Komponistinnen des Barocks im Mittelpunkt

Mal Hand aufs Herz? Wie viele Komponistinnen kennen Sie? Dem einen oder anderen wird Clara Schumann einfallen oder auch Fanny Hensel, aber dann wird es ein Feld für Expert*innen. Auch in der Barockzeit sah es nicht anders aus, obwohl schon 1568 Maddalena Casulana, die erste Komponistin, dessen Werke gedruckt werden, in einem Vorwort schrieb, dass Frauen auch die gleichen intellektuellen Fähigkeiten besitzen wie Männer.

Es ist schön, dass sich das Festival Klangvokal in einem Konzert dem Schaffen zweier Frauen widmet, die als Schülerinnen von Francesco Cavalli ihre Ausbildung bekamen. Die Rede ist von Barbara Strozzi (1619-1677) und Antonia Bembo (1640-1720), deren Arien und Instrumentalmusik am 24. Oktober beim Konzert „Le donne di Cavalli“ im Reinoldihaus zu hören waren. Zu Gehör gebraucht wurde die Musik von der Sopranistin Mariana Flores und begleitet wurde sie von der Capella Mediterranea unter der Leitung von Leonardo García Alarcón.

Mariana Flores (im rosa Kleid) und die Capella Mediterranea verzauberten die Zuhörer*innen. (Foto: © Bülent Kirschbaum)
Mariana Flores (im rosa Kleid) und die Capella Mediterranea verzauberten die Zuhörer*innen. (Foto: © Bülent Kirschbaum)

Und konnten die weiblichen Kompositionen herausgehört werden? Wohl kaum. Vor allem Strozzi, die selbst Sängerin war, zeigte eine Fülle an musikalischen Emotionen. Lyrisch und dramatisch in „Sino alla morte“, melancholisch in „Che si può fare“ oder wild und ungestüm in È pazzo il mio core“. Auch ihre Kollegin Antonia Bemba stand in Nichts nach, leider wurden von ihr nur zwei Stücke aufgeführt. Neben Francesco Cavalli erklangen auch Werke von zwei Zeitgenossen von Cavalli Biagio Marini (1594-1663) und Giovanni Antonio Bertoli (1598-1645).

Interessant ist auch, dass fast 400 Jahre später die Thematik in den Liedern, die Sorgen und Ängste, immer noch aktuell sind. So heißt es in Cavallis „Dimmi, Amor, che fare“ „Werde ich immer dahinvegetieren? Werde ich alleine alt werden?“ Strozzi thematisiert die unmögliche Liebe mit den Worten „Mein Herz ist verrückt“ in der Arie „È pazzo il mio core“.

Natürlich stand Mariana Flores im Mittelpunkt des Konzertes, die mit ihrer Stimme den Zuhörenden den Geist des Barocks näherbrachte. Doch auch die Musiker*innen hatten ihren Anteil daran, uns in eine Zeitmaschine zu setzen, die uns im 17. Jahrhundert ausspuckte. Zumal es auch einige schöne Instrumentalstücke gab, in denen vor allem Flötistin Mélanie Flahaut glänzen konnte.

Ein Abend, geradezu geschaffen für Klangvokal: Außergewöhnliches Programm mit einer vorzüglichen Stimme samt Musikern. Es wäre schön, wenn die Wiederentdeckung von Komponistinnen weitergehen würde und diese auch einen Platz in den Konzertprogrammen finden könnten.




Lisa Simone – Die Stimme als Tragfläche

Simone, Simone? Da war doch was?
Ja, Lisa Simone ist die Tochter der begnadeten Nina Simone. „My Baby cares for Me“, der Song ging damals und geht heute noch unter die Haut. Neben Gloria Gaynors „I Will Survive“ und „It´s Raining Men“ von den Weather Girls eine Hymne für Gays.

