Tragischer Held im Zentrum der Götterdämmerung

Wenn sich die Oper selbst auf die Bühne hebt, wird der Mythos greifbar. In Richard Wagners Götterdämmerung – dem letzten Teil seines monumentalen Ring des Nibelungen – verschränkt Bühnenbildner Bert Neumann das Spiel mit einer Bühne auf der Bühne. Die Dortmunder Premiere fand am 18. Mai 2025 statt.

Nichts ist größer als die Natur. Der Raub des Rheingolds – das aus dem Rhein geborgene Gold – bringt das Gleichgewicht der Welt aus dem Lot. Die Entfremdung von der Natur zeigt sich in der unstillbaren Gier nach Macht und technischer Beherrschung. Doch die Natur ist mehr als Kulisse: Sie ist Richterin. Sie straft jene, die sie ausbeuten, und eröffnet am Ende die Möglichkeit eines Neubeginns. Auch Wotan, der oberste Gott, bleibt davon nicht verschont. Sein Speer, Symbol seiner Herrschaft, wird durch Siegfried zerbrochen, und mit ihm die in ihn eingeritzten Runen, die einst die Ordnung der Welt festschrieben. Obwohl Wotan in der Götterdämmerung selbst nicht erscheint, ist sein Sturz im vierten Teil vollzogen. Die Saat der Machtgier geht auf.

Konwitschnys Siegfried: Naiv, getrieben, tragisch

In Peter Konwitschnys Inszenierung liegt der Fokus ganz auf Siegfried (Daniel Frank). Der Regisseur rückt weniger den göttlichen Weltenbrand in den Mittelpunkt als das private Drama eines naiven Helden. Siegfrieds Weg vom liebenden Idealisten bis zum ahnungslosen Verräter zeigt eine Figur, die an ihrer Unschuld ebenso zugrunde geht wie an der Welt, die ihn formt. Der Gedächtnisverlust durch einen Zaubertrank und der Verrat an Brünnhilde stehen exemplarisch für einen moralischen Verfall, der am Ende alle betrifft, Menschen wie Götter.

Ein Bild aus frühreren, glücklichen Tagen. Brünnhilde (Stéphanie Müther ) udn Siegfried (Daniel Frank). (Foto: (c)  Thomas M. Jauk)
Ein Bild aus frühreren, glücklichen Tagen. Brünnhilde (Stéphanie Müther ) udn Siegfried (Daniel Frank). (Foto: (c)
Thomas M. Jauk)

Konwitschnys Siegfried ist kein übermenschlicher Held, sondern ein tragischer Irrläufer in einer verlogenen Welt. In einer Szene taucht er in einer Art Asterix-Kostüm auf, was zum Glück ein seltener Ausflug ins Alberne bleibt. Die Kostüme insgesamt sind zeitgenössisch und unprätentiös gehalten.

Brünnhilde ist der emotionale Kern des Abends. Der Verlust von Siegfrieds Liebe ist für sie mehr als eine Kränkung, es ist der Zusammenbruch ihrer Wirklichkeit. Stéphanie Müther bringt diese Brüche stimmlich wie darstellerisch eindrucksvoll zum Ausdruck. Ihre Brünnhilde vereint Wut, Trauer und letztlich Erlösungskraft in einer vielschichtigen Interpretation.

Auch die übrigen Rollen sind hervorragend besetzt: Barbara Senator überzeugt als naive, leicht lenkbare Gutrune; Samuel Youn gestaltet den manipulativ-kalten Hagen mit beeindruckender Präsenz, und Joachim Goltz gibt dem schwankenden König Gunther eine tragische Tiefe.

Die Dortmunder Philharmoniker unter Generalmusikdirektor Gabriel Feltz liefern ein klanglich detailreiches und dramatisch dichtes Fundament, das der Inszenierung Kraft und Tiefe verleiht.

Am Ende gab es einige vereinzelte Buhrufe für die Regie – doch der überwältigende Applaus für Sänger:innen, Orchester und Ensemble machte deutlich: Diese Götterdämmerung war keine Apokalypse, sondern eine durchdachte theatrale Reflexion – über Macht, Irrtum, Liebe und den letzten Klang der Welt.

 




Siegfried mit Witz und Klasse

Nach der „Walküre“ in der vergangenen Spielzeit hatte am 20. Mai 2023 „Siegfried“ aus dem Ringzyklus von Richard Wagner einen großen Auftritt in der Oper Dortmund. Und wie schon in der „Walküre“ hat Peter Konwitschny wieder eine gelungene Inszenierung auf die Bühne gezaubert, dessen zweiter Akt sehr an der Humorschraube dreht.



