Die Gruseltour – Dunkle Geheimnisse im Schauspielhaus

Ja, das Schauspielhaus besitzt so viele dunkle Labyrinthe, dass durchaus das „Phantom der Oper“ hier einen Zufluchtsort gefunden hätte. Schließlich wurde 1904, an dem Ort, wo sich das Schauspielhaus jetzt befindet, die Dortmunder Oper eröffnet. Das Schicksal meinte es jedoch nicht gut mit ihr, denn bereits 1943 wurde sie bei einem Bombenangriff weitgehend zerstört. Noch heute befinden sich tief unter dem Schauspielhaus Mauern und Gänge aus jener Zeit, die wie stumme Zeugen vergangener Tage wirken.

Auf der „Gruseltour“ durch diese finsteren Gänge war ars tremonia am 06. Februar 2025 bei der Generalprobe mit dabei. Als Schauspieler waren Ekkehard Freye und Marlena Keil mit von der Partie, unterstützt von Mitgliedern des Jugendclubs.

Schon seit längerer Zeit gibt es sogenannte Grusellabyrinthe, in denen Besucher:innen durch ein möglichst schauriges Haus gehen und von „Erschreckern“ in Angst und Schrecken versetzt werden. Die erste Phase der Tour begann ähnlich: Ekkehard Freye führte uns durch die düsteren Gänge und erzählte zunächst von abergläubischen Praktiken im Theater – ein geheimnisvolles Thema, das den Anwesenden bereits einen leichten Schauer über den Rücken jagte.

Marlena Keil und Ekkehard Freye begleiten uns auf ihrer gruseltour. (Foto: (c) Jonas Fromme).
Marlena Keil und Ekkehard Freye begleiten uns auf ihrer gruseltour. (Foto: (c) Jonas Fromme).

Doch dann wurde es ernst: Theaterbrände. Freye, begleitet von Marlena Keil, berichtete von schrecklichen Katastrophen wie dem verheerenden Ringtheaterbrand in Wien 1881, bei dem mindestens 384 Menschen starben, oder dem Brand in Chicago, bei dem 605 Menschen ums Leben kamen. Man konnte fast den Rauch riechen und die Schreie der Verzweifelten hören.

Geschichten über die Vergangenheit des Hauses

Auch zur Geschichte des Dortmunder Theaters seit 1904 lieferte Freye spannende Informationen. Der Höhepunkt der Tour war der Besuch unterhalb der Drehbühne, die wie ein okkulter Raum gestaltet war. Flackerndes Licht und die bedrückende Atmosphäre ließen den Ort wie eine Szene aus einem Hexenritual wirken. Selbstverständlich durfte das „verfluchte schottische Stück“ – Macbeth – nicht unerwähnt bleiben, dessen drei Hexen für Unheil berühmt sind.

Zum Abschluss wurden die Besucher:innen nach draußen geführt und durften sich mit einem Reinigungsritual (Salz) von den Flüchen und bösen Einflüssen befreien.

Wer das Theater und seine Geschichten liebt, sollte auf jeden Fall am 21. Februar oder am 01. März jeweils um 19:30 Uhr dabei sein. Ein wenig Grusellabyrinthatmosphäre, zwei herausragende Schauspieler und die engagierten Mitglieder des Jugendclubs runden die etwa einstündige Erfahrung ab.

Mehr Infos unter www.theaterdo.de




Ein Ungewöhnlicher Abend: Normal gibt’s schon präsentierte „Lange Rede – kurzes Gesicht“

Mit „Lange Rede – kurzes Gesicht“ bot das Theater im Depot einem ungewöhnlichen Ensemble zwei Tage Raum auf der Bühne. Am 7. und 8. Juni 2024 präsentierte „Normal gibt’s schon“ einen musikalischen und literarischen Abend.



„Normal gibt’s schon“ trägt diesen Namen nicht umsonst, denn die meisten ihrer Mitglieder sind psychisch erkrankte Erwachsene. Im Jahr 2017 entstand in der Halte-Stelle in der Blücherstraße in Dortmund auf die Initiative von Regina Schubert und Carmen Krüger die Theatergruppe. Mit Ekkehard Freye konnten sie einen erfahrenen Schauspieler am Theater Dortmund gewinnen, der die Leitung übernahm.

Zu hören waren am Anfang vom gesamten Ensemble kurze Texte, die wie Kalendersprüche oder Redewendungen wirkten. Ein Schwerpunkt schien mir dabei auf Kommunikationsproblemen zu liegen. So gab es eine Nummer, bei der ein ausufernder Streit die Hauptrolle spielte, aber die gesamte Diskussion eigentlich ein Reden um nichts war. Floskelhaft eben.

Bei der zweiten längeren Nummer, die von einem Besitzer eines Pfandhauses handelte, dem vergeblich „singende Blumen“ verkauft werden sollten, entstand ein wortreicher Schlagabtausch.

Die Texte stammten von Autoren wie Ionesco, Charms, Bayer und Wolf sowie von selbst verfassten Texten von Zoé Ritterstern und Heike Jordan.

Bereichernd für diesen Abend war auch eine Live-Band, bestehend aus Robin Krick (Bass), Peter Bollmann (Gitarre) und Lisa Heinrich (Schlagzeug). Mit Songs wie „Ohne Dich“ oder „Stay (Just a Little Bit Longer)“, das lange Zeit das Werbelied für eine Brauerei war.

