Modernes Opernmärchen mit aktuellem Problembezug

In Opernhaus Dortmund hatte am 20.03.2024 die Familienoper (ab 8 Jahre) „Die Reise zu Planet 9“ seine Uraufführung.



Die Oper von Pierangelo Valtinoni (Libretto Paolo Madron basierend auf einer Vorlage von Paula Fünfeck) wurde von der Regisseurin Cordula Däuper zu einem fantasievollen-bunten musikalischen Märchen mit deutlichen Bezügen zu den Krisen unserer Zeit auf die Bühne gebracht. Sie führte das Publikum auf eine fantastische Reise mit buntschillernden Kostümen, wechselndem „stellaren“ Hintergrund und witzigen Effekten.

Denis Velev, Sooyeon Lee und  Fritz Steinbacher Foto: (c) Björn Hickmann
Denis Velev, Sooyeon Lee und Fritz Steinbacher Foto: (c) Björn Hickmann

Der von den Problemen und Volkszorn in seinem Reich überforderte König Krax von Abholzhausen (Denis Velev) begibt zusammen mit seinem macht- und habgierigem Berater Megapfiffikus (Fritz Steinbacher) auf eine Reise nach dem Planeten 9. Dort wird ein riesiger Schatz vermutet. Nicht ohne seine kluge Tochter, Prinzessin Lunatick (Sooyeon Lee), die sich mutig für Schutz der Umwelt und soziale Gerechtigkeit einsetzt. Sie treffen dort auf eine ihnen völlig fremden Kultur, und müssen sich zunächst mit deren Misstrauen auseinandersetzen.

Während König Quyobo (Mandla Mndebele), seine Frau Ikuma (Ruth Katharina Peeck, Junge Oper) den Fremden erst kritisch gegenüberstehen, verlieben sich dessen Sohn Quyokuma /Fantastikuss (Sungho Kim) und Lunatick ineinander. Mit der Kraft ihrer Liebe kämpfen sie gemeinsam passend zum „Kindertag“ für ein friedliches, respektvolles Miteinander und den Schutz von Leben und Natur. Mit Megapfiffikus steht ihren Zielen ein gefährlicher und egoistischer Gegenspieler im Weg….

Musikalisch märchenhaft schön begleitet wurde das Geschehen von der Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Koji Ishizaka.

Eine wichtige Rolle spielte der Opernchor Theater Dortmund (Leitung Fabio Mancini) als Volksvertreter.

Auf der Bühne wurden einige verschieden großer Pappkartons genutzt, um mit viel Bewegung sehr fantasievoll multifunktional als Aussagefläche oder Baumaterial (z.B. Rakete) eingesetzt zu werden.

Trotz der schweren Thematik konnten die Sängerinnen und Sänger nicht nur mit ihren starken Stimmen, sondern auch mit einer gehörigen Portion Humor und Spielfreude überzeugen. Sie suchten den Kontakt zum jugendlichen Publikum.

Die anwesenden Schulklassen reagierten auf die Handlung ihrerseits öfter lautstark und lebhaft.

Ein Opernmärchen als Aufforderungen, vor allem aber auch an die jungen Menschen, sich verantwortungsvoll und mutig für den Erhalt der natürlichen Ressourcen, Offenheit gegenüber fremden Menschen und Kulturen, einem respektvollen Umgang gegenüber unserer Umwelt sowie Gerechtigkeit auf der Welt einzusetzen.

Weitere Vorstellungstermine: So. 21.04.2024 sowie So. 26.04.2024 um 16:00 Uhr., oder am Mo. 17.05.2024 um 11:00 Uhr.




Siegfried mit Witz und Klasse

Nach der „Walküre“ in der vergangenen Spielzeit hatte am 20. Mai 2023 „Siegfried“ aus dem Ringzyklus von Richard Wagner einen großen Auftritt in der Oper Dortmund. Und wie schon in der „Walküre“ hat Peter Konwitschny wieder eine gelungene Inszenierung auf die Bühne gezaubert, dessen zweiter Akt sehr an der Humorschraube dreht.



Die Geschichte von „Siegfried“ ist schnell erzählt. Er ist das Kind der Zwillinge Siegmund und Sieglinde und der Enkel von Wotan. Die schwangere Sieglinde wird von der Walküre Brünhilde gerettet, was deren Verbannung nach sich zog (Das passierte in „Walküre“).