Lisa Simone verzückte mit Jazz und Soul das domicil. (foto: ©Bidzina Gogiberidza)
Lisa Simone verzückte mit Jazz und Soul das domicil. (foto: ©Bidzina Gogiberidza)

Längst ist Lisa Simone aus den Fußstapfen ihrer kongenialen Mutter Nina herausgetreten und selbst zu einem international gefeierten Jazz-Star geworden. Die Tochter der amerikanischen Soul-Legende und Bürgerrechtlerin Nina Simone, gilt als eine der spannendsten Jazz-Sängerinnen unserer Tage und triumphiert bei so erlesenen Jazz-Festivals wie dem Montreux Jazz. Ihre dritte, im Herbst 2019 veröffentlichte CD „In Need of Love“ ist ein sehr persönliches Album der Vollblutkünstlerin und Powerfrau, die mit tiefgründigen Texten, eindringlichen Bildern und dem reichen Farbspektrum ihrer tiefen wandelbaren Stimme die Reiseführerin in eine Jazz- und Soul-Welt ist.

Lisa Simone bot im domicil in Dortmund eine reife und fantastische Mischung aus Soul, Karibik-Sound und Jazz. Vor allem aber, ihre fantastische Stimme, die einfing, trug und auf eine musikalische Reise mitnahm. Das Publikum schwang mal mehr, mal weniger, aber alle in jazziger Bewegung im Rhythmus der Songs mit.

Zwischen den Songs gab Simone ein wenig aus ihrem Leben preis, den nächsten Song einführend. So erfuhr das Publikum ein wenig über ihre Mutter, das Verhältnis zu ihr und ihre Zeit in der US Air Force in Frankfurt.
Sie musste sich damals in Hessen wohlgefühlt haben, so wie ihre Stimme dabei klang. Sie erinnerte sich an eine Frage, die sie berührte, bis heute: „Wie geht´s?“ Sie fragte auch uns. Ende September berechtigt, wäre aber auch jetzt bei den wieder steigenden Inzidenzen. Bis zu der Frage hatte Simon ihr Publikum in einen Wohlfühlrhythmus versetzt. In Deutschland begann sie eine musikalische Karriere als Sängerin. Unter der Woche war sie Soldatin, am Wochenende trat sie in Clubs auf.  Dabei wurde sie von Joan Faulkner als Sängerin entdeckt.

Über den Broadway nahm sie ihren Weg in die Solokarriere. Nicht leicht, weil man anderes erwartete und sie in ein Schema pressen wollte. Ihre Stimme ist aber nicht in ein Schema zu pressen oder gleichförmig. So wandelbar wie ihre Songs ist auch ihre Stimme und sie gibt damit jedem Stück ein eigenes Leben. Perfekt für eine musikalische Reise, deren Antrieb Jazz und Soul sind. Die Stimme als Tragfläche. Die Songs als Kabine. Simone als unsere perfekte Gastgeberin über den Wolken.

•    2014: All Is Well (Laborie Jazz)
•    2016: My World (Sound Surveyor Music)
•    2019: In Need of Love (Elektra Records)




Sevdah-Musik, die Herzen berührt

Im Dortmunder domicil trat am 09.10.2021 der bekannte „König des Sevdah-Musik“ (Balkan-Blues) Damir Imamović mit zwei Kollegen Greg Cohen (Kontrabass, spielte schon mit Tom Waits) und dem türkischen Premium-Solisten auf der Kemenҫe (Türkische Laute) im Rahmen des Klangvokal Festivals auf. Imamović selbst fungierte als Sänger mit dem Tambur.

Der in 1978 in Sarajevo geborene Damir Imamović bot aus seinem Programm „Singer of Tales“ (2020) mit seinen Freunden eine beeindruckende Kostprobe des weitgefasstem Repertoires an Sevdah-Songs. Da zeigt sich die kulturelle Vielfalt. Das geht von Liedern aus den 1930er – 1990er Jahren, ein auf Ladino gesungenem jüdischem Stück (beruht u. a. in Bosnien eingewanderten sephardischen Juden im 16. Jahrhundert) bis sowie einer Komposition aus dem 19. Jahrhundert mit türkischem Einfluss.