Zum Ensemble gehörten: Lisa Heinrich, Zoé Ritterstern, Heike Jordan, Saskia Singh, Sevda S., Annette Yüksel, Anna Helmsorig, Ralf Neuhaus, Caro Manthei, Peter Bollmann und Ekkehard Freye.

Ein vergnüglicher Abend ging zu Ende, bei dem man auch spürte, dass alle Beteiligten großen Spaß hatten.




Unter Grund – Fakten statt Emotionen

Willkommen im Schauspiel-Kolleg. Heute geht es um Bergbaugeschichte, Klimawandel und Terraforming des Mars. Als Bonus gibt es noch eine kleine Krimigeschichte. Klingt spannend? War es aber nicht.



Zum Plot von “Unter Grund”. Umweltaktivisten entführen einen Milliardär in ein wiedereröffnetes Bergwerk, in dem die Menschen in Zukunft leben sollen, weil es auf der Oberfläche zu heiß ist. Wohingegen einige reiche Personen sich auf dem Mars abgesetzt haben, der dank Terraforming lebenswert geworden ist.

Ein klein wenig Emotion zwischen Vater (Ekkehard Freye) und Tochter (Antje Prust) (Foto: (c) Birgit Hupfeld)
Ein klein wenig Emotion zwischen Vater (Ekkehard Freye) und Tochter (Antje Prust) (Foto: (c) Birgit Hupfeld)

Was hätten wohl Streaminganbieter wie Netflix daraus gemacht? Natürlich ist es unfair, das städtische Schauspiel mit einem milliardenschweren Unternehmen zu vergleichen, aber was am 28. Januar 2023 auf der großen Bühne unter dem Titel “Unter Grund” präsentiert wurde, war zwar informativ, aber leider auch emotionslos und blutleer.

Das Stück wurde geschrieben von Sanja Mitrović, die auch Regie führte. Sie schafft es reale Fakten mit einem fiktiven Szenario zu verknüpfen, vergisst aber das Wichtigste: Eine Geschichte zu erzählen mit Figuren, die Emotionen bei den Zuschauenden auslösen.

Schon der Beginn, die Exposition, war langatmig. Die Tochter (Antje Prust) erzählt aus dem Off über die Beziehung zu ihrem Vater (Ekkehard Freye), während er auf der Bühne ist.

Beim Wiedersehen kommt es nur zu einer kurzen Umarmung. Emotion pur.

Immerhin die Zuschauenden lernen etwas über die Beweggründe, warum Menschen aktiv werden und über Konzepte wie die CO2-Münze oder höhere Besteuerung von Wohlhabenden.

Zusätzlich wird Terraforming so erklärt, als wenn man einen Artikel im „Spektrum der Wissenschaft“ liest. Alles sehr informativ, aber das können Harald Lesch und Mai Thi Nguyen-Kim besser.

Der Antagonist, der entführte Milliardär (Alexander Darkow), kommt als eindimensionaler Unsympath daher, er könnte glatt ein Schild mit „Elon Musk“ um den Hals tragen. 

Am Ende finden beide Parteien irgendwie zusammen, weil es auf dem Mars zu Problemen kam und die Reichen festgestellt haben, dass mit Umweltschutz doch Geld zu verdienen ist. Aha. Das Stück endete mit dem Steiger-Lied, Ruhrgebiets-Kitsch par excellence, aber immerhin etwas, was emotional ist.

Wie bereits erwähnt, das Stück ist sehr informativ: Ein wenig Bergbaugeschichte, Ideen und Konzepte der Klimaaktivisten, Terraforming des Mars, alles das wird vermittelt. 

Auch möchte ich das Bühnenbild von Jasmin Holbus positiv erwähnen, ein riesiger drehbarer Kohleklotz, der sich in eine Schwarzkaue und in ein Bergmannszimmer verwandeln konnte.

Ich hätte mir nur eine Geschichte etwas mehr Emotionen gewünscht und ich vermute, die Schauspielenden Ekkehard Freye, Antje Prust, Raphael Westermeier, Adi Hrustemović, Valentina Schüler und Alexander Darkow auch.




Humorvoll-absurdes Theater ums „Über Leben“

Im Studio des Schauspiel Dortmund hatte am 25.11.2022 das Stück „ÜBER LEBEN“ (von Annalena und Konstantin Küspert) unter der Regie von Ruven Bircks seine Premiere. Dem Regisseur interessieren hier die Wendepunkte, Grenzerfahrungen durch verschiedene Krisen und was dann mit der Gesellschaft passiert. Die wichtige frage stellt sich. Wie wird die Menschheit erinnert und oder überdauert werden?



In unterschiedlichsten Szenarien (Experimenten) werden utopische Bilder von der Vergangenheit bis in die Zukunft menschlicher Lebensformen verhandelt.

Etwa vom Untergang der mystischen Insel Atlantis, der Titanic, Verhalten bei Bärenangriffen, Hungersnöten, Kriegen, Flugzeugabstürzen bis zur Voyager Raumsonde. Die Voyager verschickt bedeutende Informationen aus verschiedenen Bereichen menschlichen Lebens in den Weltraum. Das Ganze in der Hoffnung, dass sich entfernte Lebensformen sie entdecken und sich so ein Bild von der Menschheit machen können.

Die Studio-Bühne wurde zum Simulationsraum, und die Schauspieler*innen Alexander Darkow, Ekkehard Freye, Nika Mišković und Sarah Quarshie begaben sich in ein „Überlebens-Bootcamp“ mit passender Kleidung. Begleitet wurden sie mit einer Live-Kamera von Daniela Sülwold. Mit viel Spielfreude begaben sich die vier Schauspieler*inne auf der Bühne in unterschiedliche Rollen (der Geschlechter). Auch physisch wurde ihnen einiges abverlangt. Dabei wurden sämtliche Emotion von der Kamera für das Publikum nah abgelichtet.

