Dortmunder Literaturkalender: Vielfalt und Kreativität im Fokus

Der gedruckte Veranstaltungskalender liegt zur Mitnahme im Literaturhaus Dortmund (Neuer Graben 78) und in der Stadt- und Landesbibliothek (Max-von-der-Grün-Platz 1-3) aus. Interessierte können ihn auch telefonisch anfordern (0231 50-16584 oder -27692). Das vollständige Programm gibt es online unter www.dortmund.de/foerderung-literatur.



Eine Auswahl aus dem Programm – Veranstaltungshighlights im Überblick

Am Donnerstag, 29. August, 19:30 Uhr präsentiert Helmut Martens in der Reihe „Literatur in Dortmund“ sein Buch „Unser Fußball – Spiegel der Welt – Unser Spiel“. Diese Kooperationsveranstaltung von Kulturbüro, VHS und Stadt- und Landesbibliothek beleuchtet die vielschichtige Bedeutung des Fußballs in unserer Gesellschaft. Eintritt: 2,50 Euro.

Ines Guzik (links, Stadt- und Landesbibliothek) und Isabel Pfarre (rechts, Kulturbüro) präsentieren eine neue Ausgabe des Dortmunder Literaturkalenders. (Foto: © Annika Schmermbeck)
Ines Guzik (links, Stadt- und Landesbibliothek) und Isabel Pfarre (rechts, Kulturbüro) präsentieren eine neue Ausgabe des Dortmunder Literaturkalenders. (Foto: © Annika Schmermbeck)

Für literarischen Austausch im Wortsinn sorgt am 31. Oktober um 18 Uhr der „Book Swap Nr. 3 – Die Halloweenausgabe“. Dabei können Bücherliebhaber*innen ihre Schätze tauschen und neue Werke entdecken, unterstützt von Bettina Bergmann und der Stadt- und Landesbibliothek. Eintritt frei, Teilnahme nur mit (kostenfreiem) Ticket unter www.eventbrite.de.

Zur Vorweihnachtszeit lädt am 1. Dezember um 11 Uhr die satirisch-literarische Weihnachtsmatinée „Schöne Bescherung“ ein, präsentiert von Astrid Plötner und Anke Kemper mit musikalischer Begleitung von Verena Volkmer an der Harfe. Ein genussvolles Programm voller Spannung und Humor. Eintritt: 10 Euro, Vorverkauf ab 1. Oktober in der Zentralbibliothek.

Für kreative Köpfe bietet der Comic-Workshop Storydesign „Erzählen wie die Simpsons, mit den Simpsons“ am 12. Oktober von 11 bis 16 Uhr die Möglichkeit, unter Anleitung von Ralf Marczinczik im Dortmunder U eigene Comics im Stil der Simpsons zu gestalten. Der Workshop ist Teil des Programms zur Ausstellung „Die Simpsons: Gelber wird’s nicht!“, die im schauraum: comic + cartoon noch bis zum 27. Oktober zu sehen ist. Eintritt frei, Anmeldung erforderlich unter comic@stadtdo.de.

LesArt.Festival

Das LesArt.Festival (8. bis 16. November) ist der Höhepunkt des literarischen Jahres in Dortmund. Seit seiner Gründung im Jahr 2000 bringt es bekannte Autorinnen und aufstrebende Talente zusammen, um literarische Lichtblicke zu präsentieren. Das Festival feiert nicht nur seine 25. Ausgabe, sondern auch das 20. KindergartenBuchTheaterFestival, das Kinderbücher auf die Theaterbühne bringt und damit eine ganz neue Generation von Leserinnen inspiriert. Eintrittspreise variieren je nach Veranstaltung.

Literarische Bewegung in der Natur

Eine besondere Verbindung von Literatur und Natur bietet die Veranstaltungsreihe „Fernwandern“. Bei mehreren literarischen Wanderungen durch Dortmund entdecken Teilnehmer*innen die Stadt aus einer neuen Perspektive. Die Autorin liest dabei an verschiedenen Stationen aus ihrem neuen Buch und teilt ihre Erfahrungen von europäischen Wanderwegen. Tickets (20-25 Euro) sind ausschließlich mit Voranmeldung unter www.linnschiffmann.de erhältlich.

Über den Literaturkalender

Herausgegeben wird der Literaturkalender von Kulturbüro und Stadt- und Landesbibliothek in Zusammenarbeit mit den Dortmunder Literaturschaffenden und vielen Institutionen.




