine Provokation. Zusätzlich arbeitet die Inszenierung geschickt mit unterschiedlicher Beleuchtung.

In der Handlung steht Tosca, leidenschaftlich und emotional gesungen von Gastsängerin Inga Kalna, als starke, aber verletzliche Frau im Mittelpunkt. Cavaradossi, mit starker Stimme von James Lee verkörpert, wird durch seinen alten Freund Cesare Angelotti, ehemaliger Republikanischer Konsul zum Handel und Stellung beziehen gezwungen. Baron Scarpia, von Gastsänger Noel Bouley gesungen, spielt den Typus skrupelloser Politiker und Intriganten mit vollen Einsatz. Triumphale Gesten und Grisen als er sich seiner Sache mit Tosca sicher ist.Morgan Moody verkörpert den Aktivisten Angelotti mit fester Haltung und Stimme. Der Mesner (Denis Veles), Polizeiagent Spoletta (Fritz Steinbrecher) oder Kerkermeister Sciarrone (Carl Kaiser) spielen teilweise aus Angst wie Marionetten Werkzeuge ihres brutalen Chefs.

Scarpias „Schutzgarde“ ist nach Vorbild der Schweizer Garde gekleidet und tritt martialisch auf.Stimmungsvolle Bereicherung waren der Opernchor Theater Dortmund, Knabenchor der Chorakademie Dortmund und die Kinderstatisterie Theater Dortmund.

Eine eindrucksvolle Premiere für alle Opernfreund*innen nach der langen Pause.

Die nächsten Vorstellungen sind mit voller Publikumszahl (1000 Personen) geplant. Informationen über weitere Aufführungstermine erhalten Sie unter www.theaterdo.de




Im weißen Rössl – Mit guter Laune an den Wolfgangsee

Dass es sich bei der Premiere um die Operette „Im weißen Rössl“ handeln musste, daran ließ Bühnenbilder Toto keine Zweifel aufkommen. In seinem Alpenpanorama war ein riesiger weißer Pferdekopf zu sehen, auch links und rechts der Bühne hatten zwei Schimmel neben den obligatorischen Kühen das Landidyll vervollständigt. Ansonsten sah es so aus, als ob das Hotel „Im weißen Rössl“ direkt in den Berg gebaut wurde samt schiefer Terrasse. Der Ort war bereitet, es konnte also zur Premiere am 18. Januar 2020 losgehen.

Zur Geschichte der Operette: „Im weißen Rössel“ hatte ursprünglich 1930 Premiere. Das Lustspiel von Hans Müller und Erik Charell spielt eigentlich im Jahre 1900, deshalb taucht auch die Figur des Kaisers Franz-Joseph auf. Die Musik stammt von Ralph Benatzky mit weiteren musikalischen Einlagen unter anderem von Robert Stolz.

Ein wenig Slapstick gehört dazu. Piccolo (Thomas Stilitis) trägt die Teller, Josepha (Irina Simmes) hofft, dass nichts zu Bruch geht, Leopold ((Mathias Störmer) hofft auf Josepha. ©Anke Sundermeier, Stage Picture
Ein wenig Slapstick gehört dazu. Piccolo (Thomas Stilitis) trägt die Teller, Josepha (Irina Simmes) hofft, dass nichts zu Bruch geht, Leopold ((Mathias Störmer) hofft auf Josepha. ©Anke Sundermeier, Stage Picture

Der Inhalt der Handlung: Zahlkellner Leopold liebt die „Rössl-Wirtin“ Josepha, die aber wiederum in ihren Stammgast Otto Siedler aus Berlin verliebt ist. Der ist Rechtsanwalt und führt einen Rechtsstreite gegen den Fabrikanten Giesecke, der mit seiner Tochter Ottilie ebenfalls im „weißen Rössl“ absteigt. Kompliziert wird es, als Sigismund Sülzheimer, der Sohn von Gieseckes Konkurrenten auftaucht. Im Schlepptau hat er Professor Hinzelmann und seine Tochter Klärchen. Zum Verdruss von Josepha verliebt sich Siedler in Ottilie, während Sigismund und Klärchen ein Paar werden. Obwohl Josepha Leopold zunächst entlässt, erkennt sie zum Schluss, dass nur er sie wirklich liebt.

