Angeblich lief Agamemnon über einen purpurnen Teppich, als er von Troja zurückkehrte. Glück brachte ihm das allerdings nicht. Das Symbol des roten Teppichs als Laufweg für Filmstars wurde erst in den 1920er-Jahren populär. Seitdem war er von Filmfestivals nicht mehr wegzudenken.
Am 5. September zeigte das Ensemble Hall of Fame eine besondere Mischung aus Tanz, Performance, Audio- und Video-Collagen sowie einer Fotoinstallation. Thema waren gesellschaftliche Fragen rund um Gerechtigkeit und Zusammenleben.
Das Symbol des roten Teppichs – sonst ein Zeichen für Ruhm und Prominenz – wurde in neue Bedeutungen überführt. Der Teppich verwandelte Alltagsorte in ungewöhnliche Erlebnisse:
Auf dem Teppich zu liegen konnte ein Protest sein.
Sich darin einzurollen konnte Schutz bedeuten.
Über ihn zu schweben verwies auf Privilegien und Gleichgültigkeit.
Das Projekt gliederte sich in mehrere Phasen:
Recherche: Erfahrungen und Sichtweisen wurden gesammelt. Dabei ging es auch um Mechanismen sozialer Ausgrenzung.
Aktionen im Stadtraum: Der rote Teppich tauchte an überraschenden Orten auf – an Tankstellen, Haltestellen, Schrebergärten, in Industrie-Ruinen oder Wertstoffhöfen. Dort waren Menschen zwischen 16 und 99 Jahren eingeladen, mitzuwirken – unabhängig von Behinderung, sozialem Status oder kulturellem Hintergrund.
Regisseurin Swentja Krumscheidt ludt an ungewöhnlichen orten Menschen ein, auf dem roten Teppich zu laufen. (Foto: (c) vier-D)
Präsentation: Fotos und Videos der Aktionen wurden ausgewertet. Daraus entstand die Abschlussinszenierung Hall of Fame, die am 5. September im .dott.werk gezeigt wurde – mit Performances, Collagen und einer Fotoinstallation.
Vor allem die erste Performance war ein Hingucker. Die Tänzerinnen standen zunächst auf kleinen roten Teppichen, um anschließend nach der Choreografie über den ausgerollten Teppich wie Filmstars zu schreiten. Damit nicht genug: Sie luden auch die anwesenden Zuschauer*innen ein, gemeinsam mit ihnen über den Teppich zu gehen. Begleitet wurde dies von Interviewausschnitten, in denen Menschen darüber sprachen, wer eigentlich über den roten Teppich gehen sollte oder welcher ihr persönlicher „roter Teppich-Moment“ gewesen war. Auch die Choreografie von Birgit Götz und Pia Alena Wagner war sehr berührend, da beide den roten Teppich als Schutz benutzten, in dem sie sich einrollten.
Am Ende diente der rote Teppich als Unterlage für einen großen Tisch, an dem alle Beteiligten gemeinsam essen konnten.
Ein rundum gelungener Abend im .dott.werk.
Zähne fletschen im Fletch – die Vampirsaga geht weiter
Anna kann jetzt auch Zähne fletschen! Aus Anna, die Zahnlose – mit diesem Titel musste sich Anna seit mehr als einhundert Jahren herumärgern – ist Anna, die Mutige geworden. Obwohl sie schon im ersten Teil durchaus stark und mutig war und vor allem verliebt! In Anton, der Zahnarzt werden will – ein Horror für Vampire!
Am Wochenende startete der zweite Teil der Saga vom Kleinen Vampir nach den Büchern von Angela Sommer-Bodenburg auf der Bühne des Theaters Fletch Bizzel. Wer den ersten Teil verpasst hatte, konnte dem zweiten dennoch problemlos folgen, zudem gab es am Anfang eine kurze gespielte Zusammenfassung, in der noch einmal die erste Begegnung von Anton und seinem besten Freund Rüdiger, dem kleinen Vampir, gezeigt wurde.
Die Geschichte beginnt aber diesmal mit dem Besuch von Anna, Rüdigers kleiner Schwester, die ihrem Angebeteten gern ihren Schnuller verehren würde, den sie nun nicht mehr braucht. Ein heikles Geschenk, so ein durchgekauter mindestens hundertjähriger Schnuller. Aber Anna, wieder schön und mit großen Zähnen und Augen gespielt von Freya Erdmann, findet ihr Geschenk toll. Alles eine Frage der Perspektive.
Auch im zweiten Teil vom „Kleinen Vaampir“ gehen die Abenteuer von Anton und Rüdiger weiter. (Foto: (c) Fletch Bizzel)
Anton (Nikke Wächter) lenkt lieber ab und wartet auf Rüdiger (Dzaklin Radojčić), doch der hat wenig Zeit für seinen Freund. Er ist selbst unsterblich verliebt, denn in der Vampirfamilie derer von Schlotterstein gibt es Besuch: Olga von Seifenschwein (Joy Meier), ein hübsches und mit allen Wassern gewaschenes Vampirmädchen, ist samt Sarg in die Gruft gezogen. Wobei man das mit dem Wasser nicht wörtlich nehmen kann – Vampire waschen sich nicht, sie verströmen einen Mufti-eleganti-Parfüm-Müffelgeruch aus, den Antons Mutter sehr seltsam findet. Am liebsten würde sie ihrem Sohn die Freundschaft ausreden, aber da ist sie bei Anton falsch.
