Drei Sekunden Gegenwart – Kunst im flüchtigen Moment

Wie lange dauert das Jetzt? Neurowissenschaftler sagen: etwa drei Sekunden. Dann wird der Augenblick schon zur Erinnerung. Die Ausstellung „DREI SEKUNDEN“ im Künstlerhaus Dortmund widmet sich genau diesem kurzen Zeitfenster – und dem, was verschwindet, kaum dass es da ist.

Von Wellen und unsichtbarer Musik
Julius von Bismarck zeigt in Den Himmel muss man sich wegdenken (2014) eine Riesenwelle im Sturm, die wie eine abstrakte Landschaft wirkt. Mit einer Hochgeschwindigkeitskamera eingefangen, wird aus einem Sekundenbruchteil ein meditatives Bild. William Engelen hingegen macht Musik hörbar, wo keine ist: In À la Gould „spielen“ Pianisten Bachs Goldberg-Variationen auf einer unsichtbaren Tastatur. Zu hören sind nur Atem, Rascheln und Bewegung. Es ist eine poetische Umkehrung von Glenn Goulds Suche nach Perfektion.

Staub, Leere und vergängliche Netze
Igor Eškinja präsentiert Silhouetten aus Staub. Abbilder von Besuchern, die sich langsam auflösen. Sabrina Fritsch lässt in einem überdimensionalen Setzkasten viele Fächer leer und platziert in einigen feine Malereien, die nur im Streiflicht schemenhaft Körper andeuten. Monika Grzymala spannt ein Netz aus Klebeband durch den Raum, das mit der Zeit zerfällt.

Die gegenwart besteht aus etwa drei Sekunden. Das Künstlerhaus Dortmund zeigt verschiedene Positionen dazu.
Die Gegenwart besteht aus etwa drei Sekunden. Das Künstlerhaus Dortmund zeigt verschiedene Positionen dazu.

Körper als Zeichenstift und Licht aus der Zukunft
Moonjoo Kim machte bei der Eröffnung mit Body print ihren Körper zum Zeichenwerkzeug: Mit Tinte und wiederholten Bewegungen hinterließ sie Spuren von Zeit und Präsenz. Gregor Schneider fotografierte menschenleere Orte in Neurath, deren Himmel von violett-pinkem Gewächshauslicht verfremdet wird. Unheimlich und real zugleich.

Digitale Himmel
Das Künstlerkollektiv Troika entfernte bei Apple-Desktop-Hintergründen alle Landschaften und ließ nur den Himmel stehen. Obsolete Landscapes hinterfragt so den digitalen Umgang mit Natur und die Idee, dass sie ersetzbar sei.

„DREI SEKUNDEN“ zeigt: Gerade im Verschwinden liegt die Intensität des Erlebens. Die Ausstellung läuft noch bis zum 14. September 2025 im Künstlerhaus Dortmund.




DIS/CONNECT – Netzwerke, Muster, Brüche

Netzwerke sind allgegenwärtig: sichtbar und unsichtbar, geordnet und chaotisch. Sie verbinden Menschen, Städte, Maschinen und Informationen – aber auch Naturphänomene, wirtschaftliche Strukturen und politische Entwicklungen. Die Ausstellung DIS/CONNECT im Künstlerhaus Dortmund nimmt diese Netzwerke in den Blick und zeigt, wie sie entstehen, sich verändern – und manchmal auch scheitern. Die gezeigten fotografischen Arbeiten machen deutlich: Zwischen Ordnung und Chaos, Struktur und Zufall entsteht eine fragile Balance, die unsere Gegenwart prägt.

Die beteiligten Künstler:innen greifen das Thema auf ganz unterschiedliche Weise auf – dokumentarisch, poetisch, experimentell oder politisch. Dabei verbinden sich persönliche Perspektiven mit gesellschaftlichen Beobachtungen, technische Verfahren mit gestalterischer Freiheit.

 

Zwischen Gewalt, Erinnerung und visuellen Codes

Elmar Mauch setzt sich in seiner Serie Nur die Toten mit unterschwelliger männlicher Aggression auseinander. Aus gefundenen Alltagsfotos schafft er mittels Collage irritierende Szenen, die gesellschaftlich tief verankerte Gewaltmuster sichtbar machen.

Auch Daniela Risch hinterfragt Sehgewohnheiten – allerdings auf formaler Ebene. Sie verwendet fotografische Techniken entgegen ihrer üblichen Funktion und schafft so Kunstwerke, die sich einer Reproduzierbarkeit weitgehend entziehen, da sie zu Unikaten werden.

Das Plakatmotiv der Ausstellung "Dis/connect" im Künstlerhaus. Titelgrafik (c) Debra Ando)
Das Plakatmotiv der Ausstellung „Dis/connect“ im Künstlerhaus. Titelgrafik (c) Debora Ando)

Markus Kaesler reagiert mit seiner fortlaufenden Serie vanitas auf den Krieg in der Ukraine. Für jeden Tag des Krieges zerstört er ein Foto und verwandelt das Silber der ursprünglichen Aufnahme in ein abstraktes Bild. Die Arbeiten wirken wie stille Mahnmale – konkret im Anlass, aber offen in ihrer Wirkung.

 

Landschaften des Umbruchs

Die Auswirkungen menschlichen Handelns auf Umwelt und Natur stehen im Fokus mehrerer Arbeiten:
Marike Schuurman dokumentiert mit Toxic künstlich geschaffene Seen in ehemaligen Braunkohletagebaugebieten. Ihre Polaroids, in giftigem Wasser entwickelt, zeigen die trügerische Schönheit dieser Orte – zwischen Zerstörung und neuer Nutzung.

Ein ganz anderes Naturphänomen untersucht das Duo Sabine Bungert & Stefan Dolfen. Ihre Serie zeigt, wie die invasive Pflanze Kudzu ganze Landschaften im Süden der USA überwuchert. Was auf den ersten Blick märchenhaft wirkt, ist in Wahrheit Ausdruck ökologischer Kontrolle und Unkontrollierbarkeit zugleich.

Gabriele Engelhardt richtet ihren Blick auf Rohstoffe und industrielle Überbleibsel. In ihrer Serie raw material verwandelt sie Materialberge aus Recyclingprozessen in fotografische Skulpturen. So entstehen eindrucksvolle Bilder, die Fragen nach Wert, Kreislauf und Verantwortung aufwerfen.