Gesungene Geschichten aus Bosnien von Damir Imamović (mitte), links steht Greg Cohen am Kontrabass, rechts ist Derya Türkan an der Kemençe. (Foto: © Bedzina Gogiberidze)
Gesungene Geschichten aus Bosnien von Damir Imamović (mitte), links steht Greg Cohen am Kontrabass, rechts ist Derya Türkan an der Kemençe. (Foto: © Bedzina Gogiberidze)

Der bosnische Künstler ist nicht nur ein Geschichtenerzähler, sondern er sucht fortwährend neue musikalische Wege, diese Musik in ihre reiche Vergangenheit für unsere Gegenwart und die Zukunft zu transformieren. Die Songs werden in einem originellen Umfeld mit drei Saiteninstrumenten kombiniert und arrangiert.

Das Publikum wird durch die kraftvolle, helle und frisch klingende Stimme zum Hinhören verführt und in den Bann gezogen.

Die Interaktion zwischen den Musikern und ihren Instrumenten klappt sehr gut, ob als Trio oder mal als Duo.

Themen sind Emigration sowie Rückkehr, Mutterliebe und Bräuche zwischen Mann und Frau in den verschiedenen Epochen.

Ein wichtiges Anliegen ist Hoffnung auf ein friedliches Miteinander der verschiedenen Kultur in der von Gewalt und Krieg so gebeutelten Balkanregion. In Zukunft sollen in seiner Heimat alle Gefühlswelten jenseits von Herkunft und Religion platz haben.

Die Eigenkomposition „Čovjeku moje zemlje“ (Für die Leute meines Landes) legen Zeugnis davon ab. Persönlich wird es, wenn er von „Sarajevo“ singt.

Obwohl der Balkan-Blues oft traurig-melancholisch klingt, schwingt bei Imamović auch Optimismus und manchmal Humor mit.

Mit Augenzwinkern wurde zum Beispiel von ihm ohne instrumentaler Begleitung ein Song vorgetragen, bei dem ein Mann und eine Frau in einem Bett schlafen sollen, sich dabei aber nicht berühren dürfen.

Zum Abschluss gab es noch eine stimmungsvolle Kurz-Session der drei Künstler mit ihren Instrumenten. Da konnten sie noch einmal ihr ganzes musikalisches Können zeigen.




Gismondo – Barockoper voll emotionaler Virtuosität

Im Rahmen des Klangvokal Musikfestival wurde am 03.10.2021 im Konzerthaus Dortmund mit der konzertanten Oper „Gismondo, Re di Polonia“ von Leonardo Vinci (Libretto Francesco Briani) ein Juwel aus dieser Zeitepoche aufgeführt.

Internationale Gesangsstars und das mit dieser Musik erfahrene Orkiestra Historyczna (Kattowitz) unter der musikalischen Leitung von Martyna Pastuszka sorgten für hohe künstlerische Qualität.

Die Sänger*innen mit dem Orkiestra Historyczna bei der konzertanten Aufführung von "Gismondo" (Foto: © Bidzina Gogiberidza)
Die Sänger*innen mit dem Orkiestra Historyczna bei der konzertanten Aufführung von „Gismondo“ (Foto: © Bidzina Gogiberidza)

Freunde von Countertenören kamen hier voll auf ihre Kosten. Gleich vier davon standen mit Max Emanuel Cencic (Gismondo), Yuriy Mynenko (Ottone), Jake Arditti (Ernesto) und Nicholas Tamagna (Ermanno) auf der Bühne vertreten. Dazu kamen in einer Männerrolle die Koloratursopranistin Aleksandra Kubas-Kruk (Primislao), sowie Hasnas Bennani (Giuditta) und Sophie Junker (Cunegonda) als Sopranistinnen. Sie alle überzeugten mit ihren klaren, warmen Stimmen bei ihren diversen Arien und den Rezitativen.

Das Orchester begleitete das dramatische Geschehen musikalisch der Situation jeweils angepasst mit ihren (barocken) Instrumenten. Eine Oper voll Emotionen und Virtuosität. Das „Dramma per musica“ bot neben den viel Liebeswirren auch eine politische Ebene, die zu Loyalitätskonflikten bei den handelnden Personen führt.

Die Oper stellt zwei Kontrastbeispiele guter und schlechter Herrschaft gegenüber.

