Trauer um den langjährigen Dortmunder GMD Gabriel Feltz
Erschüttert und fassungslos haben wir vom plötzlichen Tod des ehemaligen Dortmunder Generalmusikdirektors Gabriel Feltz am 29. August 2025 erfahren. Von der Spielzeit 2013/14 bis 2024/25 leitete er als Generalmusikdirektor (GMD) der Stadt Dortmund die Dortmunder Philharmoniker, bevor er 2024 nach Kiel wechselte.
Mit unserem Kulturblog ars tremonia haben wir seine Arbeit von Anfang bis Ende begleitet und dabei viele wundervolle wie berührende musikalische Momente erleben dürfen.
Unvergessen bleibt der „Tannhäuser“ von Richard Wagner, den er 2013 gemeinsam mit Schauspielintendant Kay Voges auf die Bühne der Dortmunder Oper brachte. Apropos Wagner: Auch beim Ring-Zyklus der vergangenen Spielzeiten war Gabriel Feltz die treibende musikalische Kraft. In Erinnerung sind zudem der Beethoven-Marathon zum 250. Geburtstag des Komponisten sowie das Projekt „Rachmaninov total“ mit Klavier- und Orchesterwerken des russischen Komponisten. Großer Beliebtheit erfreuten sich auch die von ihm dirigierten Stummfilmkonzerte mit Live-Orchester.
In seinen zwölf Jahren in Dortmund hat Gabriel Feltz das Musikleben der Stadt nachhaltig geprägt. (Foto: (c) Liudmila Jeremis )
In seinen zwölf Jahren in Dortmund hat Gabriel Feltz mit großem Engagement und viel Herzblut nicht nur die Dortmunder Philharmoniker zu einem führenden Klangkörper in Nordrhein-Westfalen geformt, sondern auch das Musikleben der Stadt nachhaltig geprägt.
Rachmaninow total – Ein Tag zwischen Triumph, Trauma und Transzendenz
Text: Michael Lemken & Lisa Lemken
Das 10. Philharmonische Konzert am 15. Juni 2025 im Konzerthaus Dortmund war ein ganz besonderes Ereignis: Es bestand aus drei vollständigen Konzertprogrammen. Unter dem Titel „Rachmaninow total“ wurden um 11 Uhr das 1. Klavierkonzert und die 1. Sinfonie, um 15 Uhr das 2. Klavierkonzert sowie die 2. Sinfonie und schließlich um 19 Uhr das 3. Klavierkonzert sowie die 3. Sinfonie aufgeführt.
Das erste und letzte Konzert wurden von den Dortmunder Philharmonikern gespielt, das zweite gestalteten die Kolleginnen und Kollegen der Beogradska Filharmonija. Als Solist*innen traten Beatrice Berrut, Olga Scheps und Bernd Glemser auf. Auch am Dirigentenpult wechselte die Besetzung: Den Auftakt übernahm Mateusz Molęda, gefolgt von Moritz Gnann; zum Abschluss dirigierte der scheidende Generalmusikdirektor Gabriel Feltz den dritten Konzertblock.
„Rachmaninow total“ war kein klassischer Konzertmarathon wie etwa ein Beethoven-Zyklus. Es war keine Heldensaga, sondern eine emotionale Reise – zwischen russischer Seele, Exilerfahrung und tief empfundener Romantik. Die Besucherinnen und Besucher hörten nicht nur Musik, sie erlebten ein musikalisches Lebenspanorama.
11 Uhr – Jugendkraft und Dramatik
Das Klavierkonzert Nr. 1 in fis-Moll, op. 1 ist ein Werk voller Elan – noch suchend in der Form, aber reich an Energie. Wer dieses Konzert hört, erkennt die deutlichen Einflüsse Tschaikowskys: lyrische Melodien, kraftvolle Themen und ein ausgeprägtes Ausdrucksbedürfnis. Als Opus 1 ist es eine Visitenkarte des jungen Rachmaninow – eindrucksvoll interpretiert von Beatrice Berrut.
Die Sinfonie Nr. 1 in d-Moll, op. 13 ist ausdrucksstark, düster und tief in slawischer Klangsprache verwurzelt. Eine gelungene Aufführung – wie sie Mateusz Molęda hier lieferte – zeigt die unterschätzte dramatische Kraft des Werkes. Die Sinfonie wirkt wie ein musikalisches Seelenbild zwischen nationalem Pathos und persönlicher Verzweiflung.
