Warum Kierkegaard auf Lionel Messi stolz gewesen wäre

Blanche (Marle Wasmuth) will Zauber und nicht die Realität. (Foto: © Birgit Hupfeld).
Blanche (Marle Wasmuth) will Zauber und nicht die Realität. (Foto: © Birgit Hupfeld).

Der ewige Kampf zwischen Individuum und Determinismus, er geht weiter. Das „Goldene Zeitalter“ geht in die zweite Runde mit dem Titel „The Return of das Goldene Zeitalter“ und sucht 100 neue Wege, dem Schicksal das Sorgerecht zu entziehen. Die Premiere fand am Freitag, dem 27. Februar im Dortmunder Schauspielhaus statt. Für die einen war es der zwölfte Versuch, für die anderen der erste der neuen Reihe.

Wer in der ersten Variante des „Goldenen Zeitalters“ dabei war, konnte sich auf ein Wiedersehen freuen mit der Raupe, Adam und Eva, dem Erklärbär, Kalaschnikowa und natürlich den Schulmädchen, die die Treppe heruntergingen. Auch das Konzept blieb gleich. Eine Szene wurde so lange wiederholt, bis der Regisseur Kay Voges neue Anweisungen gab. Auch hier war der Wiedererkennungseffekt groß, aber es wurden auch neue Szenen gespielt.

Wie es sich für eine gelungene Wiederholung gehört, spielen auch die gleichen Schauspieler wieder mit: Björn Gabriel, Caroline Hanke, Eva Verena Müller, Uwe Schmieder, Merle Wasmuth und Carlos Lobo. Lobo hatte zwei neue bemerkenswerte Auftritte: Zum einen spielte er einen sehr engagierten Brandschutzbeauftragten und einen weiteren Auftritt hatte er als eine Art spanischer Fußballkommentator.

Das neue „Goldene Zeitalter“ begann wie das alte: Schulmädchen, die mechanisch Treppen hinunterlaufen. Da ist das Grundmotiv des Stückes und wird wiederholt beziehungsweise variiert. Denn die Variation der Wiederholung ist das Prinzip des „Goldenen Zeitalters“.

Neben der Frage, kann ich als Individuum meinem Schicksal entkommen, ging es auch um die Frage des Urheberrechts. Passenderweise gab es vor kurzem eine Diskussion um die Inszenierung von Frank Castorfs „Baal“. Hier hatten die Brecht-Erben und der Suhrkamp-Verlag die weitere Aufführung untersagt, weil die Inszenierung Fremd-Texte enthielt. Obwohl Bertolt Brecht ironischerweise selbst gesagt habe: „Der Urheber ist belanglos. Er setzt sich durch, indem er verschwindet.“ So tauchte Brecht persönlich in einem Sarg auf und der Verlag Suhrkamp bekam ordentlich sein Fett weg („Mein Suhrkampf“).

Die Grenzen der Individualität wurde bei einer Szene besonders deutlich. Plötzlich kamen statt den Schulmädchen drei Burka-Träger(innen?). Durch die schwarze Uniformierung wurde das Individuelle komplett negiert. Ist jetzt ein Mann oder eine Frau hinter den schwarzen Tüchern? Angestimmt wurde das Kinderlied „Anders als du“. Es klang in meinen Ohren ironisch, vor allem wenn drei schwarze Gestalten „das macht das Leben eben bunt“ singen.

Kay Voges hatte auch jemanden mitgebracht. Die Figur „Blanche“ aus seiner Inszenierung „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams in Frankfurt. Merle Wasmuth spielte die Blanche in einem Südstaatenkostüm, das an „Vom Winde verweht“ erinnerte. Blanche, die wienerisch sprach, war eine Realitätsverweigerin, die statt dessen den Zauber wollte. Sie wirkt dabei so ähnlich wie Irina (Merle Wasmuth) bei Tschechows „Drei Schwestern“, die die Arbeit als Flucht aus ihrem langweiligen Leben benutzen will.

