Selbstreflexion und Selbstmitleid

Krapp (Ekkehard Freye) hält Zwiesprache mit seinem jüngeren Ich. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Krapp (Ekkehard Freye) hält Zwiesprache mit seinem jüngeren Ich. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Zwei Menschen halten am Ende ihres Lebens Rückschau. Eine Frau und Ein Mann. Marcus Lobbes inszeniert im Studio Samuel Becketts „Glückliche Tage“ und „Das letzte Band“ als intensives Kammerspiel und vergisst dabei nicht den Humor, der den Stücken von Becketts innewohnen. Ein Premierenbericht vom 05. September.

Die letzte Reise. In Lobbes Inszenierung überquert Winnie (Merle Wasmuth) in einer Mischung zwischen Boot und Sarg den Fluss Styx, der in der griechischen Mythologie die Lebenden von den Toten trennt. Bleich geschminkt auf ihrer Reise spricht Winnie meist mit sich selbst, denn sie ist ist in der Beziehung mit Willie der aktive Teil, Willie (gespielt von Ekkehard Freye) der deutlich passive. Nur spärlich und beinahe widerwillig kommentiert er Winnies Monologe. Trotz dieser Entfremdung ist immer eine Art Band zwischen den beiden zu spüren, selbst wenn Lobbes das Ehepaar durch eine Glaswand trennt. Willie sitzt im Zuschauerraum und kann trotz zweier Versuche nicht zu Winnie gelangen, die in ihrem Boot langsam Richtung Toteninsel gezogen wird. Man merkt es Winnie an, dass sie sich freut, wenn Willie reagiert. „Ich weiß, welche Mühe es dich kostet“, sagt sie einmal.

Winnie freut sich an den vergangenen Dingen, an den Gewohnheiten, die sie „der alte Stil“ nennt. Dennoch ist ihr die Vergänglichkeit deutlich bewusst. „Früher dachte ich, dass all die Sachen, zu früh in den schwarzen Sack gesteckt, wieder heraus geholt werden könnten“, erinnert sie sich. Jetzt weiß sie, dass dies nicht passiert. Aus und vorbei.

Krapp hingegen sieht die Rückschau auf sein Leben weniger gelassen. „Welkom op het feest van de gemiste kansen, jongen!“ (Willkomen auf dem Fest der verpassten Chancen, Junge!) sang die niederländische Band „Tröckener Kecks“, doch für Krapp ist es kein Fest. Schon gar kein fröhliches. Die Fragen „Was wäre, wenn…“ und „Wie konnte ich nur so blöd sein.“ Freye, diesmal mit Perücke und Brille, zeigt dabei die Karikatur eines älteren Intellektuellen. Auf der Leinwand erscheint sein jüngeres Ich mit 38-jahren, das selbstgefällig und überheblich über die Ereignisse des vergangenen Jahres berichtet. Anfänglich noch mit lustigen Kommentaren bedacht, werden diese Anmerkungen immer bitterer. Die angestrebte Karriere als Schriftsteller ist als Seifenblase zerplatzt und die Liebesbeziehung aus Überheblichkeit zerbrochen oder gar nicht erst entstanden. So bleibt Krapp im Alter nur noch das letzte Band als bittere Erinnerung, bei dessen Betrachtung er in Selbstmitleid zerfließt.

Winnie und Krapp. Zwei Menschen, deren Rückblick auf ihr Leben nicht unterschiedlicher sein kann. Winnie ist ein klein wenig sentimental, aber zufrieden mit den kleinen Dingen. Krapp hingegen versinkt in Selbstmitleid, nachdem seine selbstgefällige Maske heruntergerissen wurde.

Lobbes inszeniert das Beckett-Doppel nicht ohne Humor, vor allem Krapp bietet durch sein Selbstmitleid ein Quell an Humor, die Freye durch sein Spiel auch wunderbar aus-reizt.

Wasmuth zeigt als Winnie eine fast klaglose Sanftmut auf ihrem letzten Weg.

Ein intensiver Abend, ohne Musik, aber mit zwei sehr präsenten Schauspielern. Für die Vorstellung am 11. September gibt es noch Restkarten. Weitere Termine in diesem Jahr sind 23. September, 01. Oktober, 25. Oktober und 28. Oktober.




Wetten, dass Ihnen das Lachen im Hals stecken bleibt

Bodo Aschenbach (Frank Genser) begrüßt den Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann). (Foto: © Birgit Hupfeld)
Bodo Aschenbach (Frank Genser) begrüßt den Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann). (Foto: © Birgit Hupfeld)

Ausgerechnet am Sonntag, den 23. August 2015 um 19:30 Uhr fand sie statt – die große Wiedergeburt der Samstagabendshow. Die Premiere der „Die Show“ (ja, englisch ausgesprochen!) zeigte, warum es sich lohnt ins Dortmunder Schauspiel zu gehen. Knapp drei Stunden witzige, gefühlvolle, musikalische, verrückte, technisch anspruchsvolle, zynische Unterhaltung. „Die Show“ ist einfach kultverdächtig.

Ok, 2.000 Bewerbungen, um als Kandidat in der nächsten Staffel der „Die Show“ mit zuspielen, wird das Theater Dortmund wohl nicht bekommen. Anders als das Vorbild „Die Millionenshow“ von Wolfgang Menge, die 1970 ausgestrahlt wurde. Dafür war die „Die Show“ doch ein bisschen zu deutlich als Mediensatire erkennbar.

Wie beim „Millionenspiel“ geht es bei der „Die Show“ darum, dass ein Kandidat mehrere Prüfungen zu überstehen hat, bis er eine Millionen Euro erhält. Dabei wird er von drei Leuten alias dem „Kommando“ verfolgt, die am sechsten Tag, der Live-Ausstrahlung der Sendung, sogar die Lizenz zum Töten haben. Lotz muss die ganze Zeit unbewaffnet bleiben.

Hinein also ins Schauspielhaus Dortmund, das sich für die „Die Show“ zum Fernsehstudio wandelt. Was gehört natürlich zu Beginn einer jeden Live-Show? Der Anheizer oder auch „Warm-Upper“ genannt. Carlos Lobo spielte ihn mit einer wahren Freude. Dabei halfen natürlich auch die Fußballergebnisse vom Nachmittag und mit dem BVB als Tabellenführer ging das Klatschen viel leichter.