König Gismondo von Polen handelt nach dem Gesetz der Vernunft, konsequent und ist sowohl berechenbar wie auch mutig. Er erscheint milde, möchte ein friedliches Zusammenleben mit den verbündeten Fürsten- und Herzogtümern.

Herzog Primislao von Litauen dagegen ist in allem das Gegenbild. Sein Denken ist ein Spielball seiner Gefühle. Er ist labil, jähzornig und eher grausam. Sein Handeln ist von übersteigerter Ehrsucht und Geltungsbedürfnis geprägt.

Sein Stolz und Ehrgefühl macht es ihm auch schwer, als Herzog von Litauen den Lehnseid gegenüber dem polnischen König zu leisten.

Das labile Bündnis soll eigentlich durch die Hochzeit von Primislaos Tochter Cunegonda mit Gismondos Sohn Ottone gefestigt werden. So bietet Gismondo Primislao den Kompromiss eines nicht öffentlichen Lehnseides an.

Die beiden Fürsten Ermanno von Mähren und Ernesto von Livland rivalisieren derweil um die Gunst von Giuditta, die wiederum Primislao liebt.

Es kommt zum Konflikt, als während des nicht öffentlichen Lehnseid von das königliche Zelt zusammenbricht. Primislao fühlt sich gedemütigt und die Zeichen stehen auf Krieg.

Die liebenden Personen werden in einen großen Konflikt zwischen Liebe und Loyalität zu Land und ihren Vätern gestürzt.

Erst zum Schluss löst sich alles auf, und Vernunft-Herrschaft assistiert vom Eros siegt.




Klangvokal – arabischer Gesang trifft auf Weltjazz

Die Band Masaa ist eine spannende Mischung, die arabische Lyrik mit zeitgenössischem Jazz verbindet. Das sahen auch die Kritiker so und vergaben den Deutschen Jazzpreis an die Band. Am 22. September 2021 konnte sich das Publikum im Reinoldihaus im Rahmen des Festivals Klangvokal von der Qualität der Musik überzeugen.

Der Kopf der Band ist Rabih Lahoud, der mit seinem arabischen Gesang eine ganz besondere Note einbrachte. Natürlich gab und gibt es arabische Jazzmusiker, die überwiegend Instrumentalisten sind wie Trompeter Ibrahim Maalouf oder Dhafer Youssef, der das klassische arabische Instrument Oud spielt. Lahoud benutzt seine Stimme wie ein Instrument, das Umspielen der Töne, typische für die Maqamat der arabischen Welt, beherrscht er meisterhaft. Dabei öffnen sich für den Zuhörer neue und bekannte Klangwelten. So gibt sich das erste Lied melancholisch, beinahe wie ein portugiesischer Fado. Einmal quer durchs Mittelmeer bis zum Libanon, dem Geburtsort von Lahoud.

Die vier Musiker von "Masaa" bei ihrem Konzert. (v.l.n.r.) Reentko Dirks, Rabih Lahoud, Marcus Rust und Jakob Hegner. (Foto: © Bülent Kirschbaum)
Die vier Musiker von „Masaa“ bei ihrem Konzert. (v.l.n.r.) Reentko Dirks, Rabih Lahoud, Marcus Rust und Jakob Hegner. (Foto: © Bülent Kirschbaum)

Doch die Musik ist nicht immer ruhig und melancholisch, sie wird teilweise wild und rhythmisch, besitzt reiche dynamische expressive Wechsel wie beim Lied „Herzlicht“, bei der die Trompete zunächst nur dezente Tontupfer von sich gibt. Der Jazz von Massa ist keiner, bei dem man gemütlich im Sessel sitzen und sich berieseln lassen kann, hier wird der Kopf gefordert.

Das ist ein guter Moment, um die Mitmusiker von Lahoud vorzustellen. Da wäre Marcus Rust an der Trompete zu nennen. Er begleitet Lahouds Gesang wie eine zweite Stimme und manchmal hat man den Eindruck, es stehen zwei Sänger auf der Bühne. Von ruhiger Begleitung bis hin zu einem Trompetengroove reicht die Bandbreite.

