Cabaret – wenn die Welt aus den Fugen gerät

Wir leben heute in einer Zeit, die in vieler Hinsicht bedrohlich und aus den Fugen geraten zu sein schein.

Mit dem Musical „Cabaret“ (Buch von Joe Masteroff nach dem Stück „Ich bin eine Kamera“ von John  van Druten, Gesangtexte: Fred Ebb, Musik: John Kander, Deutsch von Robert Gilbert) hat Regisseur Gil Mehmert eine moderne Fassung dieser hochaktuellen Parabel auf die Bühne des Dortmunder Opernhauses gebracht. Die Premiere war am 24.09.2022.



Die Geschichte spielt um die Jahreswende 1929/1930 im pulsierenden Berlin. Die Menschen versuchen (wenn sie es sich leisten können) in Zeiten wirtschaftlicher Bedrohung und politischem Erstarken des Nationalsozialismus Ablenkung, Rausch und Freiräume im Cabaret „Kit Kat Club“. Der amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw und das glamouröse Showgirl Sally Bowles sowie die ältere Pensionsleiterin Fräulein Schneider und der jüdische Obsthändler Herr Schultz müssen in einem Umfeld der Bedrohung schwere persönliche Entscheidungen betreff ihrer Liebe treffen…

Musikalisch begleitet wurde der Abend (wie so oft) souverän von der Dortmunder Philharmoniker (Musikalischer Leiter: Damian Omansen)

Auf der Bühne gab es Live-Musik zum Geschehen von Bastian Ruppert (Banjo), Karsten Schnack (Akkordeon) und Julia Kriegsmann (Saxophon / Klarinette).

Neben einem Bett war eine große Drehbühne als Mittelpunkt der Hingucker. Mit dieser Bühne konnte geschickt und kontrastreich von er Scheinwelt des Cabaret Kit Kat Club zur matt beleuchteten Pension des Fräulein Schneider und somit in die Realität gewechselt werden.

Auch in dieser Inszenierung von Mehmert kam das überdimensionierte Klavier im Fordergrund wie bei „Berlin Skandalös“ zum Einsatz.

Durch die Geschichteführte eindrucksvoll als Conférencier Rob Pelzer wie durch ein Guckloch durch das „Cabaret Berlin“.

Alles wurde für eine Revue als Ausdruck der Lebensfreude, dem Wunsch nach freier Entfaltung verschiedensten Persönlichkeiten und Charaktere aufgeboten. Freizügig-schillernd knappe Kostüme, symbolhafte Masken, eine Prise Frivolität und Erotik lag in der Luft. Alle, was in der Realität immer unmöglicher wurde, hatte dort einen kleinen Raum.

Die Kit Kat Girls und Boys sorgten mit Temperament und Können für ein für besonderes Revue-Feeling und als Verstärkendes Element der Handlung.

Mit ihrer Stimme und Ausdruckskraft begeisterte Bettina Mönch als Sally Bowles das Publikum. In nichts nach stand ihr aber auch Jörn-Felix Alt mit seiner sensiblen Interpretation des Cliff Bradshaw. Für rührende und humorvolle Momente sorgten Cornelia Drese als Fräulein Schneider und Tom Zahner als Herr Schultz. Samuel Türksoy überzeugte als Darsteller des deutschen Nationalsozialisten und Maja Dickmann als „Matrosen-verschlingende“ Prostituierte Fräulein Kost.

Alle Personen versuchen irgendwie durch die problematischen Zeiten zu kommen. Die einen bleibe in Deutschland mit ernsten Konsequenzen, oder wollen wie Sally für die Karriere in einer Scheinwelt leben.

Die Inszenierung spart nicht an deutlichen martialischen Symbolen (wie etwa Hakenkreuzen, Fackeln u.s.w.). Das macht die Bedrohung noch spürbarer.

Zu Recht gab es für die unterhaltsame wie nachdenklich stimmende Aufführung Standing-Ovations.

Die Demokratien zunehmend durch rechte Autokraten und Nationalisten bedroht. Wie sagte Cliff Bradshaw so klar: „Wenn du nicht dagegen bist, dann bist du dafür“!

