Tag 3 – Internationales Frauenfilmfestival Dortmund / Köln
Ins
Rennen um den internationalen Spielfilmwettbewerb für Regisseurinnen
ging am 3. Tag des IFFF Dortmund / Köln der brasilianische Film „Los
Silencios“ der Regisseurin Beatriz Seigner. Es ist in verschiedener
Hinsicht ein bemerkenswerter Film. Für unsere westlich geprägte
europäische Sichtweise etwas befremdlich anmutend, lotet er
unterschiedliche Grenzerfahrungen aus. Abends wurde der Film „Der
Boden unter den Füßen“ von Marie Kreutzer gezeigt. Es ist eine
Geschichte zweier unterschiedlicher Schwestern.
Magischer
Realismus aus dem Amazonasgebiet.
Es
sind zum einen die Grenzen zwischen Brasilien, Kolumbien Peru, aber
auch die Übergänge zwischen Lebenden und den Toten sowie Land und
Fluss. „Los Silencios“ bewegt sich zwischen Dokumentation und
Fiktion, Geistern und Realismus.
Den
politisch-gesellschaftlichen Hintergrund bildet der Bürgerkrieg in
Kolumbien. Konflikt zwischen Paramilitärs und Guerilla machen die
Situation für die Bevölkerung lebensgefährlich und zwingen viele
Menschen zur Flucht.

Der
erste Zufluchtsort für die Protagonistin Ampora (neben ihrem Ehemann
im Film die einzige professionelle Schauspielerin) und ihre Kinder
Nuria und Fabio vor den bewaffneten Konflikt ist die auch real
existierende Insel „Isla de la Fantasía“. Diese befindet sich
mitten im Amazonas im Grenzgebiet von Brasilien, Kolumbien und Peru.
Bis
auf die Mutter Ampora und dem Vater in der Geschichte wurden alle
anderen Personen von Menschen (Laien) dargestellt, die wirklich auf
der Insel wohnen. Sie bekamen erstmals Gelegenheit, „Ihre
Geschichte“ zu erzählen. Das sorgte neben den Naturgeräuschen des
Amazonas für eine besondere Authentizität.
Der
harte Kampf ums Überleben, gegen den Ausverkauf und für
Entschädigungen wird lebendig vor Augen geführt. So muss Ampora,
die ihren Mann und Tochter im Bürgerkrieg verloren hat, nicht nur um
eine Aufenthaltserlaubnis kämpfen, sondern auch darf hoffen, dass
die beiden Toten gefunden werden und sie Reparationszahlungen
bekommt. Die Ölgesellschaft möchte ihr mit wenig Geld die
Klagerechte abkaufen.
Das
Publikum erfährt nicht nur aus erster Hand von der Situation der
Dorfbewohner, sondern auch über ihr besonderes Verhältnis zu ihren
Toten und Geistern. Sie sind in der Gemeinschaft weiter
allgegenwärtig. Es gibt neben der wöchentlichen Dorfversammlung
auch eine „Versammlung der Geister der Toten“ statt. Hier
bekommen sie eine Stimme und ihren Platz in der Gesellschaft zurück.
Auch
Ampora geht in ihrem Alltag zunächst so um, als würden die Tochter
und ihr Mann noch unter ihnen Leben. Sie spricht zu ihnen und wäscht
sogar ihre Tochter. Erst ein Paket mit den gefundenen Überresten der
beiden Familienangehörigen bringt die erschütternde Realität ins
Haus.
Einiges
erfährt man über Riten der Bewohner. Die Totengeister werden mit
fluoreszierenden Farben gekennzeichnet, die sich zum Ende hin immer
mehr verstärken. (Lisa Lemken)
Eindringliches
Geschwisterdrama
Mit
„Der Boden unter den Füßen“ gelang der österreichischen
Regisseurin Marie Kreutzer ein starker Film. In 109 Minuten erzählt
sie die Geschichte zweier Schwestern. Lola ist Unternehmensberaterin
und steckt ihre ganze Kraft in ihre Karriere. Sie pendelt zwischen
Konferenzen, Büro und anonymen Hotelzimmern. Ihre ältere Schwester
Conny leidet an paranoider Schizophrenie, einmal im Jahr geht es ihr
besonders schlecht. Dieses Mal begeht sie einen Selbstmordversuch.
Hier nimmt die Geschichte Fahrt auf. Conny wird vorübergehend in die
Psychiatrie eingewiesen. Jetzt ist Lola mehr gefordert als sie
geplant hat. Sie versucht in ihrem streng getakteten Alltag mit den
unberechenbaren Anforderungen durch die Krankheit ihrer Schwester
klarzukommen, steht kurz vor einem Burn-out. Es zeigt sich wie dicht
Aufstieg und Chaos beieinander liegen. Nach mehreren Verwicklungen
und Schwierigkeiten nimmt Lola ihre Schwester mit nach Hause. Sie
organisiert deren Alltag, sodass sie wieder ihrer Arbeit nachgehen
kann. Doch die leichte Entspannung hält nicht lange vor, Conny
stürzt sich vom Balkon der Wohnung in den Tod. Lola erleidet einen
Nervenzusammenbruch und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Sie erhält
Antidepressiva verschrieben und ist bei der Beisetzung ihrer
Schwester die einzige Hinterbliebene.

Im
Interview erzählt Marie Kreutzer, dass der Film autobiografische
Züge trägt. Ihre Tante litt ebenfalls an Schizophrenie und als
Jugendliche hat sie diese regelmäßig in der Psychiatrie besucht.
Sie konnte so auf einige ihr bekannte Gesprächsverläufe
zurückgreifen. Zwei extreme Rollenentwürfe stehen sich hier
gegenüber. Im Verlauf des Films verschwimmen immer wieder die
Grenzen und man fragt sich, welcher der Schwestern eher geholfen
werden müsste. Am Ende war die Ältere, Conny an vielen Stellen die
Stärkere. Sie setzte die Akzente, während Lola mit der Furcht vor
den Auswirkungen der Krankheit auf ihr eigenes Leben kämpfte.

Die
schauspielerische Leistung von Pia Hierzegger, die die Conny
verkörperte, war beeindruckend. (Anja Cord)