MAMATOR – oder Glanz und Elend eines Kuttenfans

Eine Kutte ist eine Jeansjacke, die mit Aufnähern übersäht ist. Bei Fußballfans steht meist der eigene Verein im Vordergrund, doch es gibt auch Aufnäher, die den Rivalen oder andere missliebige Vereine beleidigen. Ihre Hochzeit hatten die Kuttenfans im Fußball in den 70ern und 80ern. Mittlerweile sind sie in den Stadien beinahe eine Randerscheinung geworden, im Mittelpunkt der Fankultur stehen die Ultras-Gruppierungen, die mit Gesängen und Choreografien das Bild der Profiligen prägen.



Die Kuttenfans stehen auch für die eher proletarische Variante der Fußballfans, die die Stadien bevölkert haben, als Fußball noch nicht hip war und auch nicht in den verschiedenen Privat-TV-Sendern gezeigt wurde. Von Sky und Co ganz zu schweigen.

Basierend auf dem Roman „Nordkurve“ des Gelsenkirchener Autors Michael Klaus, der 1993 von Adolf Winkelmann verfilmt wurde, erarbeitete der kürzlich verstorbene Theatermacher Rolf Dennemann für artscenico einen Text mit dem Titel „Mamator oder guck mal ob die Mama guckt“.

„Mamator“ ist ein Solostück, das in einem Hinterhof spielt. Denn „Mamator“ spielt mit der Umgebung. Maximilian Strestik als namenloser Protagonist versucht öfters mit seiner Umgebung zu kommunizieren, sei es umherfliegende Vögel oder imaginäre Nachbarn.

Der Handlungsrahmen ist kurz erzählt: In einem Hinterhof hat sich ein Mann seinen Rückzugsort geschaffen. Der Mann ist Mitte 40 und lebt eigentlich noch bei seiner Mutter. Vor seiner Mutter verheimlicht er, dass er arbeitslos ist. Er ist leidenschaftlicher Fußballfan, Welterklärer, Biertrinker und hat, so sagt er, Stadionverbot. Dabei findet heute das entscheidende Spiel seines Vereins gegen den Abstieg statt.

Die Hauptfigur hat die Begabung, so nenne ich es mal, lose Zusammenhänge zu verknüpfen und dann in Wortkaskaden auf die Zuschauenden loszulassen. So verbindet er beispielsweise Wurstsorten mit Redewendungen in denen Wurst vorkommt. Vergleichbar mit einem Typen in der Kneipe, der einem nach einem oder zwei Bier ungefragt die Welt erklärt, indem er beliebige Bruchstücke zu einem Ganzen zusammenfügt.

Dazu passt das Setting sehr gut: Ein etwas heruntergekommener Hinterhof in der Missundestraße in der Nordstadt wird zu einem Fußballfeld, Grillplatz und Aufenthaltsort, den natürlich die Mama nicht entdecken darf.

Rolf Dennemann zeigt uns die Hauptfigur als einen Menschen, der sich seine eigene Welt geschaffen hat, in der der Geist der 70er/80er Jahre weht („Früher hießen die Fußballer noch Eisenfüße“). Auch zu erkennen im Namen des Wirtsehepaars Gerda und Jupp.

Diese Figur bringt uns Maximilian Strestik sehr gut rüber. Seine ganze Versponnenheit und positiver Enthusiasmus für seinen Verein machen ihn sofort sympathisch und sorgen für einige Lache im Publikum.

Auch wenn das Stück nicht für die EM 2024 konzipiert wurde, es ist eine wunderbare Reminiszenz an eine Fußballkultur, die es in dieser Form nur noch selten gibt. Zumal das Ruhrgebiet sicherlich eine Hochburg der Kultur der Kuttenfans war.

Wer also den Menschen hinter der Kutte erleben möchte, kann am 03. und 04. Mai 2024 jeweils um 19 Uhr in die Missundestraße 10 kommen.

Eintrittspreise 17/10€

Tickets online unter ticketree oder Reservierung unter orga@artscenico.de.

Darsteller: Maximilian Strestik

Regie: Matthias Hecht

Regieassistenz: Ludwig Juhrich

Dramaturgie: Berthold Meyer

Ausstattung: Marius Glagovsek

Mitarbeit Produktion: Sven Möller

Fotos: Guntram Walter Artwork / Presse & Öffentlichkeitsarbeit: Lars Wege




Mamator – Guckt die Mama?

