Szene machen 25 – ein Ausflug in die Stückentwicklung

Beim diesjährigen Festival „Szene machen“ ging es nicht so sehr um fertige Stücke, sondern um den Entwicklungsprozess oder Möglichkeiten der Partizipation im Theater. Der Autor war für ars tremonia am 10, Oktober im Theater im Depot, um zwei Stücke, oder besser: zwei Entwicklungen.

Den Begin machte der Dortmunder Sprechchor mit „Irgendwas mit Wasser und Solidarität“ . Eine Stunde lang wurden alle Zeugen wie ein Satz, unterschiedlich ausgesprochen, seine Bedeutung veränderte. Wie durch verschieden Betonungen der Charakter wechselte. Zum Schluss wurde der Text mit Musik kombiniert und entfachte eine ungeheure Wucht. Der Workshop war ein gelungener Einblick in die Arbeit des Sprechchores.

Der Sprechchor Dortmund gewährte einen Einblick in eine Workshop Situation. (Foto: (c) Sprechchor Dortmund)
Der Sprechchor Dortmund gewährte einen Einblick in eine Workshop Situation. (Foto: (c) Sprechchor Dortmund)

Der zweite Teil lautete „NeuroQueer Vortex – Show & Tell“ von Queeres Theater Kollektiv. Es behandelte zwei Themen. Zum einen arbeitet das Queere Theater Kollektiv an immersiven Bühnentechnologien, Live-Kameras und digitale Licht- und Sounddesigns. Das Ziel ist es, alle Elemente einer Aufführung gleichrangig zu behandeln. Das andere Thema war, wie ein Theaterabend so gestaltet werden kann, dass sich alle Personen in einem Theaterraum wohlfühlen.




Dicht und doppelbödig

„Antigone“ von Sophokles/Schimmelpfennig feierte Premiere am Schauspiel Dortmund

Die „Antigone“ des griechischen Dramatikers Sophokles gilt gemeinhin als das klassische Drama um den Konflikt zwischen Staatsraison und Humanität und ist angesichts der gegenwärtigen Kriege in Europa und der Welt aktueller denn je. Roland Schimmelpfennigs Überschreibung des Dramas dient als Grundlage für die Spielfassung der Dramaturgin Marie Senf und der Regisseurin Ariane Kareev. Letztere stellt in ihrer gut durchdachten und soliden Inszenierung vor allem den Konflikt zwischen der Titelheldin und Kreon, zwischen männlichem Machtanspruch und weiblicher Rebellion in den Mittelpunkt. Herausgekommen ist dabei ein bildgewaltiger Abend mit zuweilen ein wenig opernhaft und pathetisch agierenden, gleichwohl hervorragenden Darstellern, einem sensationellen Sprechchor und zwei finnischen Artistinnen, was der Inszenierung nicht nur eine inhaltlich-ästhetisch spannende Ebene hinzufügt, sondern auch eine sehenswerte circensische Note verleiht.

Eine kraftvolle Bühne und überzeugende Darsteller

Schon der erste Eindruck ist gewaltig: Der Palast von Theben (Bühne: Nicole Marianna Wytyczak) ist gestaltet aus langen Tuchbahnen, die von der Decke hängen und wie rotmarmorierte Säulen aussehen – eine Szenerie, in der sich Hart und Weich zu einer symbolischen Verbildlichung des Konflikts zwischen Kreon und Antigone ergänzen. Wir blicken auf den Schauplatz eines soeben beendeten Krieges; der Boden dampft noch und ist heiß wie die Gemüter. Das alles ist kongenial untermalt von archaisch dröhnenden, bedrohlichen Sounds (Yotam Schlezinger).

Das Ensemble und der Dortmunder Sprechchor bei "Antigone". (Foto: (c) Birgit Hupfeld)
Das Ensemble und der Dortmunder Sprechchor bei „Antigone“. (Foto: (c) Birgit Hupfeld)

Die Geschichte ist zweieinhalbtausend Jahre alt und weithin bekannt: Der Königssohn Polyneikes fühlt sich um sein Erbe am Reich geprellt und greift seine Vaterstadt Theben an. Eteokles, sein Bruder, verteidigt sie. Beide töten sich im Kampf, und das Unheil nimmt seinen Lauf, als ihr Onkel Kreon, der neue Herrscher, bei Todesstrafe verbietet, den Leichnam des Polyneikes zu bestatten. Antigone, die Schwester der beiden Toten, missachtet die Verordnung, bestattet ihren Bruder und bekennt sich öffentlich zu der Tat. Kreon lässt sie daraufhin lebendig einmauern. Doch der Widerstand gegen sein konsequentes Urteil formiert sich: Die eigene Familie, die Seherin und selbst das Volk ergreifen Partei für die Rebellin. Als Kreon verunsichert endlich nachgibt, ist es zu spät – am Ende sind alle um ihn herum tot.

Ekkehard Freye gibt den Kreon zunächst wunderbar als nassforschen, mediengewandten Politiker, der eloquent den Rechtsstaat repräsentiert. Linda Elsner als Antigone inszeniert sich nicht minder medienwirksam als Märtyrerin, die sich scheinbar vor dem Tod nicht fürchtet. Beiden Protagonisten folgt man hochinteressiert bei der Entwicklung ihrer Figuren, die nach und nach den sicher geglaubten Boden unter ihren Füßen verlieren. Auch alle anderen Rollen sind sauber gearbeitet und fügen sich nahtlos in den sehr klaren, dicht inszenierten Erzählprozess. Besonders erwähnenswert ist Alexander Darkow als Wächter, der auch den notwendigen Witz nicht vermissen lässt.