War der Ausschnitt aus Tschechows „Drei Schwestern“ in der ersten Inkarnation bereits dabei, hatte Carlos Lobo gleich zwei neue Rollen. Zunächst war er ein hessischer Feuerwehrmann, der sich in allen Einzelheiten um den Brandschutz kümmerte,

Danach kommentierte Lobo mit passendem spanischem Temparament zwei Tore.Hatte Kirkegaard mit seiner Wiederholung doch recht? Jedenfalls findet man Parallelen beim Fußball. Wie Maradona 1986 im WM-Viertelfinalspiel Argentinien gegen England lief der 19-jährige Messi bei Barças 5:2-Sieg im Pokalspiel des spanischen Pokals über den FC Getafe mit dem Ball über das halbe Spielfeld.

Ein besonderer Gast war an diesem Abend Morgan Moody. Der Opernsänger gab unter anderem „My Way“ in einer Verkleidung als Schlagerstar zum besten.

Ansonsten gab es viele Wiederholungen. Die Zombies mit Joghurt-Becher, Sisyphus, die Ouvertüre von Tannhäuser und ein nackter Uwe Schmieder, der durch die Zuschauerränge kroch.

Logischerweise war dieser Abend ein sehr starkes multimediales Ereignis. Für den Live-Sound sorgte Jan Voges, für die Videos war Daniel Hengst zuständig. Die Live-Musik zu dem Spektakel kam von Tommy Finke. Die sechs Schauspieler machten (fast) jede Regieanweisung mit, die Zuschauer merkten, dass das Ensemble mit Spielfreude bei der Sache war.

Es bleibt nur zu hoffen, dass das goldene Zeitalter nicht hinter uns liegt, sondern vor uns, um mit Heine zusprechen.

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Am Ende lauert der Faschismus

Caroline Hanke als desillusionierte Elektra im ländlichen Exil. (Foto: © Birgit Hupfeld)
Caroline Hanke als desillusionierte Elektra im ländlichen Exil. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Elektra gegen Klytaimnestra. Revolte gegen Ordnung. Alexander Kerlin schuf aus dem Familiendrama „Elektra“ von Euripides ein wortgewaltiges Gesellschaftsdrama. Was passiert, wenn sich der ewige Kampf zwischen Revolution und unbedingten Machterhalt abnutzt? Dann entsteht aus dem Chaos etwas viel schlimmeres: Der absolute Vernichtungswillen. Etwas, das skrupellos genug ist, ohne mit der Wimper zu zucken, 100 Millionen Menschen umzubringen. Ein Premierenbericht vom 07. Februar 2015.

Die Geschichte bleibt im wesentlichen die alte: Elektra, zwangsweise mit einem Bauern verheiratet, sinnt auf Rache an ihrer Mutter Klytaimnestra. Diese hat ihren Mann und Elektras Vater Agamemnon umgebracht und ihren Liebhaber Aighist zum König ernennen lassen. Die Hoffnung auf Rache wächst, als Elektras totgeglaubter Bruder Orest auftaucht, im Schlepptau seinen Freund Pylades. Endlich kann es zum Showdown kommen, doch am Ende spielt Pylades seinen letzten Trumpf aus.

Im ersten Teil von Kerlins Neubearbeitung treffen zwei Systeme aufeinander. Das Prinzip „Machterhalt“ mit dem Motto „In unserem erfolgreichen Staat, der gut ist und ohne Alternative“ gegen die Revolte. „Ich lehne deinen Staat ab, Seine Freiheit ist die größte Heuchelei“ schreit Elektra ihrer Mutter vor ihrer geplanten Hinrichtung zu. „Lieber das Nichts als dieses Leben“.

Doch in der großen „Beschimpfungsszene“ wird deutlich, wie sich Mutter und Tochter doch ähneln. „Unsere Mittel gleichen sich und wer am Ende Recht hat weiß der Geier“, so Klytaimnestra zu Elektra.

Orest klingt am Anfang ebenfalls revolutionär, dabei ein wenig naiv. Er will „mit seinem letzten blutigen Schlag den Kreislauf des Tötens durchbrechen“. Für ein goldene Zeitalter, das gerechtere Menschen und eine bessere Ordnung der Dinge schafft. Auf zum letzten Gefecht. Doch sein Ziel Aighist zu töten, schafft er nicht, denn „Aighist ist überall. Er ist nirgendwo. Überall und nirgendwo“, verzweifelt Orest, der statt des Kopfes des Königs einen Schweinskopf mitgebracht hat.