Musikalisch wurde das Geschehen von der Performerin houaïda. Diese ist nicht nur Musikerin, Performerin sondern auch Astrophysikerin.

Live sang eindrucksvoll Ekkehard Freye den Song „Space Oddity“ (David Bowie).

Eine humorvoll-ironische, absurd und manchmal groteske Aufführung, welche die Mittel des modernen Theaters (Live-Kamera, Video-Projektionen von Elizaweta Veprinskaja) geschickt ausnutzte.

Es bietet zudem gerade in unsere turbulenten Krisenzeiten genug Stoff zum Nachdenken. Für die starke Leistung gab es viel Applaus vom Publikum.

Infos zu weiteren Vorstellungsterminen erfahren Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/50 27 222




Das Vieh ist noch Natur – Woyzeck zum Spielzeitauftakt

Bunt, reduziert und mit SM-Anleihen – die Inszenierung von Georg Büchners „Woyzeck“ durch Jessica Weisskirchen setzt auf skurrile Einfälle und schräge Kostüme. Die Regisseurin rückt Nebenfiguren wie den Hauptmann und den Doktor stärker in den Mittelpunkt. Die Premiere war am 09. September 2022 im Studio des Schauspielhauses.



Eigentlich ist die Geschichte von „Woyzeck“ aktuell wie nie. Es geht einerseits um einen klassischen Femizid, das heißt ein Mann tötet seine Frau/Freundin aus Eifersucht, andererseits um das Thema „psychische Erkrankung“, den das Woyzeck Probleme hat, spürt man direkt am Anfang, als er über Freimaurer fabuliert. Doch viel wichtiger: Das Stück hat auch eine gesellschaftliche Dimension. Denn Woyzeck steht in der sozialen Rangordnung ganz unten. Er verdient als Soldat nicht genug, um seine Marie zu heiraten und lässt sich daher zu Menschenversuchen ein, die zu einer Mangelernährung führen.  Das verstärkt seine psychischen Probleme immer mehr.

Weisskirchen reduziert die Personen auf vier: Marie (Linda Elsner), Hauptmann (Ekkehard Freye), Doktor (Nika Mišković) und Woyzeck (Raphael Westermeier). Durch die Kostüme erscheinen die Akteure Chimärenhaft. Besonders schön ist der Doktor, der – komplett in Weiß – wirkt wie eine Mischung zwischen Domina und einem verrückten Professor.

Die Inszenierung von Weisskirchen thematisiert das Viehische im Menschen. Oder anders gesagt, Kleidung und Erziehung haben den Tieren die menschliche Seite verliehen. Gut in der Jahrmarktszene zu erkennen: „Mensch, sei natürlich! Du bist geschaffen aus Staub, Sand Dreck! Denn was willst du mehr sein als Staub, Sand, Dreck?“ singt der Chor der Tiere und weiter „Jetzt die Kunst, geht  aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein Säbel“.

Der animalischen Seite steht der Hauptmann mit seiner Moral und Tugendbegriffen und der Doktor als Mann der Wissenschaft entgegen, die beide auf Woyzeck herabsehen, der in seiner gesellschaftlichen Stellung keinen Platz für Moral hat.

Das Tierische, oder besser Viehische kommt den Besucher*innen gleich zu Beginn entgegen, denn die Schauspieler*innen begrüßen die Zuschauer wie Tiere im Zoo oder im Zirkus, die sicher hinter Gittern sind.    

Dadurch das Woyzeck, mehrere Jobs hat, um über die Runden zu kommen, hetzt er durch das Stück, das das Bühnenbild aufnimmt, indem es sich in ein Karussell verwandelt und Schwung aufnimmt.  Auch gelungen war die Szene, als Woyzeck in einem Popcornwagen saß, der mit Erbsen (aus Papier) gefüllt war und vom Doktor über die Bühne gezogen wurde.

Jessica Weisskirchen sorgt mit ihrer Inszenierung für einen neuen Einblick in den allzu bekannten Stoff und findet mit Günter Hans Wolf Lemke einen idealen Partner für Bühnenbild und Kostüme.

Weiter Termine und Informationen: www.theaterdo.de




The Head in the Door

oder Das Vaudeville der Verzweiflung

von Milan Peschel und Ensemble

Als Gestern noch Heute, also das Morgen von Vorgestern war …

Ein Abend im Vaudeville mit Sprachslapstick, tiefgreifenden Fragen nach der Kreativität dem Glück und der Selbstverwirklichung immer etwas tun müssen oder doch nicht, dadaesquem Humor, Lust am Stillstand der wortgewandt und bewegt übertönt wird und Schauspielern in einem Theater oder doch einem Vergnügungspark mit einem Anflug von Kafka …

Das Ensemble vollzieht einen gekonnten Spagat vom Vaudeville, den einstigen französischen Vor- und Kleinstadt Theatern. In den USA fand man den Begriff Chic und betitelte die Schaubuden so. Darin verdienten sich dann Charlie Chaplin, die Marx Brothers, Stan Laurel, W.C. Fields und Buster Keaton die ersten Meriten.

