Wenn das innere Kind zum Dämon wird

Am 13. September 2024 feierte die Groteske „Der Dämon in dir muss Heimat finden“ im Studio des Schauspielhauses Premiere. Das Stück, geschrieben von Lola Fuchs, ist eine Satire auf den Selbstoptimierungswahn. Seit Jahren versucht dieser, uns vorzuschreiben, wie wir inmitten des Chaos produktiv und erfolgreich bleiben sollen. Der Titel spielt provokant auf Stefanie Stahls Bestseller „Das Kind in dir muss Heimat finden“ an. Dieser beschäftigt sich mit den Auswirkungen ungelöster Kindheitstraumata auf das Erwachsenenleben.

Im Mittelpunkt steht Mandy-Galadriel (Nika Mišković), eine 30-jährige Betreiberin eines Paketshops. Sie träumt immer noch von einer Karriere als Singer-Songwriterin. Ihre Freundinnen haben genug von ihrem unsteten Leben. Sie schenken ihr einen Gutschein für die DAWN-Experience, ein esoterisches Unternehmen, das sich auf die „Heilung des inneren Kindes“ spezialisiert hat. Dort trifft sie auf Veronika von Sonnen (Marlena Keil), Markus von Sonnen (Linus Ebner) sowie auf die weiteren Teilnehmer*innen Melli (Linda Elsner) und Florian (Ekkehard Freye).

Sophie Dahlbüdding (Statisterie), Marlena Keil, Linus Ebner, Nika Mišković(c) Birgit Hupfeld
Sophie Dahlbüdding (Statisterie), Marlena Keil, Linus Ebner, Nika Mišković Foto: (c) Birgit Hupfeld

Zwischen Esoterik und Kapitalismus: Mandys Reise zur Selbstfindung

Lola Fuchs verbindet in ihrer Groteske den Druck zur Selbstoptimierung mit Science-Fiction- und Horrorelementen. Das „innere Kind“ wird hier nicht nur metaphorisch wiedergeboren. Durch ein Portal erscheint es erneut, was zu komischen und nachdenklichen Konfrontationen zwischen jüngeren und älteren Ichs führt. Besonders witzig ist die Enttäuschung von Florians jüngerem Ich. Es ist schockiert, dass seine ältere Version als Linksextremist gescheitert ist. Das kapitalistisch geprägte jüngere Ich kann das nicht fassen.

Wenn das innere Kind zur Ware wird: Kritik an spirituellen Heilversprechen

Der Höhepunkt des Stücks zeigt Veronika und Markus im „Zukunftslabor“. Sie wollen die gechannelten inneren Kinder entweder als Arbeitssklaven (Schattenkinder) oder Führungskräfte (Sonnenkinder) verkaufen. Die älteren Versionen sollen verschwinden. Doch dieser Plan scheitert. Mandy und Galadriel stellen sich gegen die Ausbeutung. Lola Fuchs bietet in diesem Werk eine scharfe Analyse der gegenwärtigen Verhältnisse. Sie beleuchtet die skrupellose Profitmaximierung in der Selbstoptimierungsbranche. Die engagierten Darsteller*innen trugen entscheidend zum Erfolg des Stücks bei. Besonders Sophie Dahlbüdding, die das 12-jährige Ich von Mandy spielte, glänzte in ihren Dialogen mit dem älteren Ich.

Weitere Informationen finden Sie unter: www.theaterdo.de




Die Not steht ihr gut – Trashkomödie um Kapitalismus und Patriarchat

Das als „gewinnorientierte Trashkomödie“ bezeichnete Stück „Die Not steht ihr gut“ von Ensemblemitglied Lola Fuchs hatte am 26.01.2023 seine Uraufführung im Studio des Schauspiel Dortmund.



Lola Fuchs ist nicht nur Autorin und Regisseurin des Stücks, sondern übernahm auch die Rolle der emotional missbrauchten Seminarteilnehmerin Gisela.  Diese werden von der angesagten Coaching-Agentur der Gründerinnen Sharon (Linda Elsner) und Dana (Nika Mišković) angeboten. Mit List und Ausnutzung aktueller emanzipatorischer Strömungen schlagen sie Kapital. Die Aushöhlung ihrer Ideale und Abhängigkeit vom charmant-skrupellosen Investors Charlie (Christopher Heisler) nehmen sie dabei in Kauf. Der unterbezahlte Dauerpraktikant Dominic (Linus Ebner), der es nicht einmal Wert ist, sich seinen Namen zu merken, steht ihnen dienend zur Seite.

