Queens – weibliche Machtkämpfe

Friedrich Schillers Drama „Maria Stuart“ hatte unter dem Titel „Queens“ unter der Regie von Jessica Weisskirchenam 12. Januar 2024 Premiere im Studio des Schauspielhauses. Und wie es sich zu einem Studiostück gehört, erlebten die Zuschauer eine komprimierte Fassung, die kammerspielartig das Drama auf die beiden Hauptpersonen konzentriert. Schließlich ging es beim Kampf zwischen der beiden Königinnen Elizabeth und Mary auch um den weiblichen Umgang mit Macht in gefährlichen Zeiten.



Auf der Bühne war die Farbe Rot dominierend. [Edit: Im ersten Text stand irgendetwas von einem Baum, dabei war es eine Gebärmutter, aus der die beiden Königinnen hervorkamen. da habe ich in Anatomie schlichtweg nicht aufgepasst. Mea culpa.] Doch ihr Leben verlief in verschiedene Richtungen. Zwar war Mary Königin von Schottland und Frankreich, aber da gehörte ein Ex- davor. Zudem war sie katholisch erzogen worden und das gefiel der englischen Königin Elizabeth überhaupt nicht. Mary versuchte ihren Anspruch auf den englischen Thron geltend zu machen, denn Elisabeth war die Tochter der zweiten Ehefrau von Heinrich dem VIII., Anne Boleyn, die nach katholischer Lesart ungültig war. Diese Bedrohung durch Mary war für Elizabeth zu gefährlich. Mit tödlichen Konsequenzen für Mary.

Marlena Keil (Mary) und Linda Elsner (Elizabeth) - zwei Königinnen im Kampf um Macht und Einfluss. (Foto: (c) Birigt Hupfeld)
Marlena Keil (Mary) und Linda Elsner (Elizabeth) – zwei Königinnen im Kampf um Macht und Einfluss. (Foto: (c) Birigt Hupfeld)

Die Nebenfiguren haben im Gegensatz zu Schillers Drama in „Queens“ keinen großen Raum. Ekkehard Freye und Lukas Beeler spielen die unterschiedlichen Figuren durchaus mit Witz. Wobei der Auftritt von Beeler bemerkenswert war, denn er war erst einen Tag für den erkrankten Viet Ahn Alexander Tran eingesprungen.

In „Queens“ gibt es auch wie in antiken griechischen Stücken einen Chor. Nämlich den „Chor der toten Königinnen“, der das Stück kommentierend begleitet. Bestehend aus Mitgliedern des Dortmunder Sprechchors waren sie entsprechend wie „Untote“ maskiert und sorgten für einen gewissen Grusel.

Der Fokus lag auf die beiden Königinnen. Linda Elsner (Elizabeth) und Marlena Keil (Mary) lieferten sich erbitterte Duelle, die ihren Höhepunkt beim gemeinsamen Treffen im Park fand. Eine tolle Leistung beider Schauspielerinnen.

Vielleicht war die Gebärmutter ein wenig wuchtig für das kleine Studio, aber es war sehr beeindruckend, wenn er gefährlich rot glühte. Von daher auch ein Lob an den Ausstatter Günter Hans Wolf Lemke.

Sind Frauen die besseren Herrscherinnen? Gäbe es ohne sie keine Kriege, Not und Elend? Mary scheint es zu glauben, denn „Eine Königin ohne König ist gar nicht. Aber eine Königin mit einer anderen Königin ist alles.“ Auch Elizabeth ist hoffnungsvoll“ Gemeinsam können wir diese Welt erheben, die nur Blut kennt, Kampf und Mord.“ Das wäre mit Sicherheit ein schöner Gedanke, doch auch Frauen sind anscheinend nicht besser, denken wir an Marie LePen oder an Giorgia Meloni, die Vorsitzende der italienischen Postfaschisten.

Auch Elizabeth muss sich letztlich entscheiden, eine gefährliche Gegenspielerin auszuschalten, die eine Bedrohung für ihre Macht sein könnte. Da scheinen Frauen nicht anders zu ticken als Männer.

Weitere Informationen zu „Queens“ finden Sie auf der Seite: https://www.theaterdo.de/produktionen/detail/queens/




Das Vieh ist noch Natur – Woyzeck zum Spielzeitauftakt

Bunt, reduziert und mit SM-Anleihen – die Inszenierung von Georg Büchners „Woyzeck“ durch Jessica Weisskirchen setzt auf skurrile Einfälle und schräge Kostüme. Die Regisseurin rückt Nebenfiguren wie den Hauptmann und den Doktor stärker in den Mittelpunkt. Die Premiere war am 09. September 2022 im Studio des Schauspielhauses.



