Klangvokal Musikfestival mit glanzvoller Operngala

In diesem Jahr musste das Klangvokal Musikfestival-Team in Dortmund für die beliebte Operngala am 30.05.2024 kurzfristig umdisponieren. Die beiden vorgesehenen Opernsängerinnen hatten aus persönlichen Gründen oder krankheitsbedingt abgesagt.



Mit Hilfe des italienischen Dirigenten Lorenzo Passerini konnte jedoch hochkarätiger Ersatz für einen speziellen italienischen Opernabend gewonnen werden: die Sopranistin Pretty Yende aus Südafrika und der Bariton Artur Ruciński. Die Neue Philharmonie Westfalen sorgte als Orchester unter der temperamentvollen Leitung Passerinis für eine professionelle musikalische Begleitung.

Pretty Yende und Artur Ruciński sorgten mit der Neuen Philharmonie Westfalen für einen gelungen Opernabend beim Festival Klangvokal. (Foto: Bülent Kirschbaum)
Pretty Yende und Artur Ruciński sorgten mit der Neuen Philharmonie Westfalen für einen gelungen Opernabend beim Festival Klangvokal. (Foto: Bülent Kirschbaum)

Nach der feierlichen Ouvertüre von Giuseppe Verdis (1813-1901) Oper „Nabucco“ begeisterten Yende und Ruciński das Publikum im Dortmunder Konzerthaus mit Arien und einem Duett aus Verdis „La Traviata“. Ihre kraftvoll-warmen Stimmen brachten die unterschiedlichen Stimmungen, von melancholisch-tragisch bis zu dramatisch steigender Intensität, wunderbar zur Geltung.

Die gesangstechnischen Herausforderungen meisterten sie auch nach der Pause bei den folgenden Arien und Duetten aus Vincenzo Bellinis (1801-1835) Oper „Norma“ sowie Gaetano Donizettis (1797-1848) „Lucia di Lammermoor“ mit scheinbarer Leichtigkeit. Das galt auch für anspruchsvollste Koloraturen, die die Sopranistin locker bewältigte.

Freunde der italienischen Oper kamen an diesem Abend voll auf ihre Kosten, und die Akteure wurden mit starkem Applaus für ihre Leistung belohnt.

Als humorvolle Zugabe gab es zum Schluss noch die italienische Fassung von Mozarts „Don Giovanni“ mit „Reich mir die Hand, mein Leben“ als kleines Dankeschön.




KLANGVOKAL – Kleinod der Oper im Reinoldisaal

Mit „Marc’Antonio e Cleopatra“ hatte der deutsche Komponist Johann Adolf Hasse 1725 seinen Durchbruch. Am 26. Mai 2024 stand sie im Rahmen des Festivals KLANGVOKAL auf dem Programm. Diese Oper ist ein Beispiel für die neapolitanische Oper, die sich durch melodischen Reichtum und dramatischen Ausdruck auszeichnet. Bei der Premiere in Neapel hatte sie eine zusätzliche Besonderheit. Kein Geringerer als der berühmte Kastrat Farinelli und die Altistin Vittoria Tesi sangen die beiden Hauptfiguren, wobei Farinelli die Cleopatra und Tesi den Marcus Antonius verkörperten.



Glücklicherweise gibt es keine Kastraten mehr, aber für die Aufführung konnte man Bruno de Sá gewinnen, der eine klare und agile Stimme besitzt, die es ihm ermöglicht, eine breite Palette von Rollen zu übernehmen, insbesondere solche, die ursprünglich für Kastraten geschrieben wurden. Für die Rolle des Marcus Antonius wurde keine Altistin gecastet; diese Rolle übernahm der Countertenor Yuriy Mynenko.

Das [oh!]Orkiestra mit seiner Leiterin Martyna Pastuszka, Bruno de Sá und Yuriy Mynenko. (Foto: Bülent Kirschbaum)
Das [oh!] Orkiestra mit seiner Leiterin Martyna Pastuszka, Bruno de Sá und Yuriy Mynenko. (Foto: Bülent Kirschbaum)

Die Musik von Hasse in dieser Oper zeichnet sich durch elegante Melodien und emotionale Arien aus, die die inneren Konflikte und Gefühle der Charaktere hervorheben. Besonders bemerkenswert ist die Verwendung der Da-capo-Arie, die zu Hasses Zeit sehr beliebt war und es den Sängern ermöglichte, ihre stimmlichen Fähigkeiten und ihr dramatisches Talent zur Schau zu stellen.