Siegfried wächst beim Zwerg Mime auf, der zwar Schmied ist, aber das zerbrochene Schwert Nothung nicht zusammenfügen kann. Siegfried, der genervt ist von seinem Ziehvater, schafft es alleine Nothung zu reparieren und tötet damit den „Wurm“ Fafner. Zur Belohnung bekommt Siegfried den Niebelungenhort, auf den Mime und sein Bruder Alberich (Morgan Moody) auch scharf ist. Mime wird von Siegfried getötet und unser Held begibt sich zu dem Ort, an dem Brünhilde hinter einem Riegel aus Feuer schläft und befreit sie.

„Siegfried“ zeichnet sich aus, dass es wenig weihevoll ist und die Handlung durchaus auch komödiantisch interpretiert werden kann. Konwitschny charakterisiert Siegfried (Daniel Frank) im ersten Akt als aufmüpfigen Jugendlichen, der die Autorität seines Ziehvaters Mime (Matthias Wohlbrecht) recht deutlich in Frage stellt. Siegfried, der aussieht wie eine Mischung zwischen Hippie und Jack Sparrow, möchte auch gar nicht die Zuneigung von Mime haben, die auch nur vorgetäuscht ist, wie wir später erfahren.

Im zweiten Akt wird es komödiantenhaft, alle Schwere von Wagners Bühnenfestspielen wird hinweggeblasen. Alleine dafür lohnt sich der Besuch von „Siegfried“. Hier ein paar Einfälle: Siegfried kann sein Horn nicht blasen, zur Unterstützung kommt Hornist Jan Golebiowski auf die Bühne,  die dunkle Höhle von Fafner entpuppt sich als goldener Raum mit Fafner (Denis Velev) in der Badewanne und der Waldvogel (Alina Wunderlin) hat ein wenig was von der Fee Tinkerbell.

Im dritten Akt hat Wotan alias Der dunkle Wanderer (Thomas Johannes Mayer) einen Auftritt mit der Göttin Erda (Aude Extrémo) hat, die er aus einer Art Tiefkühltruhe hervorzaubert. Ihre Warnung vor dem Ende von Göttern, Riesen und Zwergen bekommt Wotan bei einem Zusammentreffen mit seinem Enkel Siegfried selbst zu spüren. Das Ende gehört natürlich Brünnhilde (Stéphanie Müther) und Siegfried, der seine Wunschfrau trotz Rettung erstmal noch überzeugen muss. 

Da staunt Siegfried (Daniel Frank) nicht schlecht, was für Töne Hornist Jan Golebiowski aus seinem Instrument zaubert. (Foto: (C) Thomas M. Jauk)
Da staunt Siegfried (Daniel Frank) nicht schlecht, was für Töne Hornist Jan Golebiowski aus seinem Instrument zaubert. (Foto: (C) Thomas M. Jauk)

Die Inszenierung von „Siegfried“ zeigt wieder, warum Dortmund zur Oper des Jahres gewählt wurde. Tolle Stimmen bis in die kleinsten Nebenrollen, engagierte musikalische Begleitung durch die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Gabriel Feltz und eine frische, humorvolle Inszenierung von Peter Konwitschny. So verwandelt man die vier Stunden Musik in ein anspruchsvolles Seh- und Hörerlebnis. Kein Raum für überbordenden Pathos, keine Germanentümelei oder ähnliches.

Das Bühnenbild von Johannes Leiacker ist sehr reduziert. „Siegfried“ spielt größtenteils in Büro- oder Baucontainer, die man von großen Baustellen kennt, die aber effektiv als Wohnort eingerichtet wurden. Besonders die Höhle von Fafner war sehr fantasiereich ausgestaltet. Die Reduktion des Bühnenbildes ging zum Schluss noch weiter, denn Siegfried und Brünnhilde treffen sich auf der fast leeren Bühne.

Der Schlussapplaus für alle Beteiligten machte deutlich, dass in Dortmund ein zeitgemäßer und gleichzeitig qualitativ hochwertiger „Siegfried“ im Spielplan steht, der vom Publikum angenommen wird.




