„My Body is My Castle“ – Eine Performance über Selbstakzeptanz und Körperbild

Der weibliche Körper stand bei der Performance „My Body is My Castle“ im Mittelpunkt. Seit ewigen Zeiten fasziniert er und ebenso lange versuchen andere, sich seiner zu bemächtigen. Am 2. November 2024 brachten 20 Performerinnen im Fritz-Henßler-Haus ihre Perspektiven auf den weiblichen Körper zum Ausdruck.

Selbstakzeptanz und Schönheitsideale im Fokus

In „My Body is My Castle“ arbeiteten Tänzerinnen aus Leeds und Dortmund zusammen. Neben der Choreografie gab es Geschichten rund um Themen wie Narben und Selbstwahrnehmung. Da das Alter der Frauen zwischen 16 und 70 Jahren lag, hatten sie zahlreiche echte und erfundene Geschichten zu erzählen.

Auch das Thema Selbstliebe wurde behandelt. „Bin ich schön und klug?“ ist eine der Fragen, mit denen Frauen ständig konfrontiert werden, sei es von außen oder durch innere Zweifel. Die Angst, vermeintlichen Schönheitsidealen nicht zu entsprechen, belastet viele. Soziale Medien verstärken oft das Bild schlanker, durchtrainierter Körper, was bei vielen Frauen den Druck erzeugt, diesen Idealen zu entsprechen.

"My Body is my Castle" eine Transperformance aus Leeds und Dortmund zum Thema weibliche Selbstakzeptanz und Körperbild. (Foto: (c) ACCA)
„My Body is my Castle“ eine Transperformance aus Leeds und Dortmund zum Thema weibliche Selbstakzeptanz und Körperbild. (Foto: (c) ACCA)

Die Choreografien waren abwechslungsreich; besonders die ruhigen Passagen strahlten eine gewisse Poesie aus. Die etwa 60-minütige Performance verging (zu) schnell, doch sie zeigte, wie viel Akzeptanz des eigenen Körpers bewirken kann – geballte Weiblichkeit, die ihre innere Stärke präsentierte.




Historisches Ballett und Filmset als Blaupause verbunden

Das im exotisch verklärten Indien verortete Ballett „La Bayadère“ (Die Tempeltänzerin) wurde 1877 in Sankt Petersburg unter der Choreografie von Marius Petipa uraufgeführt, mit der melodiösen Musik von Léon Minkus. Der Dortmunder Ballettintendant Xin Peng Wang fügte dem Werk eine besondere, interessante Dimension hinzu, die einen dramaturgischen Blick von außen ermöglicht. Die Premiere des vieraktigen Balletts (Choreografie von Xin Peng Wang, 2. und 3. Akt nach Marius Petipa) fand am 1. November 2024 in der Oper Dortmund statt.

Ein Filmset als Rahmengeschichte für La Bayadère

Die Aufführung beeindruckte durch passend ausgewählte Kostüme, eindrucksvolle Hintergrundprojektionen und effektvollen Lichteinsatz. Die musikalische Begleitung übernahm das Orchester der Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Motonori Kobayashi. Die Filmset-Passagen und Stummfilm-Einspielungen wurden zudem stimmungsvoll von Karsten Scholz live am Klavier begleitet.

Als Rahmenhandlung für die Choreografie wählte Xin Peng Wang ein Hollywood-Filmset der 1920er Jahre, das das „heilige Ballett“ La Bayadère verfilmen möchte. In der Geschichte geht es um die tragische Liebe zwischen der Tempeltänzerin Nikija und dem Krieger Solor, der jedoch bereits der Tochter des mächtigen Rajas, Gamzatti, versprochen ist. Daraus entfaltet sich eine dramatische Handlung voller starker Emotionen wie Liebe, Eifersucht, Verzweiflung und Hoffnung.