Die Sprache im Ruhrgebiet ist schon eine besondere Sprache. Nehmen wir mal den Titel des Stückes „Mamator“. Es kann „mach mal (mama) das Tor“ oder auch „Mama, Tor!“ bedeuten. Jedenfalls es geht über Fußball. Nein, nicht über einen bestimmten verein. Das letzte Stück des kürzlich verstorbenen Rolf Dennemann, dem Kopf von artscenico, basiert lose auf dem Roman „Nordkurve“ von Michael Klaus, der von Adolf Winkelmann verfilmt wurde.



Die Hauptfigur, G. (gespielt von Maximilian Strestik) genannt, lebt noch mit Mitte 40 bei seiner Mutter und verbringt fast die gesamte Zeit in einem Hinterhof. Seiner Mutter erzählt er, dass er arbeiten geht. G. ist großer Fußballfan und das letzte Spiel seines Lieblingsverein steht an, bei dem es um Abstieg oder Klassenerhalt geht. Er selbst kann nicht im Stadion sein, da er nach eigenen Angaben Stadionverbot hat.

G. ist nicht nur Fußballfan, sondern auch erzählt auch gerne. So erklärt er die große und kleine Welt und kommt von Hölzken auf Stöcksken. Eine Art Kneipenphilosoph, die im Ruhrgebiet verbreitet ist und spätestens nach dem dritten Bier ihre Sicht der Dinge zum Besten geben.

Der Infoflyer zum Stück "Mamator" von artscenico.
Der Infoflyer zum Stück „Mamator“ von artscenico.

Auch wenn das Stück im Hinterhof der Missundestraße 10 tief in der Dortmunder Nordstadt spielt: In „Mamator“ geht es um keinen speziellen Fußballverein. Eher um das Lebensgefühl von Menschen, die einen Großteil ihres Lebens ihrem Fußballverein widmen. Denn Liebe kennt keine Liga.  

Mamator ist ein Theatersolostück für einen lebendigen Ort – also nicht notwendigerweise ein Theater. Mamator ist eine Hinterhofballade; Garagenblues. Und nicht zuletzt ist Mamator auch eine Hommage an einen Fan und seinen Fußball.

Natürlich könnte man denken, dass „Mamator“ ein kultureller Beitrag zur EM 2006 in Dortmund sei, aber das Stück war vorher schon geplant, leider kam der Tod Dennemanns dazwischen. Damit ist „Mamator“ nicht nur eine Erinnerung an Rolf Dennemann, sondern auch der Neubeginn von artscenico.

Uraufführung am 26.04.24

Aufführungen: 27.04. / 03. & 04.05.24 / Beginn 19:00 Uhr

Hinterhof Missundestraße 10, Dortmund

Eintrittspreise 17/10€

Tickets online unter ticketree oder Reservierung unter orga@artscenico.de.




Rolf Dennemann verstorben

2024 fängt für das Dortmunder Kulturleben mit einer schlechten Nachricht an: Rolf Dennemann, der Kopf und Macher von artscenico ist in der Nacht vom 05. auf den 06. Januar 2024 gestorben.



Natürlich hatte unser Kulturblog schon früh seine Fühler nach Rolf und artscenico ausgestreckt. Der erste Beitrag über ihn war noch im Rahmen der Vorstellung des Programms der Museumsnacht 2013. Damals berichtete meine Frau noch über eine Performance in den Katakomben des Dortmunder U unter dem Titel „Lost in Culture“.

Danach sahen Rolf und ich uns regelmäßig bei Pressekonferenzen, zunächst überwiegend im Theater im Depot, in denen Performances wie „Missing Links“ oder „Die Messe“ stattfanden. Für manche (zu) ungewöhnlich, mich haben diese Performances immer wieder fasziniert. Ich erfuhr auch, wie tief er in der Dortmunder Kulturszene verwurzelt war.

