Eine Herzkammer gerät ins Stocken

150 Jahre wird die
SPD in Dortmund, na ja, um genau zu sein, eine der Vorgängervereine.
1868 gründete sich die erste Dortmunder Ortsgruppe des Allgemeinen
Deutschen Arbeitervereins. Bis zur Herzkammer der SPD sollte es in
Dortmund aber noch etwas dauern. Dennoch spendierte Sänger und
Musiker Rainald Grebe der „alten Tante“ ein ordentliches
Geburtagsständchen und viele Gäste kamen. Auch Ars tremonia. Ein
Premierenbericht vom 30. März 2019.

Besonders lustig
sind Ortsvereinsversammlung selten, doch Grebe hat es geschafft, gut
zweieinhalb Stunden geballte SPD-Geschichte Revue passieren lassen,
ohne dass die große Langeweile aufkommt. Dabei schaffte er auch den
Spagat zwischen ernst gemeinten Lob für eine Partei, die sich um die
kleinen Leute gekümmert hat und vergaß nicht, auf die aktuelle
Orientierungslosigkeit der Partei hinzuweisen.

Es begann wie eine
Ortsvereinssitzung, allerdings in einer feierlichen Umgebung. Anke
Zillich spielte die Ortsvereinsvorsitzende des fiktiven Ortsvereins.
Erst einmal wurden alle anderen Ortsvereinsvorsitzenden begrüßt,
was bei der Menge an Ortsvereinen in der Dortmunder SPD eine Weile
dauerte. Christian Freund, Caroline Hanke, Marlena Keil und Uwe
Schmieder spielten weitere Mitglieder des Ortsvereins.

Ein klein wenig Geschichtsunterricht gab es auch: Christian Freund und Carloine Hanke (als Jusos) referierten vor der Orstvereinsvorsitzenden (gespielt von Anke Zillich) links im Bild. (Foto: ©Birgit Hupfeld)
Ein klein wenig Geschichtsunterricht gab es auch: Christian Freund und Caroline Hanke (als Jusos) referierten vor der Orstvereinsvorsitzenden (gespielt von Anke Zillich) links im Bild. (Foto: ©Birgit Hupfeld)

Zu einer
Jubiläumsveranstaltung gehören natürlich auch Reden. Neben
Videobotschaften von Andrea Nahles oder Franz Müntefehring gab es
auch echte Grußworte, gesprochen vom Oberbürgermeister Ullrich
Sierau. Dabei spielte Andreas Beck – mit einer herrlichen Perücke
– den OB, während der echte im Publikum saß. Er nahm es wohl mit
Humor. Die anderen „Gäste“ kamen aus der Gruft: Ferdinand
Lasalle, Willy Brandt, Kurt Schumacher, Rosa Luxemburg.

Wie es sich für
eine Arbeiterpartei gehört wurden auch viele Lieder gesungen. „Die
Gedanken sind frei“ und „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“
erklangen zusammen mit dem Publikum, während „Die Partisanen von
Amur“, „Und weil der Mensch ein Mensch ist“ oder „Mein Vater
wird gesucht“ vom Ensemble gesungen wurde.

Dabei wurden auf der
Feier des Ortsvereins auch Gäste begrüßt. Der Chor der
Naturfreunde, der AWO und der Tafel (alles der Tafelchor) und der
Männergesangverein der Zeche Viktoria. Die Ästhetisierung von
gefährlicher Schwerarbeit durfte natürlich nicht fehlen. So erklang
das altbekannte „Glück auf“ als Reminiszenz der Bergbautradition
und für alle Bergbau-Romantiker.

Ab diesem Zeitpunkt
wurde aus der fröhlichen Jubilarfeier eine Zustandsbestimmung der
SPD. „DJ Alexander“ alias Andreas Beck erzählte vom auszehrenden
Leben einer „Ich-AG“, die durch Gerhard Schröder in der
Regierungszeit von Rot-Grün eingeführt wurde. Doch gibt es noch
Arbeiter anno 2019? Und wenn ja, wer sind sie? Die Antwort gab Rosa
Luxemburg (Caroline Hanke): Von wegen es gebe keine Arbeiter mehr.
Müllmänner, Paketboten, Kindergärtnerin, Krankenpfleger. „Das
ist die Mehrheit. Das sind Millionen. Und das ist die Klientel der
SPD. Liebe Genossen, wenn ihr das nicht erkennt: dann löst euch doch
auf.“

Wenn es nach „Unsere
Herzkammer“ geht, dann geht die SPD ihrem Ende entgegen. Zumindest
hat Rainald Grebe eine Beerdigung als Schlusspunkt gesetzt. „Wir
wollen von allen geliebt werden, doch das geht nun mal nicht“,
sprach Anke Zillich als Ortsvereinsvorsitzende. Doch es gibt noch
Hoffnung: „Wir können doch frei aufspielen, was wagen, was
riskieren“. Das wäre der SPD zu wünschen.

Neben dem Ensemble
gehört natürlich ein großes Lob den Chören sowie den Musikern
Umut Akkuş,
Tobias Bülow, Jens-Karsten Stoll und Markus Türk, die als
Multiinstrumentalisten das Jubilarfest perfekt begleiteten.