La Bayadère: Anna Tsygankova, Giorgi Potskhishvili. Foto: ((c) Leszek Januszewski)
La Bayadère: Anna Tsygankova, Giorgi Potskhishvili. Foto: ((c) Leszek Januszewski)

Allmählich erleben die Darsteller*innen am Set in ihren Rollen die gleichen Gefühlsverwirrungen wie die Figuren im Ballett – mit weitreichenden Folgen. Anders als bei einigen anderen Inszenierungen endet die Handlung nicht nach dem dritten „Schattenakt“ – der traumhaften Vision nach Opiumkonsum des Solor-Darstellers, nachdem seine geliebte Nikija durch ein Giftgetränk getötet wurde. Stattdessen folgt ein emotionaler Showdown im vierten Akt.

Freunde des klassischen und neoklassischen Balletts kamen voll auf ihre Kosten. Alle Tänzerinnen und Tänzer boten Ballett auf höchstem technischen Niveau. Die Darsteller*innen der Hollywoodstars, des Filmregisseurs, Produzenten und Managers bewiesen auch ihr schauspielerisch-pantomimisches Talent.

Ein besonderer Höhepunkt der Premiere waren die Gastsolist*innen Anna Tsygankova (Nikija/Hollywood-Starlet) und Giorgi Potskhishvili (Solor/Hollywood-Star), die mit ihrer eindrucksvollen Darbietung das Publikum begeisterten.

Weitere Informationen zu Aufführungsterminen finden Sie unter www.theaterdo.de oder telefonisch unter 0231 / 50 27 222.




Was werden wir vermissen – „Goodbye / Farewell“

Die Klimakatastrophe hängt wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen. Was werden wir vermissen? Wovon müssen wir Abschied nehmen? In der Performance „Goodbye / Farewell“ suchten am 1. November 2024 im Theater im Depot Antje Velsinger und das Kollektiv new trouble gemeinsam mit dem Publikum nach Antworten. Diese kamen direkt von den Zuschauenden und wurden zu einem Teil des Stücks.

Eine Reise des Abschieds und der Reflexion

Die Klimakrise bringt weit mehr als nur Umweltveränderungen mit sich. Es geht um den drohenden Verlust von Ökosystemen, Kulturen und alltäglichen Erfahrungen, die uns mit unserer Umwelt verbinden. Dazu gehören die Biodiversität, aber auch küstennahe Orte oder Landstriche, die zunehmend durch Waldbrände bedroht sind. Die Zuschauerinnen und Zuschauer notierten, was sie glauben zu verlieren, an eine Tafel. Diese Begriffe bauten die Akteurinnen und Akteure in ihre Choreografie ein und ließen das Publikum so direkt am Stück teilhaben.

Die Partizipation ging weiter: In Gruppen aufgeteilt, setzten sich die Besucherinnen und Besucher mit Fragen auseinander. Unsere Gruppe beschäftigte sich mit dem Thema: Worauf sollten wir verzichten, um die Klimakrise nicht weiter zu verschärfen? Die Antworten überraschten kaum: weniger Fleischkonsum, Verzicht auf Fast Fashion und weniger Flugreisen.

Die vier Akteure von "Goodbye / Farewell". (Foto: (c) Charlotte Ducousso)
Die vier Akteure von „Goodbye / Farewell“. (Foto: (c) Charlotte Ducousso)

Auch diese Themen wurden in die Choreografien integriert, die abwechselnd energetisch und sehr melancholisch wirkten. Besonders berührend war die Solo-Choreografie von Sunday Israel Akpan, dessen Stimme durch Loops vervielfältigt wurde, was dem Ganzen eine intensive, eindrucksvolle Tiefe verlieh. Auch die Tänzerin Mihyun Ko und der Tänzer David Pallant bereicherten das Stück durch ihre präzise und eindringliche Darbietung.

Die innere Zerrissenheit zwischen dem Wunsch, festzuhalten, und der Notwendigkeit, loszulassen, wurde in dem Stück sehr deutlich spürbar. Der Abschied von bestimmten Dingen zeigte, dass auch wir uns der Veränderung stellen müssen.




Kooperation statt Rivalität – Infinity Kiss

Lynn Margulis, eine einflussreiche Biologin und Evolutionstheoretikerin, entwickelte die Theorie der Endosymbiose und erweiterte damit die klassische Evolutionstheorie um eine entscheidende Dimension. Ihre Hypothese besagt, dass komplexe eukaryotische Zellen – also Zellen mit Zellkern, wie sie bei Pflanzen, Tieren und Pilzen vorkommen – durch eine symbiotische Vereinigung verschiedener prokaryotischer Zellen entstanden sind. Die Arbeit von Margulis veränderte unser Verständnis von Evolution grundlegend und verdeutlichte, dass das Leben auf der Erde nicht nur durch Rivalität, sondern auch durch Kooperation geformt wird.