Bis zum Happy End für die drei Paare brennt die Operette ein Feuerwerk an bekannten Melodien ab: „Im weißen Rößl am Wolfgangsee“, „Was kann der Sigismund dafür, daß er so schön ist?“, „Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein“, „Es muß was Wunderbares sein“oder „Die ganze Welt ist himmelblau“. Das sind alles Lieder, die so bekannt geworden sind, dass sogar diejenigen sie kennen, die mit Operette nichts am Hut haben. Die Operette war in ihrer Ursprungszeit 1930 sehr jazzig unterwegs, weil Jazz das moderne Ding damals war. Es ist Matthias Grimminger und Henning Hagedorn zu verdanken, dass wir die Rekonstruktion der Originalfassung zu hören bekamen. Doch musikalisch wurde noch mehr geboten, denn Regisseur Thomas Enzinger ließ Kathi (Johanna Schoppa) ein paar Zeilen rappen. So wurde die neue moderne Musik in die Inszenierung eingewoben.

Enzingers Inszenierung in Kombination mit Totos Bühnenbild über auch leise Kritik an dem Massentourismus, der schon vor über 100 Jahren am Wolfgangsee Einzug hielt. Dampferschiffsladungen von Touristen drängen sich ins kleine Hotel, sehr zum Missfallen der beiden Kellner Leopold und Piccolo. Selbstverständlich gibt es auch Reibereien zwischen dem Berliner Grantler Giesecke (sehr gut von Steffen Schortie Scheumann dargestellt) und dem Einheimischen. Wobei alles in allem überwiegt die gute Laune. Man spürt, dass das Ensemble von den Sängern auf der Bühne und die Musiker im Orchestergraben Lust haben und das überträgt sich auf die Besucher. So kann Leopold (gesungen vom Österreicher Matthias Störmer) die Besucher animieren, feierlich einige Zeilen einer österreichischen Hymne zu Ehren des Kaisers zu singen. Auch aktuelle und lokale Bezüge wurden gerne eingearbeitet. So weiß Leopold den begriffsstutzigen Piccolo mit „Kommst du etwa aus Gelsenkirchen?“ zurecht. Kaiser Franz-Josef (Hannes Brock) antwortet auf das Stichwort „Rücktritt“: Er müsse nicht so handeln wie Harry und Megan.

Wie schon erwähnt, alle auf der Bühne hatten sehr viel Spaß. So ist es schwer, jemanden hervorzuheben. Mathias Störmer hatte sicherlich die Hauptrolle, doch auch Irina Simmes (Josepha), Guilia Montaneri (Ottilie), Fritz Steinbacher (Dr. Siedler), Morgan Moody (Sigismund), Karin Müller (Klärchen), Hannes Brock (Kaiser Franz Josef II) und Steffen Schorty Scheumann) sangen und spielten sich ins Herz des Publikums. Auch die kleinen Tanzeinlagen waren spektakulär.

Wer also Lust hat, den ursprünglichen Flair des „weißen Rössls“ wieder zu erleben, sollte unbedingt eine Karte für die nächste Vorstellung kaufen. Er oder sie wird nicht enttäuscht sein.




Sehnsucht – Zweifel – Angst: Lohengrin in der Oper Dortmund

Es war wohl klar, dass Ingo Kerkshofs Inszenierung von Wagners „Lohengrin“ nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen würde. Zusammen mit einem recht spartanischen, aber durchaus effektvollen Bühnenbild macht Kerkhof klar, hier gibt es keine Schwäne oder glänzende Ritter zu sehen. Hier wird eine Geschichte aus dem Blickwinkel von Elsa von Brabant erzählt, die zusammen mit ihrer Rivalin Ortrud um Macht in einer von Männer dominierten Gesellschaft kämpft. Ein Premierenbericht von ars tremonia.

Die Handlung der Oper in Kurzform: Der deutsche König Heinrich sucht in Brabant Hilfe für einen Feldzug gegen die Ungarn. Dabei muss er feststellen, dass der Herzog tot ist und es um die Nachfolge Streit gibt. Friedrich von Telramund, der sich um die beiden Waisen Elsa und Gottfried kümmern sollte, klagt Elsa an, ihren Bruder umgebracht zu haben. Der König lässt ein Gottesurteil anrufen und plötzlich erscheint, von einem Schwan gezogen, Lohengrin, der aber seinen Namen nicht verraten darf. Er besiegt Telramund, aber lässt ihm sein Leben. Elsa und Lohengrin heiraten und Lohengrin verlangt von Elsa das berühmte Versprechen „Nie darfst du mich befragen“. Ortrud, die Frau von Telramund, gelingt es aber, Zweifel in Elsa zu sähen. Und es kommt wie es kommen muss: Elsa fragt voller Angst Lohengrin nach Rang und Namen und er gibt vor dem König sein Geheimnis preis. Danach muss er wieder entschwinden, aber sagt, dass Gottfried der Schwan sei, der ihn gezogen hat und in einem Jahr wieder auftaucht.