Spannender Krimi im Umfeld des Gesundheitswesens

In ihrem neuesten Kriminalroman „Bad Business: Deal mit dem Tod“ hat sich die Autorin Lucie Flebbe ein brandaktuelles Thema als Plot vorgenommen. Es geht unter anderem um die Auswüchse von profitorientierten Privatisierungs- und Effizienzwahn im Gesundheitssektor.



Im Zentrum des Krimiplots steht Mieke Jentsch. Schon länger als stellvertretende Klinikverantwortliche tätig, begeht plötzlich ihr Vorgesetzter vorgeblich Suizid. Sie rückt in die Chefposition auf und wird mit einem gewissen Druck von außen beauftragt, Rehakliniken der Rentenversicherung an einen privaten Medizinkonzern zu verkaufen. Nach und nach kommen ihr nicht nur Zweifel an den Suizid, sondern auch an dem Verkaufskonzept. Mehrere Anschläge auf sie machen ihr klar. Sie ist längst zu einer Schachfigur in einem tödlichen Spiel geworden…

Flebbe überzeugt wieder mit einem packenden und in seiner Deutlichkeit teils schockierend emotionalen Story. Mit ihrer lässigen Erzählweise und schonungslosen Direktheit wird nicht nur der enormen Kostendruck (unter dem alle Beteiligten stehen) für die Leserinnen und Leser plastisch vor Augen geführt. In diesem Roman gibt es im Grunde keine Nebenrollen. Stattdessen zeigt Flebbe starke Frauenfiguren, vielschichtige Charaktere, die in komplexen Beziehungen zueinanderstehen. Eine wichtige Rolle in der Geschichte spielt noch Mo (Moritz) Blümel, bei dem Mieke an einem Führungskräfte-Coaching auf seiner Pferdranch teilnimmt.

Ein ständiger Perspektivwechsel zu den beteiligten verschiedenen Frauenfiguren und Mo erlaubt den Lesenden einen tiefen intimen Einblick in die verschiedenen Persönlichkeiten und ihre Hintergründe.

Jedes neue Kapitel des Buches ist mit den Vornamen (Kurzform) der jeweiligen Person aus deren Perspektive die Handlung dann gesehen wird, versehen. Deren Gedanken, Geheimnisse und emotionalen Zustände werden aus ihrer Sicht langsam und detailliert verdeutlicht. Am Anfang bedarf es etwas Konzentration, bei den vielen Wechsel die Übersicht zu behalten. Nach und nach werden die Zusammenhänge klarer und der Spannungsbogen steigt stetig Dramatisch- rasante und überraschende Momente führen zu einem furiosen Ende mit kleinem Überraschungseffekt.

Die teilweise genaue Beschreibung von brutalen Handlungen dürften für sehr empfindsame Menschen nicht so als Lesestoff geeignet sein.

Gewalt gegen Frauen, Flüchtlingsdrama, vor allem auch die Folgen der Privatisierung im Gesundheitssektor, wie Einsparungen beim Personal, Hygiene, beim Essen, schlechte Bezahlung usw. werden ungeschönt dargestellt.

Lucie Flebbe: Bad Business. Deal mit dem Tod 
Kriminalroman: 432 Seiten
Köln: Grafit in der Emons Verlag GmbH 2024
Originalausgabe: ISBN 978-3-98659-018-5
€ (D) 15.00 € (A) 15.50




Schriftsteller Saša Stanišić erhält Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund

Der Schriftsteller Saša Stanišić ist am Sonntag (10. Dezember) in einem Festakt mit dem Nelly-Sachs-Literaturpreis der Stadt Dortmund ausgezeichnet worden.



Bürgermeisterin und Juryvorsitzende Barbara Brunsing übergab den mit 15.000 Euro dotierten und damit wichtigsten Dortmunder Kulturpreis im Museum für Kunst und Kulturgeschichte. Im Anschluss trug sich der Autor in das Goldene Buch der Stadt Dortmund mit den Worten ein: „…niemals aufhören, zuzuhören.“

Saša Stanišić bedankte sich mit einer berührenden Rede, in der er betonte, wie wichtig es sei, trotz aller Widerstände, trotz Krieg und Rassismus, Spuren zu hinterlassen, „trotzdem warnen, vielleicht hört ja wirklich jemand zu. Trotzdem weiterschreiben, vielleicht sagt ja jemand: Aha. Trotzdem nicht verstummen angesichts des Abgrunds.“

Fluchterfahrung als zentraler Moment

Saša Stanišić wurde 1978 in Višegrad (Jugoslawien) geboren und floh mit 14 Jahren vor den Schrecken des Krieges nach Deutschland. Früh entdeckte er die Liebe zur Sprache und hatte den Wunsch, Schriftsteller zu werden. Seine Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet.