Da es in der Band keinen Bassisten gibt, füllen Reentko Dirks an der Doppelhals-Gitarre sowie Jakob Hegner am Schlagzeug die Rollen des Rhythmus-Fundaments aus. Beide ergänzen sich sehr gut, es scheint eine gute Kommunikation zu geben und beide sind Virtuosen an ihren Instrumenten.

Nach zwölf Songs und zwei Zugaben war das Konzert von Masaa vorbei. Das Publikum im Reinoldihaus hat eine gelungene Melange zwischen Orient und westlichen Jazz erlebt. Solche ungewöhnliche, aber bereichernde Musik macht den Reiz von Klangvokal aus.




Klangvokal -Himmelsmusik im Konzerthaus

Himmelsmusik, nun bin ich nicht gerade der religiöse Typus, aufgrund aktueller und geschichtlicher Ereignisse, aber dieser Abend im Konzerthaus war ein Genuss der Extraklasse, auch bei religiöser Musik. Was sich am Ende dadurch zeigte, dass die Künstler wieder und wieder auf die Bühne zurückgeklatscht wurden und zugaben geben mussten.

L‘arpeggiata, die ihre Darmsaiten und Naturhörner austobend, durch ihre Dompteuse Christina Pluhar mit der überdimensionalen Laute gebändigt, versetzte die Zuhörer im Auditorium des Konzerthauses in … ja Verzückung. Denn nicht wenige wiegten sich, wie die Sänger des Abends, Céline Scheen und Valer Sabadus, Countertenor, zu den Lauten des Abends, aus Instrumenten und Kehlen.

Das Barockzeitalter ist die Zeit der katholischen Gegenreformation zum Protestantismus, politischer und sozialer Um- und Verwerfungen und des 30-jährigen Krieges, der sich hauptsächlich auf dem Boden des damaligen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation austobte, das Land verwüstete, die Menschen verrohte und zugleich eine neue kulturelle Blüte erzeugte. Auch wenn es Deutschland gut 100 Jahre zurückwarf.

Verzückten das Publikum: (v.l.n.r.) Christina Pluhar, Valer Sabadus und Céline Scheen. (Foto: © Bülent Kirschbaum)
Verzückten das Publikum: (v.l.n.r.) Christina Pluhar, Valer Sabadus und Céline Scheen. (Foto: © Bülent Kirschbaum)

Himmelsmusik zeugt genau von diesen Widersprüchen des Barockzeitalters, das in etwa bei Alexandre Dumas Musketieren schon im Schwung ist und seinen Höhepunkt im Versailles von Ludwig XIV. findet. Das Mittelalter war noch zu Teilen in der Renaissance Musik zu finden, die Orgel gerade eingeführt. In der Barockmusik aber ist das Mittelalter verschwunden und die Musik fängt uns mit all ihrer Theatralik, ihrem bombastischen Ton und fein ziseliertem, koloratur-artigem Gesang ein. Fast wie ein Gemälde von Rubens, Rembrandt, Velázquez oder einem ihrer Zeitgenossen. Denn neben der theatralisch, bombastischen Seite hat das Barock seine dunklen, düsteren Seiten. Diese Ambivalenz zeigt sich besonders in der kirchlichen Musik des Barock.

Die Katholische Kirche zieht alle Register in der Gegenreformation und schmeißt dem Protestantismus theatralisches, bombastisches, sensibles, helles und düsteres Gefühl in Musik und bildender Kunst entgegen. Etwas dem die puritanische Kargheit des Protestantismus nichts entgegenzusetzen hat.

Und diese auch bei den Protestanten goutierte Theatralik und Bombastik in der Musik bekamen wir im Konzerthaus durch das Ensemble L‘arpeggiata von Christina Pluhar instrumental und gesanglich durch Céline Scheen und Valer Sabadus, Countertenor, dargeboten … zum Träumen und davonfliegen. Religiös machte mich die Musik nicht, aber sie war ein Genuss instrumentaler und gesanglicher Extraklasse.

Dass Barockmusik nicht einfach „von gestern“ ist, zeigte Christina Pluhar mit L‘arpeggiata 2018 im Konzerthaus mit HÄNDEL GOES WILD. In dieser Musik steckt Jazz!