Geschichten, Legenden und Mythen über Menschen, die sich (eine Zeitlang) in Tiere verwandeln gibt es in jeder Kultur. In Japan gibt es die Geschichte über einen Kranich, der sich in eine Frau verwandelt und die Geschichte mit Leda und dem Schwan (Zeus) ist sicher bekannt. Kerkhof verquickt in seiner Inszenierung durch Zitate, die auf der Bühne eingeblendet werden, den „Lohengrin“ Mythos mit dem Märchen von „Brüderchen und Schwesterchen“. Im letzteren verwandelt sich der Bruder in ein Reh.

Lohengrin (Daniel Behle) ist ziemlich ratlos, im Hintergrund Elsa (Christina Nilsson). Foto: © Thomas Jauk, Stage Picture
Lohengrin (Daniel Behle) ist ziemlich ratlos, im Hintergrund Elsa (Christina Nilsson). Foto: © Thomas Jauk, Stage Picture

Die große Schwester wird hier zum Mutterersatz und der Bruder zum Kind. Der Sehnsuchtstraum von Elsa nach ihrem Bruder manifestiert sich in der Gestalt von Lohengrin, hier als erwachsener Mann. Ortrud ist das schlechte Gewissen von Elsa, das sie vor dieser verbotenen Liaison warnt. Bevor es aber ernst wird, also die Hochzeitsnacht naht, stellt Elsa Lohengrin die verbotene Frage: Wer bist du wirklich. Lohengrin muss Farbe bekennen und verschwinden. Aus dem Traumbild Lohengrin kann wieder die reale Person Gottfried werden.

Andererseits präsentiert Wagner auch zwei Frauen in seiner Oper, die eine starke Rolle spielen, denn beide wollen an die Macht. So wie Elsa sich nicht zu Seite schieben lassen will, kämpft Ortrud um ihre Position. Dabei tritt sie ihren Mann Friedrich von Telramund durchaus mal in den Hintern, wenn er zu sehr zögert. Interessanterweise sind die Männerrollen in Kerkhofs Inszenierung durchaus nicht die starken Streiter, wie sie zu sein scheinen. Der König Heinrich ist im Streitfall wenig entscheidungsfreudig und lässt lieber ein Gottesurteil ausfechten, Friedrich von Telramund hat erst große Klappe, versteckt sich aber beim kleinsten Widerstand unter dem Rock seiner Frau und Lohengrin setzt mit einen Forderungen Elsa unter Druck statt ihr beizustehen.

Neben einer inhaltlichen Analyse steht natürlich die Musik im Vordergrund. Wagners Musik zu Lohengrin hat auch nach fast 170 Jahren nichts an seiner Kraft verloren. Das Hochzeitslied aus dem 3. Akt ist so populär geworden, dass es fast den Rest in den Schatten stellt. Doch wer sich darauf einlässt, wird feststellen, wie kraftvoll die Musik ist trotz der 3 ½ Stunden. Das ist auch ein Verdienst der Dortmunder Symphoniker unter der Leitung von Gabriel Feltz.

Sehr schön war die Idee, den Chor im Zuschauerraum zu verteilen. Es machte den Eindruck, dass alle Anwesenden ein Teil der Inszenierung wurden. Auch die zusätzlichen Trompeten erklangen aus dem Saal.

Auf der Bühne (Bühnenbild Dirk Becker) wirkte alles etwas farblos. Die Akteure tragen Kleider, die aus Wagners Zeiten stammen, aber niemand trägt etwas farbiges. Das Zimmer von Elsa sieht ärmlich aus, die Einrichtung kann auch aus dem 19. Jahrhundert stammen. Der Außenbereich wird durch einige Stoppeln kenntlich gemacht.

Neben dem Orchester sind natürlich die Sängerinnen und Sänger das wichtigste Element. Leider hat Kerkhof die Protagonisten sehr statisch arrangiert. Es gab kaum schauspielerische Aktionen, außer vielleicht zwischen Ortud und Elsa, ansonsten hätte man alles auch szenisch aufführen können.