Nika Mišković ,und Linda Elsner als Gründerinnen einer Coaching-Agentur. (Foto:  Florian Dürkopp)
Nika Mišković ,und Linda Elsner als Gründerinnen einer Coaching-Agentur. (Foto: Florian Dürkopp)

Heimlich träumt er von einer gerechten sozialistischen Welt, in der die Menschen gleichberechtigt, unabhängig von Geschlecht oder Herkunft leben und nach ihren Fähigkeiten entwickeln können. Er tritt auch als Erzähler der Geschichte auf.

Nach dem verhängnisvollen Tweet einer ehemaligen Seminar-Teilnehmerinnen ändert sich die sich die Situation der beiden Businessfrauen schlagartig. Gemeinsam mit ihrem Gehilfen müssen sie den Weg ins gefährliche und angstauslösende Dickicht hinter den Mauern ihres Büros antreten…

Die Bühnenausstattung und Kostüme sind in auffallenden, knalligen Farben gehalten und entsprechen der ironisch-humorvoll überzeichneten Charaktere auf der Bühne. Das gleiche gilt für die wunderbare Arbeit der Maske.

Den Schauspieler*innen gelang es überzeugend, sich in die Persönlichkeiten hinein zu versetzen. Das Ganze mit vollem Körpereinsatz. Eindrucksvoll auch, wie die Persönlichkeitsveränderungen von Dana (von eher naiv lebensfroh zu kämpferisch) oder Sharon (von selbstbewusst zu angepasst) dargestellt wurden.

Die Rolle der dem Investor Charlie ergebenen „Brüderhorde“ übernahmen witziger Weise mit viel Freude am Spiel sechs junge Damen des Jugendclubs (Theater Dortmund).

Das Geschehen wurde von einer Live-Kamera (Ismael Khudida) effektvoll begleitet. Auch die Souffleuse (Klara Brandi) durfte ab und zu auf der Bühne mitmischen. Tanz und kleine Gesangseinlagen zwischendurch sorgten für etwas Auflockerung.

Die Mechanismen des Kapitalismus wurden durch die Trashkomödie offen und klar mit einer guten Portion schwarzen Humor dargelegt.

Starken Beifall gab es für die Leistung der Beteiligten.

Infos zu weiteren Aufführungsterminen erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/ 50 27 222




Zynische Persiflage auf eine kalte neoliberale Gesellschaft

Im Schauspiel Dortmund hatte am 08.10.2022 „GRM.Brainfuck Das sogenannte Musical“ nach dem Roman von Sybille Berg unter der Regie von Dennis Duszczak seine Premiere.



Diese Geschichte beginnt in einer nahen Zukunft im trostlosen Kaff Rochdale. Verlassen von ihren Eltern, fallen gelassen von Staat und Gesellschaft raufen sich dort vier jugendliche Außenseiter*innen (Don, Hannah, Karen, Peter) zusammen. Sie machen sich gemeinsam auf die Reise nach London. In leeren Fabrikanlagen suchen sie Zuflucht vor einem immer extremer werdenden Überwachungsstaat, der nur die Reichen immer reicher macht. Kraft und ein Ventil für ihre Wut findet vor allem Don (Donatella) in der aus Großbritannien stammenden Musikstil Grime (Englisch für Schmutz). GRM hat seine Wurzeln in der elektronischen Musik (etwa 2 Step, Jungle, UK Garage).

Auf ihrem Selbstfindungsprozess, der Suche nach Gerechtigkeit und Racheplänen gegen jene, die ihnen weh getan haben, treffen die Vier auf eine Gruppe von Hacker*innen. Diese streben eine digitale Revolution an. Außerdem werden sie mit der Lebensrealität von Thome (vernachlässigter Sohn aus reichem Elternhaus) konfrontiert. Dessen Vater ist ein Geld und machtgieriger Politiker auf Kosten anderer Menschen ohne Achtung vor Thome….