Das Gewerke des Theaters hatten ganze Arbeit geleistet und zauberten eine beeindruckende Showtreppe im knallen Rot hin, während in der rechten Ecke die Sitzgelegenheiten und sehr aparte Tische (ein Hingucker!) für die Moderation und deren Gäste vorhanden war. Links war die Rezeption und darüber spielte die Band. Aber zur Musik kommen wir später.

Neben dem Kandidaten Bernhard Lotz (Sebastian Kuschmann) ist in einer Fernsehshow natürlich der Moderator das wichtigste Element. Es würde nicht verwundern, wenn für eine eventuelle Neuauflage von „Wetten, dass…“ Frank Genser ins Gespräch gebracht würde, denn seine Darstellung als Moderator Bodo Aschenbach war umwerfend. Ähnlich wie bei den großen Moderatorenvorbildern ist Aschenbach ein König der belanglosen Überleitungen, die von einer Sekunde zu anderen von einem tragischen Beitrag zu einem musikalischen Gast überleiten können. „Wer vor dem Fernseher sitzt, kann jedenfalls nicht gleichzeitig foltern“, kommentiert er eine Szene, in der Kandidat Lotz Schmerzen zugefügt werden. Kuschmann war als gepeinigter Gejagter ziemlich beeindruckend, vor allem gegen Ende, als er völlig verzweifelt war.

Aschenbach wurde Assistentin Ulla zur Seite gestellt, eine Mischung zwischen Sylvie van der Vaart und Michelle Hunzinger. Julia Schubert, mit roter Perücke und holländischem Akzent, spielte ebenfalls großartig. Immer zwischen geheuchelter Anteilnahme und trockenem Zynismus.

Im Mittelpunkt stand natürlich der Kandidat Bernhard Lotz. Dabei hatte Sebastian Kuschmann die meiste Arbeit bereits im Vorfeld hinter sich gebracht, denn die fünf Aufgaben, die Lotz in den Tagen davor absolviert hatte, wurden als Einspieler gezeigt. Erst gegen Ende der Show kam Lotz live auf die Bühne, um die letzte Aufgabe „Silver Bullet“ zu absolvieren, da er sich leider bewaffnet hatte, um gegen das „Kommando“ zu bestehen.

Zu einer Live-Show gehört auch Musik. Die stammt vom neuen musikalischen Leiter des Schauspielhauses, Tommy Finke, der mit seinen Mitstreitern nicht nur die Studioband „Tommy Love and the Smilers“ bildete, sondern auch die Musik für die Stargäste schrieb.

Zu den Stargästen gehörte die umjubelte „Baeby Bengg“, eine J-Pop-Sängerin im Mangastyle und die an Klaus Nomi erinnernde „Brit Bo“. Beide wurden von Eva Verena Müller gesungen. Ein großen Auftritt hatte auch Sebastian Graf als „Johannes Rust“, dem ehemalige DSDS-Sieger und jetzigen Musicalstar, der mit seinem Jesus-Musical Erfolg hat. Der kleine Seitenhieb geht an Alexander Klaws, der in Dortmund ja den Jesus in „Jesus Christ Superstar“ singt.
Bettina Lieder sang den Anastacia-Klon „Slyvia Saint-Nicolas“ ebenso gekonnt wie Julia Schubert einen Song der Assistentin Ulla. Zum Schluß brachte Schubert als Lotzes Freundin „Cindy“ auch eine schräge Sarah-Conner-mäßige Version der deutschen Nationalhymne.

Für diese Produktion haben sich alle im Schauspielhaus sehr ins Zeug gelegt. Das ganze Ensemble war zumindest in kleineren Rollen zu sehen. Köstlich war Ekkehard Freye als Dortmunder Oberbürgermeister, der vor dem Rathaus eine Rede zum Tod der BVB-Hoffnung „Ricardo Gomez de la Hoz“ hielt. De la Hoz (Peer Oscar Musinowski) war als Kollateralschaden vom „Kommando“ erschossen worden. Das Kommando bestand aus Andreas Beck, der den ehemaligen Hells-Angel Bruno Hübner spielte, Bettina Lieder als russische Killerin Natascha Linovskaya und Björn Gabriel, der den leicht irren Howie Bozinsky verkörperte. Sehr schräg war auch Uwe Schmieder als Elisabeth Lotz, die Mutter vom Kandidaten Bernhard.

Die „Die Show“ hat neben ihrer klaren Medienkritik an den Formaten wie „Dschungelcamp“, „Big Brother“ und andere auch eine aktuelle Komponente. Denn Flüchtlinge aus Syrien oder Afrika müssen auch mehrere „Prüfungen“ absolvieren, um letztendlich an ihr Ziel zu gelangen. „Endlich mal ein Flüchtling, zu dem man halten kann“ oder „Dem geht es doch nur ums Geld“ waren die (fiktiven) Zuschauerkommentare zur Situation von Lotz.
Aufs Korn genommen wurde auch die unsäglichen Charity-Aktionen von Prominenten und die deutsche Tierliebe. Als Lotz bei einem Spiel von Hunden gejagt wird und die Tiere verletzt, ist natürlich die Empörung groß. Wegen der Hunde, nicht wegen Lotz.
Kritiker der Sendung werden auch nicht einfach vom Saalschutz abgeführt. Das gibt es bei Moderator Aschenbach nicht, er lässt – wie damals Gottschalk – den Kritiker zu Wort kommen. Oder besser: er lullt ihn mit seinem Geschwafel ein, bis er geht.

Die drei Stunden vergingen fast wie im Flug. Das ist ein großes Verdienst aller Beteiligten und vor allem von Regisseur Kay Voges. Schließlich überzog „Wetten, dass“ auch regelmäßig. Um alle kleinen Feinheiten zu erkennen, sollte man öfter in die „die Show“ gehen. Es lohnt sich vor allem wegen den guten Schauspielern und der tollen Musik. Ein unterhaltsamer, aber auch nachdenklicher Abend. „Die Show“ hat die Messlatte für diese Saison schon ziemlich hoch gesetzt.

Die „Die Show“ ist wieder in Dortmund am 29. August, 13. und 30. September und 12. November 2015.