15 Uhr – Reife und Romantik
Am Nachmittag standen zwei Werke vom Beginn des 20. Jahrhunderts auf dem Programm: das erfolgreiche Klavierkonzert Nr. 2 in c-Moll, op. 18, gefolgt von der Sinfonie Nr. 2 in e-Moll, op. 27.
Das Klavierkonzert wurde virtuos und zugleich einfühlsam von der in Moskau geborenen Pianistin Olga Scheps interpretiert – begleitet von der Beogradska Filharmonija unter der souveränen Leitung von Moritz Gnann. Der magische Beginn des Soloklaviers, der erzählende Ton des Hauptthemas sowie die kraftvollen Steigerungen im Wechsel mit melancholisch-ruhigen Passagen machten die Interpretation bewegend. Besonders das Zusammenspiel im zweiten Satz (Adagio sostenuto) berührte durch seine Transparenz und Innigkeit. Ein furioses Finale krönte das Werk.
Die 2. Sinfonie entstand in einer Phase des Aufschwungs im Leben des Komponisten. Nach einer ausgedehnten langsamen Einleitung folgen immer wieder klanggewaltige, emotionale Steigerungen. Die ausdrucksstarken Streicherpassagen lassen schwärmerische Bilder russischer Landschaften entstehen. Der zweite Satz (Scherzo) ist temporeich und technisch anspruchsvoll, mit abrupten Wechseln zwischen Virtuosität und Elegie. Nach einem traumhaften dritten Satz endet das Werk in einem mitreißenden Finale, das das Publikum förmlich aus seiner Versunkenheit riss.
Gabriel Feltz konnte trotz Sportverletzung das dritte Konzert um 19 Uhr selbst dirigieren.
19 Uhr – Spätstil und Abschied
Der Abschluss des Tages war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Im Abendkonzert erklangen das Klavierkonzert Nr. 3 in d-Moll, op. 30 sowie die Sinfonie Nr. 3 in a-Moll, op. 44.
Trotz eines gebrochenen Fingers ließ es sich der scheidende Generalmusikdirektor Gabriel Feltz nicht nehmen, Teile des Konzerts persönlich zu dirigieren – mit einem gemischten Orchester aus Dortmunder Philharmonikern und Beogradska Filharmonija.
Mit Bernd Glemser konnte ein Ausnahmepianist für das wohl anspruchsvollste Klavierkonzert Rachmaninows gewonnen werden. Das über 40-minütige Werk – geprägt von spätromantischer Dichte und technischer Brillanz – meisterte er mit beeindruckender Souveränität. Das eröffnende Thema im ersten Satz (Allegro ma non tanto), vom Klavier in Oktaven vorgestellt, durchzieht das gesamte Werk mit wehmütigem Charakter. Immer neue Steigerungen, klanggewaltige Akkordblöcke und atemberaubend schnelle Läufe fordern höchste Konzentration – Glemser ließ es leicht erscheinen.
Nach der Pause folgte die 3. Sinfonie, entstanden 1935 im amerikanischen Exil. Die bedrückenden Einflüsse der russischen Umwälzungen und der heraufziehenden Weltkriegskrise sind spürbar. Die stilistische Entwicklung gegenüber der zweiten Sinfonie ist deutlich: Zwar gibt es noch immer schwelgerische Momente, doch sie werden von moderneren, oft dissonanten Klängen durchbrochen – besonders eindrucksvoll im zweiten Satz. Der Finalsatz besticht durch rhythmische Energie und tänzerische Elemente. Trotz der neuen Formensprache bleibt Rachmaninow seiner russischen Klangwelt treu.
Die Sinfonie besteht nur aus drei Sätzen, wirkt aber dennoch in sich geschlossen und ausdrucksstark.
Am Ende wurden nicht nur die Musikerinnen und Musiker auf der Bühne gefeiert. Auch Gabriel Feltz wurde als „Motor“ der Dortmunder Philharmoniker gebührend verabschiedet. Bereits vor Konzertbeginn würdigten Oberbürgermeister Thomas Westphal und Tobias Ehinger, geschäftsführender Direktor des Theaters Dortmund, seine Verdienste. Zum Abschied gab es fantasievolle Geschenke – überreicht von „seinen“ Philharmonikern.
Emotional aufwühlende Sinfonie in Umbruchzeiten
Die Konzerte der Dortmunder Philharmoniker haben in dieser Spielzeit einen Bezug zum Revier. Unter dem Titel „Im Ruhrgebiet geboren“ stand am 26. und 27.03.2024 beim 7. Philharmonischen Konzert die viersätzige 6. Sinfonie (a-Moll) von Gustav Mahler (1860-1911) auf dem Programm. Ars tremonia war am 26.03.2024 mit dabei.