 

Stadt, Struktur und Utopie

Die gebaute Umwelt – und ihre Versprechen – ist ebenfalls Thema der Ausstellung:
Anna Thiele zeigt in ihren Fotografien die Architektur von Einfamilienhaussiedlungen am Rande Berlins. Der Traum vom Eigenheim wirkt hier gleichförmig und dennoch widersprüchlich: modular, verdichtet – und merkwürdig menschenleer.

Norman Behrendt nimmt sich in Exit den Notausstiegen der Berliner U-Bahn an. Diese architektonischen Elemente, meist unbeachtet, werden bei ihm zu rätselhaften Portalen – Ausdruck einer unter der Oberfläche lauernden Unsicherheit im städtischen Raum.

Auch Florian Bong-Kil Grosse richtet seinen Blick auf urbane Alltagsmomente: In einer Serie von Schwarzweißfotos beobachtet er Menschen mit Zeitungen aus der Vogelperspektive. Der einheitliche Bildausschnitt und die rhythmische Hängung der Bilder verleihen dem scheinbar Banalen eine fast choreografische Wirkung.

 

Arbeit, Identität und gesellschaftliche Dynamiken

Katharina Gruzei zeigt in ihrer Serie Bodies of Work eindrucksvolle Bilder aus einer Donau-Schiffswerft. Die industriellen Arbeitsräume werden bei ihr zu futuristisch anmutenden Szenen – fast schwerelos, zwischen Gegenwart und Imagination.

Lee Chang Ming hingegen begibt sich in seine persönliche Vergangenheit: Er verarbeitet Erfahrungen aus dem Militärdienst in Singapur. Der dortige Dschungel, einst kolonial geprägt, wird für ihn zu einem Ort queerer Selbstverortung und ökologischer Vielfalt – abseits normierter Identitäten.

In Mirages thematisiert Duy-Phuong Le Nguyen den Kontrast zwischen Hochglanzwerbung und Wirklichkeit. In nächtlichen Aufnahmen zeigt er Leuchtreklamen in Vietnam, die luxuriöses Wohnen versprechen – aber inmitten einer Realität stehen, in der viele Menschen kaum Zugang zu diesen Verheißungen haben.

 

Ein Netz aus Perspektiven

Die Ausstellung DIS/CONNECT bringt vielfältige Sichtweisen zusammen – fotografisch, formal, inhaltlich. Die gezeigten Arbeiten greifen das Thema Netzwerk auf, indem sie Beziehungen herstellen: zwischen Menschen und Orten, Vergangenheit und Gegenwart, Sichtbarem und Unsichtbarem. Dabei wird deutlich: Das Verbindende ist oft auch das Trennende – und gerade darin liegt die Spannung unserer Zeit.

 

Fotograf:innen
Norman Behrendt, Sabine Bungert & Stefan Dolfen, Gabriele Engelhardt, Florian Bong-Kil Grosse, Katharina Gruzei, Markus Kaesler, Duy Phuong Le Nguyen, Lee Chang Ming, Elmar Mauch, Daniela Risch, Marike Schuurman, Anna Thiele

Kurator: Jens Sundheim

Ort: Künstlerhaus Dortmund
Sunderweg 1, 44147 Dortmund

Zeitraum: 13. Juni – 13. Juli 2025
Eröffnung: Samstag, 14. Juni 2025, 20:00 Uhr

Öffnungszeiten:

  • 13.–15. Juni: Fr–So, 11:00–18:00 Uhr
  • 16. Juni – 13. Juli: Do–So, 16:00–19:00 Uhr
  • Donnerstag, 19. Juni (Feiertag): regulär geöffnet

Zeitgleich findet in der ersten Etage des Künstlerhaus die Ausstellung „Schwarzseite Projekt“ statt. Die zweite Ausgabe des Projektes zeigt 19 Positionen aus acht Ländern, die unterschiedliche Ansätze, Themen und Techniken zeigen.




Bitte Gummistiefel mitbringen – eine Ausstellung über Wasser, Wandel und Witz

Wasser ist überall: als Urlaubstraum am Meer, als Eiswürfel im Getränk, als H₂O in der Chemie oder als Dihydrogenmonoxid (was übrigens einfach nur Wasser ist – klingt nur gefährlicher). Es ist die Quelle allen Lebens und gleichzeitig eine ständige Bedrohung: Steigende Meeresspiegel, Tsunamis, Dürre. Die Ausstellung Please Bring Rubber Boots im Künstlerhaus Dortmund lädt noch bis zum 18. Mai 2025 dazu ein, genau diesem Spannungsfeld zu begegnen – mal poetisch, mal spielerisch, mal kritisch. Und manchmal mit nassen Füßen. Die Kuratorin ist Janna Banning.

Musik aus Luftverschmutzung: Iceberg 1410

Alfredo Ardia verwandelt ein altes, freigelegtes Klavier in ein atmosphärisches Klangkunstwerk. Über ein verborgenes elektromagnetisches System, das von einem Computer gesteuert wird, wird das Instrument mit Echtzeitdaten zur Luftqualität aus Dortmund gefüttert. Diese Daten erzeugen Töne, indem die Tasten bewegt und die Saiten zum Schwingen gebracht werden. So wird Umweltverschmutzung zu Musik – oder zu einem klanglichen Mahnmal.

Haus mit Motor: Motor Home

Willem de Haan hat für das Watersnoodmuseum in den Niederlanden ein halbes Haus entworfen, das langsam untergeht – sich aber dank eines Außenbordmotors munter durch das Wasser bewegt. Was zuerst absurd und humorvoll wirkt, entpuppt sich als bitterernste Auseinandersetzung mit dem Klimawandel. Die dazugehörige Videodokumentation wird im tief liegenden Keller des Künstlerhauses gezeigt – ein Ort, der nicht nur früher Zugang zu einem Kohleschacht war, sondern heute regelmäßig vom Hochwasser heimgesucht wird. Eine Ausstellung, die buchstäblich unter die Oberfläche geht.

Zwischen Poesie und Pfütze: Krzysztof Gruse

Krzysztof Gruse ist Maler und Poet. Seine Werke schwanken zwischen Nähe und Distanz, zwischen Melancholie und feinem Humor – ein innerer Monolog in Farbe. Besonders eindrücklich ist, wie Gruse das Gefühl des Alleinseins ohne Einsamkeit (und umgekehrt) in seinen Arbeiten spürbar macht. Seine Bilder sagen: „Warte mal kurz – fühlst du das auch?“ Ja, man fühlt es. Und man bleibt einen Moment länger stehen.