Nestroy im Punkhimmel

Das große Fressen kann beginnen: (links) Häuptling Abendwind (Uwe Rohbeck) neben seinem Kollegen Häuptling Biberhahn (Uwe Schmieder). Foto: © Birgit Hupfeld
Das große Fressen kann beginnen: (links) Häuptling Abendwind (Uwe Rohbeck) neben seinem Kollegen Häuptling Biberhahn (Uwe Schmieder). Foto: © Birgit Hupfeld
Die erste Punk-Operette verwandelte Johann Nestroys „Häuptling Abendwind“ in eine Mischung aus Punk-Konzert und Theater-Posse. Regisseur Andreas Beck kombinierte die Musik der Ruhrpott-Punkband „Die Kassierer“ mit Johann Nestroys aktualisiertem Text zu einer derben, groben, politisch unkorrekten Melange. Ein Premierenbericht vom 24. Januar 2015.

Eine skurrile Geschichte: Häuptling Abendwind erwartet seinen Amtskollegen Häuptling Biberhahn zu einer Konferenz. Leider ist die Speisekammer völlig leer, noch nicht mal einen Gefangenen gibt es. Praktisch, dass ausgerechnet jetzt ein Schiffs-brüchiger namens Arthur auf die Insel kommt. Dumm nur, dass sich Häuptlingstochter Atala in Arthur verliebt. Welches Schicksal steht Arthur bevor? Kotelett oder Koitus? Arthur kann den Koch bestechen und an seiner Stelle wird das „Orakel“ (aus dem Film „Das Ding aus dem Sumpf“ nachempfunden) gegessen. Was hatte Arthur angeboten? Er hat ein ganz bestimmtes Körperteil des Kochs frisiert.

Nestroys Posse aus der Mitte des 19. Jahrhunderts enthält natürlich versteckte Kritik an der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts und am immer stärker werdenden Kolonialismus der Großmächte, die die Welt unter sich aufgeteilt hatten, auch mit der Begründung die Zivilisation zu den „Wilden“ bringen zu wollen. Für Andreas Beck sind die „Wilden“ Relikte, die sich in einer Gesellschaft der „politisch Korrekten“ ziemlich verloren vorkommen. Und was wollen echte „Wilde“? Fleisch essen, rauchen, Sex. So brandete Applaus als Wolfgang Wendland, der Sänger der „Kassierer“ als Koch „Ho Se“, mit einer Gemüsekiste auf die Bühne kam und Häuptling Abendwind (Uwe Rohbeck) mitteilen musste: „Es ist nichts essbares dabei. Ähnlich wie beim Buchtitel von Heinz Strunk „Fleisch ist mein Gemüse“ heißt es bei Nestroy „Mein Obstgarten ist die Fleischbank“.Doch hatte das Wildsein auch seine Schattenseiten, denn im Männergespräch der beiden Häuptlinge war klar, dass die beiden sich von den Fremden bedroht fühlen. „Nachher bringen sie noch ihre Leitkultur mit“, ängstigt sich Biberhahn. Und so klangen die Ängste der beiden Häuptlinge vor dem Neuen wie auf einer Versammlung von Pegida-Anhängern.

Zu einer Operette gehört Musik. Ursprünglich kam sie von Offenbach, hier von den „Kassierern“. Der Originaltext von Nistroy wurde ein wenig modernisiert oder „upgedated“, dass er manchmal als Stichwortlieferant für das nächste Lied der „Kassierer“ diente. Wurde plötzlich über „Blumenkohl“ geredet, stimmte die Band das Lied „Blumenkohl am Pillemann“ an. Klar, nach der Szene mit der Gemüsekiste, musste „Vegane Pampe“ kommen. Daneben wurden einige Lieder von Nestroy musikalisch neu bearbeitet. Die „Kassierer“ schrieben für das Stück extra noch neue Lieder wie „Ich bin so gerne Menschenfresser“.

Während bei einer klassischen Oper oder Operette die Musiker im Orchestergraben verschwinden, waren die „Kassierer“ prominent in der Mitte der Bühne zu sehen. Dadurch wirkte es wie ein Live-Konzert. Ich persönlich hätte es besser gefunden, wenn wie in anderen Produktion die Band mehr an die Seite positioniert worden wäre.

Kommen wir zur Bühne: Aus Sorge, dass das Bier tatsächlich alle ist, hat Bühnenbildner Sven Hansen eine Art „Bier-Galerie“ wie in Leuchtschrift rechts an der Bühne zu lesen war, kreiert. Daraus konnten die Schauspieler flugs eine Band oder einen Thron basteln.

Uwe Rohbeck spielte einen Häuptling Abendwind im Lumpen-Look, der als alleinerziehender Vater Probleme mit der Erziehung seiner 16-jährigen Tochter Atala hatte. Schreckhaft und nachgebend (Beinahme „der Sanfte“) fügte er sich ins Schicksal. Ein ganz anderes Kaliber war Häuptling Biberhahn. Uwe Schmieder spielte ihn mit Honecker-Brille und Frisur. Eins konnte beide Häuptlinge aber exzellent: Fressen. Und wer braucht schon Messer und Gabel? Sicher nur so eine Erfindung der „zivilisierten Fremden“. Das orgiastische Mahl war eines der Höhepunkte.

Arthur , der verloren geglaubter Sohn von Häuptling Biberhahn, hatte eine ziemliche Ähnlichkeit mit Johnny Rotten, dem Sänger der Sex Pistols. Zumindest von der Frisur her, was auch passte, denn Arthur ist Friseur von Beruf. Gespielt wurde er von Ekkehard Freye, der einen schön affektierten Arthur auf die Bühne brachte.

Wolfgang Wendland hatte eine Doppelrolle als realer Sänger der „Kassierer“ und fiktiver Koch „Ho Se“. Beides schaffte er mit seiner typischen Art: irgendwie teilnahmslos, aber immer da, wenn man ihn rief.

Julia Schubert hatte den schwierigsten Part an diesem Abend: Sie war als „Atala“ die einzige Frau in dem Stück. Sie nutzte ihre Möglichkeiten perfekt aus. Sie präsentierte Atala als Feministin (das Schlimmste ist, wenn die Frau alle ist“) und Vegetarierin, die in dieser Männerwelt natürlich auf verlorenem Posten stand.

