Gestohlenes Leben – Kammeroper wider das Vergessen im Orchesterzentrum NRW
Eine schmerzhaft eindringliche Kammeroper als Plädoyer wider das
Vergessen konnte das Publikum im Dortmunder Orchesterzentrum NRW
erleben. Im Rahmen des Projekts „EchoSpore“ der Hochschule für
Musik und Tanz Köln gastierte das Ensemble mit „Gestohlenes Leben“
von Helmut Bieler (1940 – 2019) auch in unserer Stadt. Das Projekt
EchoSpore gilt der Wiederentdeckung verfemter Kompositionen von
entrechteten, verfolgten, ermordeten und oft in Vergessenheit
geratenen Komponisten.
In Bielers
„Gestohlenes Leben“ (Libretto von Tochter Susanne Bieler) geht es
um das Schicksal der Juden und anderer verfolgter Gruppen, die aus
der Pfalz, Baden und dem Saarland in das Internierungslager Gurs im
französisch-spanischen Grenzgebiet am Fuße der Pyrenäen deportiert
wurden. Erzählt anhand des (fiktiven) Geschichte der hoffnungsvollen
jüdischen Sängerin Greta Lilienberg, die mit ihrer Familie 1940
dort hin verschleppt, wo sie wenige Monate später verstarb. Wie sich
später herausstellt, hat nur ihr älterer Bruder Jakob überlebt.
Über zwanzig Jahre
später wird ihr Geliebter Leopold Stein durch eine Radiosendung mit
seiner Vergangenheit konfrontiert. Schuldgefühle, dass er nicht den
Mut hatte, rechtzeitig mit Greta zu fliehen, nagen an ihm. Es beginnt
eine Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortung und dem
Schicksal der Juden in Gurs…
Zunächst brachten
der Tenor Maximilian Fieth und die Sopranistin Anna Sayn, begleitet
am Klavier von Alexander Breitenbach, eine eher romantische Auswahl
von zwei Komponisten dar, die von den Nationalsozialisten verfolgt
wurden. Einmal Felix Wolfes (1892–1971), und zum anderen von Ernst
Bachrich (1892–1942), der im KZ Majdanek ermordet wurde.
Musikalisch atmosphärisch einfühlsam unterstützt vom Schönberg-Ensemble der Hochschule für Musik und Tanz Köln, spielte sich die dramatische Handlung auf einer kleinen Bühne auf der linken Seite ab. Die Musik von Bieler ist der Thematik entsprechend ruhig und einfühlsam. Seine Klänge tragen die Geschichte und der Gesang wirkt öfters wie in einem Oratorium.
Leopold Stein wurde vom Bariton Benjamin Hewat-Craw gesungen und mimisch dargestellt, die Sopranistin Anna Sayn schlüpfte sowohl in die Rolle der Johanna (Frau von Leopold) wie auch ab und zu in die der Greta. Später kam Gretas Bruder Jacob Lilienberg (Maximilian Fieth) hinzu.

Die Sänger*innen
mussten neben ihren gesanglichen Können schauspielerische Talent und
Empathie beweisen. Mit geschickt eingesetzten Lichteinsatz,
symbolhaftem Spiel mit dem roten Kleid von Greta, bekam die
Kammeroper Tiefe und Eindringlichkeit. Ein großes Kompliment an die
Dramaturgin Susanne Bieler.
Der ganz Schmerz, die Schuldgefühle, Vorwürfe vom Bruder, und die durch die alte Liebe zu Greta belastete Beziehung des Ehepaars sprudelten heraus. Während Leopold die schrecklichen Ereignisse aus der Vergangenheit nicht vergessen kann, will seine Frau Johanna am liebsten nichts mehr davon hören. Für Leopold steht fest: Durch seine Feigheit hat er der Geliebten Greta das Leben gestohlen. Was geht Johanna das an? Misstrauisch fragt sie sich, ob sie nur wegen ihrer Ähnlichkeit mit Greta von ihrem Mann geheiratet wurde.
Zahlen und Fakten,
aber auch berührende persönliche Berichte von Gefangenen im
Internierungslager Gurs wurden per Lautsprecher von Thomas Braus
eingesprochen.
„Gestohlenes
Leben“ ist ein Plädoyer gegen das Vergessen und für die
Verantwortung der Nachgeborenen, dass solche Verbrechen gegen die
Menschlichkeit nicht wieder geschehen.
Im nächsten Jahr
(achtzig Jahre danach) so soll dieses Kammerkonzert in der Umgebung
von Gurs aufgeführt werden.