Aber dieser Abend war ganz und gar dem reinen Barock gewidmet mit allem was er zu bieten hat.

Ein Genuss der nach mehr verlangt, mehr als nur die Zugaben, die sich die Zuhörer des Abends „erklatschten“, nachdem „genügend verbrauchte Luft“ auf die Bühne des Konzerthauses geklatscht worden war, hieß es dann doch Abschied nehmen. Leider … und man will doch noch mehr davon.




Klangvokal – Die Magie des Countertenors im Reinoldihaus

Mit Leidenschaft und Temperament präsentieren sich das Originalklangensemble Il Pomo D´Oro und Jakub Jozef Orliński. Jede Note, jede Phrase, sämtliche dynamischen Nuancen sind fein ausgearbeitet. Ensemble und der Solist verschmelzen zu einer Einheit, das Zusammenspiel besticht durch Präzision und hörbare Spiel- und Sangesfreude, zudem zeigt sich Orliński als virtuoser Interpret der solistischen Gesangs Passagen. Die Tempi überzeugen, kraftvoll und agil, positiv überraschend.

Barockmusik ist weit mehr als „nur“ die Vier Jahreszeiten von Antonio Vivaldi oder Variationen von Johann Sebastian Bach, seine Brandenburgischen Konzerte, oder die Musik von Lully, die man vielleicht aus „La roi danse“ kennt!

Barockmusik ist theatralisch, ja auch bombastisch, weswegen einige Zeitgenossen dieser Musik nichts abgewinnen können oder wollen … aber zugleich lieben sei eventuell Edgar Elgar oder die Musiken aus dem Star Wars Universum oder den Piraten aus der Karibik. Die Musik des Barock spiegelt die vielen Facetten, Widersprüche und Lebensfreude, ja den Lebenshunger angesichts eines nahen Todes in dieser Epoche wider. Die Gräuel des 30-jährigen Krieges passieren gerade bei einigen der Stücke dieses Abends. Andere sind weit davon entfernt, findet jedoch den Widerhall dieser europäischen und besonders deutschen Katastrophe darin wieder. Was damals als Religionskrieg begann, weitete sich schnell zu einem europäischen Machtkonflikt aus, der mit dem ersten Gesamteuropäischen Friedenskonzept 1648 in Münster und Osnabrück endete.

Countertenor Jakub Jozef Orliński und  Il Pomo D´Oro beim Konzert im Reinoldihaus. (Foto: © Sandra Spitzner)
Countertenor Jakub Jozef Orliński und Il Pomo D´Oro beim Konzert im Reinoldihaus. (Foto: © Sandra Spitzner)

Und vielleicht stören sich Zeitgenossen auch an der Stimme eines Countertenors, Jakub Jozef Orliński ist ein Countertenor. Das waren vor langer Zeit die Stimmen der Kastraten, unglücklichen jungen, deren helle Stimme für immer in deren Alter und Zeit ihres Lebens gerettet werden sollten durch … Kastration. Sie hatten im Barock ihre Hochzeit. Es wurden Opern und Arien speziell für sie geschrieben. Sie waren traurige Superstars ihrer Zeit. Wie Farinelli. Bestimmt haben auch Sie diesen Film gesehen. Die Stimme des Schauspielers musste aus verschiedenen Stimmen künstlich für den Film erzeugt werden. Aber sie kommt der Stimme von Orliński nahe, oder er Farinelli. Zumindest hatte ich sofort diese Assoziation als ich dem Gesang von Orliński lauschte.

Orliński studierte an der Fryderyk-Chopin-Universität für Musik in Warschau und schloss sein Studium im Jahr 2012 mit einem Master ab. Ab 2011 nahm er an einer Reihe von Gesangswettbewerben in Europa und den USA teil und gewann einige davon. Er sang in Warschau, Aachen, Cottbus, Gießen, Leipzig, New York, Karlsruhe, auf dem Festival d’Aix-en-Provence, u. a. in France Musique und nun Dortmund.