Das Stück ist definitiv nicht für jeden Besucher. Wer es zart, fein-geistig und geschliffen mag, der sollte einen großen Bogen machen. Denn beispielsweise waren die Decken in den ersten Reihen nicht wegen der Kälte da, sondern weil Teile des Festmahls durchaus den Bereich der Bühne verlassen können.

Wer aber mal richtig Spaß haben, wer zum öffnen einer Bierflasche keinen Flaschenöffner braucht, wer eine Currywurst lieber hat als eine „vegane Pampe“ und wer Punk liebt und lebt, sollte eine Audienz bei Häuptling Abendwind buchen.

Weitere Termine:
SA, 31. JANUAR 2015
DO, 12. FEBRUAR 2015
SA, 21. FEBRUAR 2015
FR, 06. MÄRZ 2015
SO, 29. MÄRZ 2015
FR, 10. APRIL 2015
SO, 26. APRIL 2015
SA, 09. MAI 2015
SO, 24. MAI 2015




Perfekte Hommage an Nosferatu

Hutter (Ekkehard Freye) voller Schreck vor Nosferatu (Uwe Rohbeck). Foto: © Edi Szekely.
Hutter (Ekkehard Freye) voller Schreck vor Nosferatu (Uwe Rohbeck). Foto: © Edi Szekely.

Wenn Jörg Buttgereit am Dortmunder Schauspielhaus inszeniert, dann immer mit einem liebevollen Blick auf die Protagonisten. Ob es nun Serienmörder Ed Gein war, der bedauernswerte Merrick in „Der Elefantenmensch“ oder jetzt Nosferatu im gleichnamigen Stück „Nosferatu lebt“. Selbstverständliche wieder mit Uwe Rohbeck in der Hauptrolle. Die Premiere am 29. November sah sich Anja Cord an.

Der Stummfilm „Nosferatu“ aus dem Jahre 1922 von F.W. Murnau ist eine Film-Legende und Max Schreck als Darsteller des Grafen Orloks/Nosferatu bleibt den meisten Zuschauern in gruseliger Erinnerung. Die Geschichte in Kürze: Hutter wird vom Häusermakler Knock nach Transsylvanien geschickt, um dem Grafen Orlok ein Haus zu verkaufen. Zufällig verliebt sich Orlok in Hutters Frau Ellen und das Unglück nimmt seinen Lauf…

Jörg Buttgereit hat es nicht nur geschafft, den Stummfilm auf die Bühne zu übertragen, sondern er schuf auf noch eine übergeordnete Ebene. Der Erzähler, gespielt von Andreas Beck, setzte den Film in seine historische Dimension. Der Film ist eine Art Menetekel für die kommende Zeit. Denn die junge Weimarer Republik musste sich vieler Feinde erwehren und am Ende wird der Altraum wahr: ein Tyrann herrscht über Deutschland. 1933 hatte auch Folgen für die Filmindustrie. Viele Filmschaffende emigrierten. Duplizität der Premieren-Ereignisse: Am gleichen Tag hatte in der Oper die Jazz-Operette „Roxy und ihr Wunderteam“ Premiere. Auch hier musste der Komponist Paul Abraham fliehen und die moderne Operette wurde in Deutschland und später in Österreich zerstört.

Daher ist das Ende auch nicht so wie im Stummfilm. Hutter, zum Vampir geworden, zitiert aus Paul Celans „Todesfuge“: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“

Buttgereit benutzt expressionistische Stilelemente wie das Schattenspiel, ähnlich wie bei dem „Cabinet des Dr. Caligari“, dazu kommt die übertriebene schauspielerische Art und Weise wie sie in Stummfilmen üblich war. Natürlich durften auch die typischen Texttafeln nicht fehlen.

Alle Schauspieler haben toll gespielt und waren sehr überzeugend. Wobei Uwe Rohbeck einfach ein Glücksgriff in den Stücken mit Jörg Buttgereit ist. Ob als Serienmörder, Elefantenmensch oder als Vampir. Max Schreck wäre sicherlich sehr stolz gewesen, wenn Rohbeck sich mit seinen langen schwarzen Fingernägeln und seinen weißen Händen, die wie Spinnenbeine wirkten, Ellens Hals näherte.

Pianist Kornelius Heidebrecht hat den Film nicht nur mit seiner Musik begleitet, sondern auch die passenden Effekte dazu geschaffen, das natürlich alles live.

Neben Uwe Rohbeck standen noch Ekkehard Freye als Hutter, Annika Meier als Ellen und Andreas Beck als diabolischer Hausmakler Knock auf der Bühne.

Es war ein Erlebnis, man wird sofort in das Stück gezogen, und bleibt von der Atmosphäre des Stummfilms im Theater fasziniert. Ein absolut sehen wertes Stück. Es bleibt zu hoffen, dass es noch weitere Termine gibt, denn die bisher bekannten sind ausverkauft.




Die unglaubliche Reise ins Herz der katholischen Aufklärungsliteratur

Leon Müller, Ekkehard Freye und Mitglieder des Dortmunder Sprechchors (Foto ©Birgit Hupfeld)
Leon Müller, Ekkehard Freye und Mitglieder des Dortmunder Sprechchors (Foto ©Birgit Hupfeld)

Wenzel Storch wollte sein erstes Theaterstück „Komm in meinen Wigwam“ nicht als Satire verstanden haben. Doch der harte Realismus der katholischen Aufklärungs- und Anstandsliteratur der 50er und 60er allein reichte aus, um die Besucher der Premiere am 17. Oktober im Studio ständig zum kichern zu bringen. Es ging um die Werke des späteren Ehrenprälat Bernhard Lutz, der als Autor in seinen Werken eine wahre Pracht von knospenden Blüten und Stengeln zum Lobpreise Gottes wachsen ließ.

Ein Gemeindehaus im Irgendwo. Gut katholisch in lila ausgestattet mit einer Kanzel. Ekkehard Freye gibt eine Art Gemeinderatsvorsitzenden, der durch einen wahrlich bunten Abend führt. Thema ist das Werk von Bernhard Lutz. An seiner Seite sind zwei Ministranten (Maximilian Kurth und Finnja Loddenkemper vom Jugendclub Theaterpartisanen) und ein Wissenschaftler, der von Thorsten Bihegue dargestellt wird. Bihegue ist eigentlich Dramaturg am Haus, doch nach seiner schauspielerischen Leistung am Freitag könnte man problemlos sagen: Das Schauspielensemble hat ein neues Mitglied gewonnen.