Wie vielleicht nicht alle wissen, wurde die 6. Sinfonie 1906 in Essen (also in unserer Nachbarschaft) unter der persönlichen Leitung des Komponisten uraufgeführt. Sie endete als einzige in Moll und wurde die „Tragische“ genannt, obwohl sie viel mehr ist.
Gabriel Feltz (GMD), der einen besonderen Bezug zu dieser Sinfonie hat, dirigierte das Konzert mit großer Besetzung der hiesigen Philharmoniker. Für dieses expressive und anspruchsvolle Werk wird alles an Instrumenten aufgefahren.
Zur Zeit der Entstehung der Sinfonie war Mahler einerseits glücklich mit Alma Mahler-Werfel und seiner kleinen Familie, andererseits brodelten die Konflikte in der Monarchie Österreich-Ungarns. Im Balkangebiet regte sich vermehrt Widerstand und Unruhe.
Diese Kontraste, Glücksmomente, Zerrissenheit, Verzweiflung werden auch in der Musik deutlich spürbar.
In den vier Sätzen wechseln sich Marschcharaktere, romantische Nachklänge an Schubert, musikalische Gedanken, die von Mahlers Liebe zu Alma inspiriert sind, die Welt der Alpen hervorrufen, Volklieder, Tänze, Choräle bis hin zu Rutenhieben oder eindrucksvollen Hammerschlägen (zweimal) zwischen Moll und Es-Dur ab.
Der seelenvoll-trügerische Andante-Satz mit der „Alma“ und Choralthematik wurde bei dieser Aufführung an dritter Stelle nach dem dämonisch-distanzierten Scherzo-Satz gespielt. Das führte grandios als Kontrast zum furios-monumentalen Finalsatz bis hin zu seinem letzten Moll-Ton.
Das Konzert machte nicht nur auf die verschüttete Tradition aufmerksam, sondern wurde von der Dortmunder Philharmoniker und ihrem Dirigenten mit Herzblut, viel Empathie sowie Können interpretiert. Sie zogen das Publikum trotz der fast 90-minütigen Dauer in den ganz eigenen Bann der Sinfonie hinein.
Das wir im Augenblick auch in unruhigen Krisenzeiten leben, sorgt für ein spezielles Empfinden des musikalischen Erlebnisses.
2. Philharmonisches Konzert – Stahlkochen im Konzerthaus
Früher galt in Dortmund folgender Dreiklang: Kohle, Stahl und Bier. Die Kohle ist lange Vergangenheit, die Zeit der großen Stahlwerke in Dortmund ist auch vorbei, nur beim „echten“ Dortmunder Bier scheint es eine leichte Renaissance zu geben.
Bleiben wir aber beim Stahl. Das Arbeiten in einem Stahlwerk ist wenig romantisch. Es hat mehr mit Maschinen, Lärm und harten Männern zu tun. Kein Wunder, dass es bei Künstlergruppen wie beispielsweise dem Futurismus Anfang des 20. Jahrhunderts beliebt war, solche Dinge zum Kern ihrer Arbeit zu machen. Auch in der Musik fanden Komponisten den Klang der Arbeit faszinierend.
Zu Beginn des 2. Philharmonischen Konzertes erklang Alexander Mossolow. Das Stück „In der Eisengießerei“ (im Original „В чугунолитейном цехе“) wurde 1926 komponiert und ist ein charakteristisches Beispiel für Mossolows avantgardistischen Stil. „In der Eisengießerei“ ist geprägt von dissonanten Akkorden, harten Rhythmen und einem avantgardistischen, fast mechanischen Klavieranschlag. Die Musik erzeugt eine Atmosphäre von Arbeit, Maschinen und technologischem Fortschritt. Es ist ein faszinierendes Stück, das die künstlerische Auseinandersetzung mit der industriellen Revolution und der Veränderung der Welt in der sowjetischen Gesellschaft der 1920er Jahre widerspiegelt.