Dieser Artikel ist jedoch kein wissenschaftlicher Beitrag über Evolutionsbiologie, sondern soll als Grundlage für das Verständnis des Tanztheaterstücks Infinity Kiss dienen, das auf den Theorien von Lynn Margulis basiert. Die Aufführung fand am 26. Oktober 2024 im Theater im Depot statt.

Von der Rivalität zur Symbiose: Das Konzept hinter „Infinity Kiss“

Cajsa Godée, Camila Malenchini und Layton Lachman, ein in Berlin lebender US-amerikanischer Künstler*in und Choreograf*in, sind die Hauptakteure in dem etwa 60 Minuten langen Stück. Statt wie in der klassischen Evolutionstheorie die Rivalität der einzelnen Individuen darzustellen, erschuf Lachman eine Symbiose – eine Zusammenarbeit. Ganz im Sinne von Margulis‘ Theorien verwandelten sich die Körper auf der Bühne zu einem völlig neuen Organismus. Während die Choreografie anfangs leichte „Human Centipede“-Vibes aufwies, wandelte sich Infinity Kiss allmählich zu einem polymorphen System, das sich ständig verändert und schließlich miteinander verschmilzt.

Szene aus "infinity kiss" von Layton Lachmann. Foto: (c) Mari Vass
Szene aus „infinity kiss“ von Layton Lachmann. Foto: (c) Mari Vass

Das Tanztheaterstück Infinity Kiss stellt eine Suche nach symbiotischen Wesen und kollaborativen Unterstützungsstrukturen dar. Es bietet einen faszinierenden Abend, der neue Einblicke vermittelt – nicht nur in die Evolutionsbiologie, sondern auch in die Erkenntnis, dass Zusammenarbeit und Symbiose oft zu besseren Ergebnissen führen können als reine Konkurrenz.




Lara Croft mit Existenzfragen

Das Queere Theater Kollektiv präsentierte am 25. Oktober 2024 im Theater Fletch Bizzel seine neue Produktion „Subterranean Deception – A Digital Dread“. Bereits 2023 zeigte das Kollektiv mit „Tanz der Krähen“ im Theater im Depot ein Stück, das dem Horror- bzw. Grusel-Genre zugeordnet werden sollte. Auch „Subterranean Deception – A Digital Dread“ wurde als „audiovisuelle Horror-Performance“ angekündigt. Natürlich ist die Definition von „Horror“ subjektiv, doch aus meiner Sicht erzeugte das Stück keine Schrecken. Ein Großteil der Handlung drehte sich um die Erkundungen eines Höhlenforschers auf einem fremden Planeten. Auf der Bühne des Fletch Bizzels sah man eine Art Lara Croft, die in den Requisiten herumkletterte und sich zunehmend mit der Expeditionsleiterin in Konflikt begab.

Verständlichkeit und Spracheinsatz

Das Stück war in einfachem Englisch gehalten, um es einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Diese Idee ist zwar grundsätzlich löblich, aber es ist davon auszugehen, dass Nicht-Muttersprachler Verständnisschwierigkeiten hatten.

Szene aus dem Stück  "Subterranean Deception – A Digital Dread“. Foto: Queeres Theater Kollektiv
Szene aus dem Stück
„Subterranean Deception – A Digital Dread“. Foto: Queeres Theater Kollektiv

Positiv hervorzuheben war der Einsatz von Tracking-Technologie, die es ermöglichte, die Bewegungen der Darsteller*innen in Echtzeit mit digitalen Projektionen zu synchronisieren – ein innovativer Ansatz, der zeigt, wohin sich das Theater der Zukunft entwickeln könnte. Dafür gebührt dem Queeren Theater Kollektiv Anerkennung.