Die Geschichte von „Siegfried“ ist schnell erzählt. Er ist das Kind der Zwillinge Siegmund und Sieglinde und der Enkel von Wotan. Die schwangere Sieglinde wird von der Walküre Brünhilde gerettet, was deren Verbannung nach sich zog (Das passierte in „Walküre“).

Siegfried wächst beim Zwerg Mime auf, der zwar Schmied ist, aber das zerbrochene Schwert Nothung nicht zusammenfügen kann. Siegfried, der genervt ist von seinem Ziehvater, schafft es alleine Nothung zu reparieren und tötet damit den „Wurm“ Fafner. Zur Belohnung bekommt Siegfried den Niebelungenhort, auf den Mime und sein Bruder Alberich (Morgan Moody) auch scharf ist. Mime wird von Siegfried getötet und unser Held begibt sich zu dem Ort, an dem Brünhilde hinter einem Riegel aus Feuer schläft und befreit sie.

„Siegfried“ zeichnet sich aus, dass es wenig weihevoll ist und die Handlung durchaus auch komödiantisch interpretiert werden kann. Konwitschny charakterisiert Siegfried (Daniel Frank) im ersten Akt als aufmüpfigen Jugendlichen, der die Autorität seines Ziehvaters Mime (Matthias Wohlbrecht) recht deutlich in Frage stellt. Siegfried, der aussieht wie eine Mischung zwischen Hippie und Jack Sparrow, möchte auch gar nicht die Zuneigung von Mime haben, die auch nur vorgetäuscht ist, wie wir später erfahren.

Im zweiten Akt wird es komödiantenhaft, alle Schwere von Wagners Bühnenfestspielen wird hinweggeblasen. Alleine dafür lohnt sich der Besuch von „Siegfried“. Hier ein paar Einfälle: Siegfried kann sein Horn nicht blasen, zur Unterstützung kommt Hornist Jan Golebiowski auf die Bühne,  die dunkle Höhle von Fafner entpuppt sich als goldener Raum mit Fafner (Denis Velev) in der Badewanne und der Waldvogel (Alina Wunderlin) hat ein wenig was von der Fee Tinkerbell.

Im dritten Akt hat Wotan alias Der dunkle Wanderer (Thomas Johannes Mayer) einen Auftritt mit der Göttin Erda (Aude Extrémo) hat, die er aus einer Art Tiefkühltruhe hervorzaubert. Ihre Warnung vor dem Ende von Göttern, Riesen und Zwergen bekommt Wotan bei einem Zusammentreffen mit seinem Enkel Siegfried selbst zu spüren. Das Ende gehört natürlich Brünnhilde (Stéphanie Müther) und Siegfried, der seine Wunschfrau trotz Rettung erstmal noch überzeugen muss. 

Da staunt Siegfried (Daniel Frank) nicht schlecht, was für Töne Hornist Jan Golebiowski aus seinem Instrument zaubert. (Foto: (C) Thomas M. Jauk)
Da staunt Siegfried (Daniel Frank) nicht schlecht, was für Töne Hornist Jan Golebiowski aus seinem Instrument zaubert. (Foto: (C) Thomas M. Jauk)

Die Inszenierung von „Siegfried“ zeigt wieder, warum Dortmund zur Oper des Jahres gewählt wurde. Tolle Stimmen bis in die kleinsten Nebenrollen, engagierte musikalische Begleitung durch die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Gabriel Feltz und eine frische, humorvolle Inszenierung von Peter Konwitschny. So verwandelt man die vier Stunden Musik in ein anspruchsvolles Seh- und Hörerlebnis. Kein Raum für überbordenden Pathos, keine Germanentümelei oder ähnliches.

Das Bühnenbild von Johannes Leiacker ist sehr reduziert. „Siegfried“ spielt größtenteils in Büro- oder Baucontainer, die man von großen Baustellen kennt, die aber effektiv als Wohnort eingerichtet wurden. Besonders die Höhle von Fafner war sehr fantasiereich ausgestaltet. Die Reduktion des Bühnenbildes ging zum Schluss noch weiter, denn Siegfried und Brünnhilde treffen sich auf der fast leeren Bühne.

Der Schlussapplaus für alle Beteiligten machte deutlich, dass in Dortmund ein zeitgemäßer und gleichzeitig qualitativ hochwertiger „Siegfried“ im Spielplan steht, der vom Publikum angenommen wird.