Das alles wurde von dem [oh!] Orkiestra unter der Leitung von Martyna Pastuszka meisterlich musikalisch umgesetzt. Schließlich ist das Ensemble schon öfter bei KLANGVOKAL aufgetreten.

Das Publikum war zurecht begeistert und applaudierte den beiden Solisten nach jeder Arie. Vor allem aber verzückte Bruno de Sá die Anwesenden.




Besinnliches Eröffnungskonzert beim KLANGVOKAL Musikfestival

Das KLANGVOKAL Musikfestival Dortmund wurde am 24.05.2024 in der St. Reinoldikirche in einem speziellen Rahmen eröffnet. Angesichts der aktuellen Konflikte und Kriege hat sich die Festivalleitung entschieden, statt einer Ansprache nur die Musik sprechen zu lassen.



Unter dem Motto „Da pacem – Gib uns Frieden“ lud man bewusst den Lettischen Rundfunkchor, einen der prominentesten Chöre Europas, unter der Leitung des bedeutenden lettischen Dirigenten Sigvards Kļava in die Reinoldikirche ein. Nach der Pause wurden sie von der im Jahr 2000 gegründeten Kammerakademie Potsdam musikalisch unterstützt.

Der Lettische Rundfunkchor und die Kammerakademie Potsdam eröffneten in der Reinoldikirche das KLANGVOKAL Festival. )Foto: Bülent Kirschbaum)
Der Lettische Rundfunkchor und die Kammerakademie Potsdam eröffneten in der Reinoldikirche das KLANGVOKAL Festival. )Foto: Bülent Kirschbaum)

Das baltische Lettland ist ein direkter Nachbar Russlands und befindet sich nah im Dunstkreis der von dort ausgehenden Bedrohungssituation. Die ausgewählten Kompositionen waren spirituell-religiös geprägt, und die Kleidung der 12 weiblichen und 12 männlichen Chormitglieder war dem Anlass und Ort angemessen.

Das Programm startete mit den „Vier Motetten“ (1861-1864) von Anton Bruckner (1824-1884). Es folgten die „Sieben Magnificat-Antiphonen“ (1988, 1991) des bekannten zeitgenössischen Komponisten des Baltikums Arvo Pärt (*1935) und das „Miserere“ (2009) von James MacMillan (*1959, Schottland).

Die großartigen Stimmen des Chores waren eindrucksvoll aufeinander abgestimmt. Die Akustik in der Kirche passte als atmosphärische Verstärkung wunderbar dazu. Im zweiten Teil sorgte der Chor zusammen mit den Musikern der Kammerakademie Potsdam für ein eindringliches Hörerlebnis. Es wurde das „Salve Regina“ (2010) von Arvo Pärt und als Abschluss „Da pacem, Domine“ (2016) und „Mein Herr und mein Gott“ (2016) von dem lettischen Komponisten Pēteris Vasks (*1946) gesungen und instrumental von der Kammerakademie Potsdam sensibel begleitet.

Ein stimmungsvoller Einstieg in das Festival. Trost und Hoffnung zu suchen, ob in einer Religion oder anderswo, ist legitim und verständlich. Wenn es jedoch bei „Da pacem, Domine“ heißt: „Gib Frieden, Herr, in unseren Tagen, denn es gibt keinen anderen, der für uns kämpfen könnte…“, sollte doch angemerkt werden: Nur wir Menschen selbst können uns für eine friedliche Welt einsetzen und kämpfen. Diese schwere Aufgabe wird uns „kein höheres Wesen“ abnehmen können.