La Juive – Wenn Hass auf eine Minderheit zur Katastrophe führt

Opernpremiere mit Hindernissen. Eigentlich sollte die Premiere von „La Juive“ am 06. November 2022 schon um 18 Uhr beginnen, doch nachdem ein Sänger kurzfristig erkrankt war, musste sein Ersatz Denis Velev aus Paris nach Dortmund kommen. Die Autofahrt schaffte er in guter Zeit, so dass er 19:15 Uhr in Dortmund ankam und die Oper um 19:45 Uhr anfangen konnte. Nach so viel Aufregung konnten sich die Zuschauer*innen auf die Musik und die ebenso aufregende Oper „La Juive“ konzentrieren.  



Die Oper, uraufgeführt am 23. Februar 1835, hat leider immer noch ein aktuelles Hauptthema: Den Antisemitismus. Es spielt in Konstanz, zu Beginn des Konstanzer Konzils (1414). Der Juwelier Éléazar und seine Tochter Rachel geraten als Juden in den Fokus der judenhassenden Gesellschaft des Spätmittelalters. Éléazar arbeitet an einem christlichen Feiertag und seine Tochter Rachel will sich mit dem Christen Léopold verheiraten. Léopold fällt aber kurz vorher noch ein, dass er eigentlich mit Prinzessin Eudoxie, der Nichte von Kaiser Sigismund, verbandelt ist. Eine Verbindung zwischen Juden und Christen ist in der damaligen Zeit mit dem Tod bedroht. Eine weitere Rolle spielt der Kardinal de Brogni, der nachdem er Frau und Tochter verloren hat, sein Leben der Kirche gewidmet hat. Der Kardinal hat allerdings die beiden Söhne von Éléazar auf dem Gewissen, dafür will sich der Juwelier rächen. Denn die Tochter von de Brogni lebt und wer Opern kennt, wird vielleicht schon ahnen, wer seine Tochter ist.

Der Komponist Fromental Halévy war selbst Jude und zeigt in seiner bekanntesten Oper (er hat etwa 40 Opern komponiert) „La Juive“ die hässliche Fratze des Antisemitismus, die auch zu seinen Lebzeiten (1799-1862) nicht ausgerottet war und auch heute leider immer noch präsent ist.

Musikalisch ist „La Juive“ ein Meilenstein der Grand Opera und wurde zurecht von Gustav Mahler oder Richard Wagner hoch gelobt. In den dreieinhalb Stunden schwelgt die Musik, wird dramatisch und hat wundervolle Arien. Damit können die Sänger*innen glänzen wie Barbara Senator (Rachel), Mirko Roschkowski (Éléazar), Sungho Kim (Léopold) und natürlich Denis Velev (de Brogni). Unterstützt wurden die Akteure auf der Bühne von den Dortmunder Philharmonikern unter der Leitung von Philipp Armbruster.

Der Regisseur Sybrand van der Werf inszenierte „La Juive“ in einem zeitgenössischen Setting, es gab also keine mittelalterlichen Kostüme, die auch besser auf dem Dortmunder Hansemarkt gepasst hätten. Die moderne Inszenierung sollte wohl auch darlegen, dass Antisemitismus kein historisches Phänomen ist, sondern immer noch in der heutigen Gesellschaft präsent ist.

Etwas historisch wurde es dennoch, als „Kampfszenen“ als schwarz-weiß Film auf die Leinwand projiziert wurden, der Film hatte etwas von „als die Bilder laufen lernten“.

Auch die Bühne war zweckmäßig modern, schön war die Szene im Garten der kaiserlichen Residenz, bei der die Bühne wie eine Gartenparty gestylt war, geschmückt mit einem riesigen Ball aus Blumen. „La Juive“ stand ja bis zur Zeit des Nationalsozialismus in München und Wien öfter auf dem Spielplan. John Dew hat die Oper 1994 bereits nach Dortmund gebracht. Vielleicht wird sie an dem Ort, wo sich früher die Alte Synagoge befand, öfters gespielt. Ein Besuch der aktuellen Inszenierung lohnt sich auf jeden Fall.  




Sehnsucht – ein barockes Schwelgen

Am 09. Oktober 2021 feierte „Sehnsucht – ein barockes Pasticcio“ in der Oper Premiere. Mit dem Begriff „Pasticcio“ nennt man einen Zusammenschnitt aus verschiedenen Opern. In diesem Fall wurden überwiegend Arien aus Opern von Händel , aber auch von Purcell oder anderen Komponisten der Barockzeit gespielt.