Spektakuläre Choreografien und eine starke zweite Ebene

Der Dortmunder Sprechchor ist so gut wie nie. Schlüssig und wirksam ist die Idee, ihn anfangs im Publikum zu platzieren, wodurch die Zuschauer selbst zum Volk von Theben und damit zu einem aktiven Teil des Geschehens werden. Und wie dieser wirklich auf den Punkt überschriebene Chortext inszeniert ist – ich wiederhole mich gern – ist eine Sensation: Auf höchstem Niveau präsent, präzise und wortgewaltig!

Besonders wird dieser Theaterabend durch die Erfindung einer zweiten Ebene. Bespielt wird sie akrobatisch von Anna und Minna Marjamäki, die als Polyneikes und „Spiegelantigone“ – so lesen wir im gut gemachten Programmheft – die „Sphäre der Toten verkörpern“. Gleich zu Beginn werden wir so zu Zeugen von Polyneikes’ verzweifeltem artistischen Versuch, sich aus dem Schattenreich zwischen Leben und Tod zu befreien. Höhepunkt all dieser sehenswerten akrobatischen Choreografien ist das ausdrucksstarke, wortlose Duett zwischen Hochseil und Boden von Antigone und ihrem Spiegel nach der Vollstreckung von Kreons Urteil. Diesen doppelten Boden als kommentierendes Element neben dem Chor zu installieren, erweist sich als bestechende Idee und rundet eine insgesamt sehr sehenswerte Inszenierung auf spektakuläre Weise ab.

 




Die Geschöpfe – Der Dortmunder Sprechchor verwandelt Ovids Metamorphosen

Premiere für mich: Zum ersten Mal besuche ich den Kubus, ein kleines Musiktheater in der Saarlandstraße. Der Dortmunder Sprechchor feierte dort am 8. November 2024 mit „Die Geschöpfe“ eine gelungene Premiere unter der Regie von Ludwig Juhrich. Ovids Metamorphosen sind ein episches Werk in 15 Büchern, das etwa im Jahr 8 n. Chr. fertiggestellt wurde und mythologische Verwandlungsgeschichten erzählt. Der Sprechchor hat drei dieser Geschichten für die Aufführung ausgewählt.

Die Bühne war geschmückt wie ein Tempel des Apollon, voller Kunstwerke und Symbolen. Schließlich erschien Apollon in der Person des Sprechchormitglieds Roman D. Metzner selbst auf der Bühne, der zugleich die instrumentale Begleitung übernahm. Der Sprechchor verkörperte einerseits einen Priesterchor (in weiß und beige gekleidet), wobei einzelne Mitglieder solistische Rollen übernahmen.

Moderne Themen in klassischen Geschichten

Die erste Metamorphose handelt vom Künstler Pygmalion, der eine Abneigung gegen Frauen hat und sich stattdessen auf seine Kunst konzentriert. Eines Tages erschafft er eine Statue aus Elfenbein, die so schön und lebendig wirkt, dass er sich in sie verliebt. Die Göttin Venus erhört seine Bitte und lässt die Statue lebendig werden. Die Geschichte von Pygmalion ist nach wie vor aktuell: Heutige Erzählungen über künstliche Intelligenz, Roboter oder virtuelle Figuren, die menschliche Eigenschaften entwickeln und Beziehungen eingehen, werfen ähnliche Fragen auf – über die Natur der Liebe, Kontrolle und die Beziehung zwischen Mensch und Kreation.

In der Geschichte von Philemon und Baucis aus den Metamorphosen wird ein altes Ehepaar, das für seine aufrichtige Liebe und tiefes Vertrauen belohnt wird, in zwei miteinander verflochtene Bäume verwandelt. Diese Verwandlung symbolisiert ihre unzertrennliche Bindung, die selbst über den Tod hinaus besteht. Auch dieses Motiv findet sich in modernen Stücken wieder; das bekannteste dürfte Bertolt Brechts Der gute Mensch von Sezuan sein, da beide Werke zentrale Themen wie Menschlichkeit, Gastfreundschaft und die Frage nach gutem Handeln in einer herausfordernden Gesellschaft behandeln.

Die Geschöpfe - Das Ensemble des Dortmunder Sprechchors. Foto: © Guntram Walter 2024
Die Geschöpfe – Das Ensemble des Dortmunder Sprechchors. Foto: © Guntram Walter 2024

Apollon und die Frage nach der Macht der Götter

Die tragische Liebesgeschichte von Hyazinthos und Apollon behandelt die Themen Liebe, Verlust und Transformation. Selbst Apollons göttliche Macht kann nicht verhindern, dass Hyazinthos stirbt, und der Gott muss lernen, den Verlust zu akzeptieren. Hier konfrontiert der Priesterchor Apollon und lässt ihn schließlich Ludwig Feuerbach zitieren: „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.“ Auch die sogenannten göttlichen Gaben, wie die Musik, besaßen die Menschen schon vorher. Es ist der Atem der Menschen, der die Götter zu dem macht, was sie sind. Ein ähnliches Thema behandelt Terry Pratchett in seinem Buch Small Gods (Einfach göttlich): In der Scheibenwelt hat ein Gott nur dann Macht, wenn Menschen an ihn glauben. So muss der Gott Om versuchen, seinen Jünger Brutha von seiner Existenz und seiner Mission zu überzeugen.