Außergewöhnliche Barockmusik beim Klangvokal-Festival

Die italienische Barockmusik, insbesondere die Werke von Komponisten wie Arcangelo Corelli, ist gekennzeichnet durch ihre Virtuosität, Emotionalität und ornamentale Pracht. Das gilt auch für Francesco Geminiani, einem Schüler Corellis und Nicola Porpora. In einem Konzert unter dem Titel „I misteri del dolore“ (Die Geheimnisse des Schmerzes) am 15. März 2024 entführte uns das Ensemble „Accademia Bizantina“ in das Italien des 18. Jahrhunderts, dessen Komponisten ganz Europa mit ihrer Musik eroberten.



Im Mittelpunkt stand aber nicht Corelli, sondern Nicola Porpora (1686-1768), der nicht nur als Komponist, sondern auch als Gesangslehrer eine Berühmtheit war. Er unterrichtete berühmte Sängerinnen und Kastraten wie den legendären Farinelli. Nicola Porpora hatte einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Gesangstechnik und des Belcanto-Stils.

Die „Accademia Bizantina“ unter der Leitung von Ottavio Dantone widmete sich dem Spätwerk Porporas und spielte die erste und zweite „Lezione“ für Solostimme jeweils für Sporan und Alt. Porpora nahm dafür die Klagelieder des Jeremias als Textvorlage. Suzanne Jerosme (Sopran) und Delphine Galou (Alt) zeigten durch ihren Gesang, warum beide zu den begehrten Sängerinnen im Bereich Barock sind.

Dieses Können zeigten beide Sängerinnen bei den zwei „Duetto per la Passione di Gesú Christo“, die ebenfalls in die Spätzeit von Porpora fallen. Hier zeigt der italienische Komponist seine Meisterschaft in der Stimmführung und verwandelt die Passionsgeschichte in ein musikalisch-emotionales Kleinod. Dass die „Accademia Bizantina“ auch aus ausgezeichneten Musikern besteht, zeigten sie bei den beiden Concerti Grossi. Vor der Pause erklang das Concerto Grosso e-Moll op.3 Nr. 6 von Corellis Schüler Geminiani (1687-1762), zum Schluss spielte das Ensemble das Concerto Grosso D-Dur op.6 Nr.4 von Meister Corelli (1653-1713), das erst nach seinem Tod publiziert wurde.




Naghash Ensemble – neue armenische Musik mit alten Texten

Am 01. Dezember 2023 gab es wieder ein außergewöhnliches Konzert im Rahmen der Festivalreihe „Klangvokal“. Dieses Mal entführte uns das Naghash Ensemble nach Armenien. John Hodian, der Komponist, Pianist und Kopf des Ensembles, kombinierte mittelalterliche Texte und zeitgenössische Musik.



Wie soll ich die Musik vom Naghash Ensemble beschreiben? Vielleicht passt Progressive Folk. Denn in den Spielarten von Progressive Rock oder Progressive Metal mischen sich verschiedene Ebenen, die Tempi wechseln, mal wird es lauter, dann wieder leiser. Diese verschiedenen Ebenen und Strukturen finden sich auch in der Musik von John Hodian wider. Es sind halt nicht die 3‘30‘‘ Stücke, sondern Hodian sucht behutsam die besondere Magie der Texte, auf die er seine Melodien baut.  

Folk ist vielleicht ein einfacherer Begriff, denn die Musiker spielen traditionelle Instrumente. Arak Nikoghosyan spielt Oud, das auch in der arabischen Welt bekannt ist, Tigran Novhansisyan ist ein Meister an Dhol und Dumbek und Harutyun Chkolyan lässt die armenischen Holzblasinstrumente wie Duduk, Zurna, Schwi und Pku erklingen. Derade Chkolyans Spiel lässt sofort eine melancholische Stimmung entstehen.

Das alleine wäre schon faszinierend genug, doch das Naghash Ensemble besteht noch aus drei Sängerinnen, die es mit Leichtigkeit schaffen, die mittelalterlichen Texte mit Seele zu erfüllen. Hasmik Baghdasaryan (Sporan), Tatevik Movsesyan (Sporan) und Arpine Ter-Petrosjan (Alt) verzauberten durch ihren Gesang.

Ein toller Abend mit exzellenten Musikern und Sängerinnen. Eine spannende Melange aus mittelalterlichen Texten und zeitgenössischer Musik, sehr viele Folkelemente und eine gehörige Portion armenischer Melancholie.