Man merkte sofort, dass Morgan Moody besondere Freude an seiner Rolle als Heerrufer des Königs hatte. Souverän sangen Shavleg Armasi (Heinrich der Vogler) und Joachim Goltz (Friedrich von Telramund) ihren Part. Daniel Behle, erschien nicht als glänzender Ritter wie erwähnt, seine Stimme war an diesem Abend aber über jeden Zweifel erhaben.

Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn die Oper „Elsa und Ortrud“ geheißen hätte, denn Christina Nilsson (Elsa) und Stéphanie Müther (Ortrud) gaben den beiden starken Frauen ein ebenso starkes gesangliches Profil.

Ein Abend, der wegen der gewagten Inszenierung sicher nicht jedem gefiel, aber durch Musik und Stimmen zu einem gelungenen Abend beitrug.

Weitere Infos unter www.theaterdo.de




„Romeo und Julia“- Adaption als Musiktheater in Dortmund

Das Liebesdrama„Romeo und Julia“ von William Shakespeare ist hinlänglich bekannt. Nun wurde dieser Stoff als eine Adaption nach Dortmund und als Konflikt zwischen einer deutschen und türkischen Metzger-Familiein Form eines modernen Musiktheaters mit dem Titel „Romeo und Zeliha“ in der Jungen Oper Dortmund aufgeführt.

Die Komposition des
Musiktheaters ist von Fons Merkies und das Libretto von Maartje Duin.
(Deutsch von Barbara Buri). Die Uraufführung war 2011 an der Holland
Opera, die Premiere hier am 10.11.2018. Die Regie hat Justo Moret.

Zur Geschichte: Die
benachbarten Metzger-Familien, eine türkische und eine deutsche,
sind in einem erbitterten Streit um das beste Lammkotelett
eingetreten. Von ihren Vätern zu unfairer Spionage angestiftet,
verlieben sich Romeo und die türkischstämmige Zeliha ineinander. Im
Spannungsfeld zwischen Loyalität zur Familie und der Kraft ihrer
jungen Liebe, müssen sie schwere Entscheidungen treffen. Das
Schicksal zwischen Würsten und gewetzten Messern nimmt seinen
unheilvollen Verlauf…

Die Bühne wurde von
Emine Güner geschickt genutzt. Im hinteren Bereich hing „tierischer
Kadaver“ an einer Stange, im Raum wurde zwei größere und zwei
kleinere nach einer Seite offene und verschiebbare weiße Schränke
sinnvoll in das Gesamtgefüge der Handlung eingebaut.

So dienten die zwei
kleineren Schrankkästen etwa als Metzger-Auslage und die die
Größeren als Zimmern von Romeo und Zeliha. Zusammengelegt konnten
sie zum Schluss zusammen gestellt aber auch als Bare für die beiden
Liebenden dienen.

Rinnat Moriah als
Zeliha und Zachary Wilson als Romeo spielten und sangen ihren Part
mit viel Empathie. Der schwierige Sprech- und Parallelgesang wurde
von allen Beteiligten der Produktion souverän und mit Engagement
gemeistert.

Rinnat Moriah (Zeliha), Zachary Wilson (Romeo) ©Anke Sundermeier, Stage Picture
Rinnat Moriah (Zeliha), Zachary Wilson (Romeo)
©Anke Sundermeier, Stage Picture

Als doppelte
Herausforderung schlüpfte der von der Dortmunder Oper gut bekannte
Morgan Moody in die die Rolle des Vaters von Romeo und in die des
Bruders Mehmet. Ian Sidden (zuletzt als Doktor Grenvil in La
Traviata zu hören und sehen) wiederum in die von Zelihas Vater und
die des von Hass besessenen Cousins Murat.

Nicht nur die
gesanglichen Herausforderungen mussten sie bewältigen. Sie mussten
sich nicht nur äußerlich in die verschiedenen Personen verwandeln,
sondern sich auch in die unterschiedlichen Mentalitäten und Kultur
der verschiedenen Personen hinein versetzen.

Sidden spielte den
türkischen traditionellen Vater, der sentimental an seine Heimat
denkt und seine Tochter autoritär (aus seiner Sichtweise aus Liebe)
erzieht , sowie Zerihas Cousin Murat als einen von übersteigerten
„Ehrgefühl“ heraus handelnden jungen Mann und brodelnde Vulkan.