Nachdem Elektra Klytaimnestra ermordet hat, scheint die Revolution doch geglückt, oder? Es ist Pylades, der Freund von Orest, der das Ruder an sich reißt. Aus dem schweigsamen Pylades wird der totalitäre Pylades. Nachdem er einen Ledermantel anzieht, der gewisse Ähnlichkeit mit einem Gestapo-Mantel hat, beginnt er seinen Monolog. Der erinnert in Teilen an rechte Ökos, die „um die Erde zu retten“, auch einen Großteil der Menschen vernichten würde. So redet auch Pylades. „14 Milliarden Füße. Der Erdball schreit um Hilfe.“ dagegen hilft nur „Erstmal bringen wir testweise 100 Millionen Menschen um. Und das einzige, was uns dann noch hilft, ist noch mal 100 Millionen umzubringen. Und so weiter.“

Alexander Kerlin präsentiert uns einen Kampf der Systeme, der nach dem Motto endet „wenn zwei sich streiten freut sich der Dritte“. Ruhig und gelassen wartet Pylades auf seine Chance, die kommen wird, wenn sich beide Systeme erschöpft haben. Eine ähnliche Situation wie in den 30er Jahren in Deutschland.

Sehr stark in dem Stück waren die beiden Frauenrollen der Elektra und der Klytaimnestra. Caroline Hanke war nach ihrer Zeit im Mutterschutz wieder voll aktiv, wie man sofort zu beginn sah, als sie sich mit gymnastischen Übungen auf eine Art von Einsatz vorzubereiten schien. Friederike Tiefenbacher spielte eine Klytaimnestra als „Diva der herrschenden Klasse“. Elegant, aber auch festkrallend an der Macht war sie eine ebenbürtige Gegnerin von Elektra.

Peer Oscar Musinowski zeigte einen Orest, der an seiner Aufgabe Aighist zu töten scheitert. „Die Tragödie ist aus“, verzweifelt er. „Da ist kein Feind mehr, der eure Freiheit unterdrückt“. Musinowski bringt diesen Zwiespalt zwischen den energischen Orest zu Beginn und dem desillusionierten Orest gegen Ende des Stückes gut auf die Bühne.

Carlos Lobo hat eine sehr spannende Rolle, denn er spielt den Pylades. Der sagt erst einmal gar nichts und steht wie ein Unbeteiligter im Hintergrund. Erst am Ende, als sich die Kräfte der Revolte und des Beharrens erschöpft haben, kommt er zu seinem großen Auftritt.

Der Bauer/Henker wurde von Frank Genser dargestellt. Der Henker, der eigentlich Elektra töten sollte, bekommt sie zur Frau und wird Bauer. Aus einem Werkzeug der Mächtigen entwickelt der Charakter eine Art „Stockholm-Syndrom“ und stellt sich auf die Seite Elektras. Doch sein Henkerhandwerk scheint noch nicht vergessen, er dient sich Pylades an. „Wo echte Not herrscht, wird mein Handwerk noch geschätzt.“

Mit viel Humor spielten auch die Chormitglieder Bettina Lieder und Merle Wasmuth ihre Rollen. Der Chor, der das Volk symbolisiert stellte sich je nach Situation immer auf die Seite derjenigen, die gerade obenauf war.

Regisseur Paolo Magelli stellte in „Elektra“ die Schauspieler in den Mittelpunkt seiner Inszenierung. Das Bühnenbild war reduziert. Das Feld des Bauern wurde mit Schottersteinen dargestellt, um die Kargheit des Bodens zu symbolisieren. Einfache Tische und Stühle.

Daneben gab es Videoeinblendungen mit Klytaimnestra und Elektra und Orest als Kindern. In dieser Art Rückblende versucht die Mutter ihren Kindern die „wahre“ Geschichte von Helena, Paris und Agamemnon zu erzählen. Ihre Kinder schreien aber „Du lügst, du lügst!“

Die Musik kam von einer Liveband mit dem musikalischen Leiter des Schauspiels Paul Wallfisch sowie Geoffrey Burton und Larry Mullins. Ihre Musik war avantgardistisch, manchmal laut, aber nicht schrill und passte sich dem Geschehen auf der Bühne an.