I Gemelli – Seufzer der Liebe aus dem 17. Jahrhundert

Ja, so ist das mit der Liebe. Er liebt sie, sie aber ihn nicht. Dieses Gefühlschaos gibt es sicher schon seit Urzeiten, aber beim Konzert von „I Gemelli“ am 10. November 2023 im Rahmen des Festivals Klangvokal, konzentrierten sich die Mitwirkenden auf die italienische Musik des 17. Jahrhunderts. Gespielt wurde also Musik aus dem Dunstkreis von Monteverdi, ohne dass ein Stück von ihm gespielt wurde.



Die enttäuschten Liebhaber wurde wahlweise von Emilliano Gonzales Toro oder Anders Jerker Dahlin gesungen. Ab und an trösteten sich beide Tenöre gegenseitig wie beispielsweise beim Trinklied „Damigella tutta bella“, das von Vincento Calestani stammt, der sich aber von Monteverdi hat inspirieren lassen.

In der Oper gibt es häufiger das Beispiel des älteren Mannes, der sich in ein junges Mädchen verliebt, sehr um Unwillen der jungen Frau, die natürlich einen Gleichaltrigen bevorzugt. In „La vecchia immamorata“ (Die verliebte alte Frau) von Biago Marini ist es umgekehrt. Hier wird der (junge?) Mann von einer liebestollen älteren Frau verfolgt, während ihn das junge Mädchen verschmäht.

Und so setzten sich die unzähligen Liebesdramen durch das Programm fort, das durch Toro und Dahlin mit Witz und Humor begleitet wurden. Das Ensemble „I Gemelli“ schaffte es spielend, den Reinoldisaal musikalisch ins 17.Jahrhundert zu bringen. Obwohl ich bei „Damigella tutta bella“, das auch als Zugabe gespielt wurde, liebend gerne in einer italienischen Taverne gewesen wäre.




Eine musikalische Perle des Frühbarocks

Im Rahmen des Klagvokal Musikfestivals Dortmund wurde am 02.10.2023 im hiesigen Reinoldihaus mit Emilio de Cavalieris (1550-1602) „Rappresentatione di Anima, et di Corpo“ (1600) die erste erst vollständig erhaltene Oper konzertant aufgeführt. Das Spiel um Seele und Körper in drei Akten hatte seine Uraufführung im Betsaal der Kirche Santa Maria in Vallicella (Rom).



Mit dieser geistlichen Oper markierte der vielseitig begabte italienische Komponist als ein wesentlicher Impulsgeber den Beginn der frühen Barockzeit mit Monodie (solistischer Gesang mit akkordischer Instrumentalbegleitung) und Generalbass.

Das Ensemble und die beiden Solisten entführten das Reinoldihaus in die Zeit des Frühbarocks. (Foto: (c) Bülent Kirschbaum)
Das Ensemble und die beiden Solisten entführten das Reinoldihaus in die Zeit des Frühbarocks. (Foto: (c) Bülent Kirschbaum)

Im Wesentlichen geht es in der Oper um die damals für den Menschen entscheidende Frage: Genieße ich das irdische Leben in vollen Zügen, ungeachtet der Folgen? Oder richtet man schon jetzt den Blick auf das, was nach dem Tod (laut religiöser Verheißung) folgen wird?

Die (musikalische) Zwiesprache zwischen „Seele“ und „Körper“ mit widersprüchlichen Gefühlen, den Versuchungen und Verunsicherungen. Bildet das Zentrum der Oper. Die weiteren handelnden Figuren (Welt, Rat, Vergnügen, Geist, Weisheit, Vernunft, Schutzengel…) sind vorrangig Allegorien. Nur bei den „Titelfiguren“ (Seele und Körper) handelt es sich um echte Menschen.

Die niederländische Mezzosopranistin Sophia Faltas (Seele) und der Tenor Raffaele Giordati (Körper) gaben den inneren Konflikten zwischen Seele und Körper eine starke eindringliche Stimme.

Der 2004 gegründete belgische Vokalensemble für Musik der Renaissance und Barock begeisterte als Chor, mit ihren einzelnen Stimmen für die weiteren handelnden Figuren aber vor allem auch mit dem ausdruckstarken Zusammenspiel unterschiedlichster Instrumente (Harfe, Viola, Violine, imposanter Posaune, Gitarre, Cembalo, Truhenorgel, Gamba und Theorbe).