Sandburgen mit Tiefgang: Jaap Scheeren

„Reich mir die Hand, ich bau dir ein Schloss aus Sand“, sang Nena. Und Jaap Scheeren tut genau das – aber mit Kamera. Seine riesigen Sandschlossfotos hängen auf Stoff gedruckt im Raum und wecken Kindheitserinnerungen. Doch auch hier liegt der Ernst unter der Oberfläche: Die Bauwerke aus Sand stehen für Vergänglichkeit und den ewigen Kreislauf von Aufbauen und Wegspülen.

Scheeren fotografiert mit einem neugierigen, fast kindlichen Blick – ehrlich, direkt und mit einem charmanten Hang zur Absurdität. Und gerade das macht seine Arbeiten so zugänglich und gleichzeitig tiefgründig.

Nasse Füße als Diagramm: Time To Get Wet Feet

In ihrer Fotoserie zeigen die Künstlerinnen Maartje & Merel, wie zwei Füße langsam vom Wasser verschluckt werden. Die Serie visualisiert den erwarteten Meeresspiegelanstieg bis 2050 – etwa 17 cm höher als heute. Ihre Botschaft ist klar: Wenn wir nicht bald handeln, stehen wir wortwörtlich im Wasser. Und zwar alle.

Zur Ausstellung "Please bring rubber boots" im Künstlerhaus gibt es auch Merch wie diese Socken hier.
Zur Ausstellung „Please bring rubber boots“ im Künstlerhaus gibt es auch Merch wie diese Socken hier.

PET-Flaschen und Marmor: Helmut Smits

Helmut Smits bringt gleich zwei starke Arbeiten mit: eine Installation aus durchsichtigen PET-Flaschen, die im Licht funkeln wie ein Supermarktregal für Mineralwasser – und gleichzeitig eine Kritik an Konsum und Klimawandel darstellen.

Und dann liegt da noch ein kleiner Schneeball – aus edlem Carrara-Marmor – unter einer Glashaube. Wie ein Museumsobjekt aus einer Zeit, in der es noch Schnee gab. Schön, kühl, ein bisschen traurig. Und vielleicht der letzte seiner Art.

Wasserlandschaften im Inneren: Once we were river

Maud van den Beuken führt uns in das Herz einer Wasserpumpstation in der niederländischen Deltalandschaft. Mit ruhiger Stimme und filmischer Präzision wird der Zuschauer Teil der Beziehung zwischen Land, Mensch und Wasser. Der Film zeigt, wie sehr wir unsere Umwelt gestalten – und wie fragil dieses Gleichgewicht ist. Deiche, Dämme, Schleusen: Alles Menschenwerk, alles Versuch, das Wasser in den Griff zu bekommen. Doch wer kontrolliert hier eigentlich wen?

Ein Eis gegen den Klimawandel: The Ice Shop

Je wärmer es wird, desto schneller schmilzt das Eis – sei es am Stiel oder an den Polkappen. Nur: Während ein geschmolzenes Erdbeereis nur klebrige Hände hinterlässt, bedeutet das Schmelzen der Pole überflutete Städte und zerstörte Lebensräume.

Künstlerin Merel Witteman nimmt diese Tatsache zum Ausgangspunkt für The Ice Shop: eine Installation, in der man ein Eis schlecken kann, das symbolisch den gefrorenen Meeresspiegelanstieg darstellt. Die Frage, die sich dabei stellt: Wollen wir wirklich versuchen, das Meer wieder einzufrieren – oder sollten wir nicht lieber unsere Emissionen auf Eis legen?

Schönheit am Abgrund: Thomas Wrede

Thomas Wrede zeigt Fotografien der mit Folien verhüllten Eisgrotte des Rhonegletschers in der Schweiz. Die Plastikplanen, ausgelegt zum Schutz vor der Sonne, erinnern in ihren Falten an barocke Gewänder – eine irritierend schöne Ästhetik.

Doch diese Schönheit trügt: Hinter den Bildern steckt ein verzweifelter Versuch, das Schmelzen der Gletscher aufzuhalten. Die Fotografien zeigen eine stille Tragödie – und fordern auf, genau hinzusehen.

Fazit: Kunst mit Tiefgang (und manchmal Gummistiefeln)

Please Bring Rubber Boots ist mehr als eine Kunstausstellung – es ist ein Rundgang durch emotionale, gesellschaftliche und ökologische Wasserwelten. Mit Humor, Ernst, Poesie und Experimentierfreude zeigen die Künstler:innen, wie nah Schönheit und Katastrophe beieinanderliegen können. Und wie wichtig es ist, beides nicht zu übersehen – selbst wenn man dabei nasse Füße bekommt.

 




Was erschafft ein Werk zum Leben? I am not my body im Künstlerhaus

Die Aussage „Ich bin nicht mein Körper, ich habe einen Körper“ wirft eine tiefgründige Frage nach Identität und Bewusstsein auf. Ist der Mensch mehr als das, was physisch sichtbar ist? Wissenschaftler würden diese Aussage kritisch betrachten.In den Neurowissenschaften und der Biologie gilt der Körper als untrennbar mit dem Geist verbunden. Das Gehirn als Steuerzentrale ist für Denken, Fühlen und Handeln verantwortlich. Doch wir befinden uns im Dortmunder Künstlerhaus, wo die Ausstellung „I am not my body“ bis zum 16. März acht verschiedene künstlerische Positionen präsentiert.

Rauminstallationen und körperliche Transformationen

Isabella Fürnkäs hat für die Ausstellung eine besondere Raum- und Klanginstallation geschaffen. In einem Netz, das von der Decke hängt, schweben 220 kunstvoll gestaltete Glastropfen. Sobald jemand den Raum betritt, wird ein Klang aktiviert, der sich mit dem Thema „The Desiring Machines“ (auf Deutsch: „die Wunschmaschinen“) beschäftigt. Die Klänge führen die Besucher*innen auf eine imaginäre Reise durch den menschlichen Körper – von seinen Bedürfnissen und Abläufen bis hin zum Kreislauf der Körperflüssigkeiten.