Mit dieser gelungenen Religionskritik ging der Abend zu Ende. Der Dortmunder Sprechchor zog die Zuschauer mühelos in seinen Bann, und die musikalische Begleitung passte hervorragend zur Inszenierung. Das atmosphärische Stück passt perfekt in das kleine Musiktheater. Es gibt noch eine letzte Gelegenheit, Die Geschöpfe zu sehen.

Aufführungsinformationen Sonntag, 17. November, 18:30 Uhr
Musiktheater Kubus
Saarlandstraße 124a
44139 Dortmund

Tickets und Reservierung:
E-Mail: ovid.sprechchor@gmail.com
Telefon: 0176/8422 6375
Eintrittspreis: 12 €




Ein Sprechchor-Stück zu Homosexualität im Fußball

Der Dortmunder Sprechchor (mit Fug und Recht das 17. Ensemblemitglied des hiesigen Schauspiels), hat sich in diesem Jahr mit dem Stück „Echte Liebe“ von Regisseurin Laura N. Junghanns und dem Dramaturgen Matthias Seier ein immer noch tabuisiertes Thema ausgewählt. Selbst Jahre nach dem Outing von Thomas Hitzelsberger am Karriereende ist das Bekenntnis zur Homosexualität in diesem „Sport für echte Kerle“ für aktive Fußball-Profis immer noch so gut wie unmöglich. Zu viele Ängste vor der Reaktion der Fans sowie die Furcht vor dem Karriereende machen ein Outing schwierig. Das Stück „Echte Liebe“, ein eng mit dem BVB verbundener Begriffskonstrukt, setzt sich mit diesem immer noch tabuisierten Thema komplex auseinander. Die Premiere war am 29.03.2019 im Studio des Dortmunder Schauspiels.

Auf der Bühne wurden drei Torbögen multifunktional genutzt. Hinter einander gestellt dienten sie zum Beispiel als Eingangtunnel für die Beteiligten. Der Raum auf der Bühne war voll gefüllt mit den 54 beteiligten Sprechchor-Mitgliedern. Diese tragen alle in gelb-schwarz gehaltene Kleidung und Accessoires, die ab je nach Gruppenzugehörigkeit fantasievoll in einzelnen Merkmalen verändert wurden. Die Frauen und Männer des Sprechchors waren nicht nur in ständiger Bewegung und in unterschiedliche Konstellationen auf der Bühne, sie mussten auch ein glaubwürdiges „Sprachrohr“ für die verschiedenen Gruppen und Positionen darstellen.

Einen besonderen Status hatte in „Echte Liebe“ die mit einer Schutzmaske versteckte und allein dastehende Darstellerin des „Anonymen Profis“ aus der dritten Liga (die Quelle war die Internet-Plattform Reddit). Die Texte stammten aber aus mehreren anonymen Quellen homosexueller Fußballern. Sie verdeutlichten die schwierige Situation und das Leiden an der Verheimlichung dieser Personen.

So muss sich ein aktiver homosexueller Fußballer führen - allein im Scheinwerferlicht und um ihn herum die große anonyme Masse. (Foto: Birgit Hupfeld)
So muss sich ein aktiver homosexueller Fußballer führen – allein im Scheinwerferlicht und um ihn herum die große anonyme Masse. (Foto: Birgit Hupfeld)

Eine große Gruppe
stellten diejenigen Fans und Lokalpatrioten dar, welche sich nach den
„alten Zeiten“ sehnen, wo der Signal Iduna Park noch
Westfalenstadion hieß, Fußball noch ein echter Männersport, das
Bier noch billiger und die Kommerzialisierung noch nicht so weit
fortgeschritten war. Für sie ist Fußball eine Religion und ein
Mittel, Frust sowie Druck auf Kosten von Minderheiten abzulassen.
Auch die möglichen eigenen homosexuellen Anteil machen sicher
einigen Ängste.

Eine mahnende Rolle
spielte die Gruppe der sogenannten „Sprecher gegen den Hass“ als
Gegenpol. Grundlage bildeten bei ihnen die Texte aus dem Buch „Gegen
den Hass“ von der Autorin und Publizistin Carolin Emcke
(Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels 2016).

Wie weit verbreitet
(verdeckte) Homophobie im Zirkel des Fußballs immer noch ist, zeigen
mit dem Beamer kenntlich gemachte, und von Gruppen des Sprechchors
gesprochene Zitate von bekannten Größen in dem Geschäft. Dabei
waren Aussagen von ehemalige Verteidiger Paul Steiner vom 1.FC Köln,
Ulli Hoeneß, Christoph Daum, Oliver Bierhoff und andere wie auch ein
internationaler Schauspieler. Für den „Running Gag“ sorgte die
Gruppe der „DFB-Anzugträger“, die immer wieder auf ihre
„Broschüre“ hinwiesen. Sich am Spielzeitende zu outen, wäre zum
Beispiel am günstigsten. Bis zur neuen Saison würde dann Gras über
„die Sache“ wachsen.