Was Rolf und artscenico ausmachten, war, dass sie auch immer in die Stadtgesellschaft hineingingen. Das „Tal der fliegenden Messer“ sowie der Nachfolger „Juckpulver und Hagebuttentee“ fanden in einem Hinterhof der Missundestraße statt, für „Alice“ wurde der Fredenbaumpark zum Wunderland und Rolf zeigte auch, dass Kultur auf Friedhöfen sich nicht ausschließen.

Nicht zu vergessen, durch Rolf habe ich bemerkenswerte SchauspielerInnen wie Elisabeth Pleß, Thomas Kemper, Chino Monagas oder Cynthia Scholz kennengelernt.

Vom Depot zur Nordstadt über den Hauptfriedhof bis hin zum Haus Schulte-Witten: Unsere Wege haben sich oft gekreuzt und ich war immer gespannt, was Rolf sich wieder hat einfallen lassen. ars tremonia dankt dir für all diese Erfahrungen.




Kunstwandeln – theatrale Spaziergänge durch das Grün des Ruhrgebiets

Das Festival wird veranstaltet von artscenico performing arts, Dortmund und Jelena Ivanovic, Essen in Kooperation mit Theater Kreuz&Quer, Duisburg sowie
ORKESTRA/Markus Stollenwerk, Hattingen. Es findet an vier Wochenenden zwischen dem 18. Mai und dem 12. Juni an öffentliche Orten in den beteiligten Städten statt
und präsentiert verschiedene Kunstgenres von Theater über Kindertheater, Musik bis zu Tanz.



Am Pfingstwochenende, vom 27. – 29.Mai., gastiert das Festival nun mit drei Veranstaltungen in Dortmund.
Hierbei präsentiert das Festival mit dem bekannten Dortmunder Theaterlabel artscenico e.V. als Gastgeber an drei Tagen die Produktionen dreier Gastgruppen.

Was erwartet das Publikum?

Am 27.05.2023 um 18.00 Uhr erlebt das Publikum auf dem Gelände der Galopprennbahn Dortmund-Wambel einen konzertanten Spaziergang mit Live-Malerei, inszeniert von
ORKESTRA/ Markus Stollenwerk, Hattingen
mit dem Titel Soundscaping

 
Am 28.05.2023 um 15.00 Uhr laden wir alle Menschen ab 5 Jahren ein zur Kindertheatervorstellung des Theater Kreuz & Quer – Von Einer, die auszog das Fürchten zu lernen –
Ein Clownstheater mit zwei Rucksäcken, einem Hochsitz und einem Märchenwald…

Veranstaltungsort ist hier der Fredenbaumpark (Eingang Beethovenstraße/Klinikum Nord)

Und am 29.05.2023 um 18.00 Uhr präsentiert Kunstwandeln die Essener Choreographin und Tänzerin
Jelena Ivanovic und ihre Gruppe Tanzgebiet mit der Tanztheaterproduktion Heimland? im Externbergpark (Evinger Stadtpark) in Dortmund-Eving.

Infos zu den Veranstaltern und teilnehmenden Gruppen entnehmen Sie bitte den Anhängen oder unter www. kunstwandeln-ruhr.de
Alle Veranstaltungsorte sind für mobilitätseingeschränkte Personen zugänglich. Bei Fragen hierzu kontaktieren Sie
uns bitte unter orga@artscenico.de

Ticketpreise 17 €/ermäßigt 10 €/6 € Kinder bis 14 J und Einheitspreis Kindertheater am 28.05.
Tickets unter: https://ticketree.de/event/kunstwandeln/ oder orga@artscenico.de (Reservierung)
oder an der Tageskasse der jeweiligen Orte.




artscenico – Der Klang der Stille am Hauptfriedhof

Im winterlichen Ambiente präsentierte die Theatergruppe artscenico ihren dritten Teil der „Creatures“-Reihe unter dem Titel „Sound of silence“. Am 29.01.23 begaben sich die Künstlerinnen und Künstlermit den Zuschauenden auf eine kleine künstlerische Tour über den Dortmunder Hauptfriedhof.



Angeführt von zwei „Vogelkundlern“ (Ismail Monagas und Cynthia Scholz) nach der Melodie von Mozarts „Vogelfänger“ marschierte die Gruppe von Station zu Station, um dort einige der Kreaturen zu erleben.