Elektra wurde entscheidend gegen den Strich gebürstet und mit vielen Anspielungen aus der Jetztzeit versehen. Das ist ein Verdienst der Textbearbeitung von Alexander Kerlin. Ein sehenswertes Stück.




Dunkle Seiten im Märchen

Die Gebrüder Grimm (Ekkehard Freye und Sebastian Kuschmann) legen Hand bzw. die Schere an das Märchen von "Rotkäppchen und dem bösen Wolf". Der Wolf wird von Uwe Schmieder gespielt.
Die Gebrüder Grimm (Ekkehard Freye und Sebastian Kuschmann) legen Hand bzw. die Schere an das Märchen von „Rotkäppchen und dem bösen Wolf“. Der Wolf wird von Uwe Schmieder gespielt. (Foto: © Birgit Hupfeld)

Drehbühne, Live-Musik und Video: Die drei Erfolgszutaten von „Meister und Margarita“ spielten auch beim Stück „Republik der Wölfe“, das am 15. Februar 2014 Premiere feierte, eine zentrale Rolle. Claudia Bauer interpretierte die bekanntesten Märchen der Gebrüder Grimm in ihrer eigentlich rohen und sexualisierten Art und kombinierte sie mit Texten von Anne Sexton. Absolut nichts für Kinder. Ein Premierenbericht.

 

In dieser Spielzeit sind die Gebrüder Grimm und ihre Märchen im Theater Dortmund ja hoch im Kurs. Das Kinder- und Jugendtheater zeigte am 16. Februar zum letzten Mal „Grimm spielen“, die Oper präsentiert ab dem 22. März „Aschenputtel“ von Rossini und das Schauspiel eben „Die Republik der Wölfe“.

 

Acht Märchen von „Schneewittchen“ bis „Dornröschen“ werden nicht durch den Kakao gezogen, sondern in die heutige Zeit transportiert. Sie sind zu „urban legends“ geworden, denn der wahren Schrecken findet heute nicht mehr im finsteren Wald statt, sondern in der Stadt, im Großstadtdschungel.

 

Den Beginn machte „Schneewittchen“. Friederike Tiefenbacher spielte die „böse Königin“, die vom Hofstaat umschwärmt wird. Sie ahnt aber, dass es mit ihrer Schönheit bald vorbei sein wird, und das 13-jährige Schneewittchen (Eva Verena Müller) an ihre Stelle tritt. Schneewittchen flieht zu den sieben Zwergen (Mitglieder des Dortmunder Sprechchors), nimmt aber auch den vergifteten Apfel der Königin an und fällt in einen Tiefschlaf. Am Ende der „Republik der Wölfe“ vermischt sich „Schneewittchen“ mit „Dornröschen“.

 

Nach einer kleinen Drehung ging es weiter mit dem Märchen. „Hänsel und Gretel“ wurde vermischt mit dem Märchen „Der süsse Brei“. Frank Genser rezitierte nach einem Schaumkuss-Massaker einige Zeilen aus dem Märchen. Claudia Bauer stellte in ihrer Sichtweise von „Hänsel und Gretel“ den Aspekt der „zu stopfenden Münder“ in den Vordergrund. Die Mutter (Julia Schubert) schickt zwei ihrer Kinder weg, weil sie „total unproduktiv sind und nichts zur Gesellschaft beitragen“. Daher müssen die beiden (Peer Oscar Musinowski und Carloline Hanke) in den Wald.

 

Sehr beeindruckend war auch die Interpretation von „Rumpelstilzchen“. Ekkehard Freyer spielte einen Müller, der eine Aufstiegsmöglichkeit sucht und seine Tochter (Bettina Lieder) als das „Nonplusultra“ anpreist. Wie es heutzutage Eltern gerne tun, die ihre Kinder als „Wunderkinder“ anpreisen. Das Stroh zu Gold spinnen kann sie natürlich nur mit Hilfe von Rumpelstilzchen (Uwe Schmieder). Erst nachdem sie seinen Namen sagt, wird sie ihn los. Hier brilliert Uwe Genser als König, der nur an dem Gold interessiert ist.