Stilecht werden wir in die 50er Jahre geführt, wenn Kaplan Buffo (Heinrich Fischer vom Seniorentheater) mit einem Mädchen (Jana Katharina Lawrence) und einem Jungen (Leon Müller) in zeitgenössischer Kleidung sehen. Auch Lawrence und Müller sind Mitglieder der Theaterpartisanen Buffo dient als eine Art Reinkarnation von Lutz.

Wie sollte es auch anders sein, es wird viel aus den Werken von Lutz und auch teilweise auch anderen katholischen Aufklärungsautoren rezitiert. „Ein fröhlicher Fabulant“ nennt unser Wissenschaftler Lutz einmal. Lutz hat aber nicht nur eine kirchliche Karriere, sondern war im Zweiten Weltkrieg auch Bomberpilot, so dass er auch bei Streitigkeiten durchaus physische Gewalt empfiehlt. Ein kleiner Don Camillo eben.

Die Sprache und vor allem die Metaphern die Lutz benutzt hat, klingt für unsere Ohren 60 Jahre später extrem komisch. Sätze, die vielleicht 1951 noch unschuldig klangen, haben manchmal eine eindeutig zweideutige Konnotation bekommen. Heute denkt kaum jemand bei Titeln wie „Peter legt die Latte höher“ nur an Stabhochsprung. Vor allem nicht, wenn der Junge auf dem Titelbild uns mit dem Hintern (auch Allerwertester genannt) entgegenkommt.

Doch mit blühenden Wiesen und ihren sprießenden Knospen brauchten die Zuschauer nicht nur ihre Phantasie bemühen. Dank der wunderbaren Arbeit von Pia Maria Mackert, die für Bühne und Kostüme zuständig war, erwachten die Stengel plötzlich zum Leben, auch tanzende Nonnen bevölkerten die Bühne. Unter den Kostümen verbargen sich Mitglieder des Dortmunder Sprechchors.

Wenzel Storch, der nach eigenen Angaben katholisch erzogen wurde, hat in „Komm in meinen Wigwam“ (ja, das ist das Lied von Heino und kam auch zu Gehör), eine ganze Menge aufgearbeitet. Seiner Leidenschaft für christlichen Pop und die Kastelruther Spatzen wurde ebenfalls gefrönt. Und natürlich dem Mann ein Denkmal gesetzt, dessen Werke eine weite Verbreitung fanden, der aber heutzutage vergessen ist. Weder im Kirchenlexikon noch bei Wikipedia taucht Bernhard Lutz auf, der mit seinem „poetischen Realismus“ und seinen „sakral-psychedelischen“ Zeichnungen, in der katholischen Sexualmystik der 50er und 60er Jahre führend war. Die 70er Jahre haben in dann weggespült.

Bei aller Ironie und vielen Gelegenheiten zum Schmunzeln ist der ernste Hintergrund angesichts der in den letzten Jahren öffentlich gewordenen Pädophilie-Skandalen in der katholischen Kirche im Hintergrund gegenwärtig. Sieht man von Freye und Bihegue ab, waren nur Laien auf der Bühne, ein Umstand, den Storch durchaus bevorzugt. Alles in allem war es ein gelungener Abend.




Ein geschwedeter „Minority Report“ im Studio

John Anderton (Björn Gabriel) sieht den Mord im Hintergrund kommen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
John Anderton (Björn Gabriel) sieht den Mord im Hintergrund kommen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Kennen Sie den Film „Abgedreht (Be kind rewind)“ mit Jack Black und Mos Def aus dem Jahre 2008? In dieser Hommage an das Kino löscht Black in seiner Rolle als Jerry alle Videokassetten und dreht mit Mike (Mos Def) die Filme mit einfachsten Mitteln nach. Mit der Argumentation von Jerry, die neuen Filme kämen aus Schweden und seien deshalb so teuer, etablierte sich der Begriff „geschwedet“ für diese Form von nachgedrehten Videos vor allem auf Youtube.

Doch vorweg, eines kann man der Inszenierung von „Minority Report“ von Peter Gehre, die am 14. September 2014 Premiere hatte, sicher nicht vorwerfen: dass sie in irgendeiner Form billig oder als Farce angelegt ist. Mit nur vier Schauspielern und einer Menge an Gimmicks schafft Gehre eine Liebeserklärung an Spielbergs Film.

Das Stück lehnt sich stark an den gleichnamigen Film von Steven Spielberg aus dem Jahre 2002 an, mit kleinen Änderungen. So ist im Gegensatz zum Film John Andertons Frau nicht mit von der Partie und der Mord an Jad Fletscher durch Lamar Burgess wird nicht in Szene gesetzt, was vermutlich daran liegt, dass beide Rollen von Ekkehard Freye gespielt wurden.

Was uns sofort zu den vier Schauspielern bringt. Multitasking war angesagt. Julia Schubert übernahm ebenso mehrere Rollen wie Merle Wasmuth und Ekkehard Freye. Nur Björn Gabriel spielte als einzige Rolle den Leiter von Precrime John Anderton.

Zur Geschichte: Wir schreiben das Jahr 2041, in Washington D.C. Hat es seit sechs Jahren keine Morde mehr gegeben, dank „Precrime“. Dank Kinder mit besonderen Fähigkeiten und Algorithmen fungieren sogenannte Precogs als Art Orakel und können Morde vorhersehen. Die Polizei kommt dann rechtzeitig und nimmt den Mörder fest, bevor er die Tat begehen kann. Doch plötzlich sagt Precog Agatha den Mord an Leo Crow voraus, der Mörder ist John Anderton selbst.

Barbie-Puppen, die ein Ehepaar darstellen, Verfolgungsjagden mit einem Matchbox-Auto, was eher wie ein Film mit Ed Wood klingt, macht durch das engagierte Spiel der vier Akteure auf der Bühne für die Zuschauer enorm viel Spaß und fesselt ans Geschehen, das an drei Leinwänden gezeigt wurde.