Andrea Knoblochs Zeichnungen zeigen, wie Körper durch Eingriffe und Veränderungen entstellt oder plötzlich verwandelt werden könnten. Hinter der glatten, optimierten Fassade verbirgt sich etwas Unheimliches. Die Zeichnungen sind auf Papier entstanden, das zunächst mechanisch bearbeitet, gefärbt oder durch Reibetechniken verändert wurde. Darauf erscheinen seltsame, aus der Ordnung geratene Wesen, die in undefinierten Räumen gefangen wirken. Diese Werke spiegeln das extreme Bedürfnis des Menschen wider, seinen Körper zu formen und zu kontrollieren – ein Zeichen dafür, wie sehr er sich von der Natur entfernt. Nichts bleibt mehr ein Geheimnis oder wundersam. Doch könnte die Kunst ein Zufluchtsort sein, in dem das Unbekannte und Unergründliche wieder Platz finden?

I am not my body: Was ist die Substanz, die die Menschen belebt?
I am not my body: Was ist die Substanz, die die Menschen belebt?

Das als One-Shot entstandene Video „Earth Rhythms“ (2020) zeigt die Künstlerin Ayumi Paul auf einer Betonfläche stehend, die zum Teil von tropischen Baumgipfeln überragt wird. Während sie mit ihrer Violine in die Rotation der Erde einstimmt, wird der Himmel nach und nach, fast unmerklich, dunkler. Nachdem alles Sichtbare in der Dunkelheit verschwunden ist, klingt das Spiel in den Rhythmen des sich drehenden Planeten weiter.

Zwischen Idee und Wahrnehmung

Jeannette Schnüttgens Kunst bewegt sich zwischen Zeichnung, Skulptur und Installation. Oft beginnt sie mit einer konkreten Idee, einer Erinnerung oder einem besonderen Moment, den sie künstlerisch weiterentwickelt. Für ihre plastischen Werke erstellt sie häufig eine Art Prototyp, den sie dann in verschiedenen Variationen umsetzt. Sozusagen „Übergangsprozesse“. Für das Künstlerhaus Dortmund plant sie eine neue Arbeit, die speziell für diesen Ort geschaffen wird. Dabei beschäftigt sie sich mit Dingen, die nicht greifbar oder nur kurz wahrnehmbar sind. Sie interessiert sich besonders für das Unklare, das Uneindeutige und Übergangszustände, die zwischen verschiedenen Zuständen liegen.

Gegen 5 Uhr morgens ist ihre Zeit: Dann befindet sich Bettina Scholz in einer Art Zwischenraum zwischen Wachen und Schlafen. In dieser Zeit fühlt sie sich besonders frei und füllt ihre Skizzenbücher mit schnell wirkenden Zeichnungen. Die Skizzenbücher präsentiert sie auf Podesten. Damit die Besucher*innen diese Skizzenbücher nicht beschädigen, wird es eine Performance zum Durchblättern geben.

Jessica Maria Toliver arbeitet gerne mit wenigen Materialien und untersucht Gegensätze: etwa zwischen groben, archaischen Formen und zerbrechlicher Feinheit. Dabei interessiert sie besonders, wie das Material auf ihre Eingriffe reagiert. Der Prozess des Entstehens ist für sie genauso wichtig wie das fertige Kunstwerk. Für Toliver hat Papier eine eigene Persönlichkeit: Es ist stark und gleichzeitig empfindlich, aufnahmefähig und überraschend. Sie sieht Papier als lebendiges Material, das mit ihr kommuniziert und sie dazu einlädt, es künstlerisch zu formen. Ihre ausgestellte Arbeit „lichtes Blau“ hat eine Verbindung mit dem Tod ihres Vaters.

Jorinde Voigt beschäftigt sich in ihrer Kunst mit dem, was in uns passiert, wenn wir die Welt wahrnehmen. Sie untersucht dabei Gefühle, Erinnerungen, Vorstellungskraft, sinnliche Erlebnisse sowie natürliche und kulturelle Phänomene. Auch zwischenmenschliche Beziehungen und wissenschaftliche Daten spielen eine Rolle. Seit ihren ersten Arbeiten geht Voigt analytisch vor und betrachtet ihre Themen als etwas, das sich ständig verändert. In den letzten Jahren hat sie ihre Kunst weiterentwickelt und nicht mehr nur gezeichnet, sondern auch mit Malerei, Collagen, Skulpturen, Design und Musik experimentiert.

Der Künstler Thomas Zitzwitz stellt seine Werke in allen Räumen aus. Er ist ein Maler, der mit der Sprühpistole arbeitet. Seine Bilder wirken aus der Ferne körperlich, doch wenn man näherkommt, verflüchtigen sie sich und geben keine klare Form mehr preis.




Banality Control: Die Kunst der Banalität im Künstlerhaus Dortmund

Kunst hat seit jeher die Aufgabe, die Welt in ihrer ganzen Bandbreite abzubilden – von Schönheit und Schrecken bis hin zur Trivialität. Banalität in der Kunst fungiert dabei als Spiegel des Alltags, der uns das scheinbar Gewöhnliche bewusst macht. Manchmal wird sie zur Provokation, indem sie dazu auffordert, über das Offensichtliche hinauszudenken. Die Ausstellung Banality Control, die bis zum 19. Januar 2025 im Künstlerhaus Dortmund zu sehen ist, versammelt Werke von acht Künstler*innen, die sich mit den vielfältigen Facetten des Banalen auseinandersetzen. Kuratiert von Dirk Pleyer, erkundet die Ausstellung die ästhetische, emotionale und gesellschaftliche Dimension des Alltäglichen.

Von Staubsaugern bis Tennisplätzen

Die ausgestellten Werke zeigen eindrucksvoll, wie alltägliche Gegenstände und Szenarien in neuem Licht erscheinen können. So laden die Arbeiten von Kira Fröse dazu ein, die vertraute Welt aus einer ungewohnten Perspektive zu betrachten. In ihren Werken prallen Tischtennisbälle auf Pömpel oder werden alltägliche Objekte mit Humor und Leichtigkeit verfremdet. Diese spielerischen Interventionen erzeugen eine Spannung zwischen ästhetischer Harmonie und der Lust, die Gegenstände anfassen und erkunden zu wollen.

Einen anderen Ansatz verfolgt Klaus Geigle, der das ikonische Gemälde Die Toteninsel von Arnold Böcklin humorvoll neu interpretiert. Durch die Integration von Tennisplätzen und deren allmähliche Rückeroberung durch die Natur wird die Schwere des Originals mit subtiler Ironie gebrochen.