 

Einen sehr stark sexualisierten Aspekt hatte der „Froschkönig“. Hier wird er nicht an die Wand geworfen und mutiert auch nicht zum Prinzen, sondern wird nach der Vergewaltigung der Königstochter (Friederike Tiefenbacher) von ihr ermordet.

 

Den aktuellen „Supermodel“-Hype nahm Bauer beim „Aschenputtel“ auf das Korn. Die Stiefschwestern (Bettina Lieder und Julia Schubert) nahmen sogar Verstümmelungen in Kauf, um dem blasierten reichen König (Oscar Musinowski) zu gefallen. Letztendlich entscheidet er sich doch für Aschenputtel (Caroline Hanke).

 

Rotkäppchen ist in „Republik der Wölfe“ sehr nahe an der ursprünglichen Fassung des Märchens. Denn Charles Perraults Fassung sollte jungen Mädchen vor Sittenstrolchen warnen. In seiner Fassung wird auch das Rotkäppchen nicht befreit. Die Brüder Grimm (Sebastian Kuschmann und Ekkehard Freye) kämpfen um das „Märchen-Ende“. Letztendlich wird Rotkäppchen mit der Schere aus dem Bauch des Wolfes geschnitten. Der Wolf (Uwe Schmieder) ist hier kein Tier, sondern ein skrupelloser (Serien-)Mörder.

 

Beeindruckend war an diesem Abend die Bühne. Doppelstöckig drehte sie sich und bot die Möglichkeit, die Märchen ohne Unterbrechung hintereinander weg zu spielen. Sie gingen quasi ineinander über. Neben der Aktion auf der Bühne gab es Live-Videos, die vom Sohn des Schauspieldirektor Jan Voges aufgenommen wurden. Zu sehen waren sie auf der linken Seite der Bühne.

 

Neben den Schauspielern, die eine engagierte Leistung boten, war auch der Dortmunder Sprechchor zu sehen: Bei „Schneewittchen“ spielten sie die sieben Zwerge und bei „Die 12 tanzenden Prinzessinnen“ durften die Damen passenderweise im Prinzessinnen-Kostüm auf die Drehbühne.

 

Eine wichtige Rolle spielte die Musik. Paul Wallfisch, Alexander Hacke, Mick Harvey und Danielle de Picciotto standen auf der rechten Seite als „Ministry of Wolves“ auf der Mühne. Verkleidet waren sie als Art Geistliche mit Beffchen dazu eine Wolfsmaske. Eine kleine Doppeldeutigkeit, denn ministry kann „Ministerium“ oder aber „geistliches Amt“ bedeuten.

 

Ihre Musik war nicht nur Soundtrack, sondern mehr mit den Märchen verwoben. Musikalisch eine Mischung zwischen „Botanica“ (Wallfisch) und Einstürzende Neubauten (Hacke). Bei der Premiere gab es noch einige Abstimmungsprobleme mit dem Ton, so dass sich manchmal Schauspieler gegen die Musik nicht durchsetzen konnte (beispielsweise die Mutter von „Hänsel und Gretel“).

 

Ein gelungener Abend, an dem alles passte: Schauspieler, Dortmunder Sprechchor, Musik, Bühne, Regie. Wer seine Kindheitsmärchen gerne mal sehen möchte, wie sie „gegen den Strich“ gebürstet und in die heutige Zeit transponiert werden, sollte sich unbedingt eine Karte für die kommenden Aufführungen besorgen.