Das Bühnenbild war passend düster und als Bezug zu unserer Stadt im Hintergrund das Dortmund U in einem grauen Farbton zu sehen. Die in der Geschichte in einer nahen Zukunft dargestellten Probleme betreffen ja auch zunehmen unsere Stadt

Die sechs Schauspieler*innen Lola Fuchs, Christoph Heisler, Sarah Quarshie, Nina Karimy, Linus Ebner, Mervan Ürkmez schlüpften in die unterschiedlichen Figuren und verkörperten sie eindrucksvoll lebendig mit vollem Körpereinsatz. Diese Story von Ungerechtigkeit und Widerstand. Das Erzählte wurde immer jeweils anderen Schauspieler*innen ironisch kommentiert.

Trotz seiner derben dystopischen Grundstimmung gab auch einige humorvoll-ironische Momente im Stück. So sahen die Zuschauer*innen beispielsweise auf einem Bild von dem neuen König Charles III. mit einer Krone von „Burger King“. Dennoch klebt die negative Stimmung wie Kaugummi am Schuh, es gibt kein „Happy End“, keine Hoffnung. Wenn es einen Song gibt, der dieses Stück beschreibt, ist es die Stalker-Hymne von The Police „Every breath you take“, das von Lola Fuchs gesungen wird. Nur wird in „GRM.Brainfuck“ nicht eine Person überwacht, sondern die gesamte Gesellschaft, die das sogar überwiegend freiwillig macht.

Musikalisch begleitet wurde die Inszenierung stark von Malte Viehbahn (Bass, Synthie), Christoph Helm (Schlagzeug) und Emilia Golos (Klavier, Synthie). Schauspieler*innen konnten ihr auch ihr Gesangstalent unter Beweis stellen.

Die Leistung aller beteiligten bei dieser Inszenierung voll aktueller Brisanz wurde mit viel Applaus vom Publikum belohnt. Infos zu weiteren Aufführungsterminen erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel. 0231/ 50 27 222.




Ödipus meets Fargo auf dem Mars

Wild ging es her auf der Studiobühne am 16. Dezember 2021. Denn die Premiere von „Ödipus auf dem Mars“ war ein besonderer Ritt von eines der ältesten Sagen hin zu aktuellen Raumfahrplänen von Milliardären. Die Inszenierung von Florian Hein brachte Erinnerungen an die Zeit von Kay Voges zurück.

Ödipus ist sicher eine der ältesten Sagen der Welt. Kurz gesagt, ein Mann, der seinen Vater tötet und seine Mutter heiratet. Vorher überlistet er die Sphinx. Angeblich soll die Geschichte aus dem alten Ägypten stammen, wo Inzest in der Herrscherfamilie ja nicht unbekannt war. Beispielsweise waren Tutenchamuns Eltern Geschwister. Sigmund Freud hat Ödipus in seinen Ödipuskomplex verwurstet.

Lola Fuchs, Christopher Heisler und Linda Elsner bei "Ödipus auf dem Mars" (Foto: © Birgit Hupfeld)
Lola Fuchs, Christopher Heisler und Linda Elsner bei „Ödipus auf dem Mars“ (Foto: © Birgit Hupfeld)

Und was hat das mit dem Ödipus zu tun? Nun, zunächst begrüßte uns Peggy, aus der zweiten Staffel von „Fargo“, die zu verheimlichen versucht, dass sie einen Menschen überfahren hat und ihren Mann als Alibi benötigt.

Danach verwandelte sich die Szenerie. Im Studio stand eine große Box, in der die drei SchauspielerInnen Linda Elsner, Lola Fuchs und Christopher Heisler, als weiß gekleidete Damen auf ihre Therapiesitzung warteten (Freud!). Zu Beginn wurde noch über die Städtische Theaterkultur debattiert, ein kleiner Seitenhieb auf sich selbst und die Rolle des Theaters in der Stadtgesellschaft.

Zwischendurch trat der Sprechchor auf (in Schwarz) und brachte die Handlung mit Ödipus nach vorne. Das Ende spielte auf dem Mars und gehörte der Grafiknovel „Watchmen“.

Für Liebhaber griechischer Tragödien wird dieser Abend sicher nichts. Doch wer Spaß an einer leicht abgedrehten Stückentwicklung hat, von der Verwandlung von antiken Helden in moderne Superhelden, von Schauspielern auf der Bühne, von gefilmten hinter Bühne und vom Dortmunder Sprechchor, sollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Auch wenn wir zu Beginn gewarnt wurden, der Humor kommt in den 90 Minuten definitiv nicht zu kurz.