Um die verschiedenen Arien wurde eine kleine Geschichte gesponnen, in dessen Zentrum ein Mann stand, der von Erinnerungen an die Vergangenheit gequält wird. In der Rolle dieses Mannes sehen wir den Countertenor David DQ Lee, während sein Vergangenheits-Ich vom Sopranist Bruno de Sá dargestellt wird. Warum die geplante Verlobung mit dem Sopran (Sooyeon Lee) nicht zustande kam, wird auf der Bühne in gespielten Rückblenden erzählt. Ob nun seine sexuelle Orientierung den Ausschlag gab, wie bei der „Weihnachtsfeier“ angedeutet wurde oder andere Dinge, jedenfalls bleibt eine Sehnsucht für die eventuell verpassten Chancen. Auch von der Enttäuschung der Eltern musste er sich lösen.

Eine Weihnachtsfeier, die schiefging.  (links Bruno de Sá, rechts Denis Velev) Foto: © Björn Hickmann, Stage Picture
Eine Weihnachtsfeier, die schiefging. (links Bruno de Sá, rechts Denis Velev) Foto: © Björn Hickmann, Stage Picture

Das alles wurde auf der Bühne in opulenter Weise dargestellt. Alle Beteiligten waren Meister ihres Faches und hatten auch sehr viel Freude an der Aufführung. Neben den erwähnten Lees waren noch die Mezzosopranistin Hyona Kim und der Bass Denis Velev zu hören. Doch was Sopranist (ja, ohne „in“) de Sá sang, war enorm beeindruckend. Seine Stimme erreichte Höhen, die unglaublich waren. Dazu noch die Begleitung der Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Philipp Armbruster und der Abend war perfekt.

Leider ließ der Zuspruch des Dortmunder Publikums zu wünschen übrig, es bleibt zu hoffen, dass die weiteren Termine besser besucht werden.

Mehr Informationen unter www.theaterdo.de




Die Entführung aus dem Serail als märchenhaftes Puppenspiel

Zur Eröffnung der Saison zeigte die Dortmunder Oper eine gekürzte Fassung Mozarts „Entführung aus dem Serail“. Um den Corona bedingten Auflagen zu genügen, erzählten die Sänger*Innen und Regisseur Nikolaus Habjan die abenteuerliche Geschichte als 80-minütiges Puppenspiel.

Auch der musikalische Leiter Motonori Kobayashi musste sich mit einem elfköpfigen Ensemble der Dortmunder Philharmoniker begnügen. Die Ouverture klang noch ein wenig ungewohnt, aber schon nach kurzer Zeit hatte man sich auf die kleinere Orchestrierung eingestellt.

Die Oper erzählt wie die Spanierin Konstanze (Irina Simmes), ihre Zofe Blonde (Sooyeon Lee) und deren Freund Pedrillo (Fritz Steinbacher) nach einem Piratenüberfall auf einem Sklavenmarkt verkauft werden und so in die Hände des Bassa Selim fallen. Der Verlobte der Konstanze, Belmonte versucht alles um die Geliebte aus den Fängen des Herrschers und seines Aufsehers Osmin (Denis Velev) zu befreien.

Im Zentrum der Inszenierung steht ein Himmelbett mittig auf einer Drehbühne platziert. Dort sitzen Vater und Sohn auf dem Bett und da der Kleine noch mit einer spannenden Geschichte beschäftigt ist und nicht einschlafen will, entwickeln die Beiden die Entführung in Form einer Gute-Nacht-Geschichte. So erzählen und kommentieren sie die Rahmenhandlung der Oper. Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan spielt und spricht den Sohn, der verkörpert durch eine große Klappmaulpuppe. Er spielt dies mit großer Hingabe, Witz und ein gewissen Zärtlichkeit. Um das Himmelbett herum sind die Protagonisten als 1 Meter große Tischpuppen arrangiert. Geschickt werden sie durch Habjan immer wieder in die Entwicklung der Geschichte integriert. Im Hintergrund werden die Puppen auch von Manuela Linshalm gespielt.

Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan entführte die Zuschauer in eine märchenhafte Atmosphäre. V.l.n.r. Sungho Kim (Belmonte), Irina Simmes (Konstanze), Nikolaus Habjan (Puppenspiel), Sooyeon Kim (Blonde), Fritz Steinbacher (Pedrillo) (Foto: © Björn Hickmann)
Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan entführte die Zuschauer in eine märchenhafte Atmosphäre. V.l.n.r. Sungho Kim (Belmonte), Irina Simmes (Konstanze), Nikolaus Habjan (Puppenspiel), Sooyeon Kim (Blonde), Fritz Steinbacher (Pedrillo) (Foto: © Björn Hickmann)

Schwarz gekleidet stehen die Sänger*Innen mit großem Abstand auf den Außenseiten der Bühne, vor oder hinter einem schwarzen Vorhang , wo zum Teil nur die beleuchteten Gesichter zu sehen sind. Mit Livecam Projektionen der Sänger und Puppen gelingt es Handlung und Gesang in Einklang zu bringen und die Geschichte packend zu erzählen.

Einen starken Eindruck hinterläßt Denis Velev mit einem wunderbaren Bass. Er verkörpert den bedrohlichen und etwas tumben Aufseher des Bassas immer auch mit einer gewissen Komik. Sooyeon Lee als Blonde besticht in der Arie „Welche Freude , welche Lust“, als sie erfährt, dass Belmonte zu Ihrer Rettung naht. Eine etwas klarere Artikulation würde den Genuss noch erhöhen. In der Arie „Martern aller Art“, wird der dramatische Ausdruck der Irina Simmes Stimme verschmilzt bei der Arie „Martern aller Art“ mit dem verzweifelten Gesichtsausdruck der Puppe, als Konstanze sich entscheidet, sich nicht dem Bassa Selim zu ergeben.

Zum Ende der gekürzten Fassung scheinen beide Paare, anders als im Original, dem Henker zum Opfer zu fallen.

Weitere Vorstellungstermine sind: 3., 23., 24., 29., 30. Oktober, 1. Und 21. November




Witzig-ironische Inszenierung des „Barbier von Sevilla“

Der dritte Tag des
Premieren-Wochenende im Opernhaus Dortmund bot mit „Il barbiere di
Siviglia“ (Der Barbier von Sevilla) von Gioachino Rossini (1792
bis 1868) und dem Libretto von Cesare Sterbini eine witzige und
ironische Inszenierung von Martin G. Berger.

Die Aufführung
dieser komischen Oper wurde nicht nur mit humorvollen deutschen
Zwischentexten des Regisseurs, sondern auch durch Special Effects,
einige ironische Anspielungen und Symbolik, wechselnden
Bühnenhintergrund sowie phantasievollen Kostümen (Masken)
ordentlich aufgepeppt.

Das besondere an der
Inszenierung war aber neben der Hinzufügung der Figur eines
Erzählers,dass die Sängerinnen und Sänger zum Anfang und gegen
Ende wie Marionetten an Seilen (mit einem Fluggürtel befestigt)
hingen. Das diente als Sinnbild dafür, dass die Akteure auf der
Bühne in ihren jeweiligen gesellschaftlichen Konventionen (wie
fremdgesteuert) gefangen sind. Das war nicht nur eine Herausforderung
für die Kostüm-Abteilung, sondern sicher auch für die Sänger. Die
hatten aber sichtlichen Spaß daran, sich nicht nur mit ihren guten
Stimmen zu profilieren, sondern auch mit ihre komische Seite zeigen
zu können.

Kammersänger Hannes
Brock als Erzähler füllte seine Rolle gewohnt humorvoll und
charmant mit aktuellen Anspielung (etwa auf die „Me too“Debatte
und moderner Kommunikationsmittel wie das iPhone) aus. Im Laufe der
Handlung wurde er in das Geschehen hinein gezogen.

Im Zentrum der
Geschichte steht der Figaro (Petr Sokolov), ein Frisör und Hallodri
mit monetärem Charakter. Der will dem verliebten Grafen Almaviva
Sunnyboy Dladla) – natürlich gegen gute Bezahlung – helfen, die
junge Rosina (Aytaj Shikhalizada) für sich gewinnen möchte.