 

Für die weiteren Termine gibt es noch Karten: 05., 06., 07., 08.,09. März sowie 11., 12., 13. April und 09., 10. und 11. Mai 2014. Weitere Infos: www.theaterdo.de




Kampf um Bewahrung der Menschlichkeit

Kurzer Moment der Glückseligkeit. Die junge Nawal (Friederike Tiefenbacher) und Wahab (Peer Oscar Musinowski). (Foto: © Birgit Hupfeld)
Kurzer Moment der Glückseligkeit. Die junge Nawal (Friederike Tiefenbacher) und Wahab (Peer Oscar Musinowski). (Foto: © Birgit Hupfeld)

Am 30. November 2013 war Premiere für „Verbrennungen“, nach dem Thriller des im Libanon aufgewachsenen kanadischen Autoren Wajdi Mouawad. Das Buch wurde 2010 unter dem Titel „Die Frau die singt“ verfilmt.Die niederländische Regisseurin Liesbeth Coltof unterstützt schon seit vielen Jahren junge Schauspieler/innen im Gaza-Gebiet und hat dort auch schon verschieden Inszenierungen aufgeführt.Diese besondere Beziehung zum Nahen Osten merkt man auch in ihrer sensiblen Inszenierung von „Verbrennungen“.

 

Zur Geschichte: Die im Nahen Osten aufgewachsene Nawal hinterlässt ihren in Kanada ohne Vater aufgewachsenen 22 Jahre alten Zwillingen Jeanne und Simon nach ihrem Tot durch die befreundete Notarin Hermile (im Film ein Notar) ein verstörendes Testament. Jeanne soll ihren tot geglaubten Vater suchen und Simon den ihm völlig unbekannten Bruder. Vorsichtig nähern sich zunächst Jeanne, dann auch ihrer Simon dem unfassbaren Geheimnis der Mutter, die zuvor fünf Jahre geschwiegen hatte. Langsam setzen sich die einzelnen Mosaiksteine zu einem erschütterndem Ganzen zusammen… Der Ort im Nahen Osten ist bewusst nicht genau lokalisiert. Der Libanon dient nur als ein Muster für Bürgerkriegskonflikte, die zu einem Teufelskreis der Gewalt führen.

 

Wie bewahrt man sich Menschlichkeit in einer Welt des Hasses? Wie durchbricht man den Teufelskreis von Hass und Rache und noch mehr Hass und noch mehr Rache? Diese Fragen tauchen häufiger im Stück auf. Auf den Rat der Großmutter hin lernt Nawal Lesen, Schreiben und selbstständig zu Denken. Das macht sie selbstbewusst und aktiv. Es macht zunächst Mut, Nawal mit all ihrer Hoffnung auf diesem Weg der Menschlichkeit zu begleiten. Trotz Rückschläge will sie sich ihre Menschlichkeit bewahren. Nawal steht für die Millionen von Frauen in den Kriegen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie werden vergewaltigt, getötet und ihrer Kinder beraubt. Die Schrecken, die sie miterlebt haben, machten manche stumm. Wie Nawal. Denn das Schweigen ist für sie besser als dem Hass freien Lauf zu lassen.

 

Die erste Überraschung präsentierte Coltof gleich zu Beginn: Die Bühnenbild ist als Symbol für die Unwissenheit der Kinder ganz in weiß gehalten. Weiße Holzplatten und Stühle und ein heller , flexibel benutzbarer ein und ausfahrbarer Vorhang prägen das Bild.

 

Im Stück werden die verschiedenen Zeitebenen öfter gewechselt. Ausgangspunkt ist das gegenwärtige Wissen der Kinder. Nach und nach erfährt das Publikum durch ihren Blickwinkel mehr von Nawals vom Bürgerkrieg geprägte Biographie. Der Wechsel der Zeitebenen wird hauptsächlich durch Änderung der Beleuchtung verdeutlicht. Die Geschichte von Nawal (Friederike Tiefenbacher), beginnt,als sie im Alter von 14 Jahren von ihrem Geliebten Wahab (Peer Oscar Musinowski) schwanger wird. Das Kind wird ihr weggenommen und verschwindet in einem Waisenhaus. Nach einem weisen Rat ihrer Großmutter „lerne lesen, schreiben, denken“schaffte die die verzweifelte Nawal es, das Land zu verlassen und schreiben zu lernen. Als sie nach drei Jahren in ihr Heimatdorf zurückkommt um nach ihrem Kind zu suchen, schreibt sie stolz den Namen ihrer Großmutter auf deren Grab. Sawda , eine Freundin, eindringlich gespielt von Caroline Hanke , hat den starken Wunsch, ihr zu folgen und ebenfalls lesen zu lernen. Bildung als Mittel zur Befreiung ist ein zentraler Punkt in dem Stück. Eine große Herausforderung stellt sich Friederike Tiefenbacher. Sie spielt die Nawal im Alter von 14 Jahren, dann 17-jährig, 40-jährig im Gefängnis und dann am Ende als über 60-jährige. Sie macht das mit Hilfe kleiner Veränderungen an ihren Haaren, aber vor allem durch ihre Verhalten.