Diese Ausstellung enthält viel Humoriges in den ausgestellten Werken. Banality Control.
Diese Ausstellung enthält viel Humoriges in den ausgestellten Werken. Banality Control.

Das Thema Staubsaugen – ein oft übersehener, fast lästiger Teil des Alltags – wird in den Werken von Andrea Lüth und Melanie Milo zu einem zentralen Motiv. Andrea Lüth präsentiert eine riesige Zeichnung einer staubsaugenden Person, die durch ihre Dimensionen und spielerischen Details beeindruckt. Melanie Milo hingegen betrachtet in ihrer Serie Küche / Diele / Bad (Deborah) ihren Wohnraum aus der Perspektive ihres Saugroboters „Deborah“. Diese mechanische, unpersönliche Kartierung steht im Kontrast zur emotionalen Bindung an die Räume. Dabei werden Objekte wie Mülleimer oder Duschen zu abstrakten, grafischen Formen, die den Blick auf das Banale neu definieren.

Zwischen Verfremdung und Poesie des Alltags

Auch Kerstin Müller-Schiel spielt in ihrer Malerei und Keramik mit der Verfremdung. Ihre Werke bewegen sich zwischen Rätselhaftem und Uneindeutigem, wobei sie alltägliche Vorlagen wie Fotografien oder Magazinbilder in einen völlig neuen Kontext überführt. Die Ergebnisse sind Figuren und Fragmente, die sich einem klaren Dialog entziehen und eine geheimnisvolle Stille ausstrahlen.

Humorvoll und spielerisch nähert sich Klaus Sievers der Banalität. Ein Orangenbonbon, das er vor dem Künstlerhaus gefunden hat, wurde spontan Teil seiner Ausstellung. Mit solchen scheinbar unscheinbaren Objekten regt er Diskussionen an und zeigt, dass selbst das Banale eine Bühne verdient.

Wolfgang van Triel widmet sich in seinen Fotoserien der Urbanität. Er zeigt Orte, Straßen und Gebäude als lebendige Räume, die Wandel, Vergänglichkeit und Identität verkörpern. Seine Bilder wirken oft wie Lost Places und wecken ein Gefühl der Nostalgie für das Alltägliche.

Anna Vasof schließlich beeindruckt mit ihrer spielerischen Subversion. Ihre Kunst basiert auf Experimenten mit Bewegung und Zeit, in denen sie scheinbar selbstverständliche Annahmen hinterfragt. Alltagsgegenstände wie Schuhe oder Töpfe werden in ihren Werken zu Trägern sozialer Paradoxien und laden dazu ein, die Welt aus ungewohnten Blickwinkeln zu betrachten.

Wichtige Informationen zur Ausstellung

Die Ausstellung Banality Control ist bis zum 19. Januar 2025 im Künstlerhaus Dortmund zu sehen. Bitte beachten Sie die Winterpause: Vom 23. Dezember 2024 bis einschließlich 8. Januar 2025 bleibt das Künstlerhaus geschlossen. Ab dem 9. Januar 2025 ist die Ausstellung wieder geöffnet.




Guilty Pleasure, Mineral Treasure – Die Welt im Anthropozän

Die Menschheit schlägt seit jeher Wunden in die Erde, um an ihre Schätze zu gelangen. Viele Regionen der Welt sind vom Rohstoffabbau und der Industrialisierung geprägt, besonders sichtbar im Ruhrgebiet, wo die Geschichte des letzten Jahrhunderts durch die Extraktion von Ressourcen geschrieben wurde. Heute stehen die Zechen still, während die Ausbeutung von Rohstoffen außerhalb Europas stattfindet, um den westlichen Bedarf an Versorgung, Konsum und technologischem Fortschritt zu decken. Jana Kerima Stolzer & Lex Rütten kuratieren die Ausstellung.

In der Ausstellung „Guilty Pleasure, Mineral Treasure“ vom 17. August bis 6. Oktober 2024 im Künstlerhaus Dortmund entwerfen die KünstlerPraktiken und Denkspiele und laden auch zum aktiven Mitmachen ein. Sie nutzen dabei VR, Video, Installationen und interaktive Spiele.

Natur und Technologie: Die Grenze verwischt

Meischner zeigt mit zwei Werken eindrucksvoll, wie der Mensch durch technische Mittel versucht, die Natur nachzubilden und gleichzeitig zu transformieren. Der scheinbar natürliche Bambus entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Produkt aus dem 3D-Drucker. Die Beimischung von echten Bambusfasern verleiht ihm eine zusätzliche Dimension, die die Grenze zwischen natürlicher und künstlicher Beschaffenheit verwischt. Diese subtile Verschmelzung von natürlichem Material und moderner Technologie wirft Fragen nach der Authentizität und der Nachahmung der Natur auf.

Das zweite Werk, ein „Rasen“, der in die komplexen Formen eines barocken Gartens geschnitten ist, überrascht durch die Wahl des Materials: Die Grashalme bestehen aus simplen Zahnstochern. Diese ungewöhnliche Materialwahl führt zu einer neuen Interpretation des Bildes des perfekten Rasens und hinterfragt, wie weit die Nachahmung der Natur durch menschliche Erfindungsgabe gehen kann.

Spielerische Reflexion über Gier und Nachhaltigkeit

Camilo Sandoval thematisiert in seiner Arbeit „Honor Providence, Honor Good Men“ Gier und Kapitalismus. Beide Spieler haben zwei Minuten Zeit, um in Echtzeit auf derselben Karte gegeneinander anzutreten: Spieler eins muss abholzen und Mineralien wie Kobalt, Nickel und Lithium – die für die heutige Elektronikindustrie unverzichtbar sind – finden und Minen bauen, um sie abzubauen; Spieler zwei muss diese Minen zerstören und dann auf dem gerodeten Land wieder aufforsten.

Camilo Sandoval gestaltet zudem im großen Raum des Künstlerhauses ein riesiges Wandbild, das einen Ort in Kolumbien zeigt. Hier begegnen sich Menschen, denn Sandoval betont, dass wir nur durch persönliche Begegnungen unsere Zukunft gestalten können.