Marlena Keil, Linus Ebner, Ekkehard Freye, Bettina Engelhardt, Nika Misÿkovic, Anton Andreew in "The Head in the door" (Foto: © Birgit Hupfeld)
Marlena Keil, Linus Ebner, Ekkehard Freye, Bettina Engelhardt, Nika Misÿkovic, Anton Andreew in „The Head in the door“ (Foto: © Birgit Hupfeld)

Das Vaudeville hüben wie drüben ging mit der Depression nach 1929 und dem Tonfilm unter. Aber Peschel und sein Ensemble lassen es wieder auferstehen mit dem Scheitern, Straucheln und wieder Aufstehen. Nicht ohne einen Seitenhieb auf einen gewissen Ortsteil der einst spanischen Stadt der Engel, aber auch das Vaudeville welches einst im Fredenbaumpark war erinnernd.

Unsere Helden leben dann auch gleich im Theater, weil das Leben so teuer ist, aber das Leben auch Kunst ist, und Kunst Leben, sie, wir sie brauchen, wie die Luft zum Atmen, die Freiheit zum Leben. Als Metapher für die Lust des Künstlers/Schauspielers am Spiel und seinem Hunger nach verdientem Applaus. Witzig, schnell, wendig wieselt das Ensemble durch die Kulissen und den Kulissenregen, wobei sie uns die Schnelligkeit des Vaudeville mit Sprache und agieren vorführen und fast atemlos machen und man aufpassen muss, dass man beim Lacher, nicht die nächste Pointe überhört.

Wo bleiben die, die keinen langen Atem mehr haben? Hier wird das Stück hochmodern im Zeitalter des Fame für 15min, sich verkürzenden Aufmerksamkeitsspannen und sich überschlagender Social Media Aufmerksamkeitheischerei. Alles begann eigentlich im Vaudeville mit seinen kurzen Sketchen und Szenen, was sich im Film fortsetzte.

Ein szenischer Parforceritt durch die sich drehenden Kulissen, etwas gebremst durch Verständlich- und Verfolgbarkeit der Sprache, der Dramaturgie, ansonsten wäre man vielleicht etwas außer Atem geraten. Oder man hätte den Einsatz zum Lachen verpasst … wohltuend, das Lachen. Die Verzweiflung der Schauspieler erschien jedoch nicht allzu gravierend, zu sehr war ihre Spielfreude zu erleben.

Es braucht Menschen, hier unsere Schauspieler, die imstande sind, andere Menschen zu begeistern, das Publikum der Premiere.

Als Gestern noch Heute … also das Morgen … von Vorgestern war …

Besetzung

Anton Andreew

Alexander Darkow

Linus Ebner

Bettina Engelhardt

Ekkehard Freye

Marlena Keil

Nika Miskovic

Regie: Milan Peschel

Regieassistenz: Anna Tenti

Regiehospitanz: Victoria Di Bello

Bühne: Nicole Timm

Bühnenbildassistenz: Christiane Thomas

Kostüm: Magdalena Musial

Dramaturgie: Sabine Reich

Dramaturgiehospitanz: Sabine Buchholzer, Hannah Straßheim

Licht Design: Henning Streck

Licht: Stefan Gimbel

Inspizienz: Mathilde Wienand

Souflage: Violetta Ziegler

Weitere Termin

03. Feb. 2022 19:30

18. Feb. 2022 19:30

19. Feb. 2022 19:30

05. März 2022 19:30

13. März 2022 18:00

Eintritt € 9,00 bis 23,00




Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit

Happy, we lived on a planet – Die erste Premiere der Saison

Ausgangspunkt des neu entwickelten Stücks ist Tag X: Vor ca. 65 Millionen Jahren sind die Dinosaurier, die fast 200 Millionen Jahre die dominierende Spezies auf dem Planeten waren, in kürzester Zeit ausgestorben.

Das eigene Ableben wird gerne verdrängt. Zu sehr stört das Denken daran unser Streben nach Gesundheit und Lebensfreude. Wir wissen zwar, dass wir sterben. Aber das passiert irgendwann in der Zukunft, sind wir uns voll im prallen Leben Stehenden sicher. In früheren Zeiten ohne unsere medizinischen Fortschritte war der Tod, das Sterben ein bewusster Teil unseres Lebens und Denken.

Das Ensemble von "Happy, we lived on a planet" Foto: © Hans Jürgen Landes
Das Ensemble von „Happy, we lived on a planet“ Foto: © Hans Jürgen Landes

Egal, ob das Dahinscheiden heute noch kommt oder erst im hohen Alter, mit seiner ersten Regiearbeit möchte Mervan Ürkmez uns vorbereiten auf das Unausweichliche. Sinnlich-poetisch sucht das junge Mitglied des Dortmunder Schauspielensembles in seinem Stück, einem dramatischen Requiem, nach der Kraft, die uns die Begegnung mit dem Exitus, unserem, geben kann.

„Ich stelle mir vor, ich bin ein Dinosaurier“, beginnt Oskar Westermeier. „Ich und alle meine Artgenossen sind, nachdem wir 200 Millionen Jahre lang die dominierende Spezies auf dem Planeten waren, innerhalb eines Nachmittags ausgestorben. Einfach so. Zufällig steuert ein Komet auf die Erde zu und zufällig schlägt er ein. Zufällig passiert das im heutigen Yucatán, Mexiko, zufällig ist es zwölf Uhr mittags und ich, viele tausende Kilometer entfernt, sagen wir hier, in Dortmund, bekomme nichts davon mit. Eigentlich hat es nichts mit mir zu tun. Kurz darauf bebt die Erde, der Himmel verdunkelt sich, Glaskugeln fallen herab und eine riesige Flutwelle reißt mich weg. Einfach so. Wir können nicht wissen, ob es wirklich genau so passiert ist.“

Von jetzt an könnte richtig dystopisch werden … zumindest suggeriert uns dies der Monolog von Westermeier auf der schwarzen Bühne.