Natürlich waren die bekannten Gesichter von artscenico wieder da. Sascha von Zambelly spielte unter anderem einen Friedhofsbesucher, der lautlos die Besucher unterhielt. Schließlich hieß das Programm auch „Sound of silence“ und der Dortmunder Sprechchor, sang passend dazu das bekannte Lied von „Simon & Garfunkel“.

Skurrile Stationen gab es natürlich auch. So suchte beispielsweise ein Taucher jemanden, der in einen „Brunnen“ (Wasserentnahmestelle) steigt. Sehr schön war die Szene auf der Toilette im Hauptfriedhof. Hier spielten zwei Mitglieder des Sprechchors eine große Rolle, der eine als Kuckuck, die andere als Wetterhäuschenfigur. Nach einem unterhaltsamen Vortrag über das Nichts ging es zur nächsten Station.

Es war ein sehr musikalischer theatraler Spaziergang. Neben „Sound of silence“, wurden auch „Der lachende Vagabund“ oder „Auf einem Baum ein Kuckuck“ zum Besten gegeben. Als Akteure dabei waren: Sprechchor Dortmund, Jochen Brüse, Roman D. Metzner, Ismail Monagas, Elisabeth Pleß, Cynthia Scholz, Lars wege und Sascha von Zambelly.

Nach fast zwei Stunden war Schluss und die tapferen Wandernden wurden mit einer Tasse Punsch wieder aufgewärmt. Am 19.02.23 und 12.03.23 wird „Sound of Silence“ wiederholt. Dan ist zu hoffen, dass die Temperaturen etwas höher sind als Ende Januar. Zumindest sollte an warme Kleidung gedacht werden.

Wer lyrische, musikalische und szenische Perfomances mag, sollte sich unter www.artscenico.de anmelden.




Die Wut zu Tisch

Am 5. und 6. November präsentierte das Theaterensemble artscenico ihr neues Stück „Die Erregten“ im Theater im Depot. Sehr passend zur heutigen Zeit, bei dem Wutbürger im Internet und im realen Leben ihre Erregung kundtun.



Auf der Bühne befindet sich ein großer Tisch, zwar nicht so groß wie Putins, aber dennoch beeindruckend. Zunächst zu Dritt, entwickelt sich insgesamt mit fünf Akteuren ein munterer Kampf um Wahrheit und Empörung. Mit dabei sind Matthias Hecht, Hans-Peter Krüger, Joanna Stanecka, Sascha von Zambelly und Stefanie Winner.

Wir befinden uns im „Sanatorium des Auskotzens“ und das nehmen alle Beteiligten sehr ernst. Verschwörungstheorien, alltäglicher Ärger (Zahnpastatube) und sonstige Katastrophen sorgen für Erregung am Tisch. Eine besondere Rolle hat Hans-Peter Krüger inne, der später dazu kommt und geheimnisvoll mit seinem Werkzeugkoffer tut. Ist da eine Bombe drin oder ist er wie die anderen eher ein Maulheld. Aufgrund von Videoaufnahmen, die ab und an im Hintergrund laufen, dient das Haus Schulte in Dorstfeld als Handlungsort dieses Sanatoriums.

Der Tisch auf der Bühne im Depot hat eine besondere Funktion. Er dient nicht nur dazu, dass die Beteiligten mal „auf den Tisch hauen können“, sondern er fungiert auch als Laufsteg, Bühne oder Grab. Passend dazu gibt es Tanz und Choreografie von Elisa Marschall.

Woher kommt die Erregung, woher die Wut? Vielleicht liegt es an der Spaltung der Gesellschaft, vielleicht daran, dass sich die Welt immer komplizierter wird. Darauf gibt das Stück keine Antwort. Es ist eine Zustandsbeschreibung der Gesellschaft.  




Alice „lost“ auf dem Hauptfriedhof

m August des vergangenen Jahres gab es im Fredenbaumpark eine besondere Premiere: Drei freie Theatergruppen führten gemeinsam „Alice im Wunderland“ auf. Für Dortmund war artscenico beteiligt, die den Mittelteil übernahmen. Dieser Mittelteil war auch die Basis für die Aufführung von „Lost in Wonderland – Creatures II“, die am 30. und 31. Juli 2022 auf dem Dortmunder Hauptfriedhof.