Die Walküre – Vater-Tochter-Drama

Was war das für ein Operntag mit Richard Wagners „Walküre“ am 21. Mai 2022. Worauf sollte ich den Fokus lenken? Auf die überzeugende Stéphanie Müther als Brünnhilde? Auf Astrid Kessler und Daniel Frank als Liebes- und Geschwisterpaar Sieglinde und Siegmund? Auf die frische Bearbeitung von Regisseur Peter Konwitschny und Frank Philipp Schlößmann (Bühne und Kostüme)? Oder auf die Musik mit den Dortmunder Philharmonikern unter der Leitung von Generalmusikdirektor Gabriel Feltz? Zusammenfassend kann ich sagen, dass alle Komponenten dazu beigetragen haben, dass der Abend ein sehr gelungener Abend wurde.

Doch eine kleiner Wermutstropfen bleibt. Warum wurde der Dortmunder „Ring“ mit dem zweiten Teil eröffnet? Was ist mit dem „Rheingold“? Ich lese ja auch nicht den zweiten Teil von „Herr der Ringe“ vor dem ersten Teil. Dadurch fehlt mir persönlich der logische Faden. Warum handelt Wotan (Noel Bouley) so „merkwürdig“? Vereinfacht gesagt: Wotan hat beschlossen, dass die Welt nach Gesetzen handelt, an die sich alle halten müssen. Dummerweise auch er. Das hat für das Liebespaar Sieglinde und Siegmund (beide Wotans Kinder) schlimme Folgen. Denn statt der „freien Liebe“, muss Wotan auf die Moralgöttin Fricka (Kai Rüütel) hören, die ausgerechnet auch seine Frau ist. Zumal Sieglinde ihren Ehemann Hunding (Denis Velev) verlassen hat. So muss er der Walküre Brünnhilde, seiner Tochter, widerwillig den Befehl geben, Hunding siegen zu lassen und Siegmund nach Walhalla zu bringen. Doch Brünnhilde lässt sich von Siegmund erbarmen und wird im dritten Akt für ihren Frevel gegenüber Wotan bestraft.

 Stéphanie Müther (Brünnhilde), Noel Bouley (Wotan) (c) Thomas Jauk, Stage Picture
Stéphanie Müther (Brünnhilde), Noel Bouley (Wotan) (c) Thomas Jauk, Stage Picture

Die Geschichte, dass sich Götter oder ähnlich hohe Tiere an ihren eigenen Gesetzen verstricken und böse auf die Nase fallen, ist nicht neu, aber die Wucht und Dramatik, die Richard Wagner in über drei Stunden auf die Bühne bringt, ist bemerkenswert. Vor allem der erste Akt mit Siegmund und Sieglinde ist atemberaubend, als beide erkennen, dass sie Geschwister sind, aber nichts gegen ihre Gefühle tun können und sich ihre gegenseitige Liebe gestehen. Die Dortmunder Philharmoniker und Gabriel Feltz scheinen die „Walküre“ auch zu genießen und kosten jeden Moment musikalisch aus.

Kommen wir zur Inszenierung. Konwitschny und Schlößmann haben ein kleines Faible für Küchen, denn in allen drei Akten steht die Küche im Mittelpunkt. Ist sie im Haus von Hunding noch ziemlich ärmlich, wird sie im Haus von Wotan etwas moderner, bis im dritten Akt eine schöne moderne Küche im Zentrum der Auseinandersetzung zwischen Tochter Brünnhilde und Vater Wotan wird.

Verständlich, denn Wagners „Ring“ ist immer noch eine hochaktuelle Erzählung von der Gier nach Macht und Reichtum bis zum Untergang. Da haben (fake) Wikingerhelme und ähnliches nichts verloren.

Ein großes Lob haben auch die Sängerinnen und Sänger verdient. Vor allem Stéphanie Müther als Brünnhilde. Zunächst fröhlich herumtollend mit ihrem Vater, gegen Ende voller Verzweiflung und Entsetzen nach seinem Urteilsspruch. Jeder im Publikum konnte mit ihr mitfiebern. Großartige Leistung. Nicht zu vergessen Astrid Kessler und Daniel Frank als Sieglinde und Siegmund, die den ersten Akt glänzend gestalteten. Auch Noel Vouley war als Wotan beeindruckend.

Jede Sekunde war ein Erlebnis. Ein Muss, nicht nur für Wagner-Fans.