Weite Aufführungstermine finden sie unter www.theaterdo.de




Das Opernhaus durchgepustet

Alle Kranken zerren an Jesus (Alexander Klaws). (Foto: © Björn Hickmann / Stage Picture)
Alle Kranken zerren an Jesus (Alexander Klaws). (Foto: © Björn Hickmann / Stage Picture)

Superstars können warten. Sie verschießen nicht gleich ihr Pulver. Sie warten, bis ihr Auftritt kommt. So war es auch bei der Rock-Oper „Jesus Christ Superstar“, die am 19. Oktober 2014 im Opernhaus Dortmund Premiere hatte. Haben im ersten Teil noch David Jakobs (Judas) und Patricia Meeden (Maria Magdalena) Alexander Klaws (Jesus) noch gesanglich Paroli geboten, reißt der erste Gewinner von „Deutschland sucht den Superstar“ vor allem beim Solo „Gethsemane (I Only Want To Say)“ alle von den altehrwürdigen Opernsitzen. Auch sonst war „Jesus Christ Superstar“ eine rundum gelungene Veranstaltung.

Die Rock-Oper von Tim Rice und Andrew Lloyd Webber erzählt die Geschichte der letzten sieben Tage von Jesus Christus in einer ganz besonderen Weise. Hier geht es nicht um die Frage der Göttlichkeit von Jesus, sondern um aktuelle Fragen wie Personenkult, blinde Gefolgschaft und Opportunismus. Keine Figur ist „gut“ oder „böse“, alle haben ihre Schattenseiten, ihre Interessen und ihre Egoismen. Im Gegensatz zu den anderen Jesus-Erzählungen ist die Figur des Judas keine eindeutig schlechte Figur, eher eine tragische. Judas will die Bewegung von Jesus vor dem Personenkult retten und sieht im Verrat die einzige Möglichkeit. Jesus ist hin- und hergerissen zwischen seiner Botschaft, dem Hype um seine Person und dem Druck der Massen. Das letztere wurde sehr schön dargestellt, als eine Vielzahl von Kranken wie Zombies auf ihn zu wanken und ihn zu erdrücken scheinen. „Ihr seid zu viele“, schreit Jesus verzweifelt.

Das Stück zeigt einen sehr menschlichen Jesus, vor allem in seiner Beziehung zu Maria Magdalena. Für manche Menschen ist das schon ungeheuerlich, daher ist „Jesus Christ Superstar“ seit 2012 in Weißrussland verboten.

Überhaupt das Bühnenbild: dargestellt ist eine Arena-Situation, die man auch aus Fernsehstudios kennt. Auf allen Seiten sitzt oder steht das Publikum, das Jesus feiert oder seinen Tod fordert. Pontius Pilatus (Mark Weigel) ist eine Art drogenkranker Moderator, der trotz Gewissensbisse doch tut, was das Volk für richtig hält („vox populi – vox dei“).

Grandios war Kammersänger Hannes Brock als „Herodes“. Brock, der bereits in der Uraufführung in Deutschland Anfang der 70er Jahre mitmachte, war das optische Highlight. Der Kammersänger war gekleidet und geschminkt als „Joker“ aus den „Batman“-Filmen und legte bei seinem „Herod’s Song“ eine veritable Show hin. Auch sehr beeindruckend war Hans Werner Bramer, der mit seinem tiefen, „bösen“ Bass dem Kaiphas ein unheimliche Aura gab.

Doch die gesanglichen Meriten verdienten sich an diesem Abend die drei Hauptfiguren. Klaws, Jakobs und Meeden, die nach ihren Songs oft Sonderapplaus bekamen. Neben den Sängerinnen und Sängern verdienten sich die Musiker der Band sowie der Choreografin Kati Farkas ein Sonderlob. Selten hat man auf der Opernbühne einen solchen Schwung und einen solch rockigen Sound erlebt. Ein großes Kompliment gehört auch dem Regisseur Gil Mehmert.

Nicht nur wegen Alexander Klaws: Mit „Jesus Christ Superstar“ hat Dortmund ein Juwel bekommen.