Das dieses Stück in
in unserer heutigen Zeit spielt, wird deutlich, wenn der Vater seiner
vermeintlich „frechen Tochter“ Zeliha mit „YouTube oder
Netflix“-Verbot droht.

Moody stellte den,
genau wie sein türkischer Metzger-Nachbarn, intriganten Unternehmer
dar, und den seine Schwester eigentlich liebenden Bruder, der aber
auch eine unheilvolle Rolle in dem Drama spielt. Moody und Sidden
bewiesen eine große Wandlungsfähigkeit und Einfühlungsvermögen.

Den
musikalisch-atmosphärischen Rahmen schafften Mitglieder der
Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Satomi Nishi.

Jede Stimmung wurde
passend und oft mit orientalischen Klängen untermalt.

(Die zu hörende
Fassung ist ein Arrangement von Francesco Damiani).

Informationen über
Gelegenheiten, sich diese Aufführung zu erleben, gibt es noch
einige.

Näheres wie immer
unter www.theaterdo.de oder
telefonisch unter 0231/ 50 27 222.




Witzig-ironische Inszenierung des „Barbier von Sevilla“

Der dritte Tag des
Premieren-Wochenende im Opernhaus Dortmund bot mit „Il barbiere di
Siviglia“ (Der Barbier von Sevilla) von Gioachino Rossini (1792
bis 1868) und dem Libretto von Cesare Sterbini eine witzige und
ironische Inszenierung von Martin G. Berger.

Die Aufführung
dieser komischen Oper wurde nicht nur mit humorvollen deutschen
Zwischentexten des Regisseurs, sondern auch durch Special Effects,
einige ironische Anspielungen und Symbolik, wechselnden
Bühnenhintergrund sowie phantasievollen Kostümen (Masken)
ordentlich aufgepeppt.

Das besondere an der
Inszenierung war aber neben der Hinzufügung der Figur eines
Erzählers,dass die Sängerinnen und Sänger zum Anfang und gegen
Ende wie Marionetten an Seilen (mit einem Fluggürtel befestigt)
hingen. Das diente als Sinnbild dafür, dass die Akteure auf der
Bühne in ihren jeweiligen gesellschaftlichen Konventionen (wie
fremdgesteuert) gefangen sind. Das war nicht nur eine Herausforderung
für die Kostüm-Abteilung, sondern sicher auch für die Sänger. Die
hatten aber sichtlichen Spaß daran, sich nicht nur mit ihren guten
Stimmen zu profilieren, sondern auch mit ihre komische Seite zeigen
zu können.

Kammersänger Hannes
Brock als Erzähler füllte seine Rolle gewohnt humorvoll und
charmant mit aktuellen Anspielung (etwa auf die „Me too“Debatte
und moderner Kommunikationsmittel wie das iPhone) aus. Im Laufe der
Handlung wurde er in das Geschehen hinein gezogen.

Im Zentrum der
Geschichte steht der Figaro (Petr Sokolov), ein Frisör und Hallodri
mit monetärem Charakter. Der will dem verliebten Grafen Almaviva
Sunnyboy Dladla) – natürlich gegen gute Bezahlung – helfen, die
junge Rosina (Aytaj Shikhalizada) für sich gewinnen möchte.

Der Graf (Sunnyboy Dladla) schreitet zur Tat und will die Konventionen abschneiden. Basilio (Denis Velev), Dr. Bartolo (Morgan Moody), der Puppenspieler (Hannes Brock) und Figaro (Petr Sokolov) sind skeptisch. (Foto: ©Anke Sundermeier, Stage Picture)
Der Graf (Sunnyboy Dladla) schreitet zur Tat und will die Konventionen abschneiden. Basilio (Denis Velev), Dr. Bartolo (Morgan Moody), der Puppenspieler (Hannes Brock) und Figaro (Petr Sokolov) sind skeptisch. (Foto: ©Anke Sundermeier, Stage Picture)

Sie ist das reiche
Mündel des Dr. Bartolo (Morgan Moody). Der wiederum möchte macht-
und geldgierig Rosina heiraten und ihr Erbe für sich behalten. Der
Graf will die starren Regeln auflösen, und ein bürgerliches Mädchen
heiraten, das ihn um seiner selbst willen liebt. Deswegen nähert er
sich Rosina nicht nur unter einem falschen Namen, sondern benutzt auf
Anraten des Figaro auch verschiedene Identitäten (Student, Soldat
oder Musiklehrer). Der intrigante Musiklehrer Basilio (Denis Velev),
ein Freund von Dr. Bartolo, verleumdet derweil sinnlos Menschen.
Rosina träumt von Freiheit und irgend jemanden, der sie aus ihrem
goldenen Käfig heraus holt. Eigentlich vom Charakter eher sanft,
kann sie, wenn es darauf ankommt, auch rabiat und zur „Schlange“
werden.