Auch die Wahl des Science-Fiction-Genres erwies sich als sinnvoll, da in diesem Genre Themen wie Queerness und Transidentität schon länger behandelt werden. Ein Beispiel findet sich in der Serie Star Trek: The Next Generation, in der eine Episode durch das geschlechtslose Volk der J’naii Fragen zur Geschlechteridentität aufwirft. Eine Figur, Soren, entwickelt eine „ungewöhnliche“ weibliche Identität und verliebt sich in Riker. Diese Episode thematisiert geschlechtliche Identität und Diskriminierung und kann als Parallele zu trans und nicht-binären Erfahrungen interpretiert werden.

Was bleibt? Beide Darsteller*innen haben ihre Arbeit überzeugend umgesetzt, und die audiovisuellen Elemente konnten ebenfalls überzeugen. Inhaltlich konnte mich das Stück jedoch leider nicht abholen.




„Klein sein und bleiben!“ – Eine Neuinterpretation von Walsers Klassiker durch das „Pour Ensemble“

Das inklusive „Pour Ensemble“ präsentierte am 12.10.24 im Theater im Depot das Stück „Klein sein und bleiben!“, basierend auf dem Roman „Jakob von Gunten“ von Robert Walser. Das „Pour Ensemble“ überzeugte mit einer eindrucksvollen Mischung aus Schauspiel, Musik und Choreografie und bot eine frische, inklusive Perspektive auf das bekannte Werk.

„Jakob von Gunten“ ist ein Roman von Robert Walser, der 1909 veröffentlicht wurde. Die Geschichte wird in Form eines Tagebuchs erzählt, das der junge Jakob von Gunten führt. Er besucht das fiktive Internat „Benjamenta-Institut“, eine merkwürdige, fast kafkaeske Schule, in der den Schülern Unterwürfigkeit und Demut beigebracht werden. Jakob, ein rebellischer Schüler, hadert mit den strengen Regeln der Schule. Insgeheim ist er in die Lehrerin Lisa Benjamenta verliebt, die Schwester des Institutsleiters Herr Benjamenta.

Das "Pour Ensemble" bei "Jakob von Gunten". Foto: (c) Andre Scollick
Das „Pour Ensemble“ bei „Jakob von Gunten“. Foto: (c) Andre Scollick

Wer verkörperte Jakob? Alle auf der Bühne! Das „Pour Ensemble“ entschied sich für ein außergewöhnliches Konzept: Alle Darsteller trugen identische Kostüme und teilten sich die Rolle. Bunte Punkte fanden sich nicht nur auf der Kleidung, sondern auch im Bühnenbild und auf dem Boden wieder, was die Inszenierung visuell aufwertete.

 

Jakob von Gunten: Die Freiheit im „Klein Sein“



In der Geschichte versucht Jakob von Gunten, sich dem Leistungsdruck zu entziehen. Er will „klein“ bleiben, da er in dieser Kleinheit eine Form von Freiheit und Unabhängigkeit sieht. Anders als viele andere Figuren, die nach Macht, Erfolg oder sozialem Aufstieg streben, empfindet Jakob das Streben nach Größe als belastend. Durch das „klein Sein“ will er den gesellschaftlichen Erwartungen entkommen und seine Identität auf widersprüchliche Weise bewahren. Diese Philosophie spiegelte das „Pour Ensemble“ eindrucksvoll auf der Bühne wider.

Für die gelungene Inszenierung war nicht nur der Regisseur Jakob Fedler verantwortlich, sondern auch das gesamte „Pour Ensemble“. Das Zusammenspiel von Darstellern mit und ohne Behinderung zeigte eine gelungene integrative Leistung. Mit dabei war auch Linus Ebner, der mehrere Jahre Mitglied des Dortmunder Schauspielensembles war.

Die musikalische Begleitung bereicherte die Aufführung enorm. Violine, Akkordeon und Gesang verliehen dem Stück eine alpenländische Atmosphäre, die auch Robert Walser, als Schweizer, gefallen hätte.

„Klein sein und bleiben!“ beeindruckte zusätzlich durch den feinen Humor, den Jakob Fedler in die Inszenierung eingebaut hatte und der sich auf das „Pour Ensemble“ übertrug. Der wohlverdiente Applaus belohnte das „Pour Ensemble“ für einen rundum gelungenen Abend.