Obwohl es diesmal durchaus schwierig wird für alle Beteiligten. Liebe und Eifersucht sorgen für jede Menge Missverständnisse und Zankereien und Action auf der Bühne – wieder musikalisch live untermalt von Dixon Ra.
Apropos Musik: Es wird auch gesungen und getanzt in diesem Teil. Sehr schön performt vom Ensemble der Kulturbrigaden, zu dem neben den bereits Erwähnten auch Robin Galik gehört sowie diesmal mit kleineren Auftritten Christiane Wilke als Mutter von Anton und Vampirtante Dorothee sowie Rada Radojčić als Vampirbruder Lumpi – und vor allem als der ewige Feind Friedhofswärter Geiermeier, der den einzigen vampirfreien Friedhof Europas anstrebt. Den einzigen? Wie viele Vampire gibt es da draußen?
Auf der Bühne, die mit wenigen wandelbaren Elementen Antons Zimmer, Esszimmer der Familie Bohnsack als auch die Gruft derer von Schlotterstein darstellt, jede Menge. Und sie fühlen sich vampirwohl in Antons Wohnung, die sie zur Partyzone umfunktionieren. Ja, Party feiern die Vampire auch. Sie haben sich dazu, selbstbewusst wie immer, selbst eingeladen. Und sie fletschen durchaus ihre Zähne, beißen aber zum Glück nicht.
Ein bisschen Grusel steckt den Kleineren diesmal in den Knochen, man spürt es. Die Zähne klappern zwar nicht, aber mit verliebten Vampiren ist nicht so gut Kirschen essen. Vor allem, als dann noch kurz ein Blutstropfen bei dem offenbar anziehend riechenden Anton fließt.
Also: herrlich gefährlich im Theater. Als Publikum warm einpacken und Zähne fletschen üben – falls mal ein Vampir vorbeikommt…
Am Ende gibt es langanhaltenden Applaus und wieder eine Fotosession mit den Heldinnen in ihren wunderschönen Kostümen.
Im Herbst besteht die Gelegenheit, beide Teile zu sehen – und wer weiß? Es raunt über den Friedhof, dass es noch weitergeht mit Rüdiger, Anton, Anna und Verwandtschaft. Theaterchefin Rada Radojčić ist jedenfalls eingefleischter Fan und hat sogar persönlichen Kontakt zur Autorin.
Ballettgala als großes Fest der Vielfalt des Tanzes
Es ist kaum zu glauben: Schon zum vierzigsten Mal hatte eine treue Fangemeinde wieder Gelegenheit, ein großes Tanzfest mit dem heimischen Ballett Dortmund, dem NRW Juniorballett sowie internationalen Gaststars zu erleben. Traditionsgemäß führte Kammersänger Hannes Brock humorvoll durch den Abend. Soweit es möglich war, ließen es sich die Dortmunder Philharmoniker unter der empathischen Leitung von Koji Ishizaka nicht nehmen, das Geschehen live musikalisch zu begleiten.
Die Internationale Ballettgala XXXX am 05./06.07.2025 im Dortmunder Opernhaus war jedoch nicht nur wegen ihres breiten Spektrums – von klassischem über modernes, zeitgenössisches bis hin zu zukunftsweisendem analog-digitalem Ballett – etwas Besonderes.
Nach 21 Jahren geht mit dieser feierlichen Gala die Ära von Ballettintendant Xin Peng Wang zu Ende. Als Würdigung seines weit über die Stadt hinausgehenden Wirkens standen an diesem Abend viele seiner Choreografien – frisch dargeboten – auf dem Programm.
Tänzer*innen des Ballett Dortmund und des NRW Juniorballetts zeigten ihr Können bei Ausschnitten aus Tschaikowsky (3. Satz, 6. Sinfonie), Tango, Zauberberg (stark am Soloklavier: Tatiana Prushinskaya, Solo-Violine: Shinkyung Kim), Die Göttliche Komödie (Purgatorio) oder – als Abschluss – Faust I – Gewissen!. Die Schwanensee-Elegie unter Xin Peng Wangs Choreografie wurde eindrucksvoll von Mayara Magri und Matthew Ball (The Royal Ballet London) interpretiert.
Dank an Xin Peng Wang für 21 Jahre großartige Arbeit für das Dortmunder Ballett. (Foto: (c) Leszek Januszewski)
Mayara Magri überzeugte zudem bei Five Brahms Waltzes in the Manner of Isadora Duncan, live am Klavier begleitet von Tatiana Prushinskaya.
Freunde des klassischen Balletts kamen bei Le Corsaire (Choreografie: Marius Petipa) mit den technisch brillanten Katja Khaniukova und Daniel McCormick (English National Ballet) sowie – nach der Pause – bei einem Ausschnitt aus Don Quixote (Anna Tsygankowa und Giorgi Potskhishvili, Dutch National Ballet) voll auf ihre Kosten.
