Jordi Savall – Die Routen der Sklaverei

Musik aus Afrika, Portugal, Spanien und Lateinamerika

Es ist erstaunlich, welch schöne Musik von Menschen geschaffen wurde, die unsägliches Leid erleben mussten. Aus der Heimat entführt, ihren Lieben, Familien und Gemeinschaften entrissen und in einer fremden Welt ausgespuckt, verhökert, versklavt und unter unmenschlichen Bedingungen zur endlosen Arbeit gezwungen.



Jordi Savall zählt zu den bedeutendsten Gambisten und Interpreten der historischen Aufführungspraxis. Seit über 50 Jahren begeistert er als Gambist und Dirigent. Savall wurde von der UNESCO zum „Künstler für den Frieden“ ernannt.

Savall begab sich erneut auf musikalische Spurensuche und folgt den Routen des transatlantischen Sklavenhandels, des Dreieckhandels, aus Europa über Afrika nach Süd- und Nordamerika. Sein faszinierend-filigranes Programm, dessen Entstehung von der UNESCO gefördert wurde, kombiniert Klagelieder, Kriegsgesänge und Trommelklänge aus Mali, Madagaskar, Kolumbien, Mexiko und Europa mit historischen Texten über die Sklaverei. Beginnend mit den ersten Chroniken von 1444 hin zu den Worten des Friedensnobelpreisträgers Martin Luther King aus den 1960er Jahren.

Für sein Projekt „Die Sklavenrouten“ vereinte Savall Instrumentalisten und Sänger unter anderem aus Mali, Marokko, Mexiko und Brasilien. Gemeinsam schlagen sie einen musikalischen Bogen von 1444 bis 1888. Sie spielen Lieder, Klagegesänge und Tänze, die zur Zeit der Sklaverei entstanden sind. Musik aus Afrika, Portugal, Spanien und Lateinamerika. Und in der Musik aus Spanien und Portugal zeigt sich der Einfluss der Sklaven und ihrer Musik auf die Musik der so überlegenen Versklavenden.

Die eigenen Ensembles von Savall, Hesperion XXI und La Capella Reial de Catalunya haben dieses Programm, mit dem sie nun auf Tour sind, so auch also in Dortmund mit Klangvokal am 06.06., zusammen mit Instrumentalisten und Sängerinnen und Sängern aus Mali, Madagaskar, Marokko, Mexiko, Kolumbien, Brasilien, Argentinien und Venezuela erarbeitet. Mit dabei ist auch wieder das mexikanische Tembembe Ensamble Continuo, mit dem Savall schon zuvor Projekte verwirklicht hat.

Dabei wird ein musikalischer Bogen geschlagen, von 1444 bis 1888, mit Texten aus der vorchristlichen Zeit bis zum 20. Jahrhundert. Savall, der hier eine kleinere Form der Gamba, die Diskantgambe spielt, leitet das Konzert von seinem Instrument aus.

Durch das Programm führt wie eine Erzählerin, Denise M´Baye und treibt dabei das Konzert mit Zeugenaussagen und Dokumenten von Beteiligten, das Konzert durch Jahrhunderte der Qualen. Ein Pendant findet M´Baye in Sékouba Bambino, Guinea, der die afrikanische Tradition der Erzähler dabei Nahebringt. Lange schon sind sie es, die Mythen, Geschichten, Legenden und Kultur tradieren.

Aus dem Ursprungskontinent der Sklaven sangen Ballaké Sissoka, Mamani Keita, Tanti Kouyaté und Fanta Sissoko. Aus den „Zielgebieten“ der Sklaven, in die sie verschleppt wurden, sangen, spielten und tanzten Leopoldo Novoa, Kolumbien, Ada Coronel, Enrique Barona, Ulises Martinez, Mexiko, Maria Juliana Linhares, Zé Luis Nascimenti, Brasilien, Lixsania Fernández, Kuba.

Hesperion XXI: Elionor Martinez, David Sagastume, Lluís Vilamajó, Victor Sordo, Simón Millán, Salvo Vitale

La Capella Reial de Catalunya: Pierre Hamon, Béatrice Delpierre, Elies Hernandis, Xavier Puertas, Xavier Diíaz-Latotorre, Andrew Lawrence-King, Jordi Savall

In der Musik der betroffenen Völker der Westküste Afrikas, Brasiliens, Mexikos, der Karibischen Inseln, Kolumbiens und Boliviens hat die humanitäre Katastrophe der Sklaverei bis heute tiefe Spuren hinterlassen. Die Lieder, Klagegesänge und Tänze treten hier in den Dialog mit iberischen Musikformen, die sich, so Savall, „an den Gesängen und Tänzen der Sklaven und Einheimischen sowie an ethnischen Mischungen jeder Art inspiriert haben, die auf der Tradition der Afrikaner, Indios und Mestizen basieren.“

Die mehr oder weniger erzwungene Beteiligung der Sklaven an der kirchlichen Liturgie der Neuen Welt spiegelt sich in den verschiedenen Formen wie Villancicos de Negros, Indios, Negillas und anderen christlichen Gesängen, wie zum Beispiel bei Mateo Flecha dem Älteren.