Sweeney Todd – Zwischen Rache, Liebe und Gesellschaftskritik

Am 12.10.2024 feierte das Publikum die Premiere von „Sweeney Todd“ (The Demon Barber of Fleet Street) in der Oper Dortmund. Die Musik und Gesangstexte stammen von Stephen Sondheim (Buch: Hugh Wheeler, nach Christopher Bonds gleichnamigem Stück). Im Mittelpunkt steht die fiktive Geschichte des Serienmörders Benjamin Barker, alias Sweeney Todd.

1979 wurde „Sweeney Todd“ als Musical von Sondheim am Broadway uraufgeführt, und es diente 2007 auch als Vorlage für den bekannten Spielfilm mit Johnny Depp.
Die Inszenierung von Gil Mehmert überzeugte durch eine stimmige Zusammenarbeit von Bühnenbild, Kostüm, Choreografie und Lichtdesign, wodurch eine düster-geheimnisvolle Atmosphäre entstand. Die Dortmunder Philharmoniker, unter der Leitung von Koji Ishizaka, begleiteten die Aufführung mit vielseitiger Musik. Diese reichte von Anspielungen auf Britten und Weill über Zitate aus Hitchcocks „Psycho“-Soundtrack bis hin zu Broadway-Melodien. Zudem erzählte der Opernchor des Theaters Dortmund die Geschehnisse in Rückblenden, die 15 Jahre zurückliegen.

Sweeney Todd – Ein blutiges Rachedrama mit schwarzem Humor

Das Ensemble brillierte sowohl mit stimmlichen als auch schauspielerischen Leistungen. Besonders hervorzuheben sind Kammersänger Morgan Moody als „Sweeney Todd“ und Bettina Mönch als die gerissen-mütterliche sowie geschäftstüchtige Mrs. Lovett, die Besitzerin einer Pastetenbäckerei.

Ks. Morgan Moody als "Sweeney Todd" greift zum Rasiermesser. Mit dabei ist Andreas Laurenz Maier als "Richter Turpin"Foto: (c) Björn Hickmann
Ks. Morgan Moody als „Sweeney Todd“ greift zum Rasiermesser. Mit dabei ist Andreas Laurenz Maier als „Richter Turpin“
Foto: (c) Björn Hickmann

Nach 15 Jahren Verbannung durch den skrupellosen Richter Turpin (Andreas Laurenz Maier) kehrt der Barbier Benjamin Barker, unterstützt vom jungen Matrosen Anthony Hope (Jonas Hein), nach London zurück. Dort erfährt er, dass seine Frau Lucy vom Richter missbraucht wurde und sich vergiftet haben soll. Seine Tochter Johanna, die Turpin als Baby entführt hat, wird wie eine Gefangene gehalten. Todds Verlangen nach Rache steigert sich allmählich zu einem tragischen, pathologischen Rausch.

Auf den ersten Blick mag die Handlung wie eine Splatter-Horror-Komödie erscheinen, doch „Sweeney Todd“ ist in Wahrheit eine bitterböse Moralparabel. Sie erinnert an Brecht und zeigt, wie sich gesellschaftliche Schichten durch Misstrauen, Wut und Gewalt immer weiter voneinander entfernen. Machtmissbrauch von oben führt dabei zu fatalen Folgen. Nur die junge Generation, dargestellt durch die Liebesgeschichte zwischen Johanna und Anthony, kann diese Spaltung überwinden. Die gesellschaftlichen Spannungen, die in der Inszenierung thematisiert werden, machen das Musical leider bedrückend aktuell.

Auf der Bühne verschmelzen blutiges Rachedrama, ergreifende Romanze und schwarze Komödie. Ein komödiantisches Highlight war der „Barbier-Wettstreit“ zwischen Fritz Steinbacher als Adolfo Pirelli und Morgan Moody als Todd.

Langanhaltender Beifall belohnte diesen großartigen Musicalabend. Weitere Aufführungstermine finden Sie unter www.theaterdo.de oder telefonisch unter 0123/5027222.