Noch etwas war anders wie im Kino: Die Zuschauer durften abstimmen. Gut, nur die Smartphone-Nutzer mit Android, weil Apple die App „Precog“ nicht gefiel, aber es ging um die Frage: Soll Anderton Leo Crow, den mutmaßlichen Mörder seines Sohnes, erschießen so wie vorhergesagt oder nicht? Zwar sagten 61% Ja, doch es ging weiter wie im Film, wo Crow den Abzug quasi selbst betätigt.

Am Ende des Stückes werden die moralischen Fragen des Filmes diskutiert. Ist man verpflichtet Vorhersagen zu folgen oder sind sie nur Vorschläge? Was ist, wenn man erfährt, dass das ungeborene Kind höchstwahrscheinlich behindert sein wird. Abtreiben oder nicht? Machen immer mehr Informationen frei oder schränken sie ein?

Ein wirklich gelungener Theaterabend, der die richtige Balance zwischen Technik und Schauspielerei fand, was auch an der guten Besetzung lag, die mit deutlichen Spaß bei der Sache war. Hoffentlich gibt es weitere „geschwedete“ Filme von Peter Gehre in Dortmund zu sehen.

Weitere Termine am: SO, 21. SEPTEMBER 2014, SA, 18. OKTOBER 2014 und DO, 23. OKTOBER 2014.

Infos und Karten unter www.theaterdo.de oder 0231 50 27222.




Die Kehrseite der Medaille

Peer Oscar Musinowski, Tilman Oestereich und Ekkehard Freye. (Foto: ©Birgit Hupfeld)
Peer Oscar Musinowski, Tilman Oestereich und Ekkehard Freye. (Foto: ©Birgit Hupfeld)

Mit seiner verzweifelten Liebeserklärung an das Runde im Eckigen „You’ll never walk alone“ startete Schauspieler und Regisseur Björn Gabriel mit seinen Mitstreitern den Versuch, im Institut des Dortmunder Schauspiels einerseits der Faszination des Ballspiels näher zu kommen, andererseits einen philosophisch kritischen Blick auf dessen Rolle als „Opium“ für das Volk“ zu beleuchten. Die Premiere der Inszenierung war sinniger Weise am Tag des Chapions-League-Finale zwischen Real und Atletico Madrid am 24. Mai 2014.

In den Stadien der Welt wird die Fußball-Hymne „You’ll never walk alone“ mit Inbrunst und Leidenschaft gesungen. Nirgendwo sonst erleben die Zuschauer ein Gemeinschaftsgefühl über alle Generationen und Gesellschaftsschichten hinweg und eine solche Dichte von wechselnden Emotionen. Dieser Mikrokosmos gibt den Menschen in einer besonderen Art Halt. Es vermittelt das Gefühl, in einer bedrohlichen, unberechenbaren Welt „nicht alleine“ zu stehen. Alle fiebern ohne unterschied mit „ihrer Mannschaft“ mit. Sie trauern bei Niederlagen und sind euphorisch, wenn der eigene Fußball-Verein gewinnt. Ist es so, wie Friedrich, Schiller schreibt, der Mensch nur dann ganz Mensch ist,wo er spielt? Zählt nur noch „Unterhaltung“ und Ablenkung von den wirklichen gesellschaftlichen Problemen wie etwa die zunehmende soziale Verelendung vieler Menschen, Bürgerkriegs-Gefahr und Umweltzerstörung…

Die Bühne war wie in einer griechischen Tragödie als Tempelanlage ausgestattet. Mit der Liebesgöttin Venus auf der linken Seite, einer dreistufigen Treppen und auf beiden Seiten griechische Säulen. Gabriel personalisiert diese Ambivalenz durch die beiden Schauspieler Peer Oscar Musinowski als begeisterter Fußball-Fan und Ekkehard Freye als Gegenpart, der die andere Seite repräsentierte. Freye zeigt mit viel Engagement die „Doppelmoral“ im Fußball-Geschäft auf. Die menschlichen Opfer, zum Beispiel durch die inhumane Umsiedlungspolitik, Korruption und Milliardenkosten für die Fußball WM in Brasilien bei sozialem Elend der Bevölkerung, oder aktuell die drohende Niveau-Nivellierung in vielen Bereichen durch das Freihandelsabkommen mit den USA.

Eine besondere Glaubwürdigkeit und Leidenschaft verlieh Oscar Musinowski, auch im wirklichen Leben ein ehemaliges Fußballtalent der Hertha BSC-Jugend (nach einer schweren Verletzung Model, dann Schauspieler) seiner Rolle. Der Humor kam in der Aufführung nicht zu kurz. Wunderbar, die Verfolgungsjagden der beiden Schauspieler im Stil von „Tom und Jerry“.

Der feierliche Charakter einer Show wurde mit Kleidung von Musinowski, er trug eine schwarzen Anzug , weißes Hemd und Lackschuhe , unterstrichen. Von Jan Voges projizierte zunächst einige emotionale und faszinierende Momente des Fußballs, wie zum Beispiel Ausschnitte aus den deutschen WM-Siegen oder dem Champions-League Sieg 1997 des BVB per Video auf die große Leinwand. Hinzu gesellte sich Tilman Oesterreich, der für Licht verantwortlich war.

Video-Einspielungen spielten dann auch eine bedeutende Rolle bei der Inszenierung. So wies Ensemble-Mitglied Bettina Lieder mit viel Ironie auf die – vor allem – männlichen „Spieltrieb“ hin und die Unterteilung in „Homo ludens“ (Der spielende Mensch) und den „Homo faber“, den aktiv verändernden, schaffenden Menschen. Später ließ sie die beiden Männer bei dem Quiz 1,2 oder 3, ( bekanntes Kinder-Quiz Ende der 70iger Jahren von Michael Schanze). Absurd wurde die Situation, als sich herausstellte, dass in einer Fragerunde alle drei menschenverachtenden Äußerungen von FIFA-Präsident Joseph S. Blatter als Antwortlösung zutrafen. Gegen Ende traten neben Lieder auch noch Eva Verena Müller und Julia Schubert als Art „Sirenen“ auf, die die Männer bezirzten.