Eigentlich ist die Geschichte von „Woyzeck“ aktuell wie nie. Es geht einerseits um einen klassischen Femizid, das heißt ein Mann tötet seine Frau/Freundin aus Eifersucht, andererseits um das Thema „psychische Erkrankung“, den das Woyzeck Probleme hat, spürt man direkt am Anfang, als er über Freimaurer fabuliert. Doch viel wichtiger: Das Stück hat auch eine gesellschaftliche Dimension. Denn Woyzeck steht in der sozialen Rangordnung ganz unten. Er verdient als Soldat nicht genug, um seine Marie zu heiraten und lässt sich daher zu Menschenversuchen ein, die zu einer Mangelernährung führen.  Das verstärkt seine psychischen Probleme immer mehr.

Weisskirchen reduziert die Personen auf vier: Marie (Linda Elsner), Hauptmann (Ekkehard Freye), Doktor (Nika Mišković) und Woyzeck (Raphael Westermeier). Durch die Kostüme erscheinen die Akteure Chimärenhaft. Besonders schön ist der Doktor, der – komplett in Weiß – wirkt wie eine Mischung zwischen Domina und einem verrückten Professor.

Die Inszenierung von Weisskirchen thematisiert das Viehische im Menschen. Oder anders gesagt, Kleidung und Erziehung haben den Tieren die menschliche Seite verliehen. Gut in der Jahrmarktszene zu erkennen: „Mensch, sei natürlich! Du bist geschaffen aus Staub, Sand Dreck! Denn was willst du mehr sein als Staub, Sand, Dreck?“ singt der Chor der Tiere und weiter „Jetzt die Kunst, geht  aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein Säbel“.

Der animalischen Seite steht der Hauptmann mit seiner Moral und Tugendbegriffen und der Doktor als Mann der Wissenschaft entgegen, die beide auf Woyzeck herabsehen, der in seiner gesellschaftlichen Stellung keinen Platz für Moral hat.

Das Tierische, oder besser Viehische kommt den Besucher*innen gleich zu Beginn entgegen, denn die Schauspieler*innen begrüßen die Zuschauer wie Tiere im Zoo oder im Zirkus, die sicher hinter Gittern sind.    

Dadurch das Woyzeck, mehrere Jobs hat, um über die Runden zu kommen, hetzt er durch das Stück, das das Bühnenbild aufnimmt, indem es sich in ein Karussell verwandelt und Schwung aufnimmt.  Auch gelungen war die Szene, als Woyzeck in einem Popcornwagen saß, der mit Erbsen (aus Papier) gefüllt war und vom Doktor über die Bühne gezogen wurde.

Jessica Weisskirchen sorgt mit ihrer Inszenierung für einen neuen Einblick in den allzu bekannten Stoff und findet mit Günter Hans Wolf Lemke einen idealen Partner für Bühnenbild und Kostüme.

Weiter Termine und Informationen: www.theaterdo.de




Auf der Suche nach dem Femininen – Cherchez la femMe

Es ist schon ziemlich interessant, woher der Begriff „Cherchez la femme“ stammt. Es stammt aus den französischen Kriminalromanen des 19. Jahrhundert, wonach die Kriminalisten nach einem schlauen verbrecherischen Anschlag nach der Frau suchen sollten, die dahinter steckt. Doch das Stück „Cherchez la femme“, welches am 30. April 2022 im Studio des Schauspielhauses Premiere feierte, war kein Kriminalstück. Es ging mehr um die Rolle des Femininen in der Performance.