Künstler*innen und Kurator*innen der Ausstellung "Guilty pleasure, Mineral treasure": hinten (v.l.n.r.) Graham Livingston, Camilo Sandoval, Wiebke Meischner, Nieves de la Fuente und Lex Rutten. Vorne (v.l.n.r.) Marina Resende Santos und Jana Kerima Stolzer. Foto: (C) Phillip Michael.
Künstler*innen und Kurator*innen der Ausstellung „Guilty pleasure, Mineral treasure“: hinten (v.l.n.r.) Graham Livingston, Camilo Sandoval, Wiebke Meischner, Nieves de la Fuente und Lex Rutten. Vorne (v.l.n.r.) Marina Resende Santos und Jana Kerima Stolzer. Foto: (C) Phillip Michael.

„Matrix Vegetal“ verbindet verschiedene Ideen und Technologien, um unser Verständnis von Pflanzen und der spirituellen Welt zu erweitern. Das Video kombiniert ethnobotanische Experimente, südamerikanische Philosophien, Traumwelten und natürliche Technologien. Es zeigt, wie wir die Kommunikation zwischen Menschen und übernatürlichen Kräften wiederherstellen können. Dabei geht es um Visionen, Lehren und Wege, die uns die Pflanzenwelt vermittelt, und bietet einen poetischen Blick auf das moderne Leben, das tief mit der Erde verbunden ist. Patricia Domínguez verarbeitet in dieser hypnotischen Videoinstallation ihre Erfahrungen, die sie bei Amador Aniceto, einem Heiler aus Madre de Dios, Peru, gesammelt hat.

Zu einem virtuellen Mistkäfer werden

Nieves de la Fuente bietet in der VR-Installation „Night Companions“ die Möglichkeit, sich wie ein Mistkäfer zu fühlen. Die Besuchersitzen auf einer Kugel, die den Mistkugeln ähnelt, die diese Käfer transportieren, und navigieren durch eine Landschaft. Auf der Waldlichtung suchen sie nach Sternbildern, die ihnen helfen, Kot zu finden, den sie ihrer Kugel hinzufügen können. Mistkäfer orientieren sich am Mond oder an den Sternen. Doch wie bewältigen sie Lichtverschmutzung und die zahllosen Satelliten im Orbit?

Ein Server stößt CO2 aus, eine Pflanze bindet es. Doch wie sieht die Bilanz aus? Der Server produziert jetzt CO2, während die Pflanze Zeit zum Wachsen benötigt. Marina Resende Santos und Graham Livingston veranschaulichen dieses Verhältnis in der Installation „tendergarten.io“ experimentell. Was bedeutet es für uns, wenn wir „CO2-Zertifikate“ kaufen und neuen Wald anpflanzen? Wir produzieren CO2 jetzt, aber die Gegenmaßnahmen brauchen Zeit.

Guilty Pleasure, Mineral Treasure 17. August – 6. Oktober 2024
Öffnungszeiten der Ausstellung: Do – So 16 – 19 Uhr | Eintritt frei




Amiko Li (China/USA) präsentiert seine erste Ausstellung in Deutschland im Künstlerhaus Dortmund

Amiko Li, der international renommierte Künstler aus China und den USA, zeigt im Künstlerhaus Dortmund seine erste Ausstellung in Deutschland. Die Ausstellung mit dem Titel „Soft Target“ bietet eine eindrucksvolle Auseinandersetzung mit dem Konzept des „weichen Ziels“.

Ein „Soft Target“ bezeichnet Personen, Objekte oder Orte, die besonders anfällig für Angriffe sind, da sie weniger geschützt oder gesichert sind. Amiko Li untersucht in seiner Ausstellung, was etwas oder jemanden besonders verletzlich macht. Ist es echte Zuwendung, persönliche Geschichten, alltägliche Sprache oder Aufrichtigkeit?

In seiner Ausstellung präsentiert Amiko Li unter anderem Fotos von chinesischen Arbeitsmigranten, die in Italien für renommierte Modelabels arbeiten. Ein weiteres zentrales Thema ist das des „armen Künstlers“. Amiko Li lebt selbst von Residenz zu Residenz, was ihm zwar zahlreiche Einblicke ermöglicht, aber keine finanziellen Reichtümer bietet.

Ein Raum der Ausstellung ist mit Federn gestaltet, wobei sich Li mit der japanischen Fabel „Tsuru no Ongaeshi“ (鶴の恩返し) beschäftigt. In dieser Geschichte hilft ein Kranich einem armen Mann, indem er ihm durch das Weben von wunderschönen Stoffen aus seinen Federn zu Wohlstand verhilft.

Neben den Fotos zeigt Amiko Li auch mehrere Videos, die in verschiedenen Räumen des Künstlerhauses Dortmund präsentiert werden. Besonders beeindruckend ist, wie Amiko Li seine Ausstellung in Rekordzeit fertiggestellt hat und zahlreiche Räume des Künstlerhauses bespielt.

Amiko Li: „Soft Target“ Einzelausstellung 19. Juli – 30. Juli

Eröffnung: Freitag, 19. Juli, um 18 Uhr

Artist Talk mit Kuratorin Ara Qiu: Samstag, 27. Juli, um 16 Uhr




Raum als Ort – Was macht Kunst mit einem Raum?

Die Auswirkungen von Kunst auf einen Raum sind vielfältig und tiefgreifend. Kunst hat die einzigartige Fähigkeit, Räume zu transformieren, zu beleben und eine Atmosphäre zu schaffen, die Emotionen, Gedanken und Perspektiven beeinflusst.



Zunächst einmal kann Kunst einen Raum visuell verändern. Durch die Wahl von Farben, Formen, Texturen und Proportionen kann Kunst die Wahrnehmung des Raumes selbst verändern. Darüber hinaus kann Kunst auch eine emotionale Wirkung auf einen Raum haben. Die Stimmung eines Raumes kann durch die Art der Kunst, die darin präsentiert wird, stark beeinflusst werden. Des Weiteren kann Kunst einen Raum zum Leben erwecken und ihn zu einem Ort der Interaktion und des Austauschs machen.

Diese Beziehung zwischen Kunst und Raum thematisiert die Ausstellung „Raum als Ort, die bis zum 19. Mai 2024 im Künstlerhaus Dortmund läuft. Kuratiert wurde sie von Willi Otremba und Elly Valk-Verheijen.

Auf eine durchaus witzige Art und Weise bespielt Jonas Hohnke den großen Raum im Künstlerhaus. Denn er teilt anscheinend den Raum durch Vorhänge, aber auch wieder nicht, denn auf den Vorhängen ist der abgedeckte Teil als Foto zu sehen. Ist der Raum jetzt durch den Vorhang getrennt oder durch die Kunst immer noch „ganz“?