Als besonderer Gast mit ganz eigenen, fantasievollen und ausdrucksstarken Bewegungen überraschte der afro-italienische Tänzer und Choreograf Nnamdi Nwagwu mit seinen Kreationen TITO und SIR.EMOTIONAL, jeweils mit passender Musik.
Ein Höhepunkt nach der Pause war die Uraufführung des atemberaubenden Fractal Memory des aufstrebenden Choreografen Julian Nicosia.
Dieses analog-digitale Ballett entstand im Zusammenwirken des Ballett Dortmund mit einer Videoinstallation von Dr. Marcus Doering und Lars Scheibner. Man darf gespannt sein, was uns in Zukunft noch erwartet.
Die beiden Videokünstler erhielten im Rahmen der Gala den mit 20.000 Euro dotierten Prof.-Balzert-Ballettpreis für analog-digitale Ballettchoreografie 2025 – persönlich überreicht von Prof. Dr. Heide und Dr. Helmut Balzert.
Nach über zwanzig Jahren geht nun ein großer Abschnitt der Ballettgeschichte unserer Stadt zu Ende. Dank an Xin Peng Wang – und seien wir offen für das, was nun folgt. Die Tradition der Ballettgala soll wohl fortgeführt werden.
Als partizipatives Projekt des hiesigen Balletts entwickelte das JugendTanzTheaterBallett Dortmund unter der Regie des Choreografen Justo Moret sein Projekt „Lamentos“ für das Jahr 2025. Am 02.07.2025 war Premiere im Opernhaus unserer Stadt.
Der Titel Lamentos bezieht sich auf „lamentieren“ bzw. „wehklagen“.
Die größere Gruppe junger Menschen (ab 16 Jahren) setzte sich durch ausdrucksstarken Tanz, Gestik und Mimik mit Fragen nach Möglichkeiten des friedlichen menschlichen Zusammenlebens sowie dem Begriff Glauben auseinander. Was ist das Verbindende? Wo und wie finden Menschen über diesen Begriff zueinander?
Dabei ging es auch darum, wie sehr Herkunft oder Glaube uns prägen und in unserer „Blase“ gefangen halten können. Können wir es schaffen, im anderen einen Spiegel unseres Selbst zu erkennen?
Dies vermittelten die Beteiligten auf der Bühne in sieben Bildern eindrucksvoll und empathisch: Widerstand, Ängste, Gefühle der Bedrohung und die verzweifelte Suche nach Menschlichkeit und Verbindung.
Leider gab es kein Bildmaterial von der Produktion „Lamento“, daher musste die KI sich etwas überlegen.
Der Beginn erinnerte an aktuelle Konflikte (etwa im Nahen Osten). Menschen laufen verängstigt vor der drohenden Bombengefahr durch überfliegende Flugzeuge umher.
Der starke, moderne Ausdruckstanz wurde atmosphärisch durch Musik oder passende Geräusche begleitet. Eine unterstützend und verstärkend eingesetzte Projektionsfläche im Hintergrund sowie Tücher, die effektvoll auf den Boden geschlagen wurden, rundeten das einstündige Gesamterlebnis ab.
Da es kein spezielles Programmheft zu „Lamentos“ gab, konnte das Publikum dem Geschehen besonders frei mit eigenen Assoziationen begegnen und den Abend auf sich wirken lassen.
Wenn es Nacht wird im Theater … Der kleine Vampir im Theater Fletch Bizzel
Der Theatersaal ist dunkel. Sehr dunkel. Auf der Bühne ein Bett umrahmt von schwarzroter Dekoration. Auch im Publikum findet sich viel schwarz und rot. Besonders einige Jüngere sehen aus wie kleine Vampire. Ist da nicht ein Blutstropfen am Mundwinkel? Im Dunkel der Bühnennacht fühlen sich alle wohl, denn Vampire mögen bekanntlich kein Sonnenlicht. Vielleicht gruselt’s den einen oder die andere wohlig. Im Bett auf der Bühne liegt auch bereits eine Gestalt mit einem Buch in der Hand. Anton, der gegenüber der Mutter vorgibt, noch Mathe zu lernen, aber sich am liebsten in Dracula-Geschichten vertieft.
Das Fenster lässt er offen, die Nacht ist mild und Mutter ausgegangen. Da schleicht er auf einmal durch das Zimmer, angelockt von dem Duft von Menschenblut! Nein, nicht Dracula. Rüdiger. Immerhin schon stolze einhundertfünfzig Jahre alt. Und obwohl Anton so verführerisch für Rüdiger riecht, werden die beiden Freunde. Das bleibt der Mutter nicht lang verborgen, denn nicht nur, dass Anton (gespielt von Nikke Wächter) jetzt meist unausgeschlafen ist, müffelt es nach den Besuchen von Rüdiger auch gewaltig. Vermutlich hat er sich einhundertfünfzig Jahre nicht gewaschen. Sie hat Rüdiger zwar nicht gesehen, aber sie lädt den neuen Freund ihres Sohnes herzlich ein. Aber auch Rüdiger hat Familie, die Anton besuchen kann. Nicht ganz ungefährlich für ein Menschenkind. Und so gibt es auf der Bühne Versteck- und Verwirrspiele. Was bietet man Vampiren zu essen an? Wie schützt man einen Menschen vor dem Durst der alten Tante? Ganz herrlich überdreht Christiane Wilke in ihrer zweiten Rolle als kurzsichtige Tante.