„Zum zentralen Moment seines Schreibens macht er die Fluchterfahrung. Mit Ironie und Witz behandelt er auch das Unangenehmste, das ihm und seiner Familie sowohl in Jugoslawien als auch in Deutschland widerfahren ist, ohne dabei zu verharmlosen“, sagte Jury-Mitglied Dr. Bozena Badura über Saša Stanišić. In ihrer Laudatio bescheinigte die Literaturkritikerin Saša Stanišić sprachliche Virtuosität, eine komplexe Handlungsführung, authentische Figuren und präzise gestaltete Romanwelten. Damit habe er die deutschsprachige Literatur um die Erzähltradition der Balkankulturen bereichert.

Texte verbinden Kulturen miteinander

Seine Texte entfalteten eine außergewöhnliche Sogkraft, die es den Lesenden ermögliche, sich restlos in die Figuren hineinzuversetzen und so die beschriebenen Erfahrungen geradezu zu durchleben. Dies erschaffe eine einzigartige emotionale Dimension der Verständigung, die Kulturen und Menschen miteinander verbindet, so Dr. Bozena Badura.

Saša Stanišić

Saša Stanišić lebt seit 1992 in Deutschland. Er veröffentlichte die Romane „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ (2006), „Vor dem Fest“ (2014) und „Herkunft“ (2019), den Erzählband „Fallensteller“ (2016) sowie zuletzt mehrere Kinderbücher.

Seine Werke wurden in über 30 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Saša Stanišić erhielt u.a. den Preis der Leipziger Buchmesse für „Vor dem Fest“ und für „Herkunft“ den Deutschen Buchpreis 2019, sowie u.a. den Eichendorff-Literaturpreis, den Schillerpreis und den Hans-Fallada-Preis. Er lebt und arbeitet in Hamburg.




Schatten über dem Ruhrgebiet im Jahr 1816

In seinem neuen historischen Kriminalroman „Die Tote aus der Emscher“ entführt der Autor Peter Kersken (geboren 1952 in Oberhausen) die Leserinnen und Leser in das schwierige Jahr 1816 in die Umgebung um das damals neu erbaute Schloss Oberhausen. Es ist die Zeit des wieder erstarkenden und sich von französischer Herrschaft unter Napoleon Bonaparte befreienden Preußen unter Friedrich Wilhelm III.



Der Kriminalrichter Anton Demuth aus Werden muss 1816 den Mord an der aus der Emscher tot geborgenen heilkundigen Bauersfrau aufklären. In diesem Jahr sorgte ein Vulkanausbruch in Indonesien für eine gigantische Aschewolke, die die gesamte Nordhalbkugel in Düsternis hüllte. Es wurde so nass und kalt, dass Missernten zu Hunger und Unsicherheit unter der Bevölkerung führten. Die verzweifelte Bevölkerung nach klaren einfachen Erklärungen und nach jemanden, dem sie die Schuld für die Miesere geben konnten. So wurde die getötete kräuterkundige Anna Hasenleder von vielen Menschen rund um das Schloss Oberhausen als mit dem Satan verbundene Hexe angesehen, die für mit ihrem „Zauber“ für  Krankheit und Tot etwa eines kleinen Jungen verantwortlich sei. Natürlich hatte in ihren Augen „ein zürnender Gott“ nicht nur als Bestrafung für das die Wetterkatastrophe, sondern auch für die Bestrafung für die „Hexe“ gesorgt…

Kersken bietet den Lesenden nicht nur eine interessanten Kriminalfall, sondern taucht mit ihnen in die turbulente Zeit um 1816 ein.

 Es tauchen Namen bekannter Persönlichkeit wie etwa der Dichter Harry (Heinrich) Heine auf und es gibt zudem einen kleinen Geschichtsüberblick aus der Region in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Lebensumstände damals werden plastisch und lebendig vor Augen geführt.

Dieser historische Kriminalroman hat viel mit dem zu tun, was uns aktuell umtreibt. Der Klimawandel mit seinen Folgen andere existentiell bedrohliche Krisen machen uns zu schaffen. Verschwörungstheorien nutzen die Ängste und Verunsicherung vieler Menschen aus. Schuldige und Sündenböcke sind schnell gefunden und werden in den Plattformblasen der sozialen Medien heutzutage stark verbreitet. Das macht die Situation umso gefährlicher.