Da auch Stahlarbeiter mal eine Pause brauchten, wurde es romantisch. Das Klavierkonzert Nr. 2 von Sergei Rachmaninow ist ein Paradebeispiel für die romantische Musik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Es ist geprägt von intensiven emotionalen Ausdrücken und melodischer Schönheit. Diese Aspekte zeigte der Solist Nikolai Lugansky in seiner vortrefflichen Interpretation. Schließlich erfordert das Klavierkonzert außergewöhnliche technische Fähigkeiten vom Solopianisten. Das Konzert steht in c-Moll, was zu einer allgemein düsteren und intensiven Stimmung beiträgt. Rachmaninow verarbeitet in diesem Werk seine eigenen emotionalen und persönlichen Konflikte
Nach der Pause ging es wieder zu Arbeit. „Le pas d’acier“ ist ein Ballett in zwei Akten, das vom russischen Komponisten Sergei Prokofjew komponiert wurde. Es wurde im Jahr 1927 uraufgeführt. Der Titel „Le pas d’acier“ bedeutet „Der Stahlschritt“ und bezieht sich auf die industrielle und technologische Entwicklung der Zeit, die das Ballett thematisiert. Die Musik ist rhythmisch, dynamisch und nutzt verschiedene Orchesterfarben, um die industrielle Umgebung darzustellen.
Den Schlusspunkt setzte ein „Stahlross“. „Pacific 231“ ist eines der bekanntesten Werke von Honegger und gehört zu den klassischen Beispielen für die musikalische Darstellung von Maschinen und Technologie in der Musik des 20. Jahrhunderts. Der Titel bezieht sich auf eine bestimmte Art von Dampflokomotive, die als „Pacific“ bekannt ist und 231 als Klassifikationsnummer hatte. Die Musik ist geprägt von rhythmischen und dynamischen Variationen, die den Eindruck von Dampf, Geschwindigkeit und mechanischer Bewegung erwecken.
Nach dem Konzert wurde Gabriel Feltz für 10 Jahre Generalmusikdirektor in Dortmund geehrt.
Konzerthaus im musikalisch-theatralen Bond-Fieber
Die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Gabriel Feltz (GMD) und Regisseurin Birgit Eckenweber für das 1. Konzert für junge Leute (2022/2023) am 26.09.2022 (Konzerthaus Dortmund) unter dem Motto „Hollywood Hits- 007“ etwas Besonderes einfallen lassen.
Neben zwölf Stücken aus den James Bond Filmen (Soundtracks), die von der Dortmunder Philharmoniker wunderbar einfühlsam instrumental interpretiert wurden, fand parallel dazu eine kleine „Dortmunder James Bond-Aufführung“ für das junge oder jung gebliebene Publikum statt.
Mit dabei waren Sängerin Isabel Pfefferkorn (als Honey Lane), Schauspielerin Isa Weiß als Agentin Alison MacKenzie, der auch aus dem Fernsehen bekannte Schauspieler Carl Bruchhäuser als James Bond-007 sowie Ekkehard Freye vom Schauspiel Dortmund (als Handlanger).
Die beiden Agenten waren, wie sie erklärten, in geheimer Mission in das Konzerthaus gekommen. Die Bürgermeisterin hatte beide beauftragt, verdeckt bei den Dortmunder Philharmonikern zu ermitteln. Der Florianturm sollte gesprengt werden! Unter dem Turm im Westfalenpark wurde ein wertvoller Schatz von Friedrich I. genannt Barbarossa gefunden, den ein Attentäter in seinen Besitz bringen will. Der Drahtzieher würde unter den Dortmunder Philharmonikern vermutet…
Isabel Pfefferkorn begeisterte mit ihrer Stimme, besonders bei Hits wie „For Your Eyes Only, Goldfinger, oder Writing‘ s on the Wall und passte sich gut in die theatrale Bildsprache des Geschehens ein.
Liebe und Eiversucht, geheimnisvolle Spannung und Humor mit einer Spur Ironie – alles wurde geboten. Der gerührte, aber nicht geschüttelte Martini durfte natürlich auch nicht fehlen. Berühmte Bond-Zitate wurden locker eingeflochten. Bruchhäuser genoss sichtlich seine Rolle.
Isa Weiß konnte auch ihr Gesangstalent bei „You Only Live Twice“ unter Beweis stellen.
Ekkehard Freye schien besonderes Vergnügen am Spiel zu haben. Der ganze Konzerthausraum wurde von den Beteiligten als Bühne benutzt.
Dirigent Gabriel Feltz ließ es sich nicht nehmen, aktiv bei der Story mit zu wirken. Ausgerechnet er war der Drahtzieher und es wurden ihm sogar Handschellen angelegt. Dabei konnte er sich den Hinweis, dass man das Geld aus dem Schatzraub gut für einen neuen Proberaum für das Orchester gebrauchen könnte, nicht verkneifen.
Für eine geheimnisvolle Atmosphäre sorgten zudem die geschickt eingesetzten Lichteffekte.
Das junge Publikum ging gut mit und am Ende gab es viel Applaus für alle Akteure.