Atmosphärisch begleitet wurde das Stück mit eingespielten Originaltönen aus dem Stadion. Symbolisch als
assoziative Farbe für Homosexualität war eine riesige rosa
Schiri-Pfeife auf der Bühne mit dabei und es wurde am Ende ein rosa
Teppich ausgerollt.

Gesungen wurde dabei
von einer Gruppe das bekannte „You’ll never walk alone“. Das
„alone“ wurde zum Schluss vielfach wiederholt. Der „anonyme
Profi“ verlässt isoliert langsam die Bühne.

Wer sich fragt, warum sich nicht Profi-Fußballer während ihrer Karriere outen, das eindrucksvolle Ende gab die Antwort. Der Sprechchor bildete eine große anonyme Masse, die im besten Sprech der AfD und der religiösen Extremisten ihre letzte „Männerbastion“ vor dem Sprung ins 21. Jahrhundert verhindern wollen. Für sie ist die Diskussion um homosexuelle Fußballer nur „eine perfide Homo-Propaganda der Perversen-Lobby“. Doch hier kommt auch ein kleiner Kritikpunkt an dem Stück: Nicht alle, die sich gegen den „modernen Fußball“ mit seiner Eventisierung stellen, sind Homophob. Es gibt sicher genügend Kritikpunkte an DFB, UEFA und FIFA, die mehrere Abende füllen könnten. Das Stück ist sicher ein guter Ansatzpunkt, sich weiter mit der Thematik zu befassen.

Weitere
Aufführungstermin sind: 06.04.2019 und 20.04.2019 um 20:00 Uhr, am
02.06.2019 um 18:30 Uhr und am 05.07.2019 um 20.00 Uhr.

Weitere
Informationen erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de
oder Tel. : 0231/ 50 27 222




After Life – Poetische Annäherung an die Erinnerung

Was ist, wenn man eine einzige Erinnerung nach seinem Tod behalten könnte? Diese Idee stammt vom Japaner Hoirokazu Koreeda, der daraus den Film „After Life“ gedreht hat. Thorsten Bihegue entwickelte daraus einen Bühnenstück mit dem Dortmunder Sprechchor. Ein Premierenbericht vom 04. März 2018.

„Sie sind soeben gestorben“. So wurden die Anwesenden Zuschauer vom bleich geschminkten Sprechchor begrüßt. Es ist wahrhaftig ein Erlebnis, wenn man im relativ kleinen Studioraum in der Mitte ist und wie auf einer Schulbank oder vor Gericht auf der Anklagebank sitzt. Aber das Jüngste Gericht ist eher ein Unternehmen. Es bietet allen sogar die Chance, eine Erinnerung ins Jenseits mitzunehmen…

Der Dortmunder Sprechchor begrüßt in seiner Rolle als Angestellte die "Neuankömmlinge". (Foto: © Birgit Hupfeld)
Der Dortmunder Sprechchor begrüßt in seiner Rolle als Angestellte die „Neuankömmlinge“. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Tja, welche Erinnerung nimmt man jetzt? Ich vermute, dass sich die meisten Zuschauer das gefragt haben und ihr Leben rekapituliert haben. Erinnerungen prägen unser Leben. Sie geben uns unsere Identität. Es ist schwierig, davon eine bestimmte auszuwählen. Zumal klar ist: Erinnerungen sind sehr subjektiv und Hirnforscher haben herausgefunden, dass unser Gehirn die Wirklichkeit verfälscht. Erinnerungen werden immer wieder neu bewertet.

Bihegue benutzt die gleiche nüchterne Atmosphäre wie Koreeda in seinem Film. Kein übersinnliches Bling-Bling oder ähnliches. Routine eben. Fühlt man sich bei Koreeda wie beim Arbeits- oder Finanzamt, wirkt Bihegues Inszenierung Dank des Sprechchores wie eine Art Anhörung.

Die Mitglieder des Chores ziehen uns unwillkürlich tiefer in die Geschichte. Sie erzählen von Personen, die Schwierigkeiten gehabt haben, sich eine besondere Erinnerung auszusuchen oder die sich verweigert haben. Begleitet wird dies von Familienaufnahmen aus den 60er/70er Jahren, die typische Feierszenen zeigen. Passend dazu war das Lied der Carpenters „Yesterday Once More“ das musikalische Leitmotiv, auch hier geht um Erinnerungen.

Ein schönes, kurzes, aber intensives Theaterstück zum Nachdenken über das Leben und was einem wirklich wichtig ist unter Beteiligung des engagierten Sprechchores, der diesmal Unterstützung bekam vom Kindersprechchor.

Termine und Karten: http://www.theaterdo.de




After Life – im Wartesaal zum Jenseits

Der Dortmunder Sprechchor gehört seit einigen Jahren als ein zusätzliches Ensemble-Mitglied zum hiesigen Schauspiel. Sie beeindruckten schon in „Das phantastische Leben der Margot Maria Rakete“, „Kasper Hauser“, „Das Bildnis des Dorian Gray“ oder mit den „Heimlichen Helden“. Nun stehen sie wieder einmal im Mittelpunkt eines Stückes, das am Sonntag, den 04.03.2018 um 18:30 Uhr unter dem Titel After Life seine Uraufführung im Studio (Schauspiel) hat.

