Zynische Persiflage auf eine kalte neoliberale Gesellschaft

Im Schauspiel Dortmund hatte am 08.10.2022 „GRM.Brainfuck Das sogenannte Musical“ nach dem Roman von Sybille Berg unter der Regie von Dennis Duszczak seine Premiere.



Diese Geschichte beginnt in einer nahen Zukunft im trostlosen Kaff Rochdale. Verlassen von ihren Eltern, fallen gelassen von Staat und Gesellschaft raufen sich dort vier jugendliche Außenseiter*innen (Don, Hannah, Karen, Peter) zusammen. Sie machen sich gemeinsam auf die Reise nach London. In leeren Fabrikanlagen suchen sie Zuflucht vor einem immer extremer werdenden Überwachungsstaat, der nur die Reichen immer reicher macht. Kraft und ein Ventil für ihre Wut findet vor allem Don (Donatella) in der aus Großbritannien stammenden Musikstil Grime (Englisch für Schmutz). GRM hat seine Wurzeln in der elektronischen Musik (etwa 2 Step, Jungle, UK Garage).

Auf ihrem Selbstfindungsprozess, der Suche nach Gerechtigkeit und Racheplänen gegen jene, die ihnen weh getan haben, treffen die Vier auf eine Gruppe von Hacker*innen. Diese streben eine digitale Revolution an. Außerdem werden sie mit der Lebensrealität von Thome (vernachlässigter Sohn aus reichem Elternhaus) konfrontiert. Dessen Vater ist ein Geld und machtgieriger Politiker auf Kosten anderer Menschen ohne Achtung vor Thome….

Das Bühnenbild war passend düster und als Bezug zu unserer Stadt im Hintergrund das Dortmund U in einem grauen Farbton zu sehen. Die in der Geschichte in einer nahen Zukunft dargestellten Probleme betreffen ja auch zunehmen unsere Stadt

Die sechs Schauspieler*innen Lola Fuchs, Christoph Heisler, Sarah Quarshie, Nina Karimy, Linus Ebner, Mervan Ürkmez schlüpften in die unterschiedlichen Figuren und verkörperten sie eindrucksvoll lebendig mit vollem Körpereinsatz. Diese Story von Ungerechtigkeit und Widerstand. Das Erzählte wurde immer jeweils anderen Schauspieler*innen ironisch kommentiert.

Trotz seiner derben dystopischen Grundstimmung gab auch einige humorvoll-ironische Momente im Stück. So sahen die Zuschauer*innen beispielsweise auf einem Bild von dem neuen König Charles III. mit einer Krone von „Burger King“. Dennoch klebt die negative Stimmung wie Kaugummi am Schuh, es gibt kein „Happy End“, keine Hoffnung. Wenn es einen Song gibt, der dieses Stück beschreibt, ist es die Stalker-Hymne von The Police „Every breath you take“, das von Lola Fuchs gesungen wird. Nur wird in „GRM.Brainfuck“ nicht eine Person überwacht, sondern die gesamte Gesellschaft, die das sogar überwiegend freiwillig macht.

Musikalisch begleitet wurde die Inszenierung stark von Malte Viehbahn (Bass, Synthie), Christoph Helm (Schlagzeug) und Emilia Golos (Klavier, Synthie). Schauspieler*innen konnten ihr auch ihr Gesangstalent unter Beweis stellen.

Die Leistung aller beteiligten bei dieser Inszenierung voll aktueller Brisanz wurde mit viel Applaus vom Publikum belohnt. Infos zu weiteren Aufführungsterminen erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel. 0231/ 50 27 222.




Aufstieg möglich oder Türe zu – La Chemise Lacoste

Schlechte Chancen für Arbeiterkinder, die Aufstiegschancen hängen in Deutschland immer noch stark von Bildungsstand der Eltern ab, schreibt die Zeit am 02.04.2020, die Wirtschaftswoche bläst am 31.05.2021 ins gleiche Horn: Arbeiterkinder werden ausgebremst. Und selbst wenn man es schafft, die Leiter hochzuklettern, wird man akzeptiert? Im Stück „La Chemise Lacoste“ (Das Lacoste-Hemd) von Anne Lepper ist von Akzeptanz nichts zu spüren. Die Inszenierung von Dennis Duszczak beschreibt den Versuch eines Aufstiegs. Die Premiere war am 19. September 2021 im Studio des Schauspielhauses.

Der Inhalt in aller Kürze: Der erste Teil des Stückes: Felix wurde vom Staats auserwählt, er darf die Ärmlichkeit seiner Familie und seiner Umgebung verlassen und als Balljunge beim Tennis mitmachen. Doch die arrivierten Balljungen Philipp und Toby sind nicht seine Freunde. Im zweiten Teil feiert Tennis-Star Sebastian eine Party, dafür hat er mit Kay eine Frau an seiner Seite. Doch erfüllt sie auch die Erwartungen der anderen Gäste?

Sarah Yawa Quarshie als Balljunge und Anton Andreew als Felix. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Sarah Yawa Quarshie als Balljunge und Anton Andreew als Felix. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Gleich zu Beginn ein schöner Kniff von Duszczak: Auf der Bühne ist ein drehbarer großer Kasten, der sich erst einmal zu einer Puppenbühne verwandelt: Felix und seine Familie, dargestellt von fünf gleich aussehenden Puppen freuen sich über seine Aufstiegsmöglichkeiten mit fast schon biblischen Worten: „Der eine, der gerettet wird“. Wie bei Jakob und seine Brüder.

Doch wird Felix mit seiner Sprache und seiner Kleidung in den oberen Kreisen akzeptiert? Jedenfalls – jetzt sind die echten Schauspieler an der Reihe – die beiden Balljungen Toby und Philipp (Alexander Darkow und Sarah Yawa Quarshie) machen sich erst einmal über Felix (Anton Andreew) lustig und lassen ihn deutlich spüren, dass er nicht dazugehört. „Es geht etwas Dumpfes von dir aus“, sagen sie zu ihm. „Jemand der von unten kommt, soll auch unten bleiben“. Erst durch totale Anpassung erreicht Felix, sein altes Leben zu verleugnen und erhält auch die gleiche Kleidung von Toby und Philipp.

Der zweite Teil thematisiert den Aufstieg von Frauen über einen erfolgreichen Partner. Hier ist es Tennis-Star Sebastian (Darkow), der das Mädchen Kay (Lola Fuchs) zu seiner Begleitung erkoren hat. Sind die Gäste zunächst von Kay noch angetan „Es muss schön sein, einen Menschen aus dem Dreck zu holen“, werden sie immer aggressiver.

Das Stück ist fetzig inszeniert, es fängt mit Punk-Rock an und bleibt auch sonst sehr musikalisch. Der große Kasten auf der Bühne (Bühnenbild und Kostüme Thilo Ullrich) dreht sich und auch sonst sind die Akteure in Bewegung (was sich für ein Stück, in dem Tennis eine Rolle spielt, nichts Ungewöhnliches sein muss).

Letztendlich zeigt das Stück wie schwer bis unmöglich es für Menschen „von unten“ ist, sich nach oben zu arbeiten. Sprache, Kleidung, Verhalten, die Unkenntnis über gewisse Regeln, alles lässt sie auffliegen. Selbstverleugnung scheint die einzige Möglichkeit zu sein, akzeptiert zu werden. Doch wie hoch ist der Preis.

Wer ein Stück sehen will, das leider immer noch aktuell ist, sollte sich „La Chemise Lacoste“ unbedingt anschauen. Mehr Informationen unter https://www.theaterdo.de/produktionen/detail/la-chemise-lacoste/.