Wer auch noch zur Jubilarfeier möchte, Karten und Informationen gibt es unter www.theaterdo.de




Schräge Ruhrpottkomödie mit Musik und „Omma“

Laut Wikipedia ist Popcornkino eine wenig gehaltvolle Filmproduktion
mit vornehmlichen Unterhaltungscharakter. Unterhaltungscharakter ja,
aber über das „wenig gehaltvolle“ kann man streiten, denn
Unterhaltung kann sehr wohl gehaltvoll sein. Wie komme ich von der
Premiere von „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ am
16. Februar 2019 zum Popcornkino? Weil das Stück im besten Sinne
Unterhaltungstheater ist, quasi Popcorntheater.

Aus der Vorlage des
gleichnamigen Buches von Anna Basener machte die Regisseurin Gerburg
Jahnke eine leicht bekömmliche Theaterkomödie mit Musik. Die
Hauptfigur, die „Omma“, wurde von Anke Zillich gespielt. Vor
allem zu Beginn interagierte sie sehr aktiv mit dem Publikum und
erläuterte erst einmal das Geheimnis eines „Samtkragen“. Das ist
ein Getränk aus drei Teilen Korn und einen Teil Boonekamp. Wobei der
Boonekamp sachte auf den Korn geschüttet wird. Die Zuschauer spüren
sofort, dass Anke Zillich die Omma mit Herz und Leidenschaft spielt.

Die Omma ist auch
Dreh- und Angelpunkt des Stückes. Als Hauswirtschafterin in einem
Bordell wird sie schnell zur guten Seele für die Huren. Vor allem
für Mitzi. Nachdem sie sich den brutalen Zuhälter Herbert entledigt
hatten, bauen Mitzi und Omma das Bordell in eine Pension um. Doch
Mitzi kann ihr altes Gewerbe nicht vergessen. Dummerweise lacht sie
sich den noch brutaleren Blazek an. Jetzt ist guter Rat teuer. Mitzi
und Omma täuschen Mitzis Tod vor. Auf der Beerdigung lernt Ommas
Enkelin Bianca den Polizisten Bernhard kennen.

Freundinnen fürs Leben: "Omma" (Anke Zillich) und rechts die Hure Mitzi (Frederike Tiefenbacher). Foto: © Birgit Hupfeld
Freundinnen fürs Leben: „Omma“ (Anke Zillich) und rechts die Hure Mitzi (Frederike Tiefenbacher). Foto: © Birgit Hupfeld

Dann überschlagen
sich die Ereignisse: Omma verschwindet zu ihrer in Berlin wohnenden
Tochter Bianca. Diese entdeckt, dass Mitzis Grab leer ist und
plötzlich tauchen Bernhard, die tot geglaubte Mitzi und der brutale
Blazek auch in Berlin auf.

Das Stück ist eine
Reminiszenz an das Ruhrgebiet und seine Einwohner. Die Omma trägt
das Herz immer auf dem richtigen Fleck und geht dabei auch resolut
vor. So vertreibt sie Louise, die „über korrekte“ Mitbewohnerin
von Bianca, nach einem kurzen, aber heftigen Wortgefecht. Auch
Zuhälter Herbert räumt sie aus dem Weg.

Hingegen ist Bianca
noch eine Frau, die ihren Weg sucht. Sie versucht sich bisher
erfolglos in der Berliner Kreativszene durch das Designen von
Unterwäsche. Durch ein Missverständnis gibt ihr Bernhard für Sex
Geld, was Bianca völlig verwirrt. Ist sie etwa auch eine
Prostituierte? Caroline Hanke spielt die Bianca in ihrer
Zerrissenheit sehr schön, gut zu sehen bei der Autofahrt zu Mitzis
Grab. Mitzi wird dargestellt durch Friederike Tiefenbacher, die erst
im zweiten Teil „leibhaftig“ dazukommt. Ihr fataler Hang nach
(älteren) starken Männern bringt die Handlung in dramatische
Fahrwasser. Alle anderen Schauspieler (Mario Lopatta, Jens Kipper,
Andreas Beck, Louise Kinner, Kevin Wilke, Ralf Kubik) spielen
meistens mehrere Rollen. So werden die drei Prostituierten Ulla,
Maria und Schantall durch Männer gespielt.

Das Stück ist eine
musikalische Komödie, daher gab es auch einige Songs, die von
einzelnen oder mehreren Darstellern zu Gehör gebracht wurden. Die
Texte stammen von der Autorin des Buches, Anna Basener, die Musik von
Tommy Finke. Die Lieder waren gelungen und abwechslungsreich
(Schlager, Rock bis hin zum schwermütigen polnischen Walzer).
Basener gelang es (vor allem beim Abschlusssong) eine wichtige
Botschaft unterzubringen, den Respekt vor den Frauen, die im ältesten
Gewerbe der Welt arbeiten: „Du sollst nicht die Damen reizen, die
für dich die Beine spreizen.“

Somit komme ich zum
Fazit: „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ ist
Popcorntheater im allerbesten Sinne. Gut gemachte Unterhaltung, tolle
Schauspieler, viel Musik und gute Laune. Kritiker mögen bemängeln,
dass der „Slang“ der Omma zuviel Ruhrpottklischee widerspiegelt,
doch Originale bleiben Originale. Es ist eher schade, dass sie mit
der Zeit aussterben.

Weitere Infos zu
Karten und Termine unter www.theaterdo.de