Auf Grundlage des gleichnamigen Filmes von Hirukazu Koreeda entwickelte Thorsten Bihegue als Gesamtkunstwerk für den Sprechchor eine Geschichte um Leben, Tod und Erinnerung. Er hat nicht nur das Stück geschrieben, führt selbst Regie und kümmert sich auch noch um das Bühnenbild.

Was erwartet das Publikum?

Sobald sie das Studio betreten, wird in von vielen fremden Menschen erklärt, das sie soeben gestorben sind. Die Bühne ist eine Art Wartesaal zum Jenseits. Jetzt wird es spannend und schwierig. Jeder darf oder soll eine ihm besonders wichtige Erinnerung aus seinen irdischen Dasein wählen, um sie ins Totenreich mit zu nehmen. Alle anderen werden ausgelöscht. Wem das nicht gelingt, kommt nicht ins Jenseits. Aber keine Sorge, die vielen „Angestellten“ stehen Ihnen mit ihren Ratschlägen und Hinweisen zur Seite. Ihr Geheimnis wird im laufe des Abends gelüftet. Sie sitzen an Tischen, die rund herum wie in einer Schulkasse aufgestellt sind. Das Publikum sitzt im Innenbereich in mehreren Kreisen angeordnet. An vier Leinwänden werden zudem Ausschnitte von alten Filmen gezeigt, die sicher einige „Erinnerungen“ hervorrufen werden.

After Life ist wieder ein Stück mit dem Dortmunder Sprechchor in der Hauptrolle. (Foto: © Birgit Hupfeld)
After Life ist wieder ein Stück mit dem Dortmunder Sprechchor in der Hauptrolle. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Während der einstündigen Vorstellung wird auch der Dortmunder Kindersprechchor einen Auftritt haben. Für jüngere Kinder ist es ja mit genauen Erinnerungen besonders schwierig. Die „Angestellten“ fordern zum genauen Nachdenken auf. Da muss es doch etwas besonderes geben? …

Es soll ein humorvoll-amüsanter, aber auch poetisch-nachdenklicher Theaterabend werden. Thorsten Bihegue ist als ausgewiesener Humorist und Wortjongleur bekannt.

Die Premiere am 04.03.2018 ist ausverkauft.

Für die bisher geplanten weiteren Termine am 31.03.2018 um 20:00 Uhr und am 29.04.2018 um 18:30 Uhr sind aber noch Restkarten zu haben.

Informationen und Karten unter: 0231/ 50 27 222 oder www.theaterdo.de




Zombification – wie man die Zombiecalypse überlebt

Ob nun im Schauspielhaus mit den Stücken von Wenzel Storch oder mit dem Theaterkollektiv „Komplott Legal“: Wenn jemand in ein Stück von oder mit Thorsten Bihegue besucht, kommt er jedenfalls schlauer wieder heraus und ist dabei auch noch gut unterhalten. Das Prinzip der Wissensvermittlung durch Theaterbesuch funktionierte auch bei „Zombification – Lecture-Performance mit Hirn“, die am 27.10. 2017 im Theater im Depot Premiere hatte.

Das Wort „Zombie“ kommt aus der zentralafrikanischen Sprache Kimbuntu und bedeutet „Totengeist“. Über Haiti und dem Voodoo haben die Zombies den Weg in die populäre Kultur gefunden, als willenlos Untote, die auf ständiger Suche nach menschlichen Fleisch sind.

Das Trio von „Komplott Legal“ Isabel Stahl (Regie und Produktion), Christine Köck (Video und Grafik) sowie Theresa Mielich (Ausstattung) schufen eine fiktive Brennpunktsendung „Wo brennt‘s jetzt“ in der Zombitologe Wolfram Kowalewski (Bihegue) und Regine Anacker (Moderatorin) über die Zombies informierten und Tipps gaben, wie man eine Zombicalypse überlebt. Nicht nur Anacker war vom Dortmunder Sprechchor, sondern auch weitere neun Mitglieder, die als realitätsnah geschminkter „Zombiechor“ schönes Anschauungsmaterial boten.

Was fasziniert uns an Zombies? Ist es die Angst vor einer seelenlosen, stumpfen Masse, die unser gewohntes Leben durcheinanderbringt? Es ist schon erstaunlich, wenn Demokraten in den USA regieren, dann kommen mehr Vampirfilme auf dem Markt, denn so Kowalewski, die Demokraten fürchten mehr den Geldadel der Wall-Street, der mit den Blutsaugern eher assoziiert werden kann. Die Republikaner fürchten eher den Aufstand der Massen, der Armen und Ausgestoßenen, die das bürgerliche Leben in ein Chaos verwandeln.

Zwar nicht "Schwanensee", aber auch Zombies können schöne Choreografien. (Foto: © Theresa Mielich)
Zwar nicht „Schwanensee“, aber auch Zombies können schöne Choreografien. (Foto: © Theresa Mielich)

Selbstverständlich wird auf die filmischen Komponenten der Zombie-Thematik eingegangen, wenn auch meist nur mit Bildern von Filmcovern. Kurz zu sehen ist ein älterer Zombiefilm aus den 40er Jahren, in dem Zombies die klassische Rolle als willenlose, fremdbestimmte Figuren einnehmen.

Auch in „Zombification“ spielen die Zombies zunächst nur die Rolle als billige Arbeitskraft, denn billiger als ein Untoter geht nicht, um dann doch mit erstaunlichen Fähigkeiten zu glänzen wie beispielsweise dem Spielen eines Glockenspiels.