Orliński, unser Countertenor, ist zugleich auch als Breakdancer aktiv und nahm an einigen Wettbewerben teil. Als Model, Tänzer und Akrobat ist er in mehreren Commercials zu sehen, beispielsweise in den Kampagnen für Levi’s, Nike, Turbokolor, Samsung, Mercedes-Benz, MAC Cosmetics, Danone und Algida. Wenn man Orliński aber bei einem Barock Konzert sieht … diese „fremde“ Welt scheint weit entfernt von ihm zu liegen.

Ein Countertenor vom Format eines Orliński, lässt nur erahnen wie Kastrat damals geklungen haben mag. Man möchte sagen zum Glück. Denn unmenschlicher ist fast nicht auszudenken … wobei … wir müssen immer wieder grausamstes erfahren. Die Stimme des Countertenors aber ist anders geartet.

Als Countertenor, Kontratenor bzw. Kontertenor (lateinisch ‚Gegen-Tenor‘), manchmal auch Altus (von lateinisch altus ‚hoch‘) wird ein männlicher Sänger bezeichnet, der mithilfe einer durch Brustresonanz verstärkten Kopfstimmen- bzw. Falsett-Technik in Alt- oder seltener in Sopranlage singt. Der Countertenor ist also nicht mit einer Kastratenstimme gleichzusetzen, weder physiologisch noch in Klang, Volumen oder Stimmumfang.

Und doch bringt gerade ein Countertenor die Musik des Barock zum Leben, bei Orliński zum vibrieren. Er trägt einen fort in eine andere Epoche … mitsamt der Kleidung.




Klangvokal – Weihnachtskonzert mit barockem Flair

Mit einem Weihnachtskonzert am 22. Dezember 2019 um 17 Uhr im Reinoldisaal unter dem Titel „Von Engeln und Hirten“ präsentierte das Festival Klangvokal nochmals seine Kompetenz in Sachen Alte Musik. Tenor Daniel Behle, zur Zeit aktiv im Dortmunder „Lohengrin“, sang zusammen mit der Berliner Lautten Compagney von Wolfgang Katschner Weihnachtslieder aus verschiedenen Ländern.

Bei diesen Weihnachtsliedern waren keine bekannten „Mitsinglieder“ dabei wie „Oh du fröhliche“, sondern traditionelle Weisen aus Spanien, Frankreich oder England, deren Tradition teilweise bis in die Barockzeit zurückreicht. So stammt „Lieb Nachtigall wach auf“ aus dem Jahre 1670 und das französische „Entre le bœuf et l’âne gris“ („Zwischen Ochs und grauem Esel“) stammt aus dem 18. Jahrhundert, ebenso wie „Adeste fidelis“. Kamen die Weihnachtslieder vor der Pause eher aus dem spanischsprachigen Raum, ging es nach der Pause mit deutschen und englischen Liedern weiter.

Daniel Behle (in der Mittel) und Ensemblemitglieder der Lautten Compagney Berlin brachten weihnachtliche Stimmung in den Reinoldisaal. (Foto: © Bülent Kirschbaum)
Daniel Behle (in der Mittel) und Ensemblemitglieder der Lautten Compagney Berlin brachten weihnachtliche Stimmung in den Reinoldisaal. (Foto: © Bülent Kirschbaum)

Zwischen den gesungenen Liedern spielte die Lautten Compagney kleine Stücke aus der Renaissance- und Barockzeit. Von Michael Praetorius (1571-1621) über Andrea Falconierei (1585-1656) bis hin zu Henry Purcell (1659-1695) reichte das Programm an diesem Nachmittag.

Alle Beteiligten hatten sichtlich viel Spaß an dem Konzert. Daniel Behle führte auch durch das Konzert und erklärte, worum es in diesen Liedern ging. Die Musiker der Lautten Compagney waren ebenso engagiert bei der Sache. Einen Sonderapplaus bekam Percussionist Peter Bauer bei seinem Maultrommel-Solo.

Für Freundinnen und Freude alter Musik wird das Festival Klangvokal auch im kommenden Jahr 2020 wieder einige Highlights bieten.