5G – Superhelden auf verzweifelter Mission

Eine ungewöhnliche Premiere gab es am 04. November 2021 im Studio des Schauspielhauses. „5G – Die Rückkehr der Superheld*innen“. Eine Stückentwicklung des Regie-Teams unter Dennis Duszczak und den Schauspielern Anton Andreew, Linus Ebner, Lola Fuchs und Sarah Yawa Quarshie.

Superhelden wie wir sie kennen, gibt es seit etwa 100 Jahren. Lassen wir die antiken Hilden wie Herkules außen vor, gehören sie zur Comic-Kultur wie Enten und Mäuse aus dem Hause Disney. Superman war der erste Superheld mit Kostüm, Hintergrundgeschichte und Schwächen. Danach kamen seine Kollegen wie Spiderman, Batman und sicher hunderte andere. Inzwischen sind sie präsent im Kino in unzähligen Filmen und prägen die Pop-Kultur.

Lana (Sarah Yawa Quarshie), die Fliege (Anton Andreew), Asha (Lola Fuchs) und Lapsus of Light (Linus Ebner) wirken ratlos. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Lana (Sarah Yawa Quarshie), die Fliege (Anton Andreew), Asha (Lola Fuchs) und Lapsus of Light (Linus Ebner) wirken ratlos. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Doch die Dortmunder Superhelden sind anders. Sie können nicht fliegen oder sich an Spinnenfäden herunterhangeln, sie haben andere, spezielle Fähigkeiten. Da wäre Lana, die sich so vorstellt: „Ich bin Lana Morello und ich gehe jedes Risiko ein.“ Sie ist Influenzerin und Netzaktivistin und hat durch die Schwarmintelligenz die Fähigkeit erworben, Gedanken zu lesen. „Am Ende aller Tage werden das Recht und die Freiheit auf meiner Seite sein. Denn es gibt viele, die mir folgen, die so denken wie ich, denn sie denken durch mich. Meine Gedanken sind ihre Gedanken.“

Während Lana also eine Mission hat, sieht es bei Lapsus of Light (LOL) anders aus. „Ich hasse Recycling und vegane Mülltrennung. Aufräumen? Langweilig! Chaos, das ist das Ziel.Wisst ihr was? Ich lade Euch ein in meine kleine Chaosfamilie und stelle euch meine bezaubernden Verwandten vor“ Er ist eine Art Personifizierung der Spaßgesellschaft. Seine Fähigkeit ist, Menschen in Delfine zu verwandeln.

Das Gegenteil von LOL stellt „Die Fliege“ dar. Während LOL die Welt bunt und fröhlich sieht, steht die “Fliege“ für das Notwendige. „Wir sind die Deadline. Die Ersten bei jeder Katastrophe. Die Ersten bei der Leiche, die Ersten, wenn es ernst wird. Die ersten bei verdorbenen Fraß: Ich vertilge und beseitige.“ Er ist Recyclingspezialist.

Fehlt nur noch ein Superheld und dieser Held hat ein Geheimnis (Achtung! Spoiler), den Asha (kurz für X ASH – A 12) ist der Sohn eines superreichen Unternehmers mit Weltraumambitionen. Wem Tesla einfallt, liegt richtig. Sein geheimer Plan ist es, die Superkräfte der drei zu stehlen und für teures Geld als Produkt auf den Markt zu bringen. „Die Gabe von dem Mann in Lila, Lapsus of Light, Menschen in Delfine zu verwandeln, würde ich analysieren, um daraus die ultimative Droge zu entwickeln. Eine Art Heroin ohne Nebenwirkungen. Den enormen Bestand dieser zukünftigen Droge würde ich dann künstlich verknappen, das Gerücht, dass es etwas Neues auf dem

Markt gibt, bei den richtigen Leuten streuen und sie dann durch Unterhändler teuer im Darknet

verscherbeln. Die Fähigkeit von diesem komischen Typen mit dem S-Fehler, würde ich extrahieren, um ein effizientes Recyclingsystem für den Mars zu entwickeln. Und die Fähigkeit von Lana Morello, Gedanken zu lesen, würde ich schließlich als Marktforschungsinstrument an diverse High Ranking Unternehmen verkaufen.“

So kann man das Stück auch als Kritik lesen, menschliche Bedürfnisse, Fähigkeiten und Notwendigkeiten zu kapitalisieren.