 

Die beiden Zwillinge Jeanne und Simon sind völlig verschieden angelegt. Jeanne (gespielt von Julia Schubert), Mathematik-Dozentin versucht mit Rationalität an die Geschichte heranzugehen. Sie ist sofort bereit, ihren Vater zu suchen und bereist das Land ihrer Mutter. Simon (Sebastian Graf) ist sehr emotional und aggressiv. Er verzeiht ihr ihr langes Schweigen nicht. Simon kompensiert seine Aggressivität dadurch, dass er Amateur-Boxer ist. Erst spät fährt auch er ins Land seiner Mutter, um seinen Bruder zu suchen und erfährt die schreckliche Wahrheit.

 

Andreas Beck und Carlos Lobo spielen mehrere Rollen und haben in dem Stück die Funktion, die Geschichte weiter zu bringen. Sei es als Fremdenführer, Gefängniswärter oder Hausmeister. Oscar Musinowski spielt ebenfalls mehrere Rollen unter anderem Wahab, den Vater des ersten Kindes von Nawal. Die verschiedenen Persönlichkeiten glaubhaft darzustellen ist ihm gelungen.

 

Einen besonderen Kniff hatte sich Coltof noch ausgedacht: Sechs Frauen aus unterschiedlichen nicht-europäischen Ländern waren teilweise mit auf der Bühne (Jeannie Marianna Dressman, Sila Ekiztas, Emine Turhan, Yasemin Ucar, Fatma Ulutopcu und Jing Wu). Sie kamen auf Afrika, China, der Türkei und hatten keinerlei Bühnenerfahrung. Ihre Präsenz machte aber deutlich, dass Vertreibung, Mord und Vergewaltigung noch in weiten Teilen der Welt gang und gäbe sind. Der Teufelskreis Hass und Rache dreht sich immer noch und vor allem die Frauen müssen darunter leiden. Oftmals ohne Bildung müssen sie dem jeweiligen Sieger zu Willen sein. Bildung und selbstständiges Denken sind sind jedoch sicherlich wichtige Grundlagen zur Durchbrechung dieses Teufelskreises.

 

Musik und Bilder wurden bei der Inszenierung dezent aber wirkungsvoll eingesetzt.  Ein großes Kompliment an das gesamte Ensemble. Es ist ihnen gelungen, das Publikum tief zu berühren. Da flossen bei einigen auch ein paar Tränen.  „Verbrennungen“ berührt durch seine sparsame Inszenierung, durch das Spiel der Schauspieler und der sechs Frauen. Das Stück fängt an wie ein geschichtlicher Familienkrimi an, wo am Ende nur das Schweigen bleibt, um die Menschlichkeit zu bewahren.  So soll Theater sein!

 

Weitere Termine am 5., 14. und 27. Dezember sowie am 08. und 24. Januar 2014.

Karten und Infos unter www.theaterdo.de oder 0231 50 27222.

 




Gefangen im Loop des Lebens

Das Leben ist eine einzige Wiederholung, oder vielleicht besser besagt: eine Sammlung von Loops, die zwar gemischt werden kann, aber im Kern immer gleich bleibt.
So ist in etwa die Interpretation von Regisseur Kay Voges und Dramaturg Alexander Kerlin, zu sehen bei der Premiere der Stückentwicklung „Das goldene Zeitalter – 100 Wege dem Schicksal die Show zu stehlen“.
(Foto: Eva (Eva Verena Müller) versucht den nicht hungrigen Adam (Caroline Hanke) zum Apfelessen zu überreden. (© Edi Szekely))