Humorvoll-deftiges Kabarett von Lioba Albus

Mit ihrem Abschlussprogramm „Ende offen“ gastierte die Kabarettistin, Schauspielerin und Buchautorin Lioba Albus am 04.10.2024 (sowie am 05.10.2024) im Dortmunder Theater Fletch Bizzel. Sie blickt inzwischen auf eine lange Karriere von 35 Jahren zurück. Die in Attendorn (Sauerland) aufgewachsene Albus bot eine gelungene Mixtur aus Neuem sowie dem Besten des Altbewährten.

In ihrem Programm ging es um die Schwierigkeit, aber auch Notwendigkeit, loszulassen – Schluss zu machen, um neu anfangen zu können. Dies betrifft verschiedene Bereiche des Lebens: das Berufsleben, manchmal auch Partnerschaften, Freundschaften oder die Befreiung von Jugend und „Optimierungswahn“.

Natürlich durfte ihre bekannteste Figur „Mia Mittelkötter“ aus dem Sauerland, mit ihren spitzzüngigen Erzählungen (zum Beispiel über Ehemann Gustav), nicht fehlen.

Loslassen und Neuanfänge im Fokus

Es ist erstaunlich, wie gut sie sich allein durch Wechsel von Kleidung, Frisuren (mit oder ohne Perücke) und Stimme in unterschiedlichste Personen verwandeln kann. Mit einem kritischen Augenzwinkern (oft leicht anzüglich) setzt sie sich besonders gerne mit den Unzulänglichkeiten des männlichen Geschlechts auseinander, ohne dabei die Frauen zu vergessen. Glaubhaft verkörpert sie die Pommes-Fachverkäuferin Witta und den Promillephilosophen Detlev, der auf einer Feier mit zunehmendem Alkoholeinfluss mit seinem „alten Freund Günther“ abrechnet.

Lioba Albus mit ihrem Alter Ego Mia Mittelkötter. (Foto: (c) Olli Haas)
Lioba Albus mit ihrem Alter Ego Mia Mittelkötter. (Foto: (c) Olli Haas)

 

Ihre kritische Haltung zu Politikern wie Donald Trump, Friedrich Merz oder Christian Lindner bringt sie geschickt in ihr Programm ein.

 

Wie der Titel „Ende offen“ verspricht, bleibt die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit der Vollblutkabarettistin erhalten. Übrigens bringt sie bald ihr viertes Buch heraus.




Junge Oper Dortmund begeistert mit humorvoll-ironischer Musiktheaterkomödie

Die Oper „Marie-Antoinette oder Kuchen für alle!“ von Marc L. Vogler (Libretto: Daniel C. Schindler), basierend auf dem gleichnamigen Schauspiel von Peter Jordan, feierte am 01.10.2024 im Operntreff Dortmund ihre Uraufführung. Es handelt sich nicht um eine historische Erzählung über Frankreichs Königin Marie-Antoinette (1755–1793), die durch die Guillotine starb. Stattdessen präsentiert das Stück eine frische und freche Operngeschichte, die nie stattgefunden hat. Marie-Antoinette wird als Pop-Ikone dargestellt.

Zahlreiche Bezüge zur Gegenwart werden geschickt eingearbeitet. Die Hauptfigur wird von Wendy Krikken mit starker Stimme und viel Humor verkörpert. An ihrer Seite stehen Franz Schilling als König Ludwig XVI. sowie Cosima Büsing als Cécile, die einzige Dienerin im Schloss Versailles. Büsing meistert außerdem mehrere Rollen wie Kardinal de Rohan, Guillaume und Napoleon. Dabei überzeugt sie mit passender Mimik und Gestik.

Ironie, Anspielungen und beeindruckende Bühnenbilder

Die Bühnenausstattung des barocken Schlosses zeigt virtuelle Ausblicke auf die Gärten von Versailles. Die Requisiten sind sorgfältig gewählt und unterstreichen die Wirkung des Stücks. Das unzufriedene Volk wird eindrucksvoll von Mitgliedern der We DO Opera und der Bürger*innenOper dargestellt.