Ob sie damit Erfolg haben? Denn für einen richtigen Fußballfan ist sein Verein „wichtiger als Frau und Geld“, wie es in einem Fangesang heißt.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens und der Endlichkeit hinterlässt bei den meisten Menschen eine Lücke, ähnlich wie eine Freistoßmauer. Fußball füllt die Lücke, die früher überwiegend von der Religion ausgefüllt wurde. Sie verhindert aber auch die, auch hier die Parallele zur Religion, Beschäftigung mit den realen Problemen.

Weitere Aufführungstermine sind der 05. und 18. Juni. Es ist geplant, das Stück in der nächsten Spielzeit wieder aufzunehmen.

Karten und Infos unter 0231 50 27222 oder www.theaterdo.de




Wenn Angst ein schlechter Ratgeber ist

Wie? Die Stadtgesellschaft ist mit unseren Entscheidungen nicht hochzufrieden? (v.l.n.r. Uwe Schmieder, Bettina Lieder, Julia Schubert, Carlos Lobo, Ekkehard Freye und Eva Verena Müller). Foto: ©Birgit Hupfeld
Wie? Die Stadtgesellschaft ist mit unseren Entscheidungen nicht hochzufrieden? (v.l.n.r. Uwe Schmieder, Bettina Lieder, Julia Schubert, Carlos Lobo, Ekkehard Freye und Eva Verena Müller). Foto: ©Birgit Hupfeld

„Autschland d’amour“ wurde am 03. Mai zusammen im Doppelpack mit Gogols Komödie „Der Revisor“ aufgeführt. Aus „Stadt der Angst“ wurde „Stadt in Angst“, denn die Stadtverwaltung erwartet die Ankunft eines Revisors. Und jeder hat Dreck am Stecken.

Nicolai Gogol schrieb die Komödie zwar schon 1835, um die Verhältnisse im zaristischen Russland auf die Schippe zu nehmen, doch seien wir ehrlich: Solange es Korruption gibt, bleibt sein Stück brandaktuell wie damals.

Wenn die goldenen Jacken nicht gewesen wären, hätte man denken können, die Schauspieler hätten sich für einen Film von Tim Burton zurechtgemacht mit ihren schwarzen dunklen Ringen um die Augen. Diese Ästhetik wurde dadurch noch verstärkt, in dem im Hintergrund düstere schwarz-weiß Zeichnungen von Dortmunder Sehenswürdigkeiten über eine Leinwand flimmerten. So konnte der geneigte Zuschauer den RWE-Tower, das Dortmunder U oder das Westfalenstadion erkennen, um auch visuell zu zeigen: Ja, wir sind in Dortmund.

Regisseur Marcus Lobbes hatte sich für den „Revisor“ etwas besonderes ausgedacht. Die Stadtverwaltung, bestehend aus sechs Schauspielerinnen und Schauspieler, sprach wortwörtlich mit einer Stimme. So wurde aus einem individuellem versagen eine Art kollektives Versagen. Der Dortmunder Sprechchor, der auf dem oberen Rang des Schauspielhauses platziert war, sprach die Rolle der Stadtgesellschaft, die die Handlungen der Stadtoberen kommentierte. Wenn man so will, ein Duelle zweier Sprechchöre. Die Rolle des Chlestakow, des vermeintlichen Revisors, wurde unter den Akteuren auf der Bühne verteilt. Mittels einer Maske wurde deutlich gemacht, dass Chlestakow spricht. Neben dem erwähnten Dortmunder Sprechchor spielten auf der Bühne Ekkehard Freye, Bettina Lieder, Carlos Lobo, Eva Verena Müller, Uwe Schmieder und Julia Schubert mit viel Gefühl für Komik und Ironie.

„Der Revisor“ ist ein schönes Beispiel dafür, was Ängste aus Menschen macht, die ansonsten alles im Griff zu scheinen haben. Rationales Denken? Fehlanzeige. Kritisches Nachfragen? Nö, warum? So konnte Chlestakow, der eigentlich ein einfacher kleiner Beamter ist und zudem überhaupt kein Geld hat, für einen Revisor gehalten werden. Darüber hinaus schien es für die Stadtoberen so, als ob die übliche Herangehensweise (Schmiergelder) auch hier verfängt. Und wer hätte sich nicht über die großzügigen Geldgeschenke gefreut, die ihm die Stadtoberen förmlich aufdrängten? Sogar die Frau des Bürgermeisters, die ebenfalls von allen gesprochen wurde, wäre freiwillig mit dem „Revisor“ in die Hauptstadt geflüchtet.




Turbulenter Wahnsinn im Schauspielhaus

Im Laufe der Tournee liegen bei den Beteiligten doch die Nerven blank: (v..l.n.r.) Merle Wasmuth, Frank Genser, Andreas Beck und Sebastian Graf. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Im Laufe der Tournee liegen bei den Beteiligten doch die Nerven blank: (v..l.n.r.) Merle Wasmuth, Frank Genser, Andreas Beck und Sebastian Graf. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Nach „Arsen und Spitzenhäubchen“ hatte am Samstag, den 5. April 2014 der „Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn als zweiter Komödien-Spaß unter der Regie des Duos Peter Jordan und Leonhard Koppelmann seine Premiere auf die Bühne des Dortmunder Schauspielhauses.

Diese absurd-turbulente britische Komödie hat es wirklich in sich.

 

In dieser abgefahrenen Geschichte rund um das Theater versucht der verzweifelte Regisseur Lloyd Dallas mit seinem Assistenten Poppy Norton-Taylor und dem Inspizienten Tim Allgood kurz vor Mitternacht die am nächsten Tag anstehende Premiere des Stückes „Nackte Tatsachen“ zu retten.

Doch das Chaos hinter der Bühne groß, sondern auch Backstage wüten Eifersucht, Neid und Geltungsdrang. Das Problem ist, alle müssen irgendwie zusammenhalten, denn es steht, wie in England üblich, eine zehnwöchige Tournee an…

 

Ein Stück über Schauspieler, die ein Stück proben, klingt eigentlich mehr nach Insider-Gags. Doch „Der nackte Wahnsinn“ bot als Komödie alle Zutaten, was der Zuschauer an einer Komödie schätzt: Wenn irgendwo eine Tür zugeht, geht woanders eine Tür auf. Belanglose Requisiten wie beispielsweise Sardinen spielen plötzlich eine große Rolle und Schauspieler wechseln urplötzlich ihre Rollen. Schließlich durfte auch eine gewisse Portion Slapstick nicht fehlen.