Fünf Menschen unterschiedlichen Alters, personifiziert durch Ekkehard Freye, Nika Mišković, Raphael Westermeier, Renate Henze und im Wechsel Anton oder Oskar Westermeier, setzen sich mit der Vergänglichkeit auseinander.

Ein Komet ist eingeschlagen und hat eine Reihe von Ereignissen ausgelöst, die zum Ende der Dinosaurier, ihrer Auslöschung geführt haben. Und doch sind sie allgegenwärtig: Hier sind ihre Fußspuren im Boden, ihre versteinerten Überreste, Knochen, Nester, Eier, dort ihre Abbilder auf Schultüten von Kindern.

Wir finden die Dinosaurier wieder in den Vögeln, die über uns fliegen und den Schildkröten, die zu unseren Füßen krabbeln. Wir finden sie in uns. Denn Dinos und Säugetiere haben einen gemeinsamen Vorfahren.

In „Happy, we lived on a Planet“ beobachten wir fünf Menschen bei der Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit. Als Metapher schwebt der Komet über ihnen, das Ende immer projizierend. Doch muss das nichts Trauriges sein. Die befürchtete Dystopie bleibt aus. Im Gegenteil. In den alltäglichen Situationen, Gesprächen, Briefen, Telefonaten ist das Leben. Ein Spiegel unseres alltäglichen Lebens. Otto Normalverbraucher, nicht der Held aus griechischen Dramen oder nordischen oder anderen Heldendramen.

Was bleibt also, wenn etwas oder jemand geht? Ist ein Mensch, der nicht mehr Teil unseres Lebens ist, wirklich weg, wie in aus den Augen aus dem Sinn? Sind die Momente, die verblassen, wirklich aus der Welt? Endet etwas oder transformiert es sich in etwas anderes?

Über Endlichkeit zu sprechen, über die Endlichkeit von Beziehungen, die Endlichkeit des eigenen Lebens, die Endlichkeit des Lebens geliebter Menschen, die Endlichkeit von Tieren oder Pflanzen und die Endlichkeit der Menschheit, löst in der modernen westlichen kommerzorientierten Welt meist Unwohlsein aus.

Die zu Beginn befürchtete Dystopie bleibt aus, weil das Stück versöhnlicher mit der Frage nach dem Ende umgeht und sich mehr auf das Leben als solches konzentriert.

Woher kommt aber die Angst vor dem Ende? Ensemblemitglied und Regisseur Mervan Ürkmez schafft mit dem künstlerischen Team von „Happy, we lived on a Planet“ einen Erfahrungsraum für eine sinnliche und vielschichtige Auseinandersetzung mit der Endlichkeit.

Für die Ausstattung ist Elizaweta Veprinskaja verantwortlich, für den Sound Andreas Niegl, Hannah Saar ist Dramaturgin der Produktion.

www.theaterdo.de und 0231/50-27222.

Die nächsten Termine sind: 7. Oktober (18 Uhr).




Schimmelpfennigs „Das Reich der Tiere“ mit persönlicher Brisanz

Mit der Premiere von „Das Reich der Tiere“ (Roland
Schimmelpfennig, * 1967 Göttingen) unter der Regie von Thosten
Bihegue startete das Schauspiel Dortmund am 05.10.2019 in die neue
Spielzeit 2019/20. Um es vorweg zu nehmen. Ja, die bissig-ironische
Komödie „Das Reich der Tiere“ bekam natürlich durch den
anstehenden Wechsel der Intendanz im Schauspiel ab der nächsten
Spielzeit auch eine persönliche Note.

Das Schauspielmilieu
mit seinen besonderen Gesetzen und Unsicherheiten für die Ensemble-
Mitgliedern steht ja im Mittelpunkt dieser Parabel. Enthalten ist
zudem eine viel weitergehende gesellschaftliche Kritik und
Offenlegung der Mechanismen des kapitalistischen Systems.

Im Stück führen
sechs Schauspielerinnen und Schauspieler seit sechs Jahren ein
Tier-Musical auf.

Als Löwe (Christian
Freund), Zebra (Ekkehard Freye), Ginsterkatze (Marlena Keil), Marabu
(Frank Genser), Schildkröte (Bettina Lieder) und elegante Antilope
(Alexandra Sinelnikova) erzählen sie vom Reich der Tiere. Hier
regiert zunächst das Zebra, bis ihm der Löwe den Platz als
Herrscher streitig macht. Beide müssen sich in brenzliger Situation
vor einem Brannd und gegen das gefährliche Krokodil helfen und
zusammenhalten. Aber hält der Friede lange an?

Nun soll das Stück
abgesetzt werden, etwas Neues soll her. Die Unsicherheit, Neid und
Missgunst, Vermutungen, eigene Träume und ganz persönliche Ängste
machen sich unter den SchauspielerInnen breit. Jeder versucht, seine
Chancen auszuloten und kämpft für sich. Bitter dabei ist, alle sind
durch ihre langjährige Tierrolle zu namenlosen Darstellern
degradiert, und keiner kennt sie wirklich als Person.