Wendy Krikken als "Marie Antoinette". Foto: (c) Björn Hickmann
Wendy Krikken als „Marie Antoinette“. Foto: (c) Björn Hickmann

Ein kleines „Zelt“ an der Bühne dient den Dortmunder Philharmonikern unter der Leitung von Marc L. Vogler als Spielstätte. Hier wird die Musik vielseitig eingebracht – von Barock-Pop und Rock über Jazz bis hin zu Weltmusik.

Der Plot: Seit über zwanzig Jahren sind Marie-Antoinette und König Ludwig im Schloss Versailles gefangen – mit nur einer Dienerin und ohne Kuchen. Ihre Hinrichtung wird immer wieder hinausgezögert. Müssen sie es selbst in die Hand nehmen? Während Marie-Antoinette die große Dame spielt, versinkt Ludwig im Selbstmitleid. Die Dekadenz und Ignoranz gegenüber der neuen Zeit sind überall spürbar. Warum protestiert das Volk? Und warum erscheinen ständig ungebetene Gäste?

Am Ende überschlagen sich die Ereignisse: Ludwigs selbstgebaute Guillotine funktioniert. Die beiden Herrscher müssen erkennen, dass sie in der neuen Welt keinen Platz mehr haben. Der im Keller gefundene Kuchen ist längst verdorben.

Die Aufführung lebt von ironischen Brechungen, gezielten Anspielungen und starken Leistungen aller Beteiligten.

Infos zu weiteren Aufführungsterminen finden Sie unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/50 27 222.




Der Zauber von Oz als modern-fantasievolles Abenteuer

Wer kennt nicht die Geschichte vom „Zauberer von Oz“ (Lyman Frank Baum) aus dem Jahr 1900 und die berühmte Filmversion (1939) mit Judy Garland?
Die Inszenierung des Stücks „Der Zauber von Oz“ (Regie: Johanna Weißert) basiert auf der frisch-modernen Fassung des Autors Sergej Gössner.
Die Premiere fand am 02.09.2024 im Kinder- und Jugendtheater (KJT) Dortmund statt.

Doro, wunderbar gespielt von Anna Reizbikh (im Rollstuhl), lebt hier mit ihrer alleinerziehenden, berufstätigen Mutter (Bianka Lammert) in der sechsten Etage eines schäbigen alten Wohnblocks Nr. 39. Um dem Alleinsein zu entfliehen, taucht Doro in die (Traum-)Welt des neuen Handyspiels SMARAGDCITY ein oder singt. Plötzlich stürmt es draußen, und ein Heißluftballon schlägt an ihr Fenster. Unvermittelt landet sie im Land Oz.

Annika Hauffe, Anna Reizbikh, Sar Adina Scheer, Andreas Ksienzyk, Thomas Ehrlichmann, Bianka Lammert. Foto: (c) Birgit Hupfeld
Annika Hauffe, Anna Reizbikh, Sar Adina Scheer, Andreas Ksienzyk, Thomas Ehrlichmann, Bianka Lammert. Foto: (c) Birgit Hupfeld

Ein fantasievolles Abenteuer im Land Oz

Zurück kommt sie nur mit der Hilfe des Zauberers. Dafür muss sie sechs Smaragde gewinnen und begegnet dabei der Hexe (Bianka Lammert), dem zerstreuten Strohmann (Thomas Ehrlichmann), der Blechfrau (Sar Adina Scheer) mit Liebeskummer, dem mutlosen Löwen (Andreas Ksienzyk) sowie der Porzellanprinzessin (Annika Hauffe). Gemeinsam stürzen sie sich in das Abenteuer.

Fantasievoll gestaltet waren nicht nur das Bühnenbild (Julia Schiller), sondern auch die Kostüme. Für die sensible musikalische Begleitung sorgte Michael Kessler.
Wie so oft gelang es dem engagierten KJT-Ensemble, sich mit viel Spielfreude und Empathie in ihre verschiedenen Rollen hineinzuversetzen.

Klischees und Vorurteile werden mit Humor begegnet. Gemeinsam kann man viel schaffen. Trotz persönlicher Schwächen setzen die Figuren ihre individuellen Stärken ein, um ein gemeinsames Ziel (zum Wohl aller) zu erreichen.

Weitere Aufführungstermine erfahren Sie wie immer unter www.theaterde.de oder Tel.: 02321/ 50 27 222.