Per Glasfaser von Dortmund nach Berlin – hinein in die Parallelwelt
Parallelwelten spielten in der Sciencefiction immer schon eine große Rolle. Jetzt erobert das Thema auch die Bühne des Theaters. Zusammen mit dem Berliner Ensemble kreierte das Schauspielhaus Dortmund eine doppelte Welturaufführung: Das Stück „Die Parallelwelt“ wurde gleichzeitig in Dortmund und Berlin aufgeführt. Es war nicht nur eine schauspielerische Meisterleistung beider Ensembles, sondern auch eine logistische Herkulesaufgabe. Denn solange es kein Wurmloch von Dortmund nach Berlin gibt, muss man mit Glasfaser vorlieb nehmen. Ein Premierenbericht vom 15. September 2018.
Die Menschheit
musste im Verlaufe seiner Geschichte einige Degradierungen hinnehmen:
Vom Zentrum des Universums, um das sich alles drehte, über die Krone
der Schöpfung, die Darwin zerpflückte bis hin zur kosmologischen
Erkenntnis, die Erde ist auch nur ein Planet von vielen in der
Milchstraße. Jetzt wird durch die Theorien der Quantenphysik auch
noch die Einzigartigkeit in Frage gestellt. Denn wenn es viele
Universen gibt, gibt es vielleicht auch mehrere Ichs gleichzeitig? In
dem Stück spielen die Heisenbergsche Unschärferelation,
Schrödingers Katze und die Einstein-Rosen-Brücke eine Rolle, doch
keine Angst. Die Autoren Alexander Kerlin, Eva Verena Müller und Kay
Voges haben keine Physik-Vorlesung geschrieben, sondern ein
philosophisches Stück mit traurigen und lustigen Elementen.
Erzählt wird die
Geschichte von Fred. In Berlin von der Geburt bis zum Tod und in
Dortmund vom Tod zur Geburt. Der Kreuzungspunkt ist die Hochzeit, in
der sich beide Paare und die Hochzeitsgesellschaft Dank eines „Lochs
im Universum“ quasi gegenüberstehen.
Freds Tod in
Dortmund wird sehr ergreifend und emotional von Uwe Schmieder und
Friederike Tiefenbacher dargestellt. Der Tod kommt in einem
nüchternen, unpersönlichen Krankenzimmer, nach dem Sterben wird
sofort das Bett gereinigt. Gedanken zum Pflegemangel in
Krankenhäusern und Altenheimen kommen einem in den Sinn. Will man so
sterben? Muss man so sterben?
Wenn sich die beiden Ensembles treffen, die Berliner sind über die Mattscheibe sichtbar, gibt es glücklicherweise auch erheiternde Szenen. In der Hochzeitsszene, als sich die beiden Bräute (Bettina Lieder in Dortmund und Annika Meier in Berlin) gegenseitig ankeifen: „Das ist MEINE Hochzeit! Meine Hochzeit! Vielleicht hörst du mal besser zu! Ich bin die Braut!“ Auch die Hochzeitgäste sind involviert, bis sie ihre Rollen verlassen und über die Schauspielerei diskutieren.

Für die Musik
zeichnete sich der musikalische Leiter des Schauspielhauses Tommy
Finke verantwortlich. Neben barocken Klängen wurde gegen Ende von
den Schauspielern auch „Enjoy the Silence“ von Depeche Mode
gesungen.
An den Konzept von
Multiversen fasziniert natürlich die Vorstellung, dass es unendliche
Möglichkeiten gibt. Samiel, eine Figur aus dem „Freischütz“ und
im hebräischen Ursprung eine Art gefallener Erzengel, erklärt der
Pflegerin/Hebamme was es mit Quantenobjekten auf sich hat: „Sie
sind vielleicht Wellen, oder vielleicht gerade Teilchen, vielleicht
gerade lebendig oder vielleicht gerade auch nicht. In diesem Moment
sind sie am wahrscheinlichsten gerade ein Haufen Möglichkeiten, so
ziemlich alle, die es gibt gleichzeitig.“
Letztendlich ist
„Die Parallelwelt“ auch eine Hommage an das Theater, auch ein
Ort, in dem Parallelwelten entstehen. Hier kann die Vorstellung die
Wirklichkeit verändern und die Würstchen der Wahrheit, die für uns
gebraten werden, müssen wir nicht essen, zitiert Andreas Beck alias
Fred im Altenheim aus der „Rede an das unmögliche Theater“ von
Wolfram Lotz.
Am Ende sind wir
wieder bei der Geburt und Tod angekommen, nur diesmal wir in Dortmund
geboren und in Berlin gestorben. Uwe Schmieder als Baby Fred und
Josefin Platt als sterbender Fred sind durch eine Nabelschnur durch
Raum und Zeit miteinander verbunden.
Ein Abend voller
Eindrücke, die sich in die Netzhaut brannten, dargeboten von zwei
engagierten und gut aufgelegten Ensembles. Das Zusammenspiel zwischen
beiden Gruppen funktionierte hervorragend. Der Theaterabend zeigte,
was modernes zeitgenössisches Theater möglich machen kann.
Mehr Infos zu Karten
gibt es unter www.theaterdo.de