1. Philharmonisches Konzert – musikalischer Neustart mit Bruckner
Endlich ist die Zeit vorbei, in der man die Dortmunder Philharmoniker nur auf CD hören könnte, am 14. Und 15. September 2021 startete das Orchester mit seinem Generalmusikdirektor Gabriel Feltz in die neue Spielzeit. Unter der Überschrift „Gottestürme“ stand Bruckner 5. Sinfonie auf dem Programm, ein musikalischer Gigant, der in 80 Minuten vermessen und analysiert wurde.
Nichts gegen Spotify, sie haben eine Reihe schöner Aufnahmen von Anton Bruckners 5. Sinfonie in ihrem Angebot, aber nichts geht über die Erfahrung eines Live-Konzertes. Husten, Rascheln, das Stimmen der Instrumente, all das macht das Erlebnis einzigartig. Wenn dann noch die Blechbläser und die Pauken mit ihrer Kraft in der Magengegend zu spüren sind, das bekommt man auch mit dem besten Kopfhörer nicht hin.
Die 5. Sinfonie ist durch ihr Hauptthema in den letzten Jahren wieder ins Bewusstsein der Menschen gelangt, denn es klingt so ähnlich wie der Gitarren-Riff von „Seven Nation Army“ von der Band „The White Stripes“. Ob Jack White Bruckners Sinfonie jemals gehört hat und sich bewusst oder unbewusst hat inspirieren lassen, bleibt offen.
Jedenfalls ist das „kontrapunktische Meisterstück“, so Bruckner selbst über die 5. Sinfonie, ein ordentliches Stück Arbeit für die Blechbläser und den Paukisten Frank Lorenz. Aber sie hat auch zärtliche Momente wie der Beginn des Adagios, die von der Oboe getragen wird und von Christiane Dimigen behutsam vorgetragen wurde.
Die Aufgabe von Gabriel Feltz war es, in der sehr komplexen Sinfonie die musikalische Dramaturgie zu finden. Der Wechsel zwischen Steigerung und Spannungsabbau ist in dieser Sinfonie essenziell. Auch das schafft der Generalmusikdirektor gekonnt, indem er fast zu einer Art „Mischpult“ mutiert und die einzelnen Gruppen mal lauter mal leiser spielen lässt.
Ja, die 5. Sinfonie ist eine Art Tonkathedrale, die vor allem im Schlusssatz ihre Wunder und ihre Kraft präsentiert. Daneben bietet der 2. Satz wunderbare Momente der Ruhe und des Innehaltens.
Musikalisch ist der Start in die neue Spielzeit der Dortmunder Philharmoniker gelungen. Beim Blick durch die Besucherränge schien es, als ob das Vertrauen in die Zeit der “Post-Pandemie” noch nicht ganz zurück ist. Es wird wohl einige Zeit dauern, bis alle sich wieder an volle Konzerthäuser gewöhnt haben, ohne Angst vor Ansteckung zu haben. Die Philharmoniker jedenfalls haben am Dienstag ihr Bestes gegeben, um die Besucher*innen wieder ins Konzerthaus zu locken.
Trotz kleinerer Besetzung: Carmina Burana verzückte Publikum
Eine begeisternde Eröffnung gelang den Dortmunder Philharmonikern mit der „Carmina Burana“. Ein kraftvoller, monumentaler Auftakt mit dem beliebten „Oh Fortuna“ riss das Publikum schon zu Beginn des Konzertes mit. Aufgeführt wurde eine reduzierte Orchesterfassung in der Bearbeitung von Andreas Högstedt. Die kleinere Besetzung tat dem Genuss keinen Abbruch, im Gegenteil: der kammermusikalische Klang überzeugte auf Anhieb.
Um alle Abstände einzuhalten, saßen nur 31 Musiker auf der Bühne, die Sänger des Philharmonischen Chores Brno waren auf den Emporen verteilt, der Kinderchor der Chorakademie sang aus den Foyers durch die geöffneten Saaltüren und war praktisch nicht zu sehen. In dieser etwas unbequemen Anordnung aller Beteiligten die Fäden in der Hand zu halten gelang Dirigent Gabriel Feltz hervorragend.
Carl Orff schuf mit seiner Carmina Burana ein Meisterwerk der Musikgeschichte. Die Texte von mittelalterlichen Liedern und Schwänken fand er in einem Antiquariatskatalog bebildert mit dem Rad der Fortuna, war sofort inspiriert. Er schuf noch am gleichen Tag den das gesamte Werk einrahmenden Chor der Fortuna. Orff zieht die Zuhörer mit in verschiedene Szenerien, sie reichen vom Anbrechen des Frühlings, gefolgt von „Auf dem Anger“ und in der Taverne bis zum „Cour d‘ Amour“, dem Hof der Liebesabenteuer. Die meisten Texte sind in Latein verfasst, wenige in mittelhochdeutsch. Musikalisch sehr abwechslungsreich vom fröhlichen, deftigem Bauerntanz, zu leisen weichen Melodien und fast jazzigen, Gershwin ähnlichen Klängen, setzten die Musiker das Werk temporeich und forciert um.