Die vier Akteure auf der Bühne bieten ein grandioses Schauspiel. Anton Andreev hat mit seiner Fliegenmaske und seinem summenden S die Lacher auf seiner Seite. Ebenfalls exaltiert spielt Linus Ebener Lapsus of Light im schicken Lila, während Sarah Yawa Quarshie eine Lana spielt, deren Selbstbewusstsein nur so strahlt. Sie ist auch die einzige Superheldin mit Cape, das macht sie besonders. Lola Fuchs spielt den kühlen Asha als blassen hinterlistigen Elfen.

Ein gelungener Abend, der nicht nur lustig ist oder sich über Superhelden lustig macht, sondern versucht einen Blick in die Zukunft zu werfen: Wie weit lassen sich unsere Wünsche und Fähigkeiten kapitalisieren.

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Der Platz – Der Aufstieg führt zur Sprachlosigkeit

Am 30. Oktober 2021 feierte das Theaterstück „Der Platz“ seine Premiere im Schauspielhaus. Die Regisseurin und Intendantin Julia Wissert inszenierte den Roman von Annie Ernaux als Monologstück, das von sechs Schauspieler*innen getragen wurde.

Die Geschichte der Familie von Ernaux ist beinahe typisch und kam so ähnlich auch in meiner Familie vor. Mein Urgroßvater kam aus einer ländlichen Gegend in der Nähe von Posen und landete 1900 in Dortmund. Mein Großvater und Vater waren beide Bergleute, also Arbeiter, während ich den „Aufstieg“ Dank meines Studiums „geschafft“ habe. Bei Ernaux ging es ähnlich vonstatten, arbeitete der Großvater noch auf dem Land, begann ihr Vater in der Fabrik, um sich später eine Gaststätte samt Laden zuzulegen. Das war ein Aufstieg in die Mittelschicht.

Antje Prust, Linda Elsner, Raphael Westermeier, Lola Fuchs, Marlena Keil und Mervan Ürkmez (Foto: © Birgit Hupfeld)
Antje Prust, Linda Elsner, Raphael Westermeier, Lola Fuchs, Marlena Keil und Mervan Ürkmez (Foto: © Birgit Hupfeld)

Dennoch schien ihr Vater immer zwischen den beiden Klassen zu wandern. Einerseits fand er die Sprache der einfachen Leute negativ. „Für meinen Vater war das Patois etwas Altes, Hässliches, ein Zeichen gesellschaftlicher Unterlegenheit. Er war stolz darauf, es abgelegt zu haben.“

Seine Tochter, die Erzählerin schafft den Einstieg in das Bürgertum, in der andere Werte zählten. Damit hatte sie zunächst Schwierigkeiten. „Ebenso brauchte ich Jahre, bis ich die übertriebene Freundlichkeit ‚verstand‘, mit der gebildete Menschen etwas so Simples wie „guten Tag“ sagten.“

Doch je mehr sich die Tochter von ihren Eltern entfremdet, desto deutlicher wird der soziale Unterschied, zumal sie einen Mann aus dem Bildungsbürgertum geheiratet hatte „Wie sollte ein Mann, der ins Bildungsbürgertum hineingeboren worden war, mit einer ironischen Grundhaltung, sich in der Gesellschaft rechtschaffener Leute wohlfühlen, deren Liebenswürdigkeit, die er durchaus sah, in seinen Augen niemals das entscheidende Defizit wettmachen können, die Unfähigkeit, ein geistreiches Gespräch zu führen.“

Die Bühne war stark reduziert. Ein Gartenhäuschen als Reminiszenz an den Vater, der gerne im Garten gewerkelt hatte. Dazu viele Gartenutensilien aus Plastik. Am linken Rand stand ein Pult, auf dem die Musikerin houaïda passende Musik und Gesang beisteuerte. Auch wenn Antje Prust, Linda Elsner, Lola Fuchs, Marlena Keil, Mervan Ürkmez und Raphael Westermeier in ihren bunten Kostümen einen guten Job machten, eigentlich ist „Der Platz“ in dieser Form ein Monodrama, ein Einpersonenstück. Denn es berichtet eigentlich nur die Erzählerin und andere Figuren tauchen nicht auf. Das wäre sicherlich noch intensiver geworden und beispielsweise Marlena Keil hat dies bei „Die Erzählung der Magd Zerline“ von Hermann Broch bereits unter Beweis gestellt, das so etwas sehr gut funktioniert.