Im sogenannten „Totenraum“ im Keller präsentiert Suse Itzel ihre bewegenden Fliesen. Die Videoinstallation fasziniert die BesucherInnen schnell.  Eine geflieste Fläche gerät in Bewegung. Einzelne Fliesen wackeln. Die ganze Fläche schlingert, schwingt und pendelt, bis sie bricht. Das Muster gerät in Unordnung.

Die Installation von Anne Kückelhaus wirkt vielleicht auf den ersten Blick etwas morbide, denn ihr Mobile besteht aus Hundeköpfen aus Keramik. Das Ziel der Künstlerin war es, mit Schatten zu arbeiten. Zudem können die BesucherInnen mit den Hunden quasi in Kontakt treten.

Mit Licht arbeitet Yoana Tuzharova. Ihre Lichtinstallation verwandelt den Raum in eine kontrastreiche farbliche Welt, in der alle Elemente ihren Platz haben. Die Besucherinnen müssen sich im Raum bewegen, um die Feinheiten der Installation zu erfahren.

 Nicola Schudy arbeitet mit dem Schwerpunkt Installation, Objekt und Zeichnung. Ihre zumeist ortsbezogenen Installationen beziehen sich auf das atmosphärische Raumerleben genauso wie auf historische, funktionelle und architektonische Besonderheiten der jeweiligen Umgebung und weben so ein erzählerisches Geflecht zu der jeweiligen Situation.

Thilo Schölpen ist als Klangforscher und Musiker vor allem in der experimentellen Musik und Improvisation zu Hause. Er performt in unterschiedlichen Ensembles und als Solist, wobei sein Schwerpunkt in der Elektroakustik, Akusmatik und der Erfindung von Klangmöglichkeiten liegt.

Für die Räumlichkeiten des Dortmunder Künstlerhauses entwickelte Vier-Kanal-Klanginstallation, die bei der Eröffnung in einem Klangkonzert live bespielt wird.

Hanna Schneider hat in ihrer Arbeit eine simple, aber effektive Möglichkeit gefunden, den Raum und die Kunst zu verbinden. Denn jeder, der durch den Flur geht, verändert durch seine Bewegung die Statik des Kunstwerks.

Beim flüchtigen Blick könnte man meinen, dass sich Nico Pachali mit Layoutfragen beschäftigt, doch weit gefehlt. Ihn interessiert Raum als temporäre Situation und dynamische, horizontale und mobile Einheit ohne vertikale Grenzen. Seine Arbeiten sind variabel und unterliegen einem permanenten Prozess des Überdenkens, Befragens, Ordnens, Neuordnens und Re-Arrangierens.

Charlotte Perrin zeigt ihre Kunst in Raumen, die sich dem rechten Winkel zu widersetzen scheinen. Daher benutzte sie eine Schlagschnur, um die Unperfektheit dieser Räume sichtbar zu machen. Denn Charlotte Perrins Arbeiten setzen sich mit dem Verhältnis von Materialität zu Form auseinander und beziehen sich oft auf räumlichen Kontext.




Künstlerische Grüße aus Dresden

Aus Dresden kommt nicht nur Stollen, sondern auch Künstlerinnen und Künstler. Das Künstlerhaus Dortmund hat acht von ihnen eingeladen, ihre Werke vorzustellen. Doch diese acht Künstlerinnen und Künstler stehen gerade vor einem Wendepunkt: Sie haben ihr Studium bei Professor Ralf Kerbach gerade abgeschlossen und starten ihre künstlerische Laufbahn. Wohin geht die Reise? Daher heißt die Ausstellung „Cliffhanger“ wie kurz beim Ende einer Serienstaffel.



Felina Wießmann malt großformatig und figurativ. Sie benutzt Alltagsmotive, die sich in Konstruktion und Dekonstruktion abwechseln, es darf aber auch durchaus humorvoll sein.

Das Ausstellungsmotiv für "Cliffhanger". (Design: (c) Nicola Bork)
Das Ausstellungsmotiv für „Cliffhanger“. (Design: (c) Nicola Bork)

Ana Pireva malt mit selbstgemachter Tusche Bilder, die auf den ersten Blick sehr dunkel wirken. Erst danach zeigen sich Formen aus ihren abstrakt wirkenden Werken. Ihre Bilder vermitteln eine gewisse Ruhe.

Seine abstrakten Figuren zerfallen in der Fläche. Tillmann Ziola benutzt Titel für seine Werke, um einen Hinweis auf die Handlung seines Bildes zu geben. Seine ausgestellte Plastik ist etwas figürlicher.

Robert Czolkoß findet Architektur und Baustoffe spannend und hat daher als Art Kindheitserinnerung sein Jugendzimmer ins Künstlerhaus gebracht, beziehungsweise eine Schrankwand. Durch die Lage im Raum wird es dem Betrachtenden möglich, eine Auseinandersetzung mit der Formsprache zu suchen.

Christopher Putbrese arbeitet mit gefundenem Material und kombiniert in seinen Arbeiten Bild und Schrift. Putbrese beschäftigt sich mit den Momenten und Gefühlen des Alltags.

Klassische Malerei ist das Sujet von Lena Dobner. Sie malt gerne Porträts, versucht dabei durch Dekonstruktion eine eigene Bildsprache zu erschaffen. Einige ihrer Arbeiten sind durch den Ukrainekrieg beeinflusst.

Leben wir in einer Hyperrealität? Für Shengjie Zong kann diese Frage mit „Ja“ beantwortet werden. In Zeiten, in denen Smartphones den Takt angeben, ist eine Erweiterung der Realität möglich. In diesem Sinne sieht der Künstler auch seine sehr farbigen Bilder.

 Farbig sind auch die Bilder von Aren Shahnazaryan. Er verbindet Form, Farben und Linien mit kleinen Geschichten. Diese Geschichten können durchaus mit Horror, Tragik und Humor verbunden sein. Er übermalt seine Bilder sehr häufig, so dass sie durch die vielen Farbschichten eine Struktur bekommen.

 Die Ausstellung „Cliffhanger“ wurde kuratiert von Denise Ritter und Felina Wießmann und ist bis zum 26.11.2023 zu sehen.