Dabei zeigte das Dortmunder Ensemble erneut, welch gute Chemie zwischen den Schauspielern herrscht. Denn eine solche Komödie braucht Esprit, sonst funktioniert sie nicht und verkommt zur Nummernrevue.

 

Andreas Beck spielte mit sichtlichem Vergnügen den Regisseur mit langem Pferdeschwanz, mal väterlich mild verständnisvoll, dann wieder bestimmend („wenn Gottvater spricht“ ) und aufbrausend und laut, wenn die Jungschauspielerin Brooke Ashton mal wieder nichts versteht. Peer Oscar Musinowski als Regieassistent Poppy Norton-Taylor steht ihm als etwas „tuntig“ mit blonder Popper-Haarperücke treu zur Seite. Musinowski konnte hier, wie zum Beispiel schon in „Drama Queens“ bewiesen, sein komisches Talent wieder voll ausleben. Sebastian Graf spielt den Inspizienten und Bühnenmeister Tim Allgood, der als „Mädchen für alles“ fungiert. Klemmen Türen muss Tim ran, braucht das Ensemble noch Einbrecherkostüme, muss er sich trotz Schlafdefizit („Tim war 48 Stunden auf den Beinen“) ebenfalls drum kümmern.

 

Regisseur Peter Jordan hatte die Schauspielriege sehr gut besetzt. Fast möchte man niemanden herausheben, doch sehr gut war Friederike Tiefenbacher, die die leicht schusselige „Dotty Otley“ spielte. Dotty hatte darüber hinaus Geld in die Produktion gesteckt und sah im Laufe des Stückes ihre Altersvorsorge davonschwimmen. Auch Merle Wasmuth brillierte mit ihrer Darstellung der äußerst naiven Jung-Schauspielerin „Brooke Ashton“, die leider öfters ihre Kontaktlinsen verlor. Doch auch Frank Genser, Ekkehard Freye, Eva Verena Müller und Uwe Schmieder waren bei der Premiere gut aufgelegt.

 

Die beiden Regisseure Jordan und Koppelmann haben sich beim Bühnenbild nicht lumpen lassen und nutzten den Vorteil, den eine Drehbühne sich bietet. Im ersten Teil sah das Publikum ein ganz normales Bühnenbild, den Eingangsbereich eines typischen englischen Herrenhauses. Denn es war Generalprobe.Im zweiten Teil wechselt die Perspektive. Dann sehen wir das Bühnenbild von hinten. Und es wird deutlich: Aus dem Zusammenhalt am Anfang ist Neid, Missgunst und Eifersucht geworden. Im dritten Teil ist das Chaos dann perfekt. Zu sehen ist wieder das Bühnenbild vom Beginn, nur hat es durch die lange Reise und die vielen Aufführungen ordentlich was abbekommen. Die Treppe zum ersten Stock besteht nur noch zur Hälfte aus dem Original, manche Türen sind verschwunden. Der pompöse Elchkopf verliert auch noch sein Geweih.

 

Die Aufführung war ein augenzwinkernder Blick hinter die Kulissen des Theaters mit viel Spaß und Selbstironie der beteiligten Schauspieler/innen am Spiel.Sie verlangte den beteiligten Schauspieler/innen in den drei Stunden sowohl physisch als auch vom genauen Timing alles ab.

 

Kurz gesagt: Bei „Der nackte Wahnsinn“ ist der Titel Programm. Und ehrlich gesagt: Das ist auch gut so!

 

Weitere Vorstellungen: 9., 19., 25., 27. April und 8. Mai. Infos und Karten gibt es unter www.theaterdo.de oder 0231 5027222.




Familiärer Abend mit Musik

Nein, es waren nicht die „Hits aus den 80ern, 90ern und das Beste von heute“, sondern die Mischung, an Songs die Andreas Beck und Thorsten Bihegue bei der Spielbar am 14. März spielten, war deutlich bekömmlicher. „Die Welt ist eine Scheibe“ hieß es und man konnte das schwarze Vinyl spüren.

 

Tja, PVC hat ja einen nicht ganz so guten Ruf, aber in schwarze Scheiben gepresst, sorgt es für Extase und die glühendsten Erinnerungen. Doch die Spielbar wäre nicht die Spielbar, wenn sie einfach Platten abspielen würde. Zumal es nicht die Möglichkeit gab, einen Plattenspieler anzuschließen. So kam der Musikgenuss in elektronischer Form.

 

Zuerst mussten die Gäste wählen (oder ‚voten‘ wie es jetzt heißt). Zehn Lieder aus verschiedenen Epochen standen zur Wahl und daraus entstand eine Hitparade. Erwartungsgemäß kam James Blunt „You’re beautyful“ auf den letzten Platz. Dass Kraftwerk mit „Autobahn“ so schlecht abschnitt und auf den hinteren Plätzen kam, fand ich persönlich schade. Am Ende gab es zwei Sieger: Marvin Gaye mit „Sexual healing“ und die Eagles mit „Hotel California“.

 

Dazwischen gab es noch Textkunde, manche Songs wurden ins Deutsche übersetzt. Bihegue spielte zwei Lieder auf seiner Ukulele und es gab zwei Raterunden, bei denen die Besucher Schallplatten gewinnen konnten.

Das Texte für Mißinterpretationen sorgen können, ist bekannt. Andreas Beck erzählte die Geschichte von Pink Floyds „Another brick in the wall“, in der angeblich der Kinderchor die deutschen Worte „hol ihn, hol ihn unters Dach“ singt. Danach gab es noch weitere Kostprobem von „Verhörungen“.

 

Da wir ja in einem Theater waren, durfte die hohe Kultur nicht fehlen. So trugen Ekkehard Freye und Uwe Schmieder (ost-)deutsche Lyrik vor wie etwa „Ein bißchen Frieden“, „Ich steh auf Berlin“ oder „Hey, junge Mutti“.

 

So eine Spielbar sollte auf alle Fälle wiederholt werden, denn es gibt bestimmt noch genug Geschichten aus der „Scheibenwelt“.