Eine wunderbare Geschenkidee zu Weihnachten oder Geburtstag.

Peter Kersken

Die Tote aus der Emscher

Köln: Emons Verlag 2023 Originalausgabe

ISBN 978-3-7408-1963-7         320 Seiten    14,00 Euro (D)




Gabriella Wollenhaupt – Ein böses Haus

Der neue Kriminalroman (grafit) von der Dortmunder Autorin Gabriella Wollenhaupt, mit dem provozierenden Titel „Ein böses Haus“, führt die Leser*innen in das „gutbürgerliche“ Kreuzviertel der Stadt.



In einem Haus „am Graben“ (wer in Dortmund lebt, welche Straße gemeint ist) wird die ältere Schwester der Lektorin Alix mit mehreren Messerstichen ermordet. Unter Tatverdacht steht ausgerechnet ihre zehnjährige und unmündige Nichte Lilli.  Ein vernachlässigtes Kind mit dem Asperger-Syndrom.

Ein faszinierend verworrener und verstörender Fall.

Alix zweifelt und macht mit einer Nachbarin („guter Geist des Hauses“) und geht mit dem ermittelnden Kommissar auf Spurensuche. Im Haus wohnen die unterschiedlichsten Menschen: Eine Prostituierte, ein Nerd, ein Geistlicher, ein Pianist bis hin zum Ex-Bandenchef. Die Lektorin kommt der (für die Lesenden) überraschenden Wahrheit und dem Kommissar näher…

Wollenhaupt erzählt die Geschichte gewohnt lakonisch und mit Ironie. Das unterstreicht und konterkariert gleichzeitig die grausamen Ereignisse.

Ihr gelingt es ausgezeichnet, sich nicht nur in die Story durch die Ich-Erzählerin Alix hinein zu versetzen, sondern auch in die so unterschiedlichen Figuren und Charaktere. Dabei ist ihr Blick differenziert ohne Schwarz-Weiß-Denken.

Kleine Seitenhiebe gegen die penetrante Pressezunft und deren verstärkend- aufheizende Stimmungsmache, aber auch eine Portion Selbstironie bleiben nicht aus.

Ein Kriminalroman, der seine Leserinnen und Leser mit sich subtil steigender Spannung, einer einzigartigen Figurenkonstellation, sowie seinem völlig unerwarteten Ende hineinzieht und packt.

Gabrielle Wollenhaupt
Ein böses Haus
Kriminalroman
Graft in der Emons Verlag GmbH 2023
ISBN 978-3-98659-005-5
224 Seiten
€ 13,00




Alexander Estis wird vierter Stadtbeschreiber für Dortmund

Der Essayist, Abtrünniger der Lyrik, vagabundierender Prosaist und vor allem im Zuge des Krieges Russlands in der Ukraine auch literarische Journalist Alexander Estis wird der nächste Stadtbeschreiber für Dortmund. Geboren ist er im September 1986 in Moskau als Kind einer jüdischen Künstlerfamilie. Über längere Zeit hat Estis später nach einer Ausbildung an Kunstschulen in Hamburg gelebt und studiert. Nach Abschluss des Studiums in deutscher und lateinischer Philologie arbeitete er als Dozent für deutsche Sprache und Literatur an verschiedenen Universitäten. Seit 2016 wohnt er als freier Autor in der Schweiz.



Der 36-Jährige hat das Dortmunder Literaturstipendium 2023 erhalten und ist der nächste „Stadtbeschreiber für Dortmund“.

Bevor er im Mai für einige Zeit nach Dortmund zieht, verbringt er ab dem 01.02.2023 schon mal einige Tage in unserer Stadt, um wichtige Kooperationspartner wie das Literaturhaus (in deren Nähe er wohnt), das Kulturbüro, die Stadt und Landesbibliothek, das Theater oder das Künstlerhaus zu besuchen. Er möchte zudem auf eigene Faust Dortmund erkunden.

Alexander Estis bei seiner Vorstellung im literaturhaus.dortmund mit (v.li.) Hartmut Salmen (literaturhaus.dortmund), Alexander Estis, Isabel Pfarre (Kulturbüro) und Kulturdezernent Jörg Stüdemann (© Katrin Pinetzki, Stadt Dortmund).
Alexander Estis bei seiner Vorstellung im literaturhaus.dortmund mit (v.li.) Hartmut Salmen (literaturhaus.dortmund), Alexander Estis, Isabel Pfarre (Kulturbüro) und Kulturdezernent Jörg Stüdemann (© Katrin Pinetzki, Stadt Dortmund).