All you need is love/love

Die Lieder, die sich um das Thema „Liebe“ drehen, sind Legion. Erstaunlicherweise ist in der zeitgenössischen Kunst dieses Thema nicht so populär. Angst vor dem Kitsch, vor einer zu platten Vulgarität? Dabei bietet es so viele Anknüpfungspunkte: Elitepartner und Tinder, kollektive Einsamkeit, Ehe und Polyamorie, Boomer und GenZ, cis und queer – wie man lebt und liebt, das wird heute ganz neu gedacht, diskutiert und hinterfragt.
Jedenfalls hat es das Künstlerhaus Dortmund Dank Organisatorin Dagmar Lippok geschafft, eine Vielzahl Künstlerinnen und Künstler mit ihren Arbeiten zu präsentieren. Also bis zum 01. Oktober 2023 heißt es im Künstlerhaus love/love.



Marlene Apmann und Anja Bohnhof zeigen eine negativ konnotierte Art der Liebe. Arrangierte Ehen sind in Indien verbreitete Praxis. Insgesamt zeigt sich in Indien ein wachsender Trend, die Hochzeitsfeiern als ein aufwändig gestaltetes Ereignis zu inszenieren; dabei werden die Veranstaltungsorte, große Hallen oder auch Zelte mit Hilfe von Kulissenarchitekten in indische Traumwelten verwandelt. Die Fotografien zeigen die Orte vor oder nach den Feiern, wenn sie kaum was von der Traumwelt haben.

Aleksandra Belics Herangehensweise an die Kunst ist ein spezifisch persönlicher Weg zum Universellen. Sie fordert den Betrachter durch die direkte Natur ihrer Malerei heraus. Die Künstlerin nutzt ihre eigenen Beziehungen und Erfahrungen als Inspirationsquelle. Ihre Arbeit folgt der Geschichte einer komplizierten Frau, die weibliche Zerbrechlichkeit und Stärke in einer Welt ausdrückt, in der die Lust gewinnt und die Liebe verloren ist.

Für die Ausstellung love/love hat Carl Brandi das Live-Rollenspiel „Idunas Äpfel“ geschrieben und produziert. Es erzählt von wundersamen und erschreckenden Verbindungen zwischen germanischer Mythologie, Fussballromantik und Verschwörungstheorien. Durch Archäologie und Computerspielen entlehnten Mechaniken entsteht eine erlebbare Geschichte, die sich nahtlos in die Räume des Künstlerhauses und seine Umgebung einfügt. Plot und Umsetzung fühlen romantischen Grundbedürfnissen nach.

Birgit Brenner (*1964 in Ulm) setzt sich inhaltlich und formal konsequent mit gesellschaftlichen Themen aus den Bereichen Ökologie, Ökonomie und Soziales auseinander. Dabei spannt sie einen weiten Bogen zwischen Themen wie Ungerechtigkeit, Zwang, Scheitern, Gewalt und Angst, Glücksversprechen, Überwachung und Diversität. In den letzten Jahren hat sie ihren Fokus zunehmend auf Themen wie Digitalisierung, Umwelt und Dystopie erweitert. In ihrem 2020 entstandenen Film „Final Call“ thematisiert sie die gravierenden gesellschaftlichen Folgen der Entfremdung des zeitgenössischen Menschen und die rasant voranschreitende Zerstörung der Welt.

Yvonne Diefenbach verarbeitet stereotypes Bildmaterial erotischer Darstellungen des weiblichen Körpers. In ihrer spielerischen Herangehensweise lösen sich die Motive von vorgegebenen Klischees und entheben sich einem voyeurhaften, sexistischen Blick, in der die Figur stets ihre Souveränität beibehält.

Tina Herchenröther verfolgt in ihren Arbeiten einen performativen Ansatz. Ihr körperlicher Ausdruck in Gesten und Posen findet sich als unmittelbares Vorbild in ihren Zeichnungen und Malereien wieder. Dabei geht sie eine besondere Verbindung mit Figuren der Popkultur ein, übernimmt deren Haltung und überschreibt gleichzeitig deren Identität mit den Mitteln der Zeichnung und Malerei. Herchenröthers unerschrockener Einsatz von Material und Technik bietet jedem Abbild genügend Raum für das Unerwartete und Intuitive. 1998 in Frankfurt geboren, lebt und arbeitet sie in ihrer Geburtsstadt.

2003 wuchs Klara Hobzas Obsession für Samuel Morse und das Morsealphabet, das sie erlernte, und sie baute ein einfaches, selbst konstruiertes Lichtsystem, um ihre Botschaften hinaus nach New York zu morsen. Wenig überraschend antwortete zunächst niemand; der Morsecode, einst von größter Bedeutung, ist auf dem Weg in Vergessenheit zu geraten. Erst später wurden ihre Morsesignale von einer kleinen Gruppe von New Yorkern erkannt und beantwortet.

Glaube, Sitte, Heimat. Konventionen. Brüssel, Belgien. Nicht Genf, nicht die Schweiz. Polen, Ungarn, Bulgarien – aber bitte keine Z*******. Ukraine, Russland, Gas, Ölpreise. Volltanken und zulaufen lassen. Sich völlig wegspülen. Angespült werden. Endlich ankommen in klaren Strukturen und wissen, dass schon Leute auf dich warten.
Wir, das Schützenkorps-Europa glauben an die Würde des Lebens, an Gott, an die Politik und daran, dass der nächste Morgen nicht so schlimm wird, wenn man nicht durcheinander trinkt. An die gute Sitte: zur Titte, zum Sack – zack, zack. Und Heimat. Wissen wo man hingehört, wo man hingehen kann, wenn es einem schlecht geht. Heimat, wo man einig ist, wo Alltag ist, wo man Mensch ist, wo man einkauft, wo man einen Job hat.

love/love

19. August – 1. Oktober 2023

Führungen für Singles – und alle anderen
und love/love Café

Samstag, den 26. August, 16 Uhr
Samstag, den 23. September, 16 Uhr

Live-Rollenspiel
Carl Brandi Idunas Äpfel

Sa 26. + So 27. August
Sa 2. + So 3. September
Sa 16. + So 17. September
Do 21.+ Fr 22. + Sa 23. September
jeweils 16 – 19 Uhr

Hafenspaziergang
Samstag, den 26. August, 14 – 19 Uhr

DEW21-Museumsnacht
Samstag, den 23. September, 16 – 21 Uhr

Finissage und love/love Talk
mit den Künstler:innen

Sonntag, den 1. Oktober, 17 Uhr
Moderation: Dagmar Lippok und Dr. Pia Wojtys