Ironische und
witzig werden die Charaktereigenschaften durch die Puppenspielerinnen
Julia Giesbart und Veronuika Thieme mit ihren Stoff-Puppen ob als
Schlange bei Rosalia oder dem „einäugigen Rufmord-Wurm“ bei dem
Musiklehrer Basilio auch bildhaft dargestellt.

Das Gemenge muss
zunächst in einem Chaos enden. Von ihren Marionetten-Fäden erst
einmal befreit herausfinden, ob die neue Freiheit und Möglichkeit
der Selbstbestimmung erstrebenswert ist und welche Rolle sie
einnehmen wollen. Fast alle Figuren versuchen, an ihren Rollen
festzuhalten.

Am Ende löst sich
das Ganze durch Anerkennung der alten Hierarchien mit einem „kleinen
Happy End“ auf. Der Graf besinnt sich auf seine Rolle, schmiert und
bedroht Basilo, zwingt Dr. Bartolo zum Verzicht auf Rosina, und
heiratet diese. Nur seine Machtposition hatte ihm ermöglicht, seine
revolutionären Gedankenspiele einmal praktisch auszuprobieren, ohne
die Konsequenzen zu tragen.

Ob sich eine
Revolution gegen gesellschaftliche Festschreibungen dennoch lohnt,
wird jedem (im Publikum) selbst überlassen.

Berger nahm sich in seiner Inszenierung einige Freiheiten, so gab es keine Polizei, sondern der Herrenchor und die Statisterie des Theater Dortmund hatten ihren eindringlichen Auftritt als „öffentliche Meinung“. Auch kleinere Rollen wie der Notar fielen weg.

Neben dem
wunderbaren Puppen und Kostümen gab es auf der Bühne viel zu sehen.
Eines der Höhepunkte war die Rube-Goldberg-Maschine, die Basilio dem
verblüfften Dr. Bartolo vorführt. Diese Maschine hat keinen
praktischen Nutzen, bereitet aber durch das pure Hinsehen Vergnügen.
Ein Hingucker war auch das furiose Ende des ersten Aktes, als alles
auf der Bühne hin und her wogte.

Die sinnliche Musik
Rossinis zeichnet sich durch die sogenannte Rossini-Walze, einem
stetigen Anschwellen der Musik. Nicht nur die Zunahme der Lautstärke,
sondern auch allmähliche Hinzukommen weiterer Instrumente ist für
sie kennzeichnend.

Die Dortmunder
Philharmoniker unter der Leitung des ersten Kapellmeisters Motonori
Kobayashi setzte diese Musik sensibel um.

Ein interessantes
und gelungenes Opernwochenende, dass dem Publikum das neue
Opern-Ensemble näher brachte.

Informationen zu
weiteren Aufführungstermine erhalten Sie unter www.theaterdo.de
und Tel.. 0231/ 50 27 222.




Nabucco – Fundamentalismus sorgt für fehlendes Happy End

Die Intendanz von Jens-Daniel Herzog an der Dortmunder Oper neigt sich so langsam dem Ende zu. Als letzte Oper unter seiner Regie hatte am Samstag, den 10.03.2018 die Oper „Nabucco“ von Giuseppe Verdi (1813-1901) mit dem Libretto von Temistocle Solera hier vor Ort Premiere.

Es ist ein dramatisches und leidenschaftliches lyrisches Drama (Uraufführung 1842) um Macht, Fundamentalismus, Liebe, und der Sehnsucht nach Freiheit, Einheit und Selbstbestimmung. Inspirieren ließ sich Herzog bei seiner Inszenierung von der 444 Tage andauernden Geiselnahme in der in der US-Botschaft in Teheran (1979-1981) durch fanatische Khomeini-Anhänger.