Klangvokal 2019 – Tiefbewegende Chormusik

Einen großen Bogen von zeitgenössischer Chormusik bis hin zur Musik
der russischen Romantik präsentierte der Chor des Lettischen
Rundfunks unter der Leitung von Sigvards Kļava
zum Abschluss des Klangvokal Festivals am 16. Juni 2019 in der
Reinoldikirche.

Schon 2017 gab der Chor ein großes Konzert mit Rachmaninows „Abend- und Morgenlob“, 2019 präsentierte er wieder russische geistliche Musik kombiniert mit Stücken von Arvo Pärt, Ēriks Ešenwalds, Gustav Mahler und Peter Tschaikowsky.

Den Beginn machte
Ešenwalds‘
Arbeit „A drop in the ocean“ von 2006. Moderne Chormusik vom
feinsten. Man spürte beinahe den Wind rauschen und die sanfte
spirituelle Arbeit des Komponisten wurde durch den Chor wunderbar
umgesetzt.

Danach
war es Zeit für die minimalistischen Klänge des Arvo Pärt. Seine
“Sieben Magnifikat-Antiphonen“ wecken Erinnerungen an die
gregorianische oder mittelalterliche Musik, werden aber durch die
minimalistischen Strukturen zu einem gesanglichen Gesamtkunstwerk
verwoben.

Präsentierte geistliche Musik der Sonderklasse: Der Chor des Lettischen Rundfunks. (Foto: © Bülent Kirschbaum)
Präsentierte geistliche Musik der Sonderklasse: Der Chor des Lettischen Rundfunks. (Foto: © Bülent Kirschbaum)

Zum
Adagietto der 5. Sinfonie von Gustav Mahler gibt es auch Fassungen
für Chor. Dieser Satz
ist berühmt geworden durch den Film „Tod in Venedig“. Der
Chor des Lettischen Rundfunks sang ein Arrangement von Gérard
Pession mit dem Titel
„Kein deutscher
Himmel“.

Nach
der Pause wurde es Zeit für den liturgischen Teil. Schließlich
waren wir ja in einer Kirche, wenn auch nicht in einer
russisch-orthodoxen. Doch das Gefühl stellte sich bereits bei den
ersten gesungenen Worten der „Liturgie des Heiligen Chrysostomos“
von Peter Tschaikowsky ein. Tschaikowsky setzt hier ganz auf den
Klang der orthodoxen Liturgie. Wie schon vor zwei Jahren überzeugt
der Chor bei diesem Stück vollkommen.




Klangvokal 2019 – A capella zum mitmachen

Einen Glückgriff machte das Festival Klangvokal mit der Kölner
Formation „Room One“. Das Konzert am 16. Juni 2019 im domicil in
Zusammenarbeit mit SOUNDZZ war ein gelungenes Erlebnis für Jung und
Alt.

Mit zwei neuen
Leuten, viel Musik und noch mehr Spaß machte die A capella Band
„Room One“ das ehrwürdige domicil zu einem Mitmachclub. Sie
schafften es, alle Menschen zum Tanzen und Mitsingen zu animieren,
selbst wenn der Text in der südafrikanischen Sprache Zulu ist.

Pop und Soul waren
in dem einstündigen Konzert zu hören, dazu Jazz-Standards. Alles
oft mit einer witzigen Choreografie verbunden. Doch es wurde nicht
nur gesungen, es gab auch Beatboxing, so dass der Schlagzeugsound
nicht fehlen musste. Natürlich musste ein Lied dabei sein, bei dem
sich die Sängerinnen und Sänger verkleideten, schließlich kamen
sie ja aus Köln.

Room One zeigte auch Mut zu Verkleidungen. (Foto: © Bülent Kirschbaum)

Eine witzige Aktion
war es, dass alle sechs Mitglieder für einen Song von Kindern je
nach Berührung „ein- und ausgeschaltet“ werden konnten. Zwei
Kinder konnten es live ausprobieren und man spürte, dass es allen
Beteiligten großen Spaß machte.

Nach zwei Zugaben
war dann Schluss. Der große Applaus war nicht nur ein Verdienst der
Künstlerinnen und Künstler, sondern belohnte auch deren offene Art.