Der Graf (Sunnyboy Dladla) schreitet zur Tat und will die Konventionen abschneiden. Basilio (Denis Velev), Dr. Bartolo (Morgan Moody), der Puppenspieler (Hannes Brock) und Figaro (Petr Sokolov) sind skeptisch. (Foto: ©Anke Sundermeier, Stage Picture)
Der Graf (Sunnyboy Dladla) schreitet zur Tat und will die Konventionen abschneiden. Basilio (Denis Velev), Dr. Bartolo (Morgan Moody), der Puppenspieler (Hannes Brock) und Figaro (Petr Sokolov) sind skeptisch. (Foto: ©Anke Sundermeier, Stage Picture)

Sie ist das reiche
Mündel des Dr. Bartolo (Morgan Moody). Der wiederum möchte macht-
und geldgierig Rosina heiraten und ihr Erbe für sich behalten. Der
Graf will die starren Regeln auflösen, und ein bürgerliches Mädchen
heiraten, das ihn um seiner selbst willen liebt. Deswegen nähert er
sich Rosina nicht nur unter einem falschen Namen, sondern benutzt auf
Anraten des Figaro auch verschiedene Identitäten (Student, Soldat
oder Musiklehrer). Der intrigante Musiklehrer Basilio (Denis Velev),
ein Freund von Dr. Bartolo, verleumdet derweil sinnlos Menschen.
Rosina träumt von Freiheit und irgend jemanden, der sie aus ihrem
goldenen Käfig heraus holt. Eigentlich vom Charakter eher sanft,
kann sie, wenn es darauf ankommt, auch rabiat und zur „Schlange“
werden.

Ironische und
witzig werden die Charaktereigenschaften durch die Puppenspielerinnen
Julia Giesbart und Veronuika Thieme mit ihren Stoff-Puppen ob als
Schlange bei Rosalia oder dem „einäugigen Rufmord-Wurm“ bei dem
Musiklehrer Basilio auch bildhaft dargestellt.

Das Gemenge muss
zunächst in einem Chaos enden. Von ihren Marionetten-Fäden erst
einmal befreit herausfinden, ob die neue Freiheit und Möglichkeit
der Selbstbestimmung erstrebenswert ist und welche Rolle sie
einnehmen wollen. Fast alle Figuren versuchen, an ihren Rollen
festzuhalten.

Am Ende löst sich
das Ganze durch Anerkennung der alten Hierarchien mit einem „kleinen
Happy End“ auf. Der Graf besinnt sich auf seine Rolle, schmiert und
bedroht Basilo, zwingt Dr. Bartolo zum Verzicht auf Rosina, und
heiratet diese. Nur seine Machtposition hatte ihm ermöglicht, seine
revolutionären Gedankenspiele einmal praktisch auszuprobieren, ohne
die Konsequenzen zu tragen.

Ob sich eine
Revolution gegen gesellschaftliche Festschreibungen dennoch lohnt,
wird jedem (im Publikum) selbst überlassen.

Berger nahm sich in seiner Inszenierung einige Freiheiten, so gab es keine Polizei, sondern der Herrenchor und die Statisterie des Theater Dortmund hatten ihren eindringlichen Auftritt als „öffentliche Meinung“. Auch kleinere Rollen wie der Notar fielen weg.

Neben dem
wunderbaren Puppen und Kostümen gab es auf der Bühne viel zu sehen.
Eines der Höhepunkte war die Rube-Goldberg-Maschine, die Basilio dem
verblüfften Dr. Bartolo vorführt. Diese Maschine hat keinen
praktischen Nutzen, bereitet aber durch das pure Hinsehen Vergnügen.
Ein Hingucker war auch das furiose Ende des ersten Aktes, als alles
auf der Bühne hin und her wogte.

Die sinnliche Musik
Rossinis zeichnet sich durch die sogenannte Rossini-Walze, einem
stetigen Anschwellen der Musik. Nicht nur die Zunahme der Lautstärke,
sondern auch allmähliche Hinzukommen weiterer Instrumente ist für
sie kennzeichnend.

Die Dortmunder
Philharmoniker unter der Leitung des ersten Kapellmeisters Motonori
Kobayashi setzte diese Musik sensibel um.

Ein interessantes
und gelungenes Opernwochenende, dass dem Publikum das neue
Opern-Ensemble näher brachte.

Informationen zu
weiteren Aufführungstermine erhalten Sie unter www.theaterdo.de
und Tel.. 0231/ 50 27 222.