Die Solisten Aleksandra Jovanovic (Sopran), Cornel Frey (Tenor), Thomas Mohr (Bariton) brillierten mit ihren Auftritten. Besonders Bariton Thomas Mohr erwies sich als schauspielerisches Talent mit ausgeprägter Mimik und Ansätzen zur Komik.
Das Publikum belohnte den gelungenen Start unter Coronabedingungen mit Standing Ovations.
Musikalisch schwungvoller Start in das Jahr 2020
Traditionell luden die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Generalmusikdirektor wieder mit einer Nachmittags- und einer Abendvorstellung zu einem festlichen Neujahrskonzert. In diesem Jahr erstmals als Kooperation in das Dortmunder Konzerthaus. Dies ist ja auch ihr eigentlicher „Heimatort“. Ars tremonia war beim Abendkonzert mit dabei.
Mit einem orchestrales Feuerwerk ging es schwungvoll mit der brillanten Musik von George Gershwin, Maurice Ravel und Leonard Bernstein in das neue Jahrzehnt. Die Komponisten sind auf die eine oder andere Weise miteinander künstlerisch durchaus verbunden. Spuren davon führen vom Kaleidoskop Amerika über Frankreich (Europa) und wieder zurück.
Temperamentvoll, karibisch anmutend ging es mit der „Cuban Overture“(1932) von George Gershwin sofort sehr dynamisch los.
Für die 1924 entstandene bekannte „Rhapsody in Blue“ (George Gershwin) konnte die in Frankreich lebende „junge Wilde“ Pianistin Lise de la Salle (*1988) gewonnen werden. Sie konnte im feinen Zusammenspiel mit der Dortmunder Philharmoniker ihr ganzes Können zeigen. Die Herausforderung der rasanten Passagen meisterte sie mit musikalischen Virtuosität, während die ruhigeren Abschnitt von ihr gefühlvoll vermittelt wurden.
Die hiesigen Philharmoniker unter der temperamentvollen Leitung von Gabriel Feltz gelang es dann, die entfesselnde Energie der „Rhapsody Espagnole“ (1908) von Maurice Ravel für das Publikum spürbar zu machen.
Ein Höhepunkt des Konzerts war sicherlich der legendäre „Boléro“ von Ravel(1928). Das fast meditative musikalische Grundthema, nur ab und zu variiert, entfaltete seine grandiose Wirkung. Begleitet von der „kleinen Trommel“, spielen zunächst verschiedene einzelne Blasinstrumente das musikalische Thema, wobei das Tempo stetig aber langsam erhöht wird. Später kommt die Streicherfraktion hinzu, bis das Ganze in einem fulminantem Showdown des gesamten Orchesters gipfelt.
Es zeigt sich hier besonders, wie wichtig das exakte Zusammenspiel der verschiedenen Instrumente ist.
Das könnte man erfolgreich auf das gesellschaftliche Zusammenleben übertragen. Mehr ist im Zusammenspiel und -halt zu erreichen!
Zum Abschluss stand dann noch Leonard Bernsteins „Ouvertüre zu „Candide“ (1956) als schwungvolle Ergänzung auf dem Programm.
Diese verquere Ouvertüre mit seien wechselnden Taktarten und übereinanderliegenden Metren war ein anspruchsvolles musikalisches Stück, dass den Beteiligten noch einmal alles abverlangte.
Sehnsucht – Zweifel – Angst: Lohengrin in der Oper Dortmund
Es war wohl klar, dass Ingo Kerkshofs Inszenierung von Wagners „Lohengrin“ nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen würde. Zusammen mit einem recht spartanischen, aber durchaus effektvollen Bühnenbild macht Kerkhof klar, hier gibt es keine Schwäne oder glänzende Ritter zu sehen. Hier wird eine Geschichte aus dem Blickwinkel von Elsa von Brabant erzählt, die zusammen mit ihrer Rivalin Ortrud um Macht in einer von Männer dominierten Gesellschaft kämpft. Ein Premierenbericht von ars tremonia.