Erinnert sich noch jemand an das Video „Around the world“ von „Daft Punk“ aus dem Jahre 1987? Zur sich ständig wiederholenden Musik machten Gruppen von Tänzern ständig gleiche Bewegungen. Ähnlich fing das Stück an: Mit gleichen blonden Perücken und uniformem kurzen weißen Röckchen und blauem Oberteil gingen die sechs SchauspielerInnen ( Björn Gabriel, Caroline Hanke, Carlos Lobo, Eva Verena Müller, Uwe Schmieder und Merle Wasmuth) in Wiederholungsschleifen roboterhaft nacheinander eine Treppe hinunter. An der rechten Seite der Bühne war eine Ecke mit einer Schlafgelegenheit eingelassen. Auf der linken Seite befand sich ein Kücheninterieur aus der 70er-Jahre-Hölle. Tisch, Sitzecke, orange Plastiklampe plus Plastikuhr. Darüber befand sich die technische Schaltzentrale von Videokünstler Daniel Hengst und Singer-Songwriter Tommy Finke. In Hintergrund der Bühne war eine Videoleinwand, auf der Texte und Szenenwiederholungen eingebaut wurden.

 

Das Stück hätte jetzt natürlich ewig so weitergehen könne, aber Voges und Kerlin hatten sich eine Besonderheit ausgedacht: Kay Voges saß im Zuschauerraum und gab per Mikrofon kurze Regieanweisungen. Das erinnerte an ein Improvisationstheater oder an die Sendung „Schillerstraße“. Auf Regieanweisungen wurden quasi neue Loops entwickelt und dargestellt.

 

„Das Goldene Zeitalter“ behandelte in den knapp drei Stunden natürlich nicht nur das Thema „Wiederholung“, es ging auch um Begriffe wie „Freiheit“, „Erlösung“ oder um die Frage „Wo komme ich her?“. Basiert meine Existenz quasi auf eine Wiederholung des Lebens mit Variationen (Sprich Evolution) oder bin ich von einem Schöpfer geschaffen (schöne Szene mit Uwe Schmieder auf dem Klo sitzend gefilmt wurde und die Genesis erzählt)? Jedenfalls waren Adam und Eva die absoluten Publikumslieblinge. In knuffigen Kostümen (nein, kein Adamskostüm) spielten sie ein Ehepaar, das sich gegenseitig ordentlich annervt. Wenn dass das Paradies sein soll, dann doch lieber die Hölle.

 

Im Mittelpunkt stand der Mensch, der in seinen Wiederholungen gefangen ist. Ist er ein Individuum oder nur Masse? Aufstehen, der tägliche stupide Tagesablauf (passend dazu zwei schöne Texte von Tschechow), schlafen (herrlich Uwe Schmieder als Deutscher Michel, der in seinem Kostüm eher aussah wie Louis de Funes in „Balduin, das Nachtgespenst).

 

Was ist nun die Wiederholung: Fluch oder Segen? Dämon oder Gott? Diese Frage stellte sich schon Nietzsche in der „Fröhlichen Wissenschaft“.? Kein Wunder, dass der Text, gesprochen von Björn Gabriel, eine zentrale Rolle spielt und auf Anweisung mehrfach wiederholt wurde.

 

Aber gibt es eine Möglichkeit, diesem Kreislauf von Wiederholungen zu entkommen? Für die Buddhisten gibt es das Nirwana, in unserem Kulturkreis spricht man eher von „Erlösung“. Dargestellt durch die arme Raupe Nimmersatt (Eva Verena Müller), die stirbt und unter Klängen von Wagners „Parsival“ als Schmetterling wiedergeboren wird.

 

Letztendlich war es für die sechs SchauspielerInnen wie für die Zuschauer ein harter, aufreibender Abend. Einige von ihnen nahmen die angebotene Möglichkeit wahr, kurz etwas zu trinken und dann wiederzukommen. Großes Lob gebührt auch an Daniel Hengst und Tommy Finke, die Sound, Musik und Video zu einem wichtigen Element der Aufführung werden ließen. Kleine Kritik: Manche „Loops“ waren vielleicht etwas zu lang.

 

Kein Abend wird wie der andere sein, Wiederholungen sin d in diesem Falle also ausgeschlossen. Die nächsten Möglichkeiten das Stück zu sehen sind am 21. September, 09. und 17. Oktober, 17. November und 04. sowie 21. Dezember 2013.