Praktische Tipps gibt es auch von von Kowalewski: Wie schützt man sich vor Zombieangriffen , welche Waffen sind nützlich und wo versteckt man sich. In einem Video, dass nicht zufällig einem Ego-Shooter ähnelt, kämpft sich unser Experte durch eine Horde von Trainingszombies.

Was nimmt der Theaterbesucher aus diesem Abend mit? Er erlebt Zombies die singen und tanzen, Live-Musik (natürlich „Zombie“ von den Cranberries), eine gut aufgelegte Moderatorin samt Experten und neun großartige Zombies. Zombies sind eben mehr als herum schlurfende, fleischfressende Untote, sie sind Teil unser Popkultur und daraus nicht mehr wegzudenken. Angesichts der politischen Verhältnisse in den USA ist also wieder mit mehr Zombiefilmen zu rechnen. Die wichtigen Frage sind doch. Wie viel Zombie steckt in uns, welche Bedingungen fördern sie und wie kann man sich dagegen wehren?

Die nächste Möglichkeit das Stück zu sehen, bietet sich am 04. Novemeber 2017 um 20 Uhr im Theater im Depot.




Zombification – Zombies zwischen Fiktion und Realität

Das freie Künstlerkollektiv Komplott Legal hat ihre neueste Produktion „Zombification“ eine Lecture-Performance mit Hirn, in Zusammenarbeit mit dem Dortmunder Sprechchor und in Kooperation mit dem Theater im Depot entwickelt. Die Uraufführung findet am Freitag, den 27.10.2017 um 20:00 Uhr im Depot statt. Regie und Produktion liegen in den Händen von Isabel Stahl (Komplott Legal).

Das Publikum wird direkt in eine Studio-Produktion hineingeführt. Die Moderatorin Helene Tomatschek (Regine Anacker, Dortmunder Sprechchor) hat den Schauspieler und Zombitologen Wolfram Kowalewski (Thorsten Bihegue , Komplott Legal) als Studiogast in ihre Sendung eingeladen. Wolframs Job ist es nicht nur, wertvolle Survival-Tips im Falle eines „Zombie-Apokalypse“ zu geben, sondern er setzt sich auch mit den filmischen, geschichtlichen, philosophischen sowie den Kapitalismus-kritischen Komponenten der Zombie-Thematik auseinander.

Drei Zombies ohne Glockenseil. (Foto: © Theresa Mielich)
Drei Zombies ohne Glockenseil. (Foto: © Theresa Mielich)

Da gibt es genug ja Material aus diversen Filmen und Fernsehserien. Wichtige Grundlage sind zum Beispiel neben Texten zur Thematik auch Filme wie etwa die bissige Parabel „Land of the Dead“ von George A. Romero (2005).

Zombies rekrutieren sich aus dem Dortmunder Sprechchor

Es geht um die Fragen wie: Was ist real, was ist Fiktion? Was macht die Zombies so attraktiv? Was macht sie zu Zombies und wie viel Zombie steckt in uns? Da spielen unter anderem die Angst vor „dem Fremden“, Untergang und Tod sowie die Sehnsucht nach Überleben eine bedeutende Rolle.

Auf der Bühne befinden sich rekrutierte „Zombies“ vom Dortmunder Sprechchor, die als reale Zombies angesprochen werden. Per Video kommen noch eine ganze

Menge weiter hinzu. Eine weitere Frage ist: Was können Zombies eigentlich wirklich? Die auf der Bühne können sich jedenfalls künstlerisch ausdrücken und tanzen. Ja, sie können sogar ein wenig sprechen.

Das Publikum erwartet viele sinnliche Bilder, viel Nebel, und ein guter Soundtrack von Musik aus der Konserve und live auf der Bühne.

Wir arbeiten mit Fakten und Behauptungen, die übertrieben dargestellt werden,“ erklärte Bihegue. Das Ganze findet im Spannungsfeld zwischen Fiktion und Realität statt. Ironie wird dabei eine bedeutende Rolle spielen.

Wir dürfen auf die ungefähr siebzig minütige Performance gespannt sein.

Weiter Vorstellungen: Samstag, den 28.10.2017 und Samstag, den 04.11.2017, jeweils um 20:00 Uhr.

Infos und Kartenreservierungen unter 0231 – 9822336 oder ticket@theaterimdepot.de




Digitale Drecksarbeit für Cleanliness

[fruitful_alert type=“alert-success“]So sehr sich Maggy (Marle Wasmuth) auch vor dem digitalen Schmutz schützen möchte, die Facebook-Gärtner (Dortmunder Sprechchor) sind unerbittlich. (Foto: © Birgit Hupfeld)[/fruitful_alert]

Im Megastore hatte am Samstag, den 03.06.2017 „Nach Manila“ von der Gruppe Laokoon unter der Regie von Moritz Riesewieck seine Uraufführung. Die Gruppe hat sich in den letzten Jahren intensiv mit den sogenannten „Clickarbeitern“ in der 20 Millionen Metropole Manila (Philippinen) beschäftigt und sie auch besuchte.

Sie arbeiten Stunden von Manilas Zentrum entfernt in sauberen, abgeschirmten Großraumbüros in Computerarbeits-Boxen für Outsourcingfirmen im Auftrag eines großen Konzern im Bereich soziale Medien (Facebook). Manila heißt übrigens „Hier gibt es Nilad. Nilad ist eine weißblütige Mangrovenpflanze. Durch die Urbanisierung von Manila ist sie aber im Stadtgebiet verschwunden.