Die Handlung der Oper in Kurzform: Der deutsche König Heinrich sucht in Brabant Hilfe für einen Feldzug gegen die Ungarn. Dabei muss er feststellen, dass der Herzog tot ist und es um die Nachfolge Streit gibt. Friedrich von Telramund, der sich um die beiden Waisen Elsa und Gottfried kümmern sollte, klagt Elsa an, ihren Bruder umgebracht zu haben. Der König lässt ein Gottesurteil anrufen und plötzlich erscheint, von einem Schwan gezogen, Lohengrin, der aber seinen Namen nicht verraten darf. Er besiegt Telramund, aber lässt ihm sein Leben. Elsa und Lohengrin heiraten und Lohengrin verlangt von Elsa das berühmte Versprechen „Nie darfst du mich befragen“. Ortrud, die Frau von Telramund, gelingt es aber, Zweifel in Elsa zu sähen. Und es kommt wie es kommen muss: Elsa fragt voller Angst Lohengrin nach Rang und Namen und er gibt vor dem König sein Geheimnis preis. Danach muss er wieder entschwinden, aber sagt, dass Gottfried der Schwan sei, der ihn gezogen hat und in einem Jahr wieder auftaucht.
Geschichten, Legenden und Mythen über Menschen, die sich (eine Zeitlang) in Tiere verwandeln gibt es in jeder Kultur. In Japan gibt es die Geschichte über einen Kranich, der sich in eine Frau verwandelt und die Geschichte mit Leda und dem Schwan (Zeus) ist sicher bekannt. Kerkhof verquickt in seiner Inszenierung durch Zitate, die auf der Bühne eingeblendet werden, den „Lohengrin“ Mythos mit dem Märchen von „Brüderchen und Schwesterchen“. Im letzteren verwandelt sich der Bruder in ein Reh.
Die große Schwester wird hier zum Mutterersatz und der Bruder zum Kind. Der Sehnsuchtstraum von Elsa nach ihrem Bruder manifestiert sich in der Gestalt von Lohengrin, hier als erwachsener Mann. Ortrud ist das schlechte Gewissen von Elsa, das sie vor dieser verbotenen Liaison warnt. Bevor es aber ernst wird, also die Hochzeitsnacht naht, stellt Elsa Lohengrin die verbotene Frage: Wer bist du wirklich. Lohengrin muss Farbe bekennen und verschwinden. Aus dem Traumbild Lohengrin kann wieder die reale Person Gottfried werden.
Andererseits präsentiert Wagner auch zwei Frauen in seiner Oper, die eine starke Rolle spielen, denn beide wollen an die Macht. So wie Elsa sich nicht zu Seite schieben lassen will, kämpft Ortrud um ihre Position. Dabei tritt sie ihren Mann Friedrich von Telramund durchaus mal in den Hintern, wenn er zu sehr zögert. Interessanterweise sind die Männerrollen in Kerkhofs Inszenierung durchaus nicht die starken Streiter, wie sie zu sein scheinen. Der König Heinrich ist im Streitfall wenig entscheidungsfreudig und lässt lieber ein Gottesurteil ausfechten, Friedrich von Telramund hat erst große Klappe, versteckt sich aber beim kleinsten Widerstand unter dem Rock seiner Frau und Lohengrin setzt mit einen Forderungen Elsa unter Druck statt ihr beizustehen.
Neben einer inhaltlichen Analyse steht natürlich die Musik im Vordergrund. Wagners Musik zu Lohengrin hat auch nach fast 170 Jahren nichts an seiner Kraft verloren. Das Hochzeitslied aus dem 3. Akt ist so populär geworden, dass es fast den Rest in den Schatten stellt. Doch wer sich darauf einlässt, wird feststellen, wie kraftvoll die Musik ist trotz der 3 ½ Stunden. Das ist auch ein Verdienst der Dortmunder Symphoniker unter der Leitung von Gabriel Feltz.
Sehr schön war die Idee, den Chor im Zuschauerraum zu verteilen. Es machte den Eindruck, dass alle Anwesenden ein Teil der Inszenierung wurden. Auch die zusätzlichen Trompeten erklangen aus dem Saal.
Auf der Bühne (Bühnenbild Dirk Becker) wirkte alles etwas farblos. Die Akteure tragen Kleider, die aus Wagners Zeiten stammen, aber niemand trägt etwas farbiges. Das Zimmer von Elsa sieht ärmlich aus, die Einrichtung kann auch aus dem 19. Jahrhundert stammen. Der Außenbereich wird durch einige Stoppeln kenntlich gemacht.