Es wimmelt auf der Bühne von liebenswerten Charakteren: Aber richtig gruselig wird es durch einen Menschen! Geiermeier. Da erschrecken selbst die hartgesottenen Vampirfans im Publikum. Wenn Geiermeier (gespielt von der Theaterchefin und Regisseurin Rada Radojčić höchstpersönlich) auf der Jagd nach Vampiren ist, gefriert schon fast das Blut in den Adern des Publikums.
Das Ensemble vom „Kleinen Vampir“ (Foto: (c) Maretina Bracke)
Dazu trägt auch die musikalische Untermalung von Dixon Ra bei. Live und immer exakt auf die Bewegungen der DarstellerInnen auf der Bühne abgestimmt. Herrlich ihre Mimik, die hin und wieder eingefroren wird, und die das Publikum dann einen Augenblick länger genießen kann. Unterstützt von sorgfältiger Schminke und den liebevollen Kostümen von Anna Hörling verliebt man sich in die skurrilen Charaktere und hofft, dass alles gut ausgeht. Das Ensemble ist gemischt aus zwei professionellen Schauspielerinnen in Doppelrollen, Christiane Wilke als Mutter von Anton und Tante von Rüdiger, Rada Radojčić als Vampirjäger Geiermeier und als Bruder Lumpi. Und den Nachwuchsdarstellerinnen und Darstellern der Kulturbrigaden, die in nichts nachstehen. Präzise, gruselig, liebenswert.
Der lässige Rüdiger (Dzaklin Radojčić), die zahnlose und milchtrinkende Anna mit den großen Augen (Freya Erdmann), der arme Udo (Robin Galik), der herhalten muss, der Mutter etwas vorzuspielen, und der sich heroisch die Törtchen einverleibt, bis ihm übel wird. Selbst der Bühnenumbau auf offener Bühne (Bühnenbild: Klaudia Kappelmann) ein kleines Schauspiel. Zwei Vampire drehen Antons Bett und schon entsteht die Gruft, Tisch und Stühle aus dem Esszimmer verwandeln sich in Grabsteine und an der Wand sind die Särge zu sehen. Immer dabei ein junges Vampirmädchen, das im Stück gar nicht auftaucht. Welch selbstloser Einsatz! Ha, weit gefehlt. Nach einer Stunde Spielzeit gibt es einen Cliffhanger!
Die Geschichte von Anton und Rüdiger und Anna ist längst nicht zu Ende, schließlich gibt es auch rund zwanzig Bücher von Angela Sommer-Bodenburg über das Trio. Und im nächsten Teil geht es um Olga, Rüdigers neue Liebe! In einer kurzen Szene spielt das Ensemble dazu schon einmal einen kurzen Ausblick mit Joy Meier als Olga. Und macht Hunger auf mehr. Kein Blut, kein Törtchen, sondern Theater! Man kann beide Stücke (dramatisiert von Wolf-Dietrich Sprenger) auch einzeln anschauen, die Teile sind in sich abgeschlossen. Am liebsten würde Rada Radojčić eine ganze Serie inszenieren. Eine dritte Folge ist bereits angekündigt. Schöne Aussichten. Aber erst einmal genießt das Ensemble den Zuspruch des Publikums, darunter extra angereiste Mitlieder des offiziellen Kleinen-Vampir-Fanclubs. Und die kleinen und großen Fans die Gelegenheit zum Fotoshooting mit den Helden der Geschichte. Coole Fotos mit echten Vampiren in der nicht mehr ganz so düster-dunklen Kulisse auf der Bühne Und am liebsten mit den Grabsteinen. „Ich liebe die Anna“, seufzt ein kleines Mädchen.
Na, dann freue man sich auf den zweiten Teil, dessen Premiere für den 05. Juli geplant ist. Kinder ab acht, Eltern, Großeltern und junggebliebene Vampirfans. Wenn es dann wieder Nacht wird im Theater … Mehr unter www.fletch-bizzel.de Nächste Vorstellungen: Der kleine Vampir und die große Liebe. 05.07.2025, 19 Uhr, und 06.07., 15 Uhr dann wieder im Herbst
Was nach dem Tod passiert
Im Stück „Nach dem Ende“ von BKM Performance thematisierten die beiden Schauspielerinnen auf der Bühne des Theaters im Depot, was passiert, wenn jemand stirbt. Die Premiere fand am 12. Juni 2025 statt.
Das Theaterkollektiv BKM Performance existiert seit 2018 und steht für ortsspezifische, partizipative und innovative Projekte. Auch in diesem Stück rückten Malin Baßner und Sofie Ruffing ein Thema ins Zentrum, das oft verdrängt wird: den Tod. Doch bei „Nach dem Ende“ ging es nicht um die Seele oder eine mögliche Wiedergeburt, sondern ganz konkret um den Körper – um den toten Körper, die Leiche. Oder wie Malin Baßner bevorzugt sagt: „der Vorstorbene“. Um diesen ranken sich Mythen, falsche Vorstellungen und gesellschaftliche Tabus.
