IFFF Tag 5 – The Realm of God

Am 22.04.2023 stand in der Dortmunder Schauburg „The Realm of God“, von der mexikanischen Regisseurin Claudia Sainte-Luce als Wettbewerbsbeitrag des IFFF Dortmund/Köln auf dem Programm.



Wenn in einem Film die Hauptfigur „Neimar“ heißt, ähnlich wie der brasilianische Fußballstar, der junge Schauspieler im wahren Leben den Vornamen Diego Armando trägt, wie die argentinische Fußballlegende, dann könnten die Zuschauer:innen einen veritablen Fußballfilm erwarten. Doch weit gefehlt. Dieses Coming-of-Age Drama um den achtjährigen Neimar ist von Erfahrungen in der eigenen Familie geprägt.

Der junge Neimar lebt mit Mutter und Großmutter in ärmlichen Verhältnissen in einer stark katholisch beeinflussten ländlichen Gegend in Mexiko.

Sein Vater ist abwesend, und der offene und neugierige Junge ist oft auf sich alleine gestellt.

Er ist ein guter und fleißiger Junge kurz vor seiner Kommunion, der die Existenz Gottes gerne in sich erfahren möchte.

Höflich und verständnisvoll ist er gegenüber seiner gläubigen Mutter, selbst wenn sie fade lauwarme Suppe kocht oder erklärt, nicht genug Geld für ein Outfit zur Kommunion zu haben.

Manchmal amüsiert sich Neimar über seine streitbare Großmutter und kann fantasievoll mit seiner besten Freundin Naomi spielen. Beide gehen auch am Sonntag zusammen in die Kirche.

Seine besondere Leidenschaft gilt den Rennpferden und dem Rennsport.

Er lernt viel über die Tiere und wird nebenbei von den Männern in die „Machowelt“ eingeführt. Schmerzhafte, unerwartete und lebensverändernde Ereignisse lassen ihn Existenz Gottes in Frage stellen.

Der Film lässt das Publikum das leben direkt mit den Augen des staunenden Kindes sehen. Eine behutsame fast dokumentarische Kameraführung bringt jede Emotion (Freude und Wut) des Jungen nah an die Zuschauenden heran.

Deren Bandbreite und Intensität wird durch das natürliche Spiel von Diego Armando Lara Lagunes als Neimar wunderbar auf den Bildschirm gebracht.




IFFF Tag 4 – Before, Now & Then

Der erste Wettbewerbsbeitrag am 4. Tag des IFFF Dortmund/Köln kam mit „Before, Now & Then“ von der indonesischen Regisseurin Kamila Andini.



Indonesien in den 1960er-Jahren ist er Ort der Handlung. Die Hauptperson im Film ist Nana, deren Mann im West-Java-Krieg verschleppt wurde.

Einblicke in die moderne Geschichte Indonesiens gibt "Before, Now & Then" von Kamila Andini. (Foto: (c) FourcoloursFilm)
Einblicke in die moderne Geschichte Indonesiens gibt „Before, Now & Then“ von Kamila Andini. (Foto: (c) FourcoloursFilm)

Zuflucht findet sie bei einem Sundanesen, den sie heiratet und mit ihm und vier Kindern in einem großfamiliären Kontext lebt. Sie kümmert sich neben dem Wohlergehen ihres Mannes und Kinder auch um die Gemüse-Plantage.

Das Trauma holt Nana jedoch ein. Doch eine unerwartete Frauenfreundschaft ist ihre Rettung und hilft auf emanzipatorischen Weg. Sie muss am Ende eine schwere Entscheidung treffen.

Dabei steht sie auch als Synonym für Indonesien.

Der Film ist durch opulente Bilder und passender Musikbegleitung geprägt. Nahaufnahmen, die jede Mimik und Geste auffangen, sowie starke Symbolik wurden als Stilmittel genutzt.

Es gibt einige Traum- und Albtraumsequenzen, aber auch Alltagsszenen, die das Klima von Angst und Enge, den herrschenden Traditionen, Angst vor Verfolgung eindrucksvoll visualisieren. Auch die schönen Momente, etwa beim Spielen mit den Kindern am Strand oder die tröstlichen Szenen mit der Freundin fehlen nicht.

Ein ruhiger aber eindringlicher Film mit um Emanzipation und Solidarität.




IFFF Tage 3 – La Maternal

In „La maternal“ (Mutterschaft) der spanischen Regisseurin Pilar Palomero geht es um die Folgen einer Schwangerschaft für die 14-jährige Carla. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie geht ein Kind damit um, selbst ein Kind zu bekommen und es aufzuziehen.



„La maternal“ ist ein Film bei dem ich zumindest einen familiären Bezug herstellen kann, denn meine Cousine bekam ihr erstes Kind ebenfalls mit 15 Jahren. Gerade in dem Alter, in dem Jugendliche die starren Regeln der Eltern in Frage stellen, sich ausprobieren und eigene Grenzen ausloten, ist für Carla diese Zeit sehr schnell vorbei.