Solidarität oder Alle gegen Alle. Und die Frage: Lässt sich das Darstellerprekariat auf jeden Job ein? "Das Reich der Tiere" mit u.a.  Christian Freund, Alexandra Sinelnikova, Marlena Keil und Frank Genser. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Darstellerprekariat auf jeden Job ein? „Das Reich der Tiere“ mit u.a. Christian Freund, Alexandra Sinelnikova, Marlena Keil und Frank Genser. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Das Zebra,
Schauspieler Frankie, versucht in seiner Wohnung Informationen zum
neue Stück „Garten der Dinge“ von der Regisseurin (wunderbar
gespielt von Bettina Lieder) zu bekommen und Vorteile für sich
erlangen, indem er zur Lesung zu diesem Stück geht. Doch das geht
schief. Ernüchtert spielt er später sogar in einem Werbespot mit

Obwohl eigentlich
niemand (vor allem die Ginsterkatze) bei dem „Garten der Dinge“
mitmachen will, lassen sich am Ende als entpersönlichte „Dinge“
wie etwa eine Ketchupflasche, Toaster, Pfeffermühle oder Spiegelei
in diesem surrealen Stück einsetzen.

Die Inszenierung
stellte das Ensemble neben der schauspielerischen auch wieder einmal
vor physische Herausforderungen. Choreografien und musikalische
Anforderungen, ob punkig-rockig oder leiser, wurden von ihnen
gemeistert. Das dieses Ensemble auch musikalische Qualitäten hat ,
bewies es ja schon öfter. Die verschiedenen Charaktere (Symbolhaft
bei den Tieren) wurden mit großer Intensität und Körperlichkeit
für die ZuschauerInnen auf die Bühne gebracht.

Künstliche Kakteen
und andere Requisiten sorgten auf der Bühne für den passenden
Hintergrund. Auf einer erhöhten Plattform spielen Serge Corteyn und
Manuel Loos Live-Musik zur atmosphärischen Begleitung des Abends.

Die Kostüme waren
sehr fantasievoll von Theresa Mielich gestaltet.

Ein
komödiantisch-ironischer Theaterabend, der das Publikum trotz des
ernsten gesellschaftlichen Hintergrund zum lachen brachte.

Wäre es doch besser
für uns und die Gesellschaft allgemein, sich nicht spalten und
gegeneinander ausspielen zu lassen. Wären Zusammenhalt und
Solidarität gegen das „Krokodil“ eine Möglichkeit?

Informationen über
weitere Aufführungstermin erhalten Sie wie immer unter
www.theaterdo.de oder Tel..
0231/ 50 27 222.




Hedda Gabler – destruktiv aus Langeweile

Das hatte sich Hedda
irgendwie anders vorgestellt: Die Ehe mit dem Gelehrten Jörgen
Tesman ist nicht im geringsten aufregend, zumal seine Ernennung als
Professor in den Sternen steht, die alte verschmähte Jugendliebe
wird plötzlich erfolgreich und selbst einfältige Landfrauen wie
Frau Elvsted begehren aus ihrer kleinbürgerlichen Welt auf. Für
Hedda steht fest: The thrill is gone. Langeweile macht sich breit und
diese Langeweile gebiert Monster. Um ihre bürgerliche Sicherheit und
die positive Perspektive für ihren Ehemann zu erhalten, macht sich
Hedda dran, Menschen zu manipulieren und zu zerstören. Sie schafft
sie es nicht, sich zu emanzipieren und für ihre Jugendliebe Lövborg
zu entscheiden. So endet sie schließlich tragisch. Regisseur Jan
Friedrich durchbricht in seiner Inszenierung das naturalistische
Stück und erzählt es als Art Seifenoper mit Lachern vom Band. Ein
Premierenbericht vom 15. Februar 2019.

Die literarische
Figut der Hedda Gabler von Henrik Ibsen kommt nicht gerade
sympathisch daher. Sie hasst ihren Ehemann Jörgen und seine Tante
Julle, ist eifersüchtig auf ihre Bekannte Thea Elvsted, da sie
zusammen mit Heddas Jugendliebe Lövborg ein neues Leben plant. Daher
versucht sie das Leben von Lövborg und Thea zu zerstören. Nebenbei
hat sie noch ein Verhältnis mit dem Hausfreund Brack. Auf einer
Sympathieskala von 0 bis 10 würde sie wahrscheinlich im
Negativbereich landen.

Das große Problem
von Hedda ist, dass sie aus einer gutbürgerlichen Schicht (sie ist
die Tochter eines Generals) durch die Heirat mit Jörgen Tesman in
die Kleinbürgerlichkeit abgestiegen ist. Ihre einzige Hoffnung ist,
dass ihr Mann eine Professorenstelle bekommt und dadurch ihr sozialer
Status wieder steigt. Doch mittlerweile hat sich in ihrem Leben die
Langeweile breit gemacht.

Auch der perfekte Hausmann Jörgen (Ekkehard Freye) kann Hedda (Bettina Lieder) nicht aus ihrer Langeweile befreien. (Foto: © Birigt Hupfeld)
Auch der perfekte Hausmann Jörgen (Ekkehard Freye) kann Hedda (Bettina Lieder) nicht aus ihrer Langeweile befreien. (Foto: © Birigt Hupfeld)

Friedrich inszeniert
das Stück in zwei Ebenen. Die erste ebene ist durch Künstlichkeit
geprägt und findet in einer sauberen „Barbie und Ken“-Welt
statt. Hier tragen die Schauspieler Puppenmasken werden von externen
Kolleginnen und Kollegen quasi „synchronisiert“. Wie in einer
Seifenoper – inklusive Lacher vom Band – wird die scheinbar heile
Welt, in der es keine Konflikte gibt, dargestellt. Doch wehe, wenn
die Masken fallen.