(v.l.n.r.) Roman D. Metzner, Lore Duwe, Elisabeth Pleß und Salma Parra im Unterholz des Hauptfriedhofs. (Foto: © Guntram Walter)
(v.l.n.r.) Roman D. Metzner, Lore Duwe, Elisabeth Pleß und Salma Parra im Unterholz des Hauptfriedhofs. (Foto: © Guntram Walter)

Auch wenn einige Elemente aus dem Fredenbaumpark übernommen wurden, es gab auch ein paar Veränderungen. Statt Stefanie Winner spielte Salma Parra die Figur der Alice, die Tänzerin Jelena Ivanovic war mit von der Partie, ebenso wie der Dortmunder Sprechchor.

Nichts gegen den Fredenbaumpark als Location, aber der Hauptfriedhof strahlt als Veranstaltungsort eine ganz andere Aura aus. Allein schon der Beginn am uralten Baum an den Trauerhallen am Eingang versprühte einen eigenartigen Zauber. Vor allem als der Sprechchor, alle gekleidet als weißes Kaninchen, über die Zeit sinnierten: „zu spät“, „die Zeit läuft davon“.

Dann begegnen wir „Dideldum und Dideldei“ (Cynthia Scholz und Chino Monagas), die versuchen, die verwirrte Alice (Salma Parra) ein wenig Orientierung zu geben. Schließlich ist sie ja in einer ziemlich verrückten Gegend gelandet. Beispielsweise mit einer jodelnden Köchin (Lore Duwe) und der unheimlich lässigen Grinsekatze (Elisabeth Pleß), deren Lied „Entspann Dich“ durchaus Hitcharakter besitzt. Sascha von Zambelly spielte erneut den distinguierte „Humpty Dumpty“, der ein schönes Rededuell mit Alice führte. Auch „The Royal Squeeze Box“ (Roman D. Metzner und Aaron Perry) war wieder mit dabei. Die beiden Songs von Queen waren „I want it all“ und gegen Ende „Bohemian Rhapsody“ zusammen mit dem Sprechchor. Roman D. Metzner hatte auch die musikalische Leitung und begleitete mit seinem Akkordeon die Szenen.

Vertraut, aber doch anders. Wie im August 2021 im Fredenbaumpark mit dabei war, hat sicherlich einiges wiedererkannt, aber der Sprechchor hat das Stück noch einmal auf eine höhere Ebene gebracht. Die imposante Präsenz, vor allem zu Beginn und am Ende, war beeindruckend. Auch Salma Parra konnte als „Alice“ überzeugen.




Creatures – und andere komische Vögel

Die Theatergruppe artscenico hat ja schon immer besondere Orte für ihre Theaterperformances gewählt. Sei es Parks, besondere Gebäude oder Friedhöfe. Den Dortmunder Hauptfriedhof haben sie vor einiger Zeit bereits bespielt, jetzt ist die ehrwürdige Trauerhalle des über 100 Jahre alten Bestattungsortes dran.Ars tremonia war bei der Premiere am 28.05.2022 dabei.

Die große Trauerhalle ist schon ein Raum, der ehrfurchtgebietend wirkt und Stille gebietet. Matthias Hecht als eine Art Pastor lässt eine Computerstimme Definitionen zu “Stille” herunterrasseln. Die Stille wird durch das Auftauchen der ersten “Kreatur” zwar nicht gebrochen, denn die Tanzdarbietung auf der Empore lenkt alle Blicke auf sich. Erst später gesellen sich die anderen Kreaturen dazu. Deren Kommunikation beginnt mit Atmen und steigert sich dann zu Vogelgeräuschen. Sind die “Creatures” vielleicht (komische) Vögel, die sich in die Trauerhalle verirrt haben. Sind sie freundlich oder sind sie feindlich gesinnt?

Die Creatures gemeinsam bei einer ihren musikalischen Darbietungen. (Foto: (c) Guntram Walter)
Die Creatures gemeinsam bei einer ihren musikalischen Darbietungen. (Foto: (c) Guntram Walter)

Auf jeden Fall haben sie Instrumente und Lieder mit dabei. Bass, Trompeter, Akkordeon und Gesang machen das Stück zu einem Live-Konzert. Elisabeth Pleß sing eine sehr langsam gezogene Version von Radioheads “Creep”, Es gab einen weiteren Song von Radiohead, eine Version von “Fly Robin Fly” (Silver Convention) und zum Abschluss “Dark Side of the Moon”, aber nicht von Pink Floyd, möglicherweise von Dune.