Ähnlich wie die Mangrovenpflanze muss auch der Schmutz aus den sozialen Medien verschwinden. Dafür sind die „Clickarbeiter“ da. Ihr Auftrag ist es, die sozialen Netzwerke wie Instagram, YouTube und andere von brutalen Fotos oder Videos nach einem Kriterienkatalog Inhalten wie Terror, ,Kinderpornografie, Snuff-Videos und anderes als „Content Moderators“ zu reinigen (cleanen). Das streng katholisch ausgerichtete Land bieten scheinbar gute Voraussetzungen für diese Tätigkeit. Präsident Duterte geht gerade in letzter Zeit mit äußerster Härte auch gegen kleine Dealer und ihre Klientel vor. Er schreckt auch nicht davor zurück, sie lynchen zu lassen. Das Motto in den Philippinen lautet: „Cleanliness is next to Godliness“. Die zumeist sehr jungen Menschen müssen nach kurzem Training in wenigen Sekunden entscheiden, „Delete“ oder „Ignore“ für die gezeigten Videos und Fotos.

Riesewieck stellt eine fiktive Autorin , gespielt von Caroline Hanke, mitten in einen auf der Bühne platzierten, recht opulenten Pflanzenwelt. Der „wilde Garten“ symbolisiert Facebook, dass wirkt, als wäre er sich selbst überlassen. Man sieht die Mauer darum nicht und wer im Hintergrund der Bestimmende ist. Der Sprechchor des Dortmunder Schauspiels durchquerten den „Garten“ als gleich gekleidete ordnende Gärtner. Die jungen weiblichen Theaterpartisanen verkörperten mit ihren weißen Kleidern Unschuld und Reinheit.

An den Wänden waren vier große Projektionsleinwände aufgestellt. Das Publikum nimmt mitten auf der Bühne auf Palettenkisten oder Seitenbänken platz. Mitten drin statt nur dabei. Auf der Bühne sind unter anderem auch die blauen Computerarbeits-Boxen mit den Bildschirmen zu sehen. Drei Schauspieler schlüpfen als Erzähler in eine Rolle von unterschiedlichen Typen von „Clickarbeitern“. Sie wurden beim erzählen mit der Kamera begleitet.

Da ist Maggy, deren Geschichte erzählt und extensiv dargestellt von Merle Wasmuth wird. Ihr starker religiöser Hintergrund dient ihr als Hilfe oder Krücke im Umgang mit ihrer traumatisierenden Arbeit. Die dramatischen Folgen dieser Arbeit wird ohne das Publikum mit schlimmsten Gewaltbildern zu schocken, durch die Erzählungen und Darstellungen der Schauspieler eindringlich auf die Bühne gebracht. Maggy zum Beispiel leidet unter schlimmsten Waschzwang und verbraucht Unmengen an Parfüm, um den ekeligen Gestank ihrer Arbeit los zu werden. Sie nimmt nach ihrer Auffassung die „Sünden der Welt“ für alle anderen auf sich, ohne das das gesehen wird. Ein acht bis zwölfstündiger Arbeitstag, wenig Pause, knorpeliges Fleisch in Schaumstoff-Take-Away-Verpackung und Plastikbesteck. Trotz aller Bemühungen hat sie letztendlich keine Chance gegen die Schnecken, die

Nasrim, erzählt und gespielt von Björn Gabriel, ein ein Syrien stammender Clickarbeiter, hoffte auf gut Arbeitschancen und bessere Aussichten als in Europa. Wegen seiner arabischen Sprachkenntnisse hatte er gute Chancen auf den Job. In einer Mischung aus Entsetzten und schützenden Zynismus erzählt er davon, wie ihn die Bilder der Folgen explodierender Bomben eines Selbstmord-Attentätern ihn sexuell erregen und was diese kranke Lust für Folgen für seine Beziehung zu seiner Freundin hat. Er flüchtet sich in Zynismus.

Der dritte Clickarbeiter Dodong (Raafat Daboul), versucht verbissen und hartnäckig, den australischen Pornoring-Chef „Scully“ ausfindig zu machen. „Scully“ steht dabei einerseits für die reale Person Peter Scully, ein Australier, der seit 2015 auf den Philippinen verhaftet wurde, weil er mehrere Kinder missbraucht und die Taten gefilmt hat. Auch ein Mord wird ihm vorgeworfen. Mittlerweile droht im die Todesstrafe.

Aber „Scully“ kann auch für die anderen Personen stehen, die irgendwo auf der Welt Vergewaltigung und Mord filmen und ins Netz stellen. „Irgendwo ist irgendwann immer Nacht“, sagt die Autorin verzweifelt.

Facebook ist in der Diskussion. Beispielsweise soll „Hate Speech“ (Hassreden) stärker bekämpft werden. Doch das sind immer zwei Seiten der Medaillen. Ist es wirklich gut, alles „Schlechte“ fern zu halten anstatt sich mit den (wahren) Ursachen dieses „Bösen“ in und außerhalb von uns auseinander zu setzten. Und wer setzt welche Kriterien?