Die Herrschaft wankt. Nabucco (Sangim lee) mit seiner Tochter Fenena (Almerija Delic) und seinem Getreuen Abdallo (Fritz Steinbacher). Foto: © Thonas Jauk, Stage Picture
Die Herrschaft wankt. Nabucco (Sangim lee) mit seiner Tochter Fenena (Almerija Delic) und seinem Getreuen Abdallo (Fritz Steinbacher). Foto: © Thonas Jauk, Stage Picture

In diese Zeit wurde auch diese Operninszenierung verlegt, wie das Publikum auch an Kleidung erkennen konnte. Eine Drehbühne führte in verschiedene Räumlichkeiten. Je nach Bedarf in den Königspalast, einem religiösen Schulungsraum, einem „Krankenzimmer“ für den zeitweise „wahnsinnigen“ babylonischen König Nabucco (bibl. Nebukadnezar) oder eben als bedrückendes Gefängnis für die unterdrückten Israeliten.

Babylon mit den Götzen Baal gegen den Gott Jahwe, König Nabucco gegen den jüdischen jüdischen Hohepriester Zaccaria. Inmitten dieser politischen Feinschaft als Katalysator der Eskalation ein Dreieck von Liebenden. Nabuccos vergötterte sanfte jüngere Tochter Fenena und die ältere Adoptivtochter Abigaille lieben beide den Israeli Ismaele. Eine brisante Mischung aus Gefühlen und politischem Kalkül entwickelt sich, als Ismaele seine Gunst Fenena schenkt. Abigaille ist gleich doppelt getroffen. Zurückgesetzt durch die Affenliebe seines Vaters zu seiner leiblichen Tochter und verschmäht von Ismael. In ihrer Rachsucht wendet sie sich gegen alle, die sie als ihre Feinde sieht. Fenena, Ismaele, ihren Vater und ganz Israel. Das ist die Stunde der Fundamentalisten, die diese Gemengelage für ihre Zwecke instrumentalisieren. Der Oberpriester des Baal befeuert den Konflikt geschickt und bestärkt Abigaille in ihrer Rachsucht. Auf der anderen Seite gießt der jüdische Hohepriester Öl ins Feuer und beeinflusst das jüdische Volk mit religiösen Fundamentalismus. Das kann für alle nicht gut ausgehen. Ein Happy End scheint es nur im Jenseits zu geben….

Eine großartige Leistung bot der Chor und Extrachor des Theaters Dortmund unter der Leitung von Manuel Pujol sowie die Statisterie. Interessant war zu sehen, wie sich die Kostümauswahl (Sibylle Gädeke) s den Einfluss der religiösen Fundamentalisten im Lauf der Aufführung veränderte.

Als Nabucco konnte der scheidende beliebte Bariton Sangmin Lee nicht nur sein gesangliches Können beweisen. Stark auch in seiner Zerrissenheit zwischen Staatssaison und der großen Liebe zu seiner leiblichen Tochter, die ihm so ähnlich war. Diese Rolle füllte Almerija Delic wunderbar aus. Thomas Paul wusste mit seiner starken Stimme zu gefallen. Gastsängerin Gabriele Mouhlen berührte mit starker Stimme und Empathie in ihrer Rolle als tragische Person Abigaille. Morgan Moody hatte als Oberpriester des Baal eine zurückgezogenere ,aber wichtige Rolle im Hintergrund. Es lohnt sich, ihn bei seiner „Hintergrund-Arbeit“ zu beobachten. Charismatisch und mit seinem warmen tiefen Bassbariton Karl-Heinz Lehner.

In kleinen aber feinen Nebenrollen gefielen Enny Kim (Anna) und Fritz Steinbrecher (Abdallo).

Was wär „Nabucco“ ohne die eindringlich-emotionale Musik von Guiseppe Verdi? Die Dortmunder Philharmoniker unter der sensiblen Leitung von Motonori Kobayashi ließ sie für die Inszenierung für das Publikum lebendig werden.

Eine moderne und aktuelle Inszenierung in einer Zeit, wo Fundamentalisten jeglicher Art in den Startlöchern sitzen, um immer mehr Einfluss auf das Weltgeschehen zu nehmen.

Mehr zu Terminen und Karten unter www.theaterdo.de




Arabella oder die Suche nach dem „Richtigen“

Am Tag der Bundestagswahl, dem 24.09.2017, stand gleichzeitig die Premiere die lyrische Komödie „Arabella“ von Richard Strauss ( 1864-1949) auf dem Programm im Opernhaus Dortmund. Opernintendant und Regisseur der Inszenierung Jens-Daniel Herzog gab vor der Aufführung schon einmal die ersten Hochrechnung der Wahl bekannt.