Trotz der portugiesischen „Ursünde“, das Plantagen und Sklaverei Modell auf den Kapverden entwickelt zu haben, waren Afrikaner, die Oberschicht, ein Teil der portugiesischen Gesellschaft. Gleichberechtigt heiratete man untereinander. So kam auf Umwegen über Deutschland, „afrikanisches Blut“, mit der mecklenburgischen Prinzessin Charlotte als Gemahlin des Hannoveraners Georg auf den englischen Thron …

Neben den großen Akteuren, den üblichen Verdächtigen in diesem Menschheitsverbrechen, Engländer, Schotten, Niederländer, Dänen, Spanier, Portugiesen waren auch Deutsche aktiv als Händler beteiligt, oder als Finanziers, wie norddeutsche Kaufleute besonders aus Hamburg und auch Bremen, aber auch deutsche Fürsten wie Hohenzollern aus Brandenburg im heutigen Ghana.

Das Konzert konnte die Geschichte der Sklaverei erfahrbar machen! Eine Geschichte, bei der aus purer Geldgier Menschen aus Afrika nach Süd- und Nordamerika verschleppt, gequält und ausgebeutet wurden. Die Musik hat die Spuren des Unrechts konserviert, und Savall lässt sie in diesem neuen Programm hörbar werden, mit Musik von beiden Seiten des Atlantiks.

Es war ein großartiges, bewegendes und begeisterndes Konzert! Es nahm mit und rührte auf. Man konnte die Qualen und das Leid der verschleppten Menschen spüren, zumindest erahnen. Welch schöne, berührende und mitnehmende Musik trotz Leid entstand, berührte zutiefst. Das Publikum war begeistert und gab stehende Ovationen und überwältigten, selbst überwältigt die Künstler.




Klangvokal 2019 – Wenn Musik verbindet

Das Musikfestival
Klangvokal war schon immer ein Mittler zwischen verschiedenen
Musikkulturen. Bereits 2015 baute Klangvokal „Brücken“ zwischen
den Kontinenten oder war wie 2016 „grenzenlos“. Da passte es
natürlich, dass die Organisatoren Jordi Savall für ein Konzert
einladen konnten, der mit einem Programm „Hommage an Syrien“ am
19. Mai 2019 im Konzerthaus das gebeutelte Land als
Inspirationsquelle für die Musik aus dem Orient. Ein besonderes
Erlebnis für die Besucher.

Das Thema Okzident
und Orient ist für den spanischen Musikwissenschaftler und Gambisten
Jordi Savall nicht neu. Bereits 2006 erschien eine CD mit dem Titel
„Orient – Occident“, 2013 brachte er „Orient – Occident II“
heraus. Seine aktuelle Tournee heißt „Hommage an Syrien“.
Hierbei spielen in seinem gegründeten Ensemble Hespèrion XXI und
dem interkulturellen Ensemble Orpheus XXI musikalische Freunde Musik
aus dem jüdischen, muslimischen und christlichen Mittelmeerraum. Mit
dabei sind Musiker, die vor dem Krieg in Syrien fliehen mussten.

Neben virtuosen Instrumentalisten hatte Jordi Savall auch gute Gesangssolisten mit nach Dortmund gebracht. Im Vordergrund: Rebal Alkhodari (links) und Waed Bouhassoun. (Foto: © Anja Cord)
Neben virtuosen Instrumentalisten hatte Jordi Savall auch gute Gesangssolisten mit nach Dortmund gebracht. Im Vordergrund: Rebal Alkhodari (links) und Waed Bouhassoun. (Foto: © Anja Cord)

Doch die Musik, die
im Konzerthaus erklang, war keinesfalls traurig oder deprimierend. Im
Gegenteil: Savall hatte einige Tänze aus der Türkei, Syrien oder
Afghanistan im Programm. Fröhliche Lieder wie „Lamuny“, die zum
Tanzen animierten und von den Musikerinnen und Musikern erfrischend
interpretiert wurden, gab es genügend. Auch melancholische Stücke
wie „Ce brun – Hal asmar“, gesungen von der eindrucksvollen
Waed Bouhassoun, waren im Programm.

Überhaupt war das
Konzert ein Genuss für Freunde der orientalischen Musik. Neben der
Oud, waren noch Instrumente wie Duduk, Ney (beides Flötenarten),
Sarod und Robab (zwei Saiteninstrumente) zu hören. Natürlich
gehörten auch exotische Percussioninstrumente zum Ensemble.

Das musikalische
Zentrum des Konzertes war Syrien. Traditionelle Lieder und Tänze aus
Damaskus oder Aleppo wurden kombiniert mit Stücken aus Kurdistan,
der Türkei oder Nordafrika. Daneben führte uns Savall nach
Afghanistan und sogar nach Indien, als der Raga „Muddhu gare
yashoda“ erklang. Einen kleinen Ausflug gab es nach Paris. Das
Stück „Le Quarte Estampie Royal“ aus dem 13. Jahrhundert zeigte,
dass die musikalische Verwandtschaft zwischen dem Osten und dem
Westen zu der Zeit noch sehr eng war. Lieder aus dem Kulturkreis der
sephardischen Juden rundete das Konzert ab.

Die Spielfreude der
über 20 Musikerinnen und Musiker sprang auf das Publikum über. Hier
zeigte es sich deutlich, dass die Musik ein verbindendes Element ist,
das imstande ist, Brücken zwischen Kulturen zu bauen und ein
„Wir“-Gefühl zu stärken. Daher sind solche Konzerte ungemein
wichtig.