Im Herbst 2017 erscheint übrigens im dtv Verlag das Buch „Digitale Drecksarbeit. Wie uns Facebook und Co. Von dem Bösen erlösen“. Verfasser: Moritz Riesewieck.

Informationen zu weiteren Aufführungsterminen erhalten Sie unter www.theaterdo.de




Heldenhafter Kampf gegen die Monotonie

Die Damen von der Telefonzentrale (Dortmunder Sprechchor) erzählten von Burnout und Depressionen. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Die Damen von der Telefonzentrale (Dortmunder Sprechchor) erzählten von Burnout und Depressionen. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Herzlich willkommen zum „Tag der offenen Tür“ in ihrem Finanzamt. Was wie eine komische Idee klingt, gab und gibt es aber in der Realität. Julia Schubert präsentiert – zum ersten Mal als Regisseurin – in den Kulissen der „Borderline Prozession“ eine irre Reise durch die Räume eine fiktiven Steuerbehörde. Merkwürdiges, Verzweifeltes, Komisches wechseln in jeder Runde ab. „Heimliche Helden“ könnte der skurrile Zwillingsbruder der „Borderline-Prozession“ sein. Auch bei den „Heimlichen Helden“ sieht der Zuschauer nicht alles, es sei denn, er kommt öfter wieder. Da wir von Ars tremonia zu Zweit unterwegs waren, konnten wir bei der Premiere am 21. Oktober 2016 einen Blick in alle Räume erhaschen.

Wie bereits geschrieben, das Stück findet in den Kulissen der „Borderline-Prozession“ statt, genauer gesagt, im vorderen Teil. Es gibt acht Räume und den Garten, aber nur sieben Runden, die jeweils um die 10 Minuten dauerten. Natürlich unterbrochen von der Mittagspause („Mahlzeit“) Jeder Zuschauer erhält eine Karte mit einer Nummer. Dort ist penibel (wir sind ja in einer deutschen Steuerbehörde) aufgezeichnet, welche Räume in welcher Runde man zu besuchen hat. Nicht, dass noch etwas durcheinander kommt.

Doch am Anfang erzählte uns Frank Genser im Wartebereich über die „heimlichen Helden“: Die Beamten in der Steuerbehörde, die treu gegen die Monotonie ihres Tagesablauf ankämpften. Ich halte es aber eher wie Schriftsteller Terry Pratchett, der in seinem Buch „Das Licht der Fantasie“ eine Figur folgendermaßen charakterisierte: „Er machte graue Durchschnittlichkeit zu einer erhabenen Kunst, und in seinem Bewusstsein herrschte die gleiche dunkle, gnadenlose Logik wie in einer Beamtenseele“.

Stichwort: Grau. Schauspieler und Mitglieder des Sprechchores trugen beinahe allesamt diese schöne unbunte Farbe.

Für mich begann der Zug durch die Büros bei Herrn Genser, der gekonnt die Möglichkeiten darbot, wie man sich die Zeit vertrieb, wenn man nichts zu arbeiten hatte. Gekonntes Kugelschreiber bewegen von rechts nach links und ein kleines Theaterstück mit Spielfiguren. Danach hatte ich gleich in zwei Räumen die Konfrontation mit dem negativen Auswirkungen der sich ständig wiederholenden Arbeiten. Depression bei den Damen vom Telefondienst und Marlena Keil präsentierte eine Mitarbeiterin mit persönlichen Problemen.

Hier noch ein kleiner Einschub: Innerhalb der Räume wechseln sich die Szenen auch noch ab, so dass kaum jemand den gleichen Abend erleben wird.

Eine besondere Rolle spielte Uwe Schmieder, alias Herr Krüger. In ziemlich mitgenommener Kleidung schlürfte er schon zu Beginn durch den Gang. In dem kleinsten grottenartigen Raum der „Büros“ konnten die Besucher erfahren, das er schon über 35 Jahre im Steuerbüro gearbeitet hat und nun in den Ruhestand geschickt wird. Sein Wellensittich im Einweckglas hat diese Zeit nicht überlebt. Tragisch-komisch dargestellt.

Neben „normalen“ Büros, gab es auch noch sehr besondere Räume: Im Garten wurde das Betriebsfest vorbereitet und die Zuschauer durften mit Hand anlegen. Käsewürfel zurecht machen, an einer Büroklammergirlande basteln oder Buchstaben ausschneiden. Der abgefahrenste Ort war sicherlich das Auto mit den Einschusslöchern der Borderline Prozession. Hier unterhielten Ekkehard Freye und Thorsten Bihegue die Besucher auf ihre spezielle Art.

Zum Abschluss des Tages der offenen Tür stieg dann noch das Betriebsfest, bei dem der altgediente Kollege Krüger verabschiedet wurde und der Alleinunterhalter Rene Carmen drei Lieder sang.

Julia Schubert schafft es, zusammen mit dem Ensemble und dem Sprechchor, ein warmherziges Stück auf die Bühne zu bringen. Ein liebevoller und humorvoller Blick auf Typen und Situationen von Menschen, die eben nicht 24 Stunden, sieben Tage die Woche kreativ arbeiten müssen, dafür aber nach 17 Uhr den Stift fallen lassen können. Welches Leben ist das bessere? Das muss jeder Besucher für sich selber entscheiden.

Wann ist wieder Tag der offenen Tür in der Finanzbehöre? Am 01. und am 27. November 2106 oder unter www.theaterdo.de nachschauen.