Was würde passieren, wenn Claude Cahun, Josephine Baker und Eartha Kitt in einem Raum zusammen geholt werden? Wäre das überhaupt historisch möglich gewesen. Ja, Claude Cahun (1894-1954), Josephine Baker (1906-1975) und Eartha Kitt (1927-2008) hätten sich beispielsweise nach dem Zweiten Weltkrieg auf Jersey treffen könne, wo Cahun lebte.

v.l.n.r. Linda Elsner, Iman Tekle, Christopher Heisler und Sarah Yawa Quarshie (Foto: © Birgit Hupfeld)
v.l.n.r. Linda Elsner, Iman Tekle, Christopher Heisler und Sarah Yawa Quarshie (Foto: © Birgit Hupfeld)

Die Surrealistin, Fotografin und Schriftstellerin Cahun hätte mit der Josephine Baker und Eartha Kitt sicher einiges zu besprechen gehabt. Alle drei waren neben ihren Berufen auch gesellschaftlich engagiert. Cahun war homosexuell und lebte mit Suzanne Malherbe zusammen und verwandelte ihr Atelier in einen Salon. Josephine Baker wurde als Tänzerin weltbekannt, war aber auch in der Résistance und kämpfte gegen Rassismus. Die Sängerin Eartha Kitt wandte sich ausgerechnet im Weißen Haus gegen den Vietnamkrieg, was ihre Karriere für Jahrzehnte zurückwarf.

Sarah Yawa Quarshie, Linda Elsner, Christopher Heisler und als Gast Iman Tekle entwickelten in „Cherchez la femme“ die Suche nach dem Femininen. Zunächst wirkte die Bühne wie nach einer Oarty in einer Frauen-WG. Dabei wurden ein paar Szenen aus dem Leben der drei Vorbilder präsentiert. Cahun mit ihren Fotografien, die mit dem Geschlechterbild Mann/Frau spielte, Baker hatte eine Tanzeinlage und Kitt zeigte sich in ihrer ersten Rolle als „Catwoman“.

Musik und Choreografien gab es reichlich, nicht nur in der Szene mit Josephine Baker, Songs wie „New York“ und „Would I lie to you“ belebten das Stück. Daneben sorgte die „Backshow“ mit dem Rezept für die perfekte Frau für einige Lacher im Publikum. Auch insgesamt war das Stück unterhaltsam.

Auch wenn wir einige Aspekte des Femininen erleben durften, wir werden uns wohl weiterhin auf die Suche nach der Frau machen. „Cherchez la femme“ ist ein kleines, schönes Studiostück.




Ödipus meets Fargo auf dem Mars

Wild ging es her auf der Studiobühne am 16. Dezember 2021. Denn die Premiere von „Ödipus auf dem Mars“ war ein besonderer Ritt von eines der ältesten Sagen hin zu aktuellen Raumfahrplänen von Milliardären. Die Inszenierung von Florian Hein brachte Erinnerungen an die Zeit von Kay Voges zurück.

Ödipus ist sicher eine der ältesten Sagen der Welt. Kurz gesagt, ein Mann, der seinen Vater tötet und seine Mutter heiratet. Vorher überlistet er die Sphinx. Angeblich soll die Geschichte aus dem alten Ägypten stammen, wo Inzest in der Herrscherfamilie ja nicht unbekannt war. Beispielsweise waren Tutenchamuns Eltern Geschwister. Sigmund Freud hat Ödipus in seinen Ödipuskomplex verwurstet.

Lola Fuchs, Christopher Heisler und Linda Elsner bei "Ödipus auf dem Mars" (Foto: © Birgit Hupfeld)
Lola Fuchs, Christopher Heisler und Linda Elsner bei „Ödipus auf dem Mars“ (Foto: © Birgit Hupfeld)

Und was hat das mit dem Ödipus zu tun? Nun, zunächst begrüßte uns Peggy, aus der zweiten Staffel von „Fargo“, die zu verheimlichen versucht, dass sie einen Menschen überfahren hat und ihren Mann als Alibi benötigt.

Danach verwandelte sich die Szenerie. Im Studio stand eine große Box, in der die drei SchauspielerInnen Linda Elsner, Lola Fuchs und Christopher Heisler, als weiß gekleidete Damen auf ihre Therapiesitzung warteten (Freud!). Zu Beginn wurde noch über die Städtische Theaterkultur debattiert, ein kleiner Seitenhieb auf sich selbst und die Rolle des Theaters in der Stadtgesellschaft.

Zwischendurch trat der Sprechchor auf (in Schwarz) und brachte die Handlung mit Ödipus nach vorne. Das Ende spielte auf dem Mars und gehörte der Grafiknovel „Watchmen“.

Für Liebhaber griechischer Tragödien wird dieser Abend sicher nichts. Doch wer Spaß an einer leicht abgedrehten Stückentwicklung hat, von der Verwandlung von antiken Helden in moderne Superhelden, von Schauspielern auf der Bühne, von gefilmten hinter Bühne und vom Dortmunder Sprechchor, sollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Auch wenn wir zu Beginn gewarnt wurden, der Humor kommt in den 90 Minuten definitiv nicht zu kurz.