Am 1. Februar 2023 hatte ars tremonia die Gelegenheit, den Stipendiaten im Literaturhaus unter Anwesenheit von Jörg Stüdemann (Kulturdezernent), Isabel Pfarre (Kulturbüro) und Hartmut Salmen (Literaturhaus Dortmund) kennenzulernen.

Estis gab einen kleinen Einblick in sein geplantes Projekt.

Im Gegensatz zu einem früheren Projekt in Köln-Kalk („Urban Legend“, da ging es um erlebte Geschichten und Legenden aus der Vergangenheit), steht in Dortmund bei „Urban Visions“ (Urbane Visionen) der Wandel und die Zukunft im Blickpunkt.

Es geht um Zukunftsvisionen, Ängste, aber auch Hoffnungen und Träume der Menschen in unserer Stadt.

Der Bevölkerung soll eine literarische Stimme verliehen werden und ihnen die Möglichkeit geben, die Stadtentwicklung zu kommentieren und sie zu begleiten.




Die schönste Zeit des Jahres?

Oder von Freunden, Verwandten und anderen Tieren zur Weihnachtszeit … ein satirischer Abend

Eine besinnlich-satirische Lesung zur Adventszeit mit Texten von Loriot, Wiglaf Droste, Lala Alkün und musikalischer Begleitung durch Maik Fuhrmann und seiner Ukulele, ja die kleine Klampfe, die Marilyn in „Some Like It Hot“ spielte. Seine weiteren fantastischen, zum Teil versöhnenden und zuletzt verstörenden (F*** Christmas) Gesangseinlagen lockerten die Texte der verschiedenen Satiriker auf.



Satire wird ja von vielen aus dem rechten Rand vor allem nicht verstanden, und als Majestätsbeleidung angesehen, wie wir jüngst wieder zu erfahren hatten.

Sarah Quashie und Raphael Westmeier begannen den satirischen Abend mit dem blutigen Advent (Loriot – Advent) der den an Weihnachten oft herrschende Horror überzogen, das Wesen der Satire, durch den Weihnachtspunsch zieht … Wobei ich an eine Roald Dahl Krimiposse erinnert wurde.

Sarah Quashie und Raphael Westmeier lasen, während Maik Fuhrmann auf der Ukulele begleitete. (Foto:  (c) Djamak Homayoun)
Sarah Quashie und Raphael Westmeier lasen, während Maik Fuhrmann auf der Ukulele begleitete. (Foto: (c) Djamak Homayoun).

Das Hawaiianische Jingle Bells holte uns dann aus dem Mord im Forsthaus wieder zurück und brachte uns zu Max Goldt und seinem Der Zauber des seitlich dran Vorbeigehens …  Goldt der uns an einem lärmenden und stark riechenden Weihnachtsmarkt vorbeidrücken lässt, „dank der guten baupolizeilichen Bestimmungen in Deutschland ist es ja möglich, seitlich an so ziemlich allem, was hässlich ist, vorbeizugehen“, jedenfalls zeigt Goldt eine fast unbegrenzte Bereitschaft zu abseitiger Subtilität. Er greift das auf, was durchaus nahe vor Augen liegt, worüber aber kein Mensch redet, weil es sich um einen zunächst sinnarm wirkenden Weihnachtsglitzerstaub der Wahrnehmung handelt. Interessant bei den Bausündenweihnachtsbuden ist, das aus dem Mutterland des Überkommerz unsere hoch kommerzialisierten Weihnachtsmärkte als pittoresk und authentisch angesehen werden …

Nikolaus Heitelbach Nichts als Weihnachten im Kopf

Für die einen muss es Karpfen sein, andere schwören auf die Weihnachtsgans. Lieb gewonnene und mitunter auch nervige Rituale müssen sein, denn erst sie machen die Weihnachtszeit zur schönsten / schlimmsten Zeit des Jahres. Nichts als Weihnachten im Kopf feiert satirisch die Vorfreude aufs Fest, den Adventskranz, das Krippenspiel, den Weihnachtsmarkt mit Glühwein und den Wunschzettel ab, bis es endlich Zeit für die Bescherung ist und sich viele in den Armen liegen und ein paar, nicht wenige, auch in den Haaren.

Die Satiren von Wiglaf Droste, Weihnachten der Kinder wegen und Elf Weihnachtsmänner sollt ihr sein trafen so recht ins Mark, wobei der letzte Text von Droste schon einiges an historischem Wissen verlangte.