Musikalisch sensibel begleitet wurde „Arabella“ von der Dortmunder Philharmoniker unter der routinierten Leitung von GMD Gabriel Feltz. Der Chor des Theaters Dortmund unter der Leitung von Manuel Pujol und die Statisterie des Theater unterstützte die Handlung tatkräftig und mit bunten Kostümen zum Karneval.

Die Bühne war spärlich mit einem Spielautomaten an der linken Seite und vielen Stühlen recht sparsam aber zur Situation des verarmten Grafen Waldner und seiner Familie entsprechend, ausgestaltet. Eine durchsichtige Leinwand ermöglichte dem Publikum zwischendurch Einblicke auf den so oft wie möglich am Spieltisch sitzenden Grafen. Im dritten Akt wurde das Bühnenbild gewechselt und die häusliche Treppe zu den Zimmern als Hintergrund benutzt.

Der Graf aus der Provinz und das IT-Girl aus der Hauptstadt: Sangmin Lee (Mandryka), Eleonore Marguerre (Arabella) ©Thomas Jauk, Stage Picture.
Der Graf aus der Provinz und das IT-Girl aus der Hauptstadt: Sangmin Lee (Mandryka), Eleonore Marguerre (Arabella)
©Thomas Jauk, Stage Picture.

Zur Situation:

In Wien versucht der Graf Waldner, die finanziellen Probleme wegen seiner Spielsucht in den Griff zu bekommen. Seine hysterische Frau Adelaide ist keine Hilfe, Die schöne Tochter Arabella kann sich nicht wirklich zwischen ihren vielen Verehrern, darunter der Waschlappen Matteo (der ständig mit Selbstmord droht, wenn sie ihn nicht erhört), entscheiden. Die jüngere Tochter Zdenka wird als „Bub“ gehalten, da für die Familie eine zweite Tochter zu teuer kommt. Diese ist zudem noch unglücklich in Matteo verliebt. Die Zeit drängt, und nach dem Ball am Faschingsdienstag muss eine Entscheidung her. Der Graf schickt verzweifelt dem alten Regiments-Kameraden Mandryka ein Foto seiner schönen Tochter. Der reiche Großgrundbesitzer aus Slawonien wäre eine gut Partie. Statt dessen kommt ein Neffe des inzwischen Verstorbenen, der sich in das Foto aus dem Nachlass verliebt hat, nach Wien. Als Grundbesitzer, Naturbursche und Herr der Wälder ist er so ganz anders als die üblichen Verehrer. Für Arabella scheint Madrynka der „Richtige“ zu sein. Bevor sie mit ihm nach Slawonien fährt, will sie vor dem Abschied noch einmal feiern und tanzen. Aus Angst um Matteo, behauptet Zdenka, Arabella erwarte diesen in ihrem Schlafzimmer. Dazu gibt sie ihm auch einen Schüssel. Mandryka bekommt das mit und will Arabella wütend zur Rede stellen. Die Situation ist chaotisch und droht zu eskalieren. In einem Akt der späten Befreiung outet sich Zdenka und klärt die Situation auf…

Der Spielsüchtigen Graf Waldner war gut mit Morgan Moody besetzt worden. Der verfügt nicht nur über eine gute Stimme, sondern besitzt auch schauspielerisches und komödiantisches Talent. Almerija Delic überzeugte in ihrer Rolle als hysterische Ehefrau.

Im Mittelpunkt standen mit ihrer ausdrucksstarker Präsenz und ihren starken Stimmen Eleonore Marguerre als Arabella und der urig direkte Sangmin Lee als Mandryka. Situationskomik gab es mit den vier „Verehrer“ Alexander Sprague als arroganter Graf Elemer, Marvin Zobel als Domink, Lue Stoker als Lamoral oder jammernde Thomas Paul als Matteo.

Besonders feinfühlig zeigte sich Ashley Thouret in der schwierigen Rolle der Zdenka. Julia Amos als Kartenlegerin und Jeannette Wernecke als Fiakermilli füllten ihre Nebenrollen gut aus.

Das hohe musikalische Niveau konnte aber nicht ganz über ein paar Längen und das eher schwache Libretto (Hugo von Hofmannsthal) hinweg täuschen. Denn selbst zu Zeiten von Richard Strauss zog es IT-Girls aus der Großstadt wie Arabella kaum in die Nähe von Unbekannten aus der Provinz. Wie lange sie wohl dort glücklich bliebe?

Weitere Infos und Termine unter www.theaterdo.de