Eine Musik voll Anmut und Intensität, mit emotionalen Lamenti, glanzvollem Chor und Einflüssen traditioneller Volksmusik. Sie fand danach bei Claudia Monteverdi ihren Meister.

In der Gegenwart ist die Frage nach den Folgen unseres Handelns (für Umwelt und Gesellschaft) durchaus aktuell. Der religiöse Kontext ist für viele Menschen heutzutage befremdlich. Auch ohne die Hoffnung auf eine „himmlische Belohnung“ nach dem Tod für ein “gottgefälliges“ Leben gibt es genug humanistische Gründe, sich über Gedanken über ein achtsames Verhalten gegenüber uns selbst, anderen Menschen oder der Umwelt im Diesseits zu machen.




Musikalische Romantik und kunstvolle Verleger-Verspottung

Im Dortmunder Reinoldihaus startete die Konzertsaison 2023/24 des Klangvokal Musikfestivals am 07.09.2023 mit einem besonderen Liederabend mit dem Tenor Daniel Behle und seinem kongenialen Begleiter am neuen Flügel Oliver Schnyder.



Behle ist vielen noch von der Opern- und Operettengala im letzten Jahr mit seiner weichen wie auch kraftvoll starken Stimme in guter Erinnerung.

Zu Beginn des Liederabends standen mit „Zwölf Gedichten op. 35 (Liederreihe nach Kerner)“ von Robert Schuhmann (1810-1856) und „Sechs Lieder op. 48“ von Edvard Grieg (1843-1907) zunächst einige romantische Vertonungen von bekannten Dichtungen auf dem Programm.

Da geht es um erfüllte und unerfüllte Liebe, Wanderlust, Naturfreude, Schmerz und Schwermut. Der Tenor mit seiner variablen Stimme sowie die Verstärkung durch das schmeichelnde Pianospiel verliehen den unterschiedlichen Stimmungen einen emotionalen Ausdruck.

Nach der Pause konnte sich das Publikum auf den satirisch-spöttischen 12 Gesänge „Krämerspiegel op. 66“ (Texte: Alfred Kerr) vom „letzten Romantiker“ Richard Strauss (1864-1949) freuen.

Seit der Jahrhundertwende hatte sich Strauss für eine Reform des Urheberrechts eingesetzt und die Genossenschaft Deutscher Tonsetzer gegründet. Nachdem der Berliner Verlag Bote & Bock  dem Komponisten 1903 neben einem großzügigen Honorar für dessen „Symphonia Domestica“ noch zwölf neue Lieder gerichtlich abverlangte, gab er Texte bei dem für seine spitze Feder bekannte Alfred Kerr in Auftrag. Die Musikverleger sollten aufs Korn genommen werden und Kerr lieferte das gewünschte zu der großen Musik des Komponisten. Genüsslich und mit sichtbarem Spaß brachten Behle und seine musikalische Begleitung den „Krämerspiegel“ zu gehör.

Mit den Strauss-Liedern „Herr Lenz“, „Ich liebe dich“ (1896/98) sowie der bekannten „Freundlichen Vision“ (1900) schlossen Daniel Behle und Oliver Schnyder den Kreis zum ursprünglichen Liebesthema des besonderen Liederabends.




Eine Oper als Requiem

Wenn ein Opernkomponist wie Gaetano Donizetti ein Requiem komponiert, dann können sich die Zuhörenden auf ein Werk freuen, dass dramatisch, lyrisch und alles dazwischen ist. Die Dortmunder Philharmoniker und der Philharmonische Chor des Dortmunder Musikvereins unter der Leitung von Granville Walker präsentierten das Werk am 17. Juni 2023 in der Reinoldikirche im Rahmen des Festivals „Klangvokal“.



Die „Messa di Requiem“ von Donizetti wurde ursprünglich im Jahr 1835 komponiert. Sie wurde zu Ehren des italienischen Schriftstellers und Dichters Alessandro Manzoni geschrieben, der ein enger Freund von Donizetti war. Das Werk wurde jedoch erst nach Donizettis Tod im Jahr 1846 veröffentlicht.