Unter dem Christbaum von Lale Alkün zeigt uns den alladvent- und weihnachtlichen Wahnsinn dem wir unterliegen, unterworfen sind, aus der Sicht von nach Deutschland gekommen … mit all seinem Wahnsinn und Zwängen, an denen so manche Zeitgenossen allweihnachtlich schreiend oder tobend zerbrechen … wie ich am eigenen Leib mit meinem Vater erleben musste … Weihnachten als Superstress.

Michael Bergmann und Weihnukka konnte einem an manchen Stellen schon mal im Halse stecken bleiben … Satire mit eingebauter Erinnerungskultur, aber mit einer herrlichen, schonungslosen Satire und Selbstironie, die einen herzlich auflachen lässt. Eines aber schwang unterschwellig in der Bergmann Satire mit, dass dieses ach so christliche Weihnachtsfest eigentlich einen älteren Ursprung hat. Nein nicht jüdisch. Nicht die römischen Saturnalien, von denen wir das egalitäre im Karneval feiern, das Schenken aber beibehalten haben und den intensivsten zwischenmenschlichen Kontakt viktorianisch verdrängten. Weit vor unserer Zeit aus Sumer … das Fest der Einbringung der Wintersaat. Aber auch Heute legen wir noch so mache Saat an diesem Fest, die im Laufe der folgenden Saat aufgeht …

Den Abschluss der Bösartigkeiten gab uns dann Heinrich Böll mit Nicht nur zur Weihnachtszeit. Die Erzählung gilt als die erste Satire von Böll, die er während der Zusammenkunft der Gruppe 47 auf Schloss Berlepsch Anfang November 1952 las. Böll als Ich-Erzähler exemplifiziert bitter und böse den Ernst- oder Wahnsinnsfall: unter Bezug auf die ausgebliebene Aufarbeitung der NS-Zeit speziell im Katholizismus, wobei die Protestanten gerne noch vor 1933 Sieg Heilten, Reichsbischoff Müller und andere Braunauer Vorläufereien. Was wäre, wenn jeden Abend Weihnachten wäre?

Es geht um „Verfallserscheinungen“ in der Verwandtschaft des Ich-Erzählers. Diese nehmen ihren Lauf um Lichtmess 1947 herum, als sich die Tante Milla des Erzählers nicht von ihrem Christbaum trennen will und unausgesetzt schreit, als das Requisit abgeschmückt wird und aus dem Wohnzimmer entfernt werden soll. Weihnachten als Dauerschleife, oder täglich grüßt das Weihnachtsmurmeltier.

Diese Verfallserscheinungen äußern sich in unterschiedlicher Form. Fremdgehen, Tobsuchtsanfall, Auswanderung ganzer Familienteile in das äquatoriale Afrika und sogar Konversion vom Katholizismus zum Kommunismus, welch ein Sakrileg, kommen vor. Die verkehrte dramatische Situation ist: die schrullige Tante Milla geht als einzige in der Verwandtschaft unbeschädigt, Weihnachtsfimmel einmal ausgelassen, aus der Dauerschleifenweihnacht hervor. Äußerlich gesund und munter aussehend, feiert sie mit dem pensionierten Geistlichen aus der Nachbarschaft und den später eigens engagierten Mimen.

Das abschmücken und der Abbau des Weihnachtsbaumes können hier getrost als der 8. Mai 1945 angesehen werden, denn damit war der Nazismus leider nicht zu Ende, und erledigte sich auch nicht in der Folgezeit biologisch. Leider! Denn wir haben immer noch Braunauer Geister, die in unseren Parlamenten sitzen, in den Social Media die WC Geruchs-Stammtischhoheit verlangend und reichsbürgerlichen Putschträumen anheimfallen.

Bitterböser kann der Satireabend nicht klingen … ausklingen.




Spannender Kriminalroman im Umfeld von Zeche Zollverein

In dem dritten Krimi „Tod auf der Kokerei“ von Thomas Salzmann um die Ex-Hauptkommissar Frederike Stier wird es für sie sehr persönlich. Ihr geht ein weiblicher Leichenfund im Wasser des Werksschwimmbads auf der Kokerei (Zeche Zollverein) besonders nah.



Es handelt sich um die Tochter ihres guten Freundes Hartmut Lautenschläger.  Längere Zeit hatte dieser keinen guten Kontakt zu ihr gehabt.

Hartnäckig kämpft die Kommissarin im Vorruhestand um die Aufklärung des mysteriösen Todesfalles und gräbt sich immer tiefer in die Vergangenheit des Opfers. Sie glaubt wie Hartmut nicht an einen Selbstmord. Je mehr sie im beruflichen und privaten Umfeld ermittelt, führen Rache, Lügen sowie ein gut gehütetes Geheimnis Frederike ins Zentrum der Gefahr….