Zwischen Leichenwaschung und letzten Wünschen
Auf der Bühne standen drei grasbewachsene Hügel, die eine friedliche, fast symbolische Atmosphäre erzeugten. Die Performance selbst war reduziert, aber eindrücklich – und im Mittelteil besonders dokumentarisch, fast wie ein sachliches Lehrvideo.
Sofie Ruffing (links) und Malin Baßner zeigten, was mit dem Körper nach dem Tod passiert. (Foto: (c) BKM Performance)
Malin Baßner und Sofie Ruffing haben beide Erfahrung im Bestattungswesen; Malin Baßner arbeitet sogar heute noch in Teilzeit bei einem Bestattungsunternehmen. So war es nicht verwunderlich, dass im Mittelteil des Stücks plötzlich ein Sarg hereingerollt wurde und Sofie Ruffing darin Platz nahm. Zwei Zuschauer*innen wurden gebeten zu assistieren und halfen beim symbolischen Waschen und Ankleiden des Körpers. Dabei erklärte Malin Baßner ruhig und anschaulich, wie eine Versorgung Verstorbener abläuft – samt der kleinen Tricks, die dabei zur Anwendung kommen.
Danach erklärte Sofie Ruffing ebenso klar, welche Prozesse beim Verwesen eines Körpers ablaufen. Nicht ganz angenehme, wenn man darüber nachdenkt, aber es hat schon etwas, zur „Schnapspraline“ zu werden. Außen hart, innen flüssig.
Durch das Stück regten die beiden Schauspielerinnen das Publikum dazu an, sich bewusst mit der Frage auseinanderzusetzen, was nach dem eigenen Tod passiert – und wie der letzte Abschied gestaltet sein sollte.
Eigentlich ist das ein Thema, das eher in den dunklen November gehört – doch mit dieser Idee und Spielfreude schafften es Malin Baßner und Sofie Ruffing, dass auch im heißen Juni über den eigenen Tod nachgedacht werden konnte.
Nach dem Ende – und vor dem Nachdenken
„Nach dem Ende“ ist ein stilles, eindringliches Stück, das sich einem Thema widmet, das im Alltag oft verdrängt wird. Gerade deshalb ist es wichtig, dass es auch auf einer Dortmunder Bühne sichtbar wird – mit Respekt, Mut und einer Prise schwarzem Humor.
Was bleibt, wenn jemand geht? – Hinterlassenschaft – A House Full of Stuff
Early boarding – wer früher kommt, darf eher rein. Also zwanzig Minuten vor Beginn bereits auf Einlass warten, dann schnell hinein und mit dem Handtuch den besten Platz sichern. Nein, so ist es nicht gemeint. Obwohl … mit der Jacke lässt sich der Platz vielleicht doch schon mal sichern, bevor man die Bühne betritt. Dort gibt es dann etwas zu schauen und anzufassen. Notsopretty, die Gruppe, die heute Premiere feiert, konzentriert ihren Kram, ihren Stuff, in der rechten hinteren Ecke der Bühne. Regale, schräg angeschnittene Kommoden, ein Einhorn, Fotos, Papiere, Ordner, Vasen, eine Schallplatte von Tina Turner und vieles mehr. Das künftige Publikum nimmt die Gegenstände in Augenschein und verbindet mit einigen direkt eigene Erinnerungen. Auch mit dem Ensemble (Anna Júlia Amaral, Marcel Nascimento und Nina Weber) kann bereits gesprochen werden.
Bis zur Vorstellung ist es aber noch Zeit, der Platz durch die Jacke gesichert, also in Ruhe noch einmal an die Theke und mit Getränken versorgen. Dann startet der selbstständig tönende Lautsprecher mit seinem Intro zum Stück. Nach und nach bauen die drei Darstellerinnen und Darsteller ihre kleinen Welten auf der Bühne auf, tragen den Berg ihres „Stuffs“ ab, kleiden sich in Kostüme, z. B. Jacken, die zur Hälfte aus einem Faltenrock bestehen. Begleitet werden ihre Aktionen von Audiodeskriptionen, die teilweise über die Lautsprecher kommen, teilweise von den Handelnden selbst kommentiert werden. Das Stück will auch für blinde Gäste erlebbar sein, was dank der Beratung durch Adriani Botez gut funktioniert. Jede Person trägt zudem andere Schuhe, durch die sie sich bei ihren Gängen auf der Bühne akustisch unterscheiden.
notsopretty sind: (v.l.n.r.) Anna Júlia Amaral, Marcel Nascimento und Nina Weber. (Foto: (c) Martina Bracke)
In ihren neu aufgebauten kleinen Welten erzählen die Figuren ihre jeweils eigenen Geschichten, die im Laufe des Stücks immer wieder weiterentwickelt werden.