Donizettis Requiem ist ein liturgisches Werk für Solisten, Chor und Orchester. Es besteht aus den traditionellen Teilen des Requiems, wie dem Introitus, dem Kyrie, dem Dies Irae, dem Offertorium, dem Sanctus und dem Agnus Dei.

Doch seine Arbeit als Opernkomponist kommt deutlich zum Tragen. Donizetti verwendet ausdrucksstarke Melodien, die oft von den Solisten und dem Chor interpretiert werden. Diese Melodien haben oft eine lyrische Qualität, die typisch für Donizettis Opern ist. Wie in seinen Opern geht es aber nicht nur lyrisch zu. Die dramatischen Passagen des Dies Irae oder des Offertoriums erinnern an die intensiven Momente in seinen Opern, in denen Spannung und Leidenschaft dargestellt werden.

Dafür braucht man gute Stimmen. Mit Anna Sohn (Sopran), Anna Harvey (Mezzosopran), Carlos Cardoso (Tenor), Germán E. Alcántara (Bariton) und Jens Hamann (Bass) hatte Granville Walker exzellente Solisten an seiner Seite, die vom Philharmonischen Chor adäquat begleitet wurden.

Der Abend hat gezeigt: Ein gelungenes Requiem von Donizetti, das sich vor Verdis Requiem nicht zu verstecken braucht.




Jordi Savall – Die Routen der Sklaverei

Musik aus Afrika, Portugal, Spanien und Lateinamerika

Es ist erstaunlich, welch schöne Musik von Menschen geschaffen wurde, die unsägliches Leid erleben mussten. Aus der Heimat entführt, ihren Lieben, Familien und Gemeinschaften entrissen und in einer fremden Welt ausgespuckt, verhökert, versklavt und unter unmenschlichen Bedingungen zur endlosen Arbeit gezwungen.



Jordi Savall zählt zu den bedeutendsten Gambisten und Interpreten der historischen Aufführungspraxis. Seit über 50 Jahren begeistert er als Gambist und Dirigent. Savall wurde von der UNESCO zum „Künstler für den Frieden“ ernannt.

Savall begab sich erneut auf musikalische Spurensuche und folgt den Routen des transatlantischen Sklavenhandels, des Dreieckhandels, aus Europa über Afrika nach Süd- und Nordamerika. Sein faszinierend-filigranes Programm, dessen Entstehung von der UNESCO gefördert wurde, kombiniert Klagelieder, Kriegsgesänge und Trommelklänge aus Mali, Madagaskar, Kolumbien, Mexiko und Europa mit historischen Texten über die Sklaverei. Beginnend mit den ersten Chroniken von 1444 hin zu den Worten des Friedensnobelpreisträgers Martin Luther King aus den 1960er Jahren.

Für sein Projekt „Die Sklavenrouten“ vereinte Savall Instrumentalisten und Sänger unter anderem aus Mali, Marokko, Mexiko und Brasilien. Gemeinsam schlagen sie einen musikalischen Bogen von 1444 bis 1888. Sie spielen Lieder, Klagegesänge und Tänze, die zur Zeit der Sklaverei entstanden sind. Musik aus Afrika, Portugal, Spanien und Lateinamerika. Und in der Musik aus Spanien und Portugal zeigt sich der Einfluss der Sklaven und ihrer Musik auf die Musik der so überlegenen Versklavenden.

Die eigenen Ensembles von Savall, Hesperion XXI und La Capella Reial de Catalunya haben dieses Programm, mit dem sie nun auf Tour sind, so auch also in Dortmund mit Klangvokal am 06.06., zusammen mit Instrumentalisten und Sängerinnen und Sängern aus Mali, Madagaskar, Marokko, Mexiko, Kolumbien, Brasilien, Argentinien und Venezuela erarbeitet. Mit dabei ist auch wieder das mexikanische Tembembe Ensamble Continuo, mit dem Savall schon zuvor Projekte verwirklicht hat.