Der Platz – Der Aufstieg führt zur Sprachlosigkeit

Am 30. Oktober 2021 feierte das Theaterstück „Der Platz“ seine Premiere im Schauspielhaus. Die Regisseurin und Intendantin Julia Wissert inszenierte den Roman von Annie Ernaux als Monologstück, das von sechs Schauspieler*innen getragen wurde.

Die Geschichte der Familie von Ernaux ist beinahe typisch und kam so ähnlich auch in meiner Familie vor. Mein Urgroßvater kam aus einer ländlichen Gegend in der Nähe von Posen und landete 1900 in Dortmund. Mein Großvater und Vater waren beide Bergleute, also Arbeiter, während ich den „Aufstieg“ Dank meines Studiums „geschafft“ habe. Bei Ernaux ging es ähnlich vonstatten, arbeitete der Großvater noch auf dem Land, begann ihr Vater in der Fabrik, um sich später eine Gaststätte samt Laden zuzulegen. Das war ein Aufstieg in die Mittelschicht.

Antje Prust, Linda Elsner, Raphael Westermeier, Lola Fuchs, Marlena Keil und Mervan Ürkmez (Foto: © Birgit Hupfeld)
Antje Prust, Linda Elsner, Raphael Westermeier, Lola Fuchs, Marlena Keil und Mervan Ürkmez (Foto: © Birgit Hupfeld)

Dennoch schien ihr Vater immer zwischen den beiden Klassen zu wandern. Einerseits fand er die Sprache der einfachen Leute negativ. „Für meinen Vater war das Patois etwas Altes, Hässliches, ein Zeichen gesellschaftlicher Unterlegenheit. Er war stolz darauf, es abgelegt zu haben.“

Seine Tochter, die Erzählerin schafft den Einstieg in das Bürgertum, in der andere Werte zählten. Damit hatte sie zunächst Schwierigkeiten. „Ebenso brauchte ich Jahre, bis ich die übertriebene Freundlichkeit ‚verstand‘, mit der gebildete Menschen etwas so Simples wie „guten Tag“ sagten.“

Doch je mehr sich die Tochter von ihren Eltern entfremdet, desto deutlicher wird der soziale Unterschied, zumal sie einen Mann aus dem Bildungsbürgertum geheiratet hatte „Wie sollte ein Mann, der ins Bildungsbürgertum hineingeboren worden war, mit einer ironischen Grundhaltung, sich in der Gesellschaft rechtschaffener Leute wohlfühlen, deren Liebenswürdigkeit, die er durchaus sah, in seinen Augen niemals das entscheidende Defizit wettmachen können, die Unfähigkeit, ein geistreiches Gespräch zu führen.“

Die Bühne war stark reduziert. Ein Gartenhäuschen als Reminiszenz an den Vater, der gerne im Garten gewerkelt hatte. Dazu viele Gartenutensilien aus Plastik. Am linken Rand stand ein Pult, auf dem die Musikerin houaïda passende Musik und Gesang beisteuerte. Auch wenn Antje Prust, Linda Elsner, Lola Fuchs, Marlena Keil, Mervan Ürkmez und Raphael Westermeier in ihren bunten Kostümen einen guten Job machten, eigentlich ist „Der Platz“ in dieser Form ein Monodrama, ein Einpersonenstück. Denn es berichtet eigentlich nur die Erzählerin und andere Figuren tauchen nicht auf. Das wäre sicherlich noch intensiver geworden und beispielsweise Marlena Keil hat dies bei „Die Erzählung der Magd Zerline“ von Hermann Broch bereits unter Beweis gestellt, das so etwas sehr gut funktioniert.

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Im Strom der Gedanken – Das Mrs. Dalloway Prinzip / 4:48 Psychose

Mit „Das Mrs. Dalloway Prinzip“ von Virginia Woolf und „4:48 Psychose“ von Sarah Kane präsentierte das Schauspielhaus Dortmund am 25. September 2021 eine doppelte Premiere. Beide Stücke, die durch eine Pause getrennt waren, verband eine gemeinsame Ästhetik. Ein Premierenbericht …