Mit Liebe zum Detail, viel Charme jedoch auch kritischen Blick auf den Strukturwandel im Ruhrgebiet schreibt Salzmann seinen Krimi im Umfeld des Weltkulturerbes Zeche Zollverein.

Immer einen offenen Blick auf die hier lebenden Menschen

Frederike Stier wird den Leser*innen mit all ihren kleinen Schwächen und Vorzügen nahegebracht. Es ist erstaunlich, mit wieviel Empathie der Autor die Gefühlwelt der ex-Kommissarin mit seinen Worten lebendig werden lässt. Es fällt leicht, sich in Frederike hinein zu versetzten. Die Sprache wechselt zwischen melancholischen und humorvoll-witzigen (teils ironischen) Tonfall.

Salzmanns Protagonist muss, wie jeder Mensch, immer neue, manchmal schwere Entscheidungen für ihr weiteres Leben treffen. Das betrifft auch ihre Beziehung zu Hartmut. Sie muss letztendlich feststellen, dass die Menschen wie eine Kokerei sind. Sie haben eine weiße und eine schwarze Seite.

Örtlichkeiten der Handlung (Raum Essen, Gelsenkirchen) werden nach Recherche genau beschrieben und auch neuere Verfahren zur Sicherung regenerativer Energieversorgung für die Zukunft eingeflochten.

Die „Unterflurpump-Speicherwerk“ -Technik war in den letzten Jahren im Gespräch als Nutzung für stillgelegte Zechenanlagen.

Ein Krimi am Puls der Zeit, mit viel Gefühl und Verständnis für menschliche Abgründe und Schwächen. Bei der spürt man bei allen Schicksalsschlägen eine humanitäre Kraft. Sie wird die neuen Herausforderungen in ihrem Leben sicher mit Mut und Neugier bewältigen.

Thomas Salzmann
Tod auf der Kokerei
Broschur
13,6 x 20,6 cm
352 Seiten
ISBN 978-3-7408-1580-6
14,00 € [DE] 14,40 € [AT]




Kunstvolles ahnen – Ausgabe 17 von ARTIC

Die in Dortmund erscheinende Kunst- und Kulturzeitschrift ARTIC beschäftigt sich in der 17. Ausgabe mit dem Thema „ahnen“. Ars tremonia sah sich das Heft einmal genauer an und war beeindruckt.



Das Wort „ahnen“ hat eine vielfältige Bedeutung. Klein geschrieben bedeutet es soviel wie „eine Intuition zu haben“, anders gesagt, das Bauchgefühl. Groß geschrieben ist es ein Verweis auf unsere Vorfahren, unsere „Ahnen“.

Die Ausgabe von ARTIC versammelt unterschiedliche künstlerische und philosophische Standpunkte zu diesem Begriff. Dabei ist es auffällig, wie hochwertig das Heft ist. Die Ausgabe ist eingeschlagen in ein engmaschiges Netz, so das der Titel leicht verschwommen erahnbar ist. Aber im Innenteil geht es weiter: Hier ist echte Kunst zu finden, in dieser Ausgabe unter anderem ein Fotoabzug, der die Zeitschrift zum Kunstsammelobjekt macht.

Das Layout wurde von Frank Georgy entworfen. Er nutzt erfrischende Typografie, die die Leserin oder den Leser auch mal zwingen, das Heft um 45 Grad zu drehen. Der Umschlag wurde von dem Künstler und ARTIC – Mitherausgeber Andreas Drewer gestaltet.

Doch was ist mit dem Inhalt? 26 Künstlerinnen und Künstler haben ihren Beitrag zum Heft geleistet. Manche, wie der DJ Sven Väth, nur kurz im Rahmen einer Befragung, andere wie der Kölner Autor Albert Kamps veröffentlichen eine längere Kurzgeschichte. Der Philosoph Hubertus Busche wirft einen erkenntnistheoretischen Blick auf die Ahnungen. Die Kurzgeschichten und Gedichte in dieser Ausgabe sind auf jeden Fall genauso einen Blick wert wie die graphischen Arbeiten.

ARTIC Nr. 17 erscheint in einer Auflage von 550 Stück und kostet 20 Euro. Das Magazin ist über den Direktversand (zzgl. Versandkosten) zu beziehen und über die ISSN 0945-9863 in jeder Buchhandlung bestellbar.