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Aufstieg möglich oder Türe zu – La Chemise Lacoste

Schlechte Chancen für Arbeiterkinder, die Aufstiegschancen hängen in Deutschland immer noch stark von Bildungsstand der Eltern ab, schreibt die Zeit am 02.04.2020, die Wirtschaftswoche bläst am 31.05.2021 ins gleiche Horn: Arbeiterkinder werden ausgebremst. Und selbst wenn man es schafft, die Leiter hochzuklettern, wird man akzeptiert? Im Stück „La Chemise Lacoste“ (Das Lacoste-Hemd) von Anne Lepper ist von Akzeptanz nichts zu spüren. Die Inszenierung von Dennis Duszczak beschreibt den Versuch eines Aufstiegs. Die Premiere war am 19. September 2021 im Studio des Schauspielhauses.

Der Inhalt in aller Kürze: Der erste Teil des Stückes: Felix wurde vom Staats auserwählt, er darf die Ärmlichkeit seiner Familie und seiner Umgebung verlassen und als Balljunge beim Tennis mitmachen. Doch die arrivierten Balljungen Philipp und Toby sind nicht seine Freunde. Im zweiten Teil feiert Tennis-Star Sebastian eine Party, dafür hat er mit Kay eine Frau an seiner Seite. Doch erfüllt sie auch die Erwartungen der anderen Gäste?

Sarah Yawa Quarshie als Balljunge und Anton Andreew als Felix. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Sarah Yawa Quarshie als Balljunge und Anton Andreew als Felix. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Gleich zu Beginn ein schöner Kniff von Duszczak: Auf der Bühne ist ein drehbarer großer Kasten, der sich erst einmal zu einer Puppenbühne verwandelt: Felix und seine Familie, dargestellt von fünf gleich aussehenden Puppen freuen sich über seine Aufstiegsmöglichkeiten mit fast schon biblischen Worten: „Der eine, der gerettet wird“. Wie bei Jakob und seine Brüder.

Doch wird Felix mit seiner Sprache und seiner Kleidung in den oberen Kreisen akzeptiert? Jedenfalls – jetzt sind die echten Schauspieler an der Reihe – die beiden Balljungen Toby und Philipp (Alexander Darkow und Sarah Yawa Quarshie) machen sich erst einmal über Felix (Anton Andreew) lustig und lassen ihn deutlich spüren, dass er nicht dazugehört. „Es geht etwas Dumpfes von dir aus“, sagen sie zu ihm. „Jemand der von unten kommt, soll auch unten bleiben“. Erst durch totale Anpassung erreicht Felix, sein altes Leben zu verleugnen und erhält auch die gleiche Kleidung von Toby und Philipp.

Der zweite Teil thematisiert den Aufstieg von Frauen über einen erfolgreichen Partner. Hier ist es Tennis-Star Sebastian (Darkow), der das Mädchen Kay (Lola Fuchs) zu seiner Begleitung erkoren hat. Sind die Gäste zunächst von Kay noch angetan „Es muss schön sein, einen Menschen aus dem Dreck zu holen“, werden sie immer aggressiver.

Das Stück ist fetzig inszeniert, es fängt mit Punk-Rock an und bleibt auch sonst sehr musikalisch. Der große Kasten auf der Bühne (Bühnenbild und Kostüme Thilo Ullrich) dreht sich und auch sonst sind die Akteure in Bewegung (was sich für ein Stück, in dem Tennis eine Rolle spielt, nichts Ungewöhnliches sein muss).

Letztendlich zeigt das Stück wie schwer bis unmöglich es für Menschen „von unten“ ist, sich nach oben zu arbeiten. Sprache, Kleidung, Verhalten, die Unkenntnis über gewisse Regeln, alles lässt sie auffliegen. Selbstverleugnung scheint die einzige Möglichkeit zu sein, akzeptiert zu werden. Doch wie hoch ist der Preis.

Wer ein Stück sehen will, das leider immer noch aktuell ist, sollte sich „La Chemise Lacoste“ unbedingt anschauen. Mehr Informationen unter https://www.theaterdo.de/produktionen/detail/la-chemise-lacoste/.