Auch wenn beide Stücke zeitlich weit auseinanderliegen, Woolf schrieb „Mrs. Dalloway“ 1925 und „4:48 Psychose“ 1998/99 gibt es einiges, was beide verbindet. Beide Stücke sind von einer Frau geschrieben, beide Autorinnen kämpften gegen ihre psychischen Krankheiten und stellen eine Frau in den Mittelpunkt, auch wenn es bei „4:48 Psychose“ nicht explizit erwähnt wird, so ist der Text von Kane wohl aus eigenem Erleben geschrieben. In beiden Texten geht es auch um das gescheiterte Verhältnis zwischen Psychiater und Patienten, bei Sarah Kane steht das im Mittelpunkt des Stücks. Hinzu kommt noch, dass beide Texte dem Genre des „Stream of consciouness“ (Gedankenstroms) zuzuordnen sind. Bei dieser Literatur werden die Gedanken und Gefühle der handelnden Person beschrieben, wie sie aus ihnen hinauszufließen scheinen.

Szene aus "Das Mrs. Dalloway Prinzip": (v.l.n.r.) Raphael Westermeier, Linda Elsner, Bettina Engelhardt, Nika Mišković und Adi Hrustemović. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Szene aus „Das Mrs. Dalloway Prinzip“: (v.l.n.r.) Raphael Westermeier, Linda Elsner, Bettina Engelhardt, Nika Mišković und Adi Hrustemović. (Foto: © Birgit Hupfeld)

„Mrs. Dalloway“ spielt im England nach dem Ersten Weltkrieg und beschriebt zum einen eine Gruppe von Menschen aus der Oberschicht, die sich in eine neue Zeit zurechtfinden muss, sowie von Personen, die den Krieg zwar physisch, aber nicht psychisch überlebt haben. IM Mittelpunkt steht die Titelgeberin Clarissa Dalloway, die standesgemäß verheiratet war, aber immer noch Gefühle für den wiederkehrenden Peter Walsh zu haben scheint, der sich vor langer Zeit nicht getraut hatte, sie damals zu fragen. Clarissa erinnert sich zudem auch an eine kurze lesbische Episode. Der zweite Erzählstrang handelt von Septimus Warren Smith, der durch den Krieg schwer psychisch geschädigt wurde und sich letztlich umbringt, trotz der vergeblichen Bemühungen seiner behandelnden Ärzte.

Selen Kara legte den ersten Teil wie eine Art Schachpartie an. Die Erzählerin (Linda Elsner) bewegt die Figuren auf ihre jeweiligen Positionen und lässt die dann agieren. Dazu ist die Bühne (Lydia Merkel) samt Kostüme (Anna Maria Schorles) in schwarz-weiß gehalten, alles ist reduziert, nur ein Baum mit Schreibmaschinenseiten als Element. So ist der Fokus der Zuschauenden unweigerlich auf die Schauspielerinnen und Schauspieler gerichtet.

Für den zweiten Teil hat sich Kara einen weiteren Kniff ausgedacht. Kann man „4:48 Psychose“ auch als Monolog aufführen, so splittete die Regisseurin den Text über die sieben Akteurinnen und Akteure. Der Text ist sehr eindringlich und erzählt, dass die Autorin nur um 4:48 „wach“ ist, das heißt, wenn die Medikamente keine Wirkung mehr haben. Dann wird der Geist klar, aber auch der Wahnsinn hält Einzug. Der Text liest sich stellenweise wie eine Anklage gegen eine Psychiatrie, die versucht hat, den Patienten nur mittels chemischen Keulen unter Kontrolle zu bekommen und weniger den Menschen hinter der Krankheit zu sehen. Somit ist das Schicksal der Erzählerin aus „4:48 Psychose“ ähnlich wie dem von Septimus aus dem ersten Teil. „Sie haben eine glänzende Karriere vor sich“, sagt Dr. Bradshow am Ende zu Septimus, anscheinend ohne zu ahnen wie sich sein Patient fühlt. Und der Psychiater fragt bei Sarah Kane: „Sie haben sehr viele Freunde. Was geben Sie Ihren Freunden, dass sie so hilfsbereit sind?“

Auch wenn zwischen den beiden Stücken über 70 Jahre liegen, es gibt doch erstaunliche Gemeinsamkeiten, die Regisseurin Selen Kara sauber herausarbeitet. Dabei hilft ihr das Ensemble, bestehend aus Linda Elsner, Bettina Engelhardt, Christopher Heisler, Adi Hrustemović, Nika Mišković, Antje Prust und Raphael Westermeier. Ein sehr intensiver Theaterabend, der sich auf alle Fälle lohnt.

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