Dieser Fokus auf den musikalischen Aspekt war sehr gelungen, hat mir gut gefallen. Ebenso die modernen Tanzeinlagen. 

Gruselig war es trotz den etwas düsteren Kostümen (Kostüme von Dena Heydari) nicht, eher wirkten die Kreaturen mystisch und geheimnisvoll. Auch nicht als die Akteure die Vorrichtung bedienten, mit der der Sarg hoch- und runter gefahren wird. Die eigene Vergänglichkeit wird jedem sofort bewusst, der die Trauerhalle besucht.

Nach ungefähr 70 Minuten ging ein gelungener Theaterabend zu ende, der durchaus experimentelle Züge trug, aber auch sehr musikalisch war. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Spieltermine gefunden werden. Im Herbst und Winter vielleicht. Denn dann ist die Zeit, in der Angst und Bedrohung stärker zum Tragen kommen.

Mit dabei waren Jochen Brüse, Matthias Hecht, Elise Marschall, Roman D. Metzner, Chino Monagas, Elisabeth Pleß, Lars Wege und Sascha von Zambelly. Die Idee und Kreation stammt von Rolf Dennemann.




30 Jahre artscenico – drei Monate Festival mit Brennschärfe X

An einem ungewöhnlichen, aber sehr ehrwürdigem Ort feiert die freie Theatergruppe um Rolf Dennemann ihr 30-jähriges Bestehen: Das Haus Schulte-Witten in Dorstfeld ist der Schauplatz eines Programms, das über drei Monate das Erdgeschoss in künstlerische Anordnungen verwandelt. Der Startschuss fällt am 01. Oktober 2021 um 18 Uhr.

Rund 36 einzelne Veranstaltungen halten das Haus Schulte-Witten in künstlerischem Atem. Möglich gemacht hat das eine Kooperation mit der Stadt- und Landesbibliothek und die Förderung durch das NRW Landesbüro für freie Künste.

Der Eingangsbereich vom Haus Schulte Witten. Im Erdgeschoss wird artscenico von Oktober bis Dezember 2021 der Hausherr sein.
Der Eingangsbereich vom Haus Schulte Witten. Im Erdgeschoss wird artscenico von Oktober bis Dezember 2021 der Hausherr sein.

Ein zentraler Punkt ist die gleichnamige Fotoausstellung namens „Helter Skelter“. Die Ausstellung ist immer mittwochs von 17.00 – 21.00 Uhr geöffnet und von donnerstags – sonntags immer 1 Stunde vor Veranstaltungsbeginn. Die Fotos von Guntram Walter sind schöne Zeitdokumente über die verschiedensten Aktion von artscenico. Dazu gibt es die Möglichkeit, Unikate zu kaufen. Daneben gibt es einen kleinen Raum – für zwei bis drei Menschen gleichzeitig – in dem Filme angeschaut werden können.

Doch die Eröffnung bietet noch mehr, nämlich den ersten „in-ear“ Abend. Hier müssen Matthias Hecht, Elisabeth Pleß, Sascha von Zambelly und Stefanie Winner direkt wiedergeben, was sie auf dem Ohr gesagt bekommen. Ohne Zeit zu reflektieren. Um 20 Uhr ist am 01. Oktober Zeit für Künstler wie Jonathan Meese, Joseph Beuys und andere. Weitere dieser „in-ear“ Abende gibt es am 09.10.21 um 20 Uhr mit dem Thema „Wissenschaftler“ und am 05.11.21 um 20 Uhr sowie am 06.11.21 um 19 Uhr mit dem Thema Sport.

Musikalisch bietet die Veranstaltungsreihe auch einiges. Volker Wendland spielt mit Gregor Hengesbach Gypsy Swing am 02.10.21 um 19 Uhr und am 16.12.21 um 15 Uhr, am 07.10.21 um 20 Uhr präsentiert sich Chilek mit der ungewöhnlichen Kombination Gitarre, Cello und Schlagwerk, Yoyo Röhm bringt am 21.10.21 um 19 Uhr musikalische Gäste mit. Literatur trifft auf Musik am 25.11.21 um 20 Uhr, denn dann liest Elisabeth Pleß und Chilek machen dazu Musik.