Bettina Lieder als
Hedda Gabler hat einen schweren Job und sie meistert ihn vorzüglich.
Denn neben der oberflächlichen Barbie-Hedda, muss sie auch die
intrigante Hedda zeigen. Sehr eindringlich gelingt ihr das beim
Quälen von Thea Elvsted. Keine Angst, hier wurde Thea durch eine
Puppe gespielt.

Hedda hat es mit
sehr schwachen Männern zu tun. Ihr Ehemann Jörgen (gespielt von
Ekkehard Freye) ist ein Bücherwurm par exellance und ganz in seiner
Kleinbürgerlichkeit gefangen. Er setzt seine Frau mit seinem
Kinderwunsch unter Druck und bemerkt nicht, dass er keinen richtigen
Kontakt zu ihr bekommt. Eine typische Szene ist, als Jörgen sich
freut, dass Tante Julle ihm seine Pantoffel mitgebracht hat. Er ist
halt ein echter „Pantoffelheld“. Hedda nennt sie ihm am Anfang
des Stückes konsequent „Herr Tesman“. Doch ihre Manipulationen
führen nicht zum gewünschten Erfolg, auch Lövborg nimmt ḱeinen
„schönen Tod“. In letzter Konsequenz tötet sich Hedda selbst.
Tod durch Langeweile.

Ejlert Lövberg
(gespielkt von Christian Freund) könnte zum Held des Stückes
werden, ja wenn er etwas gefestigter im Leben wäre. Er verachtet
Thea Elvsted, obwohl sie für ihn ihren Mann verlassen will und ihn
von seinem Alkoholismus befreit hat. Doch leider ist er standhaft wie
ein Kartenhaus und unter Heddas Einfluss beginnt er wieder zu trinken
und verliert das Manuskript seines kommenden Buches.

Den schmierigen
Charakter Brack spielt Uwe Rohbeck. Brack ist ein Mensch, der genau
weiß, wo und wie er einen Vorteil bekommt. Er erkennt sofort die
Differenzen zwischen Jörgen und Hedda und nistet sich als Liebhaber
ins Hause Tesman ein. Darüber hinaus bekommt er mit wie Hedda das
Manuskipt von Lövborg vernichtet.

Jetzt könnte man
sagen, Hedda ist eine starke Frau, die sich gegen drei schwache
Männer durchsetzen muss, aber leider behandelt sie ihre
Geschlechtsgenossin Thea Elvsted (Alexandra Sinelnikova) genauso
mies. Thea wird als Gewinnerin aus der Geschichte herausgehen, denn
sie hat als einzige den Mut, sich aus der kleinbürgerlichen Ehe zu
emanzipieren. Sie verlässt ihren Mann und wird höchstwahrscheinlich
mit Jörgen zusammenkommen, da die beiden an den erhaltenen Notizen
von Lövborg weiterarbeiten werden.

Bleibt als weitere
Figur Tante Julle (Marlena Keil). Die Ausgeburt der
Kleinbüprgerlichkeit und dient quasi als Sidekick für die
Inszenierung. Sie opfert ihr Leben und ihr Geld wie
selbstverständlich für ihren Neffen und lässt sich auch durch
Heddas Verachtung nicht aus der Ruhe bringen.

Sicher, die
Inszenierung eines Stückes aus der Zeit des Naturalismus mit
Barbie-Puppen und Lachern aus dem Off wird nicht jedem gefallen. Doch
es zeigt sehr gut die Künstlichkeit, die sich hinter der Fassade
versteckt. Bettina Lieder ist mit ihrer Präsenz und Wandelbarkeit
eine nahezu perfekte Hedda, ebenso in ihren verletzlichen wie
boshaften Momenten.

Infos über weitere
Termine und Karten gibt es unter www.theaterdo.de




Humorvolle Verbeugung vor dem italienischen Giallo-Genre

Während Kay Voges
uns am Vortag in die Parallelwelt entführte, schmiss Jörg
Buttgereit die Zeitmaschine an und schickte die Besucher ins Italien
der 70er Jahre: Im Studio des Dortmunder Schauspiels hatte am
16.09.2018 das neue Stück „Im Studio hört dich niemand schreien“
von Jörg Buttgereit und Anne-Katthrin Schulz (frei nach Argento und
Strickland) Premiere.

Es war nicht nur
eine respektvoll-humorvolle Verbeugung vor dem italienischen
Giallo-Slasherfilm der 70-iger Jahre (insbesondere auch Peter
Stricklands Giallo-Hommage „Berberian Sound Studio“,
Pychothriller 2012).Zugleich erfährt das Publikum etwas über das
„Making of“ dieser Filme und bekommt auch kleine Einblicke in das
Genre in den 1970-iger Jahren über eingebaute Textpassagen
beispielsweise aus „The Sinful Dwarf (Vidal Raski 1973) oder etwa
Argentos „Vier fliegen auf Grauen Samt“ (1971).

Bühnenbild und
Kostüme im Studio wurde in akribischer Arbeit von der gelernten
Architektin Susanne Priebs dem Interieur im Jugendstil und Art Déco
und der Mode des Italien um 1976 nachempfunden. Jedes Detail sollte
stimmen. Ob es das Telefon mit der Wählscheibe, ein altes Ton-
Aufnahmegerät, das Mobiliar oder die schwarzen Mäntel, Perücken
und Kleidung der Frauen, Koteletten und Schnauzbart des Sohnes und
vieles andere mehr.