Carla (Mitte) will trotz Schwangerschaft etwas Spaß haben. (Foto: (c) IniciaFilms BteamProds)
Carla (Mitte) will trotz Schwangerschaft etwas Spaß haben. (Foto: (c) IniciaFilms BteamProds)

Dabei macht es der Film nicht einfach, die Protagonistin Carla (gespielt von Carla Quílez) zu mögen. Zunächst schaut sie mit ihren Freund Efrain Pornos, dringt in fremde Wohnungen ein und verwüstet sie oder spielt mit anderen Jungs Fußball. Später kommt sie in ein Heim für werdende jugendliche Mütter und lernt langsam, sehr langsam, dass ihr früheres Leben vorbei ist und eines mit vielen Verpflichtungen beginnt. Palomero setzt den Fokus sehr stark auf diesen Lernprozess, der bei Carla aber sehr spät entsteht. Danach ist auch das Verhältnis mit ihrer Mutter deutlich besser.

Der Film überzeugt auch durch tolle Bilder eines Spaniens jenseits von Sonne und Strand. Eine staubige Hauptverkehrsstraße, an der unentwegt Laster vorbeirasen, ist die Kinderstube von Carla. Kein Traumort.

Sehr gut in Szene gesetzt ist auch das Zentrum für jugendliche Mütter. Ein Hoffnungsort, denn hier lernt Carla neue Freundinnen, die ihr zeigen, was auf sie zukommt und es gibt auch eine Solidarität unter den jungen Müttern. Glücklicherweise sinkt die Zahl minderjähriger Mütter in den vergangenen Jahren. Waren es 2016 in Deutschland noch 5.377 Schwangerschaften, fiel diese Zahl 2021 auf 4.097. Dennoch ist die Zahl minderjähriger Mütte5r beispielsweise in Spanien deutlich niedriger, selbst wenn man die Einwohnerzahlen in Relation setzt. Es bleibt noch viel zu tun, um die emotionalen Belastungen und die gesellschaftlichen Stigmatisierungen jugendlicher Mütter zu minimieren.




IFFF Tag 3 – Mother and Son (Un petit frère)

Als nächster Wettbewerbsfilm beim IFFF Dortmund/Köln 2023 stand „Mother and Son“ der jungen französischen Regisseurin Léonor Serraille auf dem Programm.



Teilweise inspiriert von den Erfahrungen ihres Partners anlässlich seines Umzugs aus Afrika, erzählt sie die Geschichte von Rose und ihren beiden Söhnen Jean und Ernest. Die drei Personen migrieren 1989 von der Elfenbeinküste nach Frankreich (Paris).

Szenenbild aus dem Film "Mother and Son". (Foto:  (c) IFFF)
Szenenbild aus dem Film „Mother and Son“. (Foto: (c) IFFF)

Die Erlebnisse der Familie werden über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten und in ihren Entwicklungsprozessen sensibel dargestellt.

Darüber hinaus noch zusätzlich aus verschiedenen Perspektiven von Mutter und Söhnen.

Zu Beginn steht die Blickwinkel von Rose, wunderbar dargestellt von Annabelle Lengronne, im Mittelpunkt. Sie ist mit den noch sehr jungen Söhnen in Paris angekommen und lebt in beengten Verhältnissen bei ihrer Schwester.

Rose putzt im Hotel und versucht, ihren Söhnen eine gute Mutter zu sein. Gleichzeitig versucht sie, sich Freiräume zu schaffen. Ablenkung findet sie in romantischen Begegnungen mit Männern.

Ihren Kindern vermittelt Rose, wie wichtig es ist, für eine bessere Zukunft hart zu arbeiten und zu kämpfen. Gebildete und gute Männer soll aus ihnen werden. Sie findet einen Partner und zieht mit den Kindern zu ihm nach Rouen.

Der Film ist bildgewaltig und es geht neben ihrer Mutterrolle auch um (afrikanische) Identität.

Zehn Jahre später steht Jean im Blickfeld. Er ist mit seinem jüngeren Bruder ziemlich auf sich alleine gestellt und hat Schwierigkeiten, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Seine Mutter arbeitet in Paris und kommt nur am Wochenende nachhause. Sie heiratet einen neuen Mann, den er ablehnt und immer mehr in schlechte Kreise und Drogen abzudriften droht. Letztendlich geht sein Weg zurück zur nach Afrika.

Weitere zehn Jahre später ist der sensible Ernst Philosophieprofessor geworden. Er hat das erreicht, was seine Mutter sich für ihn erträumt hat. Er lebt jedoch allein und entfremdet von ihr und auch sein Bruder ist aus seinem Leben verschwunden.

Starke Schauspieler*innen und ein bewegendes Familienporträt, Leben in der Fremde sowie der Auswirkung einzelner Entscheidungen auf alle anderen.