Die kleinen Dinge spielen zunächst eine Rolle, denn mit ihnen verknüpfen sich Erinnerungen, was ja schon beim Publikum beim Early Boarding sichtbar wurde, aber immer wieder kommt die Frage auf: „Reden wir über Geld?“
Hinterlassenschaft ist nicht nur sentimental. Hinterlassenschaft bedeutet erben, nicht nur die Nase wird geerbt, geerbt wird auch Geldvermögen oder keins. Wie viel Geld? Kann man das auch irgendwie messen? Eine große Rechnung wird aufgemacht: Wenn ein Euro einem Zentimeter entspricht, wie viele Kilometer sind dann eine Milliarde? Die Gruppe überschlägt es und kommt auf 10.000 Kilometer. Große Summen stehen im Raum und hier setzt Gesellschaftskritik an. Vermögens- und Erbschaftsteuer sind Thema. Später wird der Umgang mit Reichen und ihrem Erbe noch in einen Song verpackt, für den es Szenenapplaus gibt.
Dazwischen schwelgt man in Fotos, man blättert akustisch durch das Fotoalbum, und „Weißt du, wie dein Vater gelacht hat?“
Das Spiel mit den Requisiten gelingt dem Ensemble eindrucksvoll. Besonders schön der quasi „Rutsch in die Urne“ über eine der abgeschrägten Kommoden. Letztlich kann man nur erben, wenn jemand stirbt, dennoch kann des Öfteren im Stück gelacht werden. Man erfährt jede Menge übers Erben und Vererben, was vielleicht den Gang in die Verbraucherzentrale erspart und vielleicht nicht so ausführlich hätte sein müssen, aber im Leben kann es sich noch als nützlich erweisen. Das Publikum kann aber auch einfach einen gelungenen Theaterabend genießen.
Am Ende landet alles erst einmal im Keller, wie das so ist mit den vielen Hinterlassenschaften, von denen man sich noch nicht trennen kann. Auch die Kirschen im Weckglas von 1978. Die Bühne ist aufgeräumt, aber das Publikum kann nichts mehr anfassen, denn eine Plane schützt das Erbe vor zu großer Neugier. Also Jacke vom Stuhl nehmen und an der Theke noch ein Getränk genießen. Auf die Verstorbenen! Mögen sie in guter Erinnerung bleiben.
Notsopretty, ein seit 2019 bestehendes Performancekollektiv, macht am Ende auf die angekündigten Etatkürzungen seitens des Landes NRW für die Freie Theaterszene aufmerksam. Mehr Infos dazu z. B. ein offener Brief unter www.dott-netzwerk.de (Netzwerk Dortmunder Tanz- und Theaterszene).
Mit dem Stück tourt das Ensemble noch durch verschiedene Städte und kehrt hoffentlich nochmal zum Koproduzenten und Premierenort Theater im Depot in Dortmund zurück.
Drei graue Figuren schleichen auf der Bühne um einen Stuhlberg herum. Wie Schnecken tragen sie ihr Haus auf dem Rücken, terrassenförmige Wohn-Einheiten, die auf den ersten Blick wie eine schwere Last wirken, die sie aber andererseits ganz leicht, beinahe zärtlich vom Rücken lösen und nebeneinander stellen zu einer großen Einheit. Ein großes Haus steht vor uns, ein Betonklotz, könnte man sagen. Hunderte von Wohnungen unter einem Dach, sogenannter billiger Wohnraum, der vor allem in den siebziger Jahren in vielen Großstädten in den sozialen Brennpunkten hochgezogen wurde, nicht nur um die Wohnungsnot zu lindern, sondern auch um Menschen in der Hoffnung auf ein friedliches Miteinander zusammenzuführen. Ein sozialarchitektonisches Experiment mit zweifelhaftem Ausgang.
Die drei grauen Figuren geben diesem Klotz eine Stimme. Nach der gewaltfreien Aufbauphase treten sie dann doch noch den Stuhlberg um. Und schon in den ersten Minuten dieser bemerkenswerten und engagierten Inszenierung bekommen wir die beide Pole zu spüren, zwischen denen sich die Stimmung der Protagonisten bewegt: Zärtlichkeit und Wut. Ja, sie hassen und sie lieben ihn, ihren Betonklotz.
Jona Rauschs Debütstück „Betonklotz 2000“, welches für den Hans-Gratzer-Preis nominiert war, kam 2024 in Hannover zur Uraufführung und beschäftigt sich mit dem Leben und Wohnen in so einem Plattenbauareal, dem „Genickschutzviertel“, wie es an einer Stelle im Stück voller Ironie heißt. Aus der Sicht von vier jungen Leuten, die dort ihre Kindheit und Jugend verbringen, erzählt sie Geschichten, die sich nicht nur entlang der bekannten Themen wie Arbeitslosigkeit, Drogenkonsum, Migration und Kriminalität bewegen, sondern auch erzählen von Geborgenheit, Sehnsüchten und Wünschen, von einem Alltag zwischen Aufstiegshoffnung und Abstiegsangst, von Fluchtgedanken und heimatlicher Verbundenheit.
Das Dortmunder Jugendclub-Ensemble hat das Personal des Originals um einige Spieler:innen aufgestockt. Diese Vielstimmigkeit kommt der Darstellung zugute, denn so gelingt ein differenzierter, abgewogener Einblick in Lebenswirklichkeit jenseits gängiger Vorurteile.