Die ZuschauerInnen
und ZuhörerInnen tauchen quasi ein in das Jahr 1976 und dem
Tonstudio (Sound Studio) von Regisseur Dario Winstone( der Vorname
weist natürlich nicht zufällig auf Dario Argento hin) und seiner
Familie sowie Synchronsprecherin und Mitarbeiter im Hintergrund.

In diese spezielle
Welt hinein stößt Geräuschemacher Maximilian Schall, der das
frisch abgedrehte Filmmaterial von Winestone nachvertonen soll. Er
war bisher nur für die Vertonung von harmlosen Naturfilmen mit
Tieren verantwortlich und weiß nicht so recht, was ihn erwartet.

Verliert Maximilian Schall (Uwe Robeck) noch den Verstand? v.l.n.r. (Caroline Hanke, Christian Freund, Uwe Rohbeck, Ekkehard Freye, Alexandra Sinelnikova). Foto: © Birgit Hupfeld.
Verliert Maximilian Schall (Uwe Robeck) noch den Verstand? v.l.n.r. (Caroline Hanke, Christian Freund, Uwe Rohbeck, Ekkehard Freye, Alexandra Sinelnikova). Foto: © Birgit Hupfeld.

Uwe Rohbeck, schon
oft in Buttgereit-Stücken (zum Beispiel „Elefantenmensch“) zu
bewundern, schlüpft wieder einmal meisterhaft in die Rolle des
kleinen, verschüchtert wirkenden Geraüschemachers mit Schiebemütze,
der Briefe von seiner Mutter zugeschickt bekommt.

Man merkt ihm
deutlich an, wie unwohl er sich dabei fühlt, einen gewalttätigen
Horrorfilm nachzuvertonen. Er fühlt sich in dem Genre unwohl, gibt
aber sein Bestes.

Das Publikum sieht
nicht den Film, sondern hört nur die Szenen-Einspielungen mit den
Synchronsprecherinnen und später noch Sprecher. Der Horror spielt
sich im Kopf ab.

Die geben alles, um
das Geschehen mit lautem Schreien, Stöhnen und ihrer Sprache
akustisch glaubhaft darzustellen. Maximilian Schall macht mit
verschiedensten Requisiten, unter anderem Gemüse ( etwa Kohlkopf,
Wirsing, Wassermelone) in das er herzhaft mit einem großen Messer
hinein sticht, einem Handschuh aus Leder, Papiere und Folien zum
Reißen für jede Situation das passende Geräusch. Er steigert sich
nach und nach hinein.

Als „Running Gag“
läuft er immer vergeblich der Erstattung seiner Auslagen für den
Flug von Deutschland nach Italien. Eine kleine Spitze gegen das
Kunstverständnis (Kunst als ehrenvolle Aufgabe, die man eigentlich
nicht mit Geld vergüten muss).

Ekkehard Freye
spielt mit viel Spaß den von sich eingenommenen sexistischen
Macho-Regisseur Dario Winestone, der (wie eben Argento) einen
ästhetisch hohem Niveau und mit stilistischen Anspruch an seinen
spektakulären Inszenierungen voll Gewaltexzessen, qualvollen
Vergewaltigungen bis hin zum Mord.

Während Eva Leone (Marlena Keil) auch so ihre Schwierigkeiten hat, kennen sich die Tochter Asia (Alexandra Sinelnikova) und Dario Winestones zweite Frau Janet Lee Curtis (Caroline Hanke) mit den Giallo-Filmen gut aus. Caroline Hanke spielt die Janet mit schwarzer Langhaar-Perücke als selbstbewusst scheinende Domina, die hinter ihrem Mann steht. Marlena Keil als Eva Leone begehrt nach und nach gegen den sie sexuell ausnutzenden Winestone auf. Bei einen spektakulären Spagetti-Essen während einer Pause werden die verschiedenen Ansichten der einzelnen Familien-Mitglieder deutlich. Die Tochter Asia verachtet ihren sexistischen und Macho-Vater mit seinen Gewaltfantasie-Filmen. Sohn Rock Hamond träumt von zukunftsweisenden Filmen wie etwa Kubricks „2001 – Odysse im Weltraum“ mit dem klügsten Computer der Welt „Hal 9000“.

Selbstverständlich
streut Buttgereit auch einige Zitate und Anspielungen aus anderen
Filmen ein. So träumt Winestone von einem Film, in dem die
Verbrechen schon vor der Tat verhindert werden (Minority Report“).
Das Motiv von „Vier Fliegen auf grauem Samt“ , bei der das letzte
vom Opfer gesehene Bild den Mörder überführt und Janet spricht in
ihrer Rolle als Hexe die Wörter „Klaatu Verata Nektu“ richtig
aus, anders als Ash im zweiten Teil von „Tanz der Teufel“.

Am Ende verschwimmen
die grenzen zwischen der Schattenwelt des Film-Kunstwerks zwischen
Leben und Tod und der Realität.

Ein aufregender
Theaterabend mit dem Dreamteam Buttgereit und Rohbeck und eine
gelungene Hommage an das Filmgenre „Giallo“.

Bedeutend für die
atmosphärische Begleitung des Stückes war das ausgezeichnete Sound
Design von Frank Behnke und die Dramaturgie von Anne-Kathrin Schulz
und Michael Eickhoff.

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Aufführungstermine: 20.09.2018 um 20.00 Uhr, 06.10.2018 (20:00 Uhr),
und 28.10.2018 um 18:30 Uhr. (15,- Euro).

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Informationen und Karten unter www.theaterdo.de
oder Tel. 0231/ 50 27 222