Unterschiedliche Perspektiven auf Europa im Dortmunder Schauspiel
In der Uraufführung
von „Ich, Europa“ am 13.10.2018 im Schauspielhaus Dortmund unter
der Regie von Marcus Lobbes warfen elf SchauspielerInnen des hiesigen
Ensembles mit Texten von elf Autorinnen und Autoren aus der
arabischsprachigen Welt, Nord-Afrika und dem (alt-osmanischen) Balkan
einen multiperspektivischen Blick von außen auf Europa. Eine
ambivalente Geschichte mit exportierter Kultur, Gewalt (Waffen) und
Nationalismus einerseits, und befruchtender Koexistenz zwischen
Orient und Okzident andererseits.
Ausgangspunkt war
ein Aufruf, der Figur „Europa“ aus der perspektivischen
Außensicht dieser Autoren einen Raum zu geben. Nur ein Text stammt
von dem Dramaturgen (Assistent) Matthias Seier.
Die
SchauspielerInnen vom Dortmunder Ensemble haben vom Regisseur viele
Freiheiten bekommen und die originalen Texte gekürzt und sich mit
ihnen ganz individuell auseinander gesetzt.
Man hatte als
Publikum öfter das Gefühl, die Texte wären extra für die
jeweiligen Schauspielerinnen geschrieben worden. Alle drückten in
ihrer 7 bis 12 minütigen Darstellung eindrucksvoll ihre ganz
persönliche Vorstellung und Interpretation der jeweiligen
Textvorlage aus und ließen sie lebendig werden.
Die Bühne war mit
beweglichen Wänden, die gleichzeitig als Projektionsfläche für die
unterschiedlichsten Hintergründe passend zu den Texten diente,
meditativen Klangschalen und wenigen anderen Requisiten eher dezent
ausgestattet. Die Videoprojektionen von Mario Simon und die
klangliche Begleitung durch den musikalischen Leiter Tommy Finke
sorgten für den starken atmosphärischen Backround.
Am Anfang stand der
mythologische Hintergrund. Nach ihr war Europa eine phönizische
Königstochter, die von Gott Zeus in Form eines Stieres nach Kreta
entführt wurde Auf der Suche nach ihr gründete einer ihrer Brüder
(Kadmos) das sagenumwobene Theben als den Beginn Europas.
Der Stier wird als
großes Stoff-Exemplar bei der Darstellung der erstem Textvorlage von
Nermina Kukic (aus Montenegro/ lebt in Düsseldorf) unter dem Titel
„Europa Hipohondrija“ in schwerer Arbeit von Schauspielerin
Friederike Tiefenbacher auf die Bühne gebracht. Sie stellt wunderbar
Europa als etwas schlecht gealterte, etwas selbst mitleidige trunkene
Figur dar.
Im weiteren Verlauf
werden die verschiedenen Aspekte und Fragen der über 1400 Jahre
währenden Liebes und Leidensgeschichte zwischen Morgenland und
Abendland und Europa angesprochen.
Dabei werden unter
anderem die bis in die Gegenwart dauernden Waffenlieferungen an die
Türkei, mit denen die kurdische Bevölkerung mit Waffen (aus den
ehemaligen NVA-Beständen der Ex-DDR) ermordet wurden und vieles
mehr. Mal wütend laut oder auch fast poetisch eindringlich wurden
aber auch Wünsche und Hoffnungen zu Europa dargestellt.
Darunter fällt etwa
der eindrucksvolle Appell für mehr Empathie und Solidarität in
Okzident und Orient, die der Text von Yasmina Khadra aus Kénadsa
in Algerien (lebt in Aix-en-Provence).
Symbolhaft
bringt Alexandra Sinelnikova den Text als eine Art „Kleiner Prinz“
vor der roten Rose dar.

Ein
großes Kompliment an dieser Stelle
an die Kostümbildnerin
Pia Maria Mackert, die nicht nur hier wunderschöne und
phantasievolle Kostüme für die Aufführung entwickelt hat.
Der
Text „Die Friedensbraut“ von von Muzaffer Ötztürk (Banaz /
Izmir) gibt die wahre Geschichte der italienischen Aktionskünstlerin
Pippa Bacca wieder, die von Italien aus als Friedensbraut durch
Europa reiste und so für ein friedliche miteinander warb. Lebendig
wurde die Geschichte von Bettina Lieder auf die Bühne gebracht Mit
ihrer guten Stimme sang sie auch noch live einen Song.
Dem
anwesenden Autor scheint es auch gefallen zu haben.
Stark
angesprochen wurden auch aktuelle Krisen und Probleme wie etwa die
Not der Flüchtlinge, die nach Europa drängen.
Ekkehard
Freye mußte sich im verschlissenen Kleid bei der Umsetzung des
Textes
„Ich bin Europa“ von Iman Humaydan (Ain Aaoub / Paris) tapfer als
ängstliche Figur Europa den stürmischen Ansturm der vor Not und
Krieg flüchtenden entgegenstellen, und trotz allem ihren Idealen
folgen. Es wurde eine große Bandbreite an Fragen in einer
eindrucksvollen und nachdenklich machenden Aufführung aufgeworfen.
Was sind die eigentlichen Grenzen
von Europa? Wo fängt es
an und hört es eigentlich auf? Wie wollen wir es friedlicher
gestalten und welche Werte sollen es bestimmen? Welche
Verantwortung hat Europa?
Ab
der zweite Aufführung am 27.10.2018 um 19:30 Uhr werden die
arabischen Übertitel fertig gestellt sein!
Informationen
zu den weiteren Aufführungsterminen erhalten Sie wie immer unter
www.theaterdo.de und Tel.:
0231/ 50 27 222.