Die Inszenierung verortet die Geschichte sinnvollerweise in der eigenen Stadt. Der Betonklotz auf der der Bühne erinnert unmissverständlich an den „Hannibal“ in der Dortmunder Nordstadt, die seit Jahren als sogenanntes Problemviertel gilt – zu Unrecht sagen viele. Denn dieser Betonklotz ist nicht nur kalter Stein für die jugendlichen Bewohner. Er atmet und sie nehmen seinen Rhythmus auf, er erzählt und sie können ihn verstehen, er hört auch zu, er verzeiht und er erzieht, wie es an einer Stelle so schön heißt, „nach dem Laisser-faire-Prinzip“ und lässt sie im Klotz möglicherweise eine Freiheit verspüren, die sie in der Welt draußen nicht haben, weil die ihnen stattdessen oft den Prekariatsstempel aufdrückt und sie die Ungerechtigkeit der sozialen Schere fühlen lässt. Dieser mißtrauischen Welt der Betonköpfe setzen die jungen „Problemkinder“ ihr solidarisches Miteinander entgegen und nehmen sich das Recht von konkreten Utopien zu träumen.
Besonders gelungen wird dieser Gedanke umgesetzt in einer Choreographie, die das Ensemble erarbeitet hat, die fast beginnt wie ein höfischer Tanz, dann aber mündet in ein befreites Tanzen, Momente, in denen man eintaucht in eine Sehnsuchtswelt, die allzu oft umzingelt ist von vielerlei Nöten und Ängsten. Überhaupt ist die Gemeinsamkeit des Zusammenspiels eine große Stärke des Abends.
Auch ganz persönliche Geschichten werden gestreift, vom Mädchen, die als einzige die Zulassung zum Gymnasium bekommt und argwöhnisch begutachtet wird, die es aber trotzdem schafft ein Einser-Abitur zu machen, um dann als Studentin auf der Uni mit durchaus gemischten Gefühlen zu bemerken, dass der Klotz noch in ihr steckt.
Von der Frau, die hoffnungsvoll eine Beziehung eingeht zu einem Mathematiker und Philosophen, der als Fremdkörper in der sozialen Architektur des Klotzes aber so seine Probleme bekommt. Vom Jungen, der noch nie in Wien war, dorthin aber den Ort seiner Sehnsucht projiziert. Oder vom Jungen mit dem „Borderline-Dingsda“.
Mit all diesen Lebensblitzlichtern leuchtet die Inszenierung die Spanne aus zwischen Abgrund und Sehnsucht, zwischen Hass und Liebe.
„Ich habe dich vermisst“, sagt eine irgendwann zum Klotz. Und das klingt wie ein Signal, eine Aufforderung, fast sogar ein Aufbruch. Am Ende legen sie die Maskerade ab, die bunten Klamotten, die was hermachen sollen, was sie nicht sein wollen im schillernden Outfit, mit denen sie sich getarnt haben. Unter den gefakten Markenartikeln tragen alle die gleichen T-Shirts. Jetzt kommt der graue gewöhnliche Mensch zum Vorschein in all seiner mutigen Ehrlichkeit, sie raufen sich zusammen, schmiegen sich aneinander, blicken nach vorn, demonstrieren ihr Miteinander und stellen sich solidarisch der Zukunft.
Mit diesem eher hoffnungsvollen, gelungenen Schlusspunkt endet die Inszenierung, die die neun Schauspieler vom Jugendclub mit viel Engagement und Leidenschaft auf die Bühne gebracht haben.
Tragischer Held im Zentrum der Götterdämmerung
Wenn sich die Oper selbst auf die Bühne hebt, wird der Mythos greifbar. In Richard Wagners Götterdämmerung – dem letzten Teil seines monumentalen Ring des Nibelungen – verschränkt Bühnenbildner Bert Neumann das Spiel mit einer Bühne auf der Bühne. Die Dortmunder Premiere fand am 18. Mai 2025 statt.
Nichts ist größer als die Natur. Der Raub des Rheingolds – das aus dem Rhein geborgene Gold – bringt das Gleichgewicht der Welt aus dem Lot. Die Entfremdung von der Natur zeigt sich in der unstillbaren Gier nach Macht und technischer Beherrschung. Doch die Natur ist mehr als Kulisse: Sie ist Richterin. Sie straft jene, die sie ausbeuten, und eröffnet am Ende die Möglichkeit eines Neubeginns. Auch Wotan, der oberste Gott, bleibt davon nicht verschont. Sein Speer, Symbol seiner Herrschaft, wird durch Siegfried zerbrochen, und mit ihm die in ihn eingeritzten Runen, die einst die Ordnung der Welt festschrieben. Obwohl Wotan in der Götterdämmerung selbst nicht erscheint, ist sein Sturz im vierten Teil vollzogen. Die Saat der Machtgier geht auf.
Konwitschnys Siegfried: Naiv, getrieben, tragisch
In Peter Konwitschnys Inszenierung liegt der Fokus ganz auf Siegfried (Daniel Frank). Der Regisseur rückt weniger den göttlichen Weltenbrand in den Mittelpunkt als das private Drama eines naiven Helden. Siegfrieds Weg vom liebenden Idealisten bis zum ahnungslosen Verräter zeigt eine Figur, die an ihrer Unschuld ebenso zugrunde geht wie an der Welt, die ihn formt. Der Gedächtnisverlust durch einen Zaubertrank und der Verrat an Brünnhilde stehen exemplarisch für einen moralischen Verfall, der am Ende alle betrifft, Menschen wie Götter.