Dortmunds vierter „Stadtbeschreiber“ kommt aus der Schweiz: Alexander Estis folgt auf Elias Hirschl

Der in der Schweiz lebende Autor und Kolumnist Alexander Estis wird Dortmunds vierter Stadtbeschreiber. Er wurde von der Jury unter rund 40 Bewerber*innen für das Literaturstipendium ausgewählt und wird ab Mai 2023 für sechs Monate in Dortmund leben und schreiben. Derzeit ist Alexander Estis Stadtschreiber von Heilbronn.



Über die Entscheidung freut er sich sehr und dankt der Jury: „Ich bin gespannt auf neue Begegnungen und auf die Gespräche mit der Dortmunder Bevölkerung, die ich führen möchte, um Geschichten, Sehnsüchte, Träume oder auch Ängste zu sammeln, die sich auf die Stadt Dortmund und deren Wandel beziehen“, so Estis.
Spezialist für literarische Kleinformate
Alexander Estis ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1986 in einer jüdischen Künstlerfamilie in Moskau geboren; dort erhielt er eine Ausbildung an Kunstschulen und bei Moskauer Künstler*innen. 1996 siedelte er mit seinen Eltern nach Hamburg über. Nach Abschluss des Studiums in deutscher und lateinischer Philologie arbeitete er als Dozent für deutsche Sprache und Literatur an verschiedenen Universitäten. Seit 2016 lebt er als freier Autor in Aarau (Schweiz).
Alexander Estis arbeitet vorwiegend in literarischen Kleinformen. Diese zeichnen sich aus durch stilistische Vielfalt sowie die Verschmelzung von Satire und Ernst, von Essayistik und Belletristik, prosaischer und metrischer Form sowie von Wort und Bild. Zuletzt erschien sein fünftes Buch, die Prosasammlung „Legenden aus Kalk“. Estis verfasst Essays, Glossen und Kolumnen u.a. für „Die Zeit“, Deutschlandfunk Kultur, NZZ, Tagesanzeiger, WOZ. Ferner übersetzt er Lyrik und Prosa aus dem Russischen und Lateinischen. Alexander Estis ist Mitglied in zahlreichen literarischen Vereinigungen. Für seine Texte erhielt er mehrfach Auszeichnungen und Stipendien.
Urbane Visionen aus Dortmund
In Dortmund möchte er der Bevölkerung mit seinem Projekt „Urbane Visionen“ eine literarische Stimme verleihen und sie dazu einladen, die Stadtentwicklung zu kommentieren und zu begleiten. In Gesprächen will er die mit der Stadt verbundenen Narrative, Sehnsüchte, Träume, aber auch Ängste herausarbeiten und als literarisch gestaltete Visionen publizieren.
Darüber hinaus will Alexander Estis sich mit Lesungen und Kooperationen mit Medien, Autor*innen und anderen Künstler*innen sowie Schreibwerkstätten und ähnlichen Mitmach-Formaten in die Stadtgesellschaft einbringen.
Die Jury überzeugte er u.a. mit einer Textauswahl aus seinem Band „Fluchten“, der 2022 in der Salzburger Edition Mosaik erschienen ist. „Seine Texte zeichnen sich durch hinreißende Lakonie, feine Stilistik und treffsichere Ironie aus. In satirischer Überhöhung, gepaart mit deskriptiver Nüchternheit, folgt er dem Diktum von Humor als Notwehr auf ganz eigene Weise, ausgestattet mit einem raumgreifenden und bildgewaltigen Erzählton. Irritierend, verstörend und zugleich von heiterer Melancholie und zum Kaputtlachen komisch, sind seine Texte“, so die Jury in ihrer Begründung.
Alexander Estis wird für die Dauer seines Stipendiums in einer von der Stadt angemieteten Wohnung in Dortmund nahe des Literaturhauses im Kreuzviertel wohnen. Er erhält ein monatliches Honorar von 1800 Euro.
Das Stadtbeschreiber-Stipendium
Das Stadtbeschreiber-Stipendium wird seit 2020 jährlich vergeben und setzt sich inhaltlich mit Transformationsprozessen in Dortmund auseinander. In der Zeit des Stipendiums arbeitet der/die Stipendiat*in eng mit dem Kulturbüro, dem Literaturhaus Dortmund und weiteren Institutionen der regionalen Literaturszene zusammen, bringt sich in die Stadtgesellschaft ein und vernetzt sich mit lokalen Literaturakteur*innen.
Mehr über Alexander Estis: estis.ch