Neben dem Orchester sind natürlich die Sängerinnen und Sänger das wichtigste Element. Leider hat Kerkhof die Protagonisten sehr statisch arrangiert. Es gab kaum schauspielerische Aktionen, außer vielleicht zwischen Ortud und Elsa, ansonsten hätte man alles auch szenisch aufführen können.
Man merkte sofort, dass Morgan Moody besondere Freude an seiner Rolle als Heerrufer des Königs hatte. Souverän sangen Shavleg Armasi (Heinrich der Vogler) und Joachim Goltz (Friedrich von Telramund) ihren Part. Daniel Behle, erschien nicht als glänzender Ritter wie erwähnt, seine Stimme war an diesem Abend aber über jeden Zweifel erhaben.
Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn die Oper „Elsa und Ortrud“ geheißen hätte, denn Christina Nilsson (Elsa) und Stéphanie Müther (Ortrud) gaben den beiden starken Frauen ein ebenso starkes gesangliches Profil.
Ein Abend, der wegen der gewagten Inszenierung sicher nicht jedem gefiel, aber durch Musik und Stimmen zu einem gelungenen Abend beitrug.
Sankt Petersburg im Blickpunkt der Dortmunder Philharmoniker
Am 05.11.2019 und 06.11.2019 stand „Sankt Petersburg“ im
Mittelpunkt beim 2. Philharmonischen Konzert der Dortmunder
Philharmoniker unter der engagierten Leitung von Generalmusikdirektor
Gabriel Feltz.
Die russischen
Komponisten Sergej Rachmaninow (1873–1943) und Peter Tschaikowsky
(1840 – 1893) waren eng und nicht immer ungetrübt mit der Stadt
Sankt Petersburg verbunden.
Im Dortmunder
Konzerthaus erwartete das Publikum in der ersten Hälfte ein
interessantes Experiment.
Fünf
„Études-Tableaux“,
sogenannte
Miniatur-Kompositionen
wie
Gabriel Feltz sie nannte,
von Rachmaninow wurden zunächst einzeln vom
renommierten Pianisten Bernd Glemser gespielt, und jeweils danach im
Wechsel in einer
Orchesterfassung (Ottorino Respigh) von den
hiesigen Philharmoniker.
Für die Orchesterfassung hatte Rachmaninow dankbarer Weise für die jeweiligen Miniatur-Kompositionen bezeichnende Titel vorgegeben. Nr. 1 hieß passend „Die See und die Seemöwen.
Genau
dieses Bild vermittelte die Musik mit einem harmonisch ruhigen Beginn
und den „Turbulenzen“ zwischendurch. Virtuos sehr anspruchsvoll
waren die fünf „
Études
Tableaux“ nicht allein für den Pianisten, sondern natürlich für
ein komplexes musikalisches System wie ein Orchester. Allen
Beteiligten wurde viel abverlangt.
Interessant
war der Vergleich der beiden Versionen, die eigene Stärken und
Möglichkeiten des Pianos und des Orchesters verdeutlichten. Das
Ausdrucksstarke Klavierspiel mit individuellen Betonungen auf
der einen, und die Klangvielfalt durch die unterschiedlichen
Instrumente auf der anderen Seite.
Nr.
2 bot einen temperamentvollen „Volkstanz“ und Nr. 3 einen
entschieden gravitätischen „Trauermarsch“. Eine besondere
Herausforderung war Nr. 3 „Rotkäppchen und der böse Wolf“ mit
seinen rasanten Tempo. Als Abschluss dieses gelungenen Experiments
bot Nr. 5 einen „Marsch“ mit eher flotten
Volkstanzfest-Atmosphäre.
Virtuosität
und eine musikalische Tiefe waren auch für die nach der Pause
folgende 1. Sinfonie g-Moll op. 13 „Winterträume“. Es ist eine
musikalische Reise durch winterliche Russland im 19. Jahrhundert mit
all seinen Freuden, aber auch Härten.
Der
erste Satz „Träumerei
auf winterlicher Fahrt“ beginnt noch
recht träumerisch lyrisch
und harmonisch,
gesteigert mit einigen
furiosen Akkorden. Auf eine wechselhafte und rauere musikalische
Fahrt geht es im zweiten Satz „Rauhes Land, Nebelland“.
Unbeschwerter und melodisch harmonischer geht es im dritten Satz
(Scherzo) weiter. Der letzte Satz fängt mit düsteren Fagott,
Klarinette und Flötenklängen an und steigert sich in Folge
dynamisch, um dann wieder abzufallen.
Reizvoll ist der Gegensatz zwischen wilden Fugen-Episoden und markanten Hauptthema zum furiosen Finale hin für eine virtuose Schlusssteigerung.