Für langjährige Mitstreiter von artscenico finden gesonderte Abende statt, bei denen sie sich präsentieren können. Thomas Kemper entwickelt seine „Frauenfigur“ am 30.10.21 um 19 Uhr, danach ist der Besucher zu Gast bei Matthias Hecht am 26.11.21 um 19 Uhr und am 17.12.21 um 20 Uhr präsentiert Elisabeth Pleß ihr Programm.

Selbstverständlich ist auch Rolf Dennemann beim Mammutprogramm vertreten. „Hattingen ist nicht Helsinki“ lautet seine Lesung mit Drums und Piano, die am 12.11.21 um 20 Uhr stattfinden wird. Daneben macht er auch das Gespräch „Der Tod auf Visite“ am 19.11.21 um 20 Uhr, bei dem es um die Frage geht, wie er und sein berufliches Umfeld mit seiner Krebserkrankung umgeht.

Darüber hinaus gibt es weitere Veranstaltungen mit Lesungen, Musik und sogar Tanz. Eine Filmcrew kommt dreimal zum Filmen und an manchen Tagen kann man sein mitgebrachtes Grillgut grillen lassen. Wann? Das ausführliche Programm finden Sie auf https://www.artscenico.de/blog/2021/09/10/brennschaerfe-x/. Dort finden Sie auch Informationen zu Kartenreservierungen.

In den Veranstaltungsraum passen coronabedingt nur 20 Menschen, es kann sein, dass die Kapazität auf 30 erhöht werden kann. Dennoch möchten die Veranstalter von artscenico, dass der intime Charakter gewahrt wird.
Eintritt:
Normaler Ausstellungsbesuch: kostenfrei
Konzerte: 15 €/10 €
Performances: 10 €/5 €
Tanzabende: 15 €/10 €
L’après-midi (sonntags): 5 €
Flatrate alle Veranstaltungen: 100 €

Eine Reservierung ist erforderlich. Es gelten die Regeln der Coronaschutzverordnung.




Alice in drei Akten

„Alice im Wunderland“ von Lewis Caroll ist ein Klassiker der Kinderliteratur und es ist kaum verwunderlich, dass das Stück regelmäßig auf dem Spielplan von Theatern oder anderen Kultureinrichtungen steht. Das Theater im Depot zeigte 2015 „Alice im Wunderland“ in der Inszenierung von Rada Radojcic, im Operntreff gab es 2017 die Version „Wunderland“ als Songzyklus, 2018 hatte sogar ein Ballett Premiere unter dem Namen „Alice“ mit Choreografien von Mauro Bigonzetti.

2021 haben sich drei Theater (Das Bochumer Theater Rottstr5, artscenico aus Dortmund und das Theater Kohlenpott aus Herne) zusammengeschlossen, um den Stoff in der Fassung von Roland Schimmelpfennig nicht auf die Bühne zu bringen, sondern in drei unterschiedlichen Parks. Den Beginn machte Dortmund und der Fredenbaumpark am 12. August 2021. Spannende Frage: Verderben viele Alices den Brei oder gab es eine gemeinsame Sprache?

Den Beginn machten die Bochumer vom Theater Rottstr5 unter der Regie von Benjamin Werner. Selina Paula Liebert spielte die Alice im ersten Teil als kindliche Figur, die aber durchaus neugierig war. Beeindruckend war das Kostüm der Königin. In einer riesigen, über 2 Meter großen Figur mit rotem Kleid, gab Alexander Gier schon mal einen Vorgeschmack, wozu die Herzkönigin fähig war. Mit seiner verzerrten Stimme erschreckte er nicht nur Alice.

Das Kostüm der fünf Alices  aus Herne erinnert ein wenig an die Zeichentrickfigur aus dem Disney-Film. Zu sehen sind: 
Lasse Borutta, Gareth Charles, Carina Langanki, Emily Leimbach und Baker Tarchichi.
Das Kostüm der fünf Alices aus Herne erinnert ein wenig an die Zeichentrickfigur aus dem Disney-Film. Zu sehen sind:
Lasse Borutta, Gareth Charles, Carina Langanki, Emily Leimbach und Baker Tarchichi.

