Protokolle der Sprachlosigkeit Erinnerung an Mehmet Kubaşik

Es gibt Ereignisse, die einen sprachlos und wütend machen. Eines davon sind die NSU-Morde, die bis zu ihrer endgültigen Aufklärung unter dem scheußlichen Begriff „Dönermorde“ in den Medien waren. Grund dafür ist, dass die meisten Opfer migrantischen Hintergrund hatten. Von der Floskel „Wir ermitteln in alle Richtungen“ ist auch bei der Polizei schnell Mord im Drogenmilieu, Kämpfe innerhalb migrantischer Kreise usw. geworden, so dass die Opfer und auch ihre Angehörigen quasi verdächtigt wurden.



Auch in Dortmund gab es ein NSU-Opfer: Mehmet Kubaşik wurde am 04. April 2006 in seinem Kiosk in der Nordstadt ermordet. Erst mit dem Selbstmord von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 2011 war klar, dass der Mord nichts mit innermigrantischen Banden oder Drogen zu tun hatte, sondern mit rechtsradikalem Terrorismus.

Jasmina Musić und Johanna Wieking vom HER.STORY KOLLEKTIV gaben in ihrer Performance „Protokolle der Sprachlosigkeit“ Raum zum Angedenken nicht nur an Mehmet Kubaşik, sondern auch den anderen zahllosen Opfern des Rechtsextremismus. Denn viel zu schnell sind die vielen Opfer rechtsradikaler Gewalt aus den Nachrichten und den Erinnerungen der Öffentlichkeit verschwunden.

Schon der Beginn war beeindruckend, als die Zuschauer in den Saal kamen, der Zuschauerbereich war mit Absperrband versperrt und beide Performerinnen aus dem Grundgesetz zitierten. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Doch dann wurde es emotional. Fast dokumentarisch berichteten die beiden Performerinnen über den Mord an Mehmet Kubaşik aus Sicht seiner Tochter. Das Schlimme war, durch die einseitigen Ermittlungen wurden die Angehörigen mit in den Dreck gezogen, was Spuren hinterließ. Passend dazu wurden die Angehörigen auch nicht durch die Polizei von der Aufklärung 2011 informiert, sondern bekamen das durch die Presse mit. Daneben wurden auch persönliche Geschichten und Erfahrungen von Frauen, die aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen sind, beleuchtet.

Damit die Opfer rechter Gewalt nicht vergessen wurden, bauten Musić und Wieking gegen Ende noch eine Art Gedenktafel mit den Namen der vielen Opfer auf. Vor der einige BesucherInnen Blumen hinterlegen konnten.

Insgesamt ein sehr emotionaler Abend zu einem ernsten, aber wichtigen Thema. Niemals dürfen die Opfer rechter Gewalt vergessen werden.




Moderne Antigone im Fletch Bizzel

Das Künstler*innenkollektiv „HER.STORY“ präsentiert am 30. September und am 01. Oktober 2022 das Stück „Antigone am Strand“. Das Stück basiert einerseits auf den antiken Text von Sophokles, zum anderen auf „Antigone – ein Requiem“ von Thomas Köck sowie Texten von Geflüchteten. Ars tremonia war auf dem Pressegespräch.

Das Kernelement des antiken Stoffes ist, dass Kreon, der Tyrann von Theben, verbietet die Beerdigung seines Neffen Polyneikes, der gegen die eigene Stadt Krieg geführt hat. Antigone, die Schwester von Polyneikos und Kreons Schwiegertochter in spe, widersetzt sich dem Verbot und wird lebendig eingemauert.

Thomas Köck aktualisierte das Stück im Hinblick auf die Flüchtlingswellen über dem Mittelmeer. Bei Köck werden am Strand zahllose Leichen angespült. „Was geht das uns an“, fragt der Chor. Aber Antigone lassen die Toten nicht kalt und stellt sich gegen Kreon.

Auch in der Produktion „Antigone am Strand“ ist die Titelheldin die starke Figur und bietet Kreon die Stirn. Ebenso wie ihre Schwester Ismene, die versucht, liberal und diplomatisch zu bleiben. Kreon wird in dem Stück nicht als antiker Herrscher dargestellt, sondern wie ein moderner, neoliberaler Machtmensch.

Auch wenn das Stück sich um die Bestattung von Toten handelt, geht es auch um die Schönheit des (Über-)Lebens, denn Texte von Geflüchteten, die über die Balkanroute gekommen sind, sind miteingeflossen.

Jasmina Musić spielt die Antigone, Toni Gojanović den Kreon. Der Videokünstler Timo Vogt wird den Chor auf die Bühne bringen.

Gefördert wird „Antigone am Strand“ unter anderem vom Forum Darstellende Künste.

Premiere ist am 30. September 2022 um 20 Uhr, die zweite Vorstellung am 01. Oktober 2022, ebenfalls um 20 Uhr.

Karten unter www.fletch-bizzel.de