Ein Bild aus frühreren, glücklichen Tagen. Brünnhilde (Stéphanie Müther ) udn Siegfried (Daniel Frank). (Foto: (c) Thomas M. Jauk)
Konwitschnys Siegfried ist kein übermenschlicher Held, sondern ein tragischer Irrläufer in einer verlogenen Welt. In einer Szene taucht er in einer Art Asterix-Kostüm auf, was zum Glück ein seltener Ausflug ins Alberne bleibt. Die Kostüme insgesamt sind zeitgenössisch und unprätentiös gehalten.
Brünnhilde ist der emotionale Kern des Abends. Der Verlust von Siegfrieds Liebe ist für sie mehr als eine Kränkung, es ist der Zusammenbruch ihrer Wirklichkeit. Stéphanie Müther bringt diese Brüche stimmlich wie darstellerisch eindrucksvoll zum Ausdruck. Ihre Brünnhilde vereint Wut, Trauer und letztlich Erlösungskraft in einer vielschichtigen Interpretation.
Auch die übrigen Rollen sind hervorragend besetzt: Barbara Senator überzeugt als naive, leicht lenkbare Gutrune; Samuel Youn gestaltet den manipulativ-kalten Hagen mit beeindruckender Präsenz, und Joachim Goltz gibt dem schwankenden König Gunther eine tragische Tiefe.
Die Dortmunder Philharmoniker unter Generalmusikdirektor Gabriel Feltz liefern ein klanglich detailreiches und dramatisch dichtes Fundament, das der Inszenierung Kraft und Tiefe verleiht.
Am Ende gab es einige vereinzelte Buhrufe für die Regie – doch der überwältigende Applaus für Sänger:innen, Orchester und Ensemble machte deutlich: Diese Götterdämmerung war keine Apokalypse, sondern eine durchdachte theatrale Reflexion – über Macht, Irrtum, Liebe und den letzten Klang der Welt.
Eine kulinarische Lesung – Erdbeereis und Kichererbsen
Essen und Literatur – zwei zentrale kulturelle Ausdrucksformen, die sich seit jeher gegenseitig würzen. In Romanen, Erzählungen oder Gedichten ist das Mahl mehr als bloße Nahrungsaufnahme: Es wird zur Bühne für Begegnungen, zur Metapher für Beziehungen, zum Symbol für Macht, Begehren oder Verlust – serviert zwischen den Zeilen, garniert mit Emotionen.
Von Marcel Prousts berühmter Madeleine, die ganze Erinnerungskaskaden auslöst, bis zu den liebevoll beschriebenen Nudelschüsseln und Whiskygläsern in Haruki Murakamis Romanen – literarisches Essen ist stets sinnstiftend und bedeutungstragend. Auch in der deutschsprachigen Literatur ist das Motiv weit verbreitet: In Thomas Manns Buddenbrooks spiegeln üppige Tafeln den gesellschaftlichen Status wider, während bei Siegfried Lenz oft das einfache Brot mehr sagt als viele Worte.
Am 17. Mai 2025 servierte das ensemble 17 – bestehend aus Christine Ates, Barbara Müller und Katharina Stillger – im Raum 17 ein literarisches Menü vom Frühstück bis zur Nachspeise. Die ausgesuchten Kurzgeschichten von unter anderem Doris Dörrie, Pablo Neruda, Donna Leon und Steven Paul wurden so wohlschmeckend vorgetragen, dass der literarische Appetit der Zuhörenden reichlich gestillt wurde.
Zwischen Müsli und Buchdeckel: Wenn Worte munden
Und dann war da noch das Erdbeereis mit Kichererbsen – zwei Zutaten, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen wie Öl und Wasser. Doch im tiefen Netz der Rezeptideen fand sich die raffinierte Verbindung: Veganes Erdbeereis mit „Aquafaba“, dem Sud gekochter Kichererbsen. Ein kulinarischer Aha-Moment – man lernt nie aus.
Katharina Stillger, Barbara Müller und Christine Ates präsentierten eine poetische Lesung über Essen. (Foto: (c) Ralf Rottmann)
Auch wenn mit einem Text über Currywurst bereits ein würziger Akzent gesetzt wurde – ein wenig mehr Pfeffer hätte dem Programm nicht geschadet. Ein Text von Wiglaf Droste vielleicht, scharfzüngig wie eine gut gewürzte Chorizo. Doch das ist Meckern auf Sterne-Niveau – der Abend war rundum gelungen.
Ates, Müller und Stillger kredenzten ein abwechslungsreiches Menü erzählerischer Leckerbissen – von literarischen Brotresten (die im Ruhrgebiet natürlich Knapp heißen) bis hin zu einer raffinierten spanischen Kichererbsensuppe, die mit Worten wie mit Safran verfeinert war.
Wer nun Appetit bekommen hat, kann sich am 5. und 6. Juli 2025 um 20 Uhr erneut im Mönchengang 9 einfinden – und selbst auf den Geschmack kommen.