Dabei wird ein musikalischer Bogen geschlagen, von 1444 bis 1888, mit Texten aus der vorchristlichen Zeit bis zum 20. Jahrhundert. Savall, der hier eine kleinere Form der Gamba, die Diskantgambe spielt, leitet das Konzert von seinem Instrument aus.

Durch das Programm führt wie eine Erzählerin, Denise M´Baye und treibt dabei das Konzert mit Zeugenaussagen und Dokumenten von Beteiligten, das Konzert durch Jahrhunderte der Qualen. Ein Pendant findet M´Baye in Sékouba Bambino, Guinea, der die afrikanische Tradition der Erzähler dabei Nahebringt. Lange schon sind sie es, die Mythen, Geschichten, Legenden und Kultur tradieren.

Aus dem Ursprungskontinent der Sklaven sangen Ballaké Sissoka, Mamani Keita, Tanti Kouyaté und Fanta Sissoko. Aus den „Zielgebieten“ der Sklaven, in die sie verschleppt wurden, sangen, spielten und tanzten Leopoldo Novoa, Kolumbien, Ada Coronel, Enrique Barona, Ulises Martinez, Mexiko, Maria Juliana Linhares, Zé Luis Nascimenti, Brasilien, Lixsania Fernández, Kuba.

Hesperion XXI: Elionor Martinez, David Sagastume, Lluís Vilamajó, Victor Sordo, Simón Millán, Salvo Vitale

La Capella Reial de Catalunya: Pierre Hamon, Béatrice Delpierre, Elies Hernandis, Xavier Puertas, Xavier Diíaz-Latotorre, Andrew Lawrence-King, Jordi Savall

In der Musik der betroffenen Völker der Westküste Afrikas, Brasiliens, Mexikos, der Karibischen Inseln, Kolumbiens und Boliviens hat die humanitäre Katastrophe der Sklaverei bis heute tiefe Spuren hinterlassen. Die Lieder, Klagegesänge und Tänze treten hier in den Dialog mit iberischen Musikformen, die sich, so Savall, „an den Gesängen und Tänzen der Sklaven und Einheimischen sowie an ethnischen Mischungen jeder Art inspiriert haben, die auf der Tradition der Afrikaner, Indios und Mestizen basieren.“

Die mehr oder weniger erzwungene Beteiligung der Sklaven an der kirchlichen Liturgie der Neuen Welt spiegelt sich in den verschiedenen Formen wie Villancicos de Negros, Indios, Negillas und anderen christlichen Gesängen, wie zum Beispiel bei Mateo Flecha dem Älteren.

Trotz der portugiesischen „Ursünde“, das Plantagen und Sklaverei Modell auf den Kapverden entwickelt zu haben, waren Afrikaner, die Oberschicht, ein Teil der portugiesischen Gesellschaft. Gleichberechtigt heiratete man untereinander. So kam auf Umwegen über Deutschland, „afrikanisches Blut“, mit der mecklenburgischen Prinzessin Charlotte als Gemahlin des Hannoveraners Georg auf den englischen Thron …

Neben den großen Akteuren, den üblichen Verdächtigen in diesem Menschheitsverbrechen, Engländer, Schotten, Niederländer, Dänen, Spanier, Portugiesen waren auch Deutsche aktiv als Händler beteiligt, oder als Finanziers, wie norddeutsche Kaufleute besonders aus Hamburg und auch Bremen, aber auch deutsche Fürsten wie Hohenzollern aus Brandenburg im heutigen Ghana.

Das Konzert konnte die Geschichte der Sklaverei erfahrbar machen! Eine Geschichte, bei der aus purer Geldgier Menschen aus Afrika nach Süd- und Nordamerika verschleppt, gequält und ausgebeutet wurden. Die Musik hat die Spuren des Unrechts konserviert, und Savall lässt sie in diesem neuen Programm hörbar werden, mit Musik von beiden Seiten des Atlantiks.

Es war ein großartiges, bewegendes und begeisterndes Konzert! Es nahm mit und rührte auf. Man konnte die Qualen und das Leid der verschleppten Menschen spüren, zumindest erahnen. Welch schöne, berührende und mitnehmende Musik trotz Leid entstand, berührte zutiefst. Das Publikum war begeistert und gab stehende Ovationen und überwältigten, selbst überwältigt die Künstler.