Kleiner Einwurf: Bei den Bochumer und Dortmunder Teilen gingen die Besucherinnen und Besucher quasi von einer Station zur anderen, um dort für etwa 10 Minuten zu verweilen. Sitzmöglichkeiten gab es wenige. Das sollte im Hinterkopf behalten werden.

Die „Übergabe“ der Bochumer an die Dortmunder von artscenico fand bei der Raupe statt. Stilecht wurde die Gruppe von Dideldei und Dideldum (Cynthia Scholz und Chino Monagas) in einer Art Raubüberfall empfangen. Unter der Regie von Rolf Dennemann spielte Stefanie Winner eine deutlich „erwachsenere“ Alice, die sich nicht mehr so leicht ins Bockshorn jagen ließ und dementsprechend selbstbewusster auftrat. Elisabeth Pleß spielte eine ebenso geheimnisvolle wie chillige Grinsekatze, die sogar die Besucherinnen und Besucher ermunterte, das Lied „Entspann‘ dich“ mitzusingen. Einen gelungenen Auftritt hatte auch Sascha von Zambelly, der als distinguierter englischer „Humpty Dumpty“ ein schönes Rededuell mit Alice führte. Musik gab es auch: The Royal Squeeze Box spielte zwei Songs von Queen „I want to break free“ (für den eiförmigen Humpty Dumpty“) und gegen Ende „Bohemian Rhapsody“.

Dann ging es zu den Hernen vom Theater Kohlenpott. Hier gab es gleich fünf Alices. Lasse Borutta, Gareth Charles, Carina Langanki, Emily Leimbach und Baker Tarchichi spielten aber nicht nur die Figur der Alice, sondern auch die andere Figuren wie der Hutmacher oder der Märzhase wurden bedacht. Um die Gerichtsverhandlung zu inszenieren, verwandelte sich eine Person durch Aufsetzen einer schwarzen Krone in die Herzkönigin. Dabei kam es auch zu einer Charakteränderung.

Der dritte Teil fand an einem Ort statt, daher gab es Sitzgelegenheiten (Getränkekisten), besonders spannend war auch zu sehen, dass zufällige Besucher stehen blieben, um das Spiel der jungen Leute zu verfolgen. Dabei gab es eine lustige Szene, als einer der Schauspieler kurz einen E-Roller einer Besucherin entführte. Insgesamt zeigten die Fünf unter der Leitung von Henner Kallmeyer große Spielfreude.

Am Ende vereinigten sich alle Alices und alle weiteren Beteiligten zu einem großen gemeinsamen Abschlusslied.

Das Stück kann man nur noch in Bochum und in Dortmund erleben. Im Rechener Park in Bochum wird es sicher andere Bedingungen geben als im Fredenbaumpark, sodass es durchaus sinnvoll ist, sich mal beide Orte anzusehen. Man sollte etwas gut zu Fuß sein und Stehen können, denn das Stück dauert etwa zwei Stunden und hat keine Pause. Sitzgelegenheiten gibt es an zwei Stellen.

Es war sehr interessant zu sehen, wie jeder der drei Regisseure sich ‚seine‘ Alice vorstellt und welche Figuren aus dem Buch in den Mittelpunkt gestellt werden.

Alles in allem eine gelungene Reise in Wunderland im Fredenbaumpark.

Weitere Termine:

20./ 18h und 21.08.2021 17 Uhr und 22.8.2021 16h – Rechener Park Bochum
27./08. _ 18 Uhr und 28.08. – 16 Uhr – Fredenbaumpark Dortmund

Einlasskonditionen
Preise (15€ regulär/ 10€ ermäßigt), Reservierungen nur per Email im Voraus möglich
Karten unter: karten.aliceimpark@gmx.de
Infos unter: info.aliceimpark@gmx.de

Die Zuschauerzahl beläuft sich auf 50 Personen pro Vorstellung, in Dortmund auf 30 Personen.
Die aktuellen Hygienebestimmungen der Corona-Schutzverordnung gelten.