Dortmunder Deklamationen – Dada in Dortmund lebt (noch)

Am 23. November 2023 fanden im Theater Fletch Bizzel die zweiten Dortmunder Deklamationen statt. Sie wurden organisiert und von der Dortmunder Dada-Gruppe DADADO. Es gab für die BesucherInnen Wort- und Musikbeiträge der besonderen Art.



Den Beginn machte das Mitch Heinrich Quartett dessen Performance ein wenig an Free Jazz erinnerte.
Hans-Ulrich Heuser war der erste, der mit seinen Wortbeiträgen an die große Dada-Kultur von vor 100 Jahren anknüpfte. Was kaum in Dortmund bekannt ist: auf dem Südwestfriedhof liegt mit Richard Hülsenbeck ein Mitbegründer des Dadaismus begraben.
Ellen Widmaier und Guido Schlösser kombinierten Text und Musik. Die Texte von Widmaier, beeinflusst durch konkrete Poesie, wurden durch die musikalische Begleitung von Schlösser interessant gestaltet.
Calvin Kleemann zeigte mit seinen Beitrag das auch Poetry Slam in Richtung Dada gehen kann.

Danach wurde das Publikum involviert, denn Christiane Köhne alias Adda veranstaltete ein Quiz zum Thema Dada. Es musste erraten werden, von welchem Dadaisten die vorgelesenen Zitate stammten. Selbst für die Experten war das Quiz schon eine harte Nuss.
Nach einem weiteren musikalischen Beitrag präsentierten Thomas Kade und Michael Heinrich wieder dadaistische Wortbeiträge, bis die Dortmunder Deklamationen nach einem weiteren Musikbeitrag feierlich durch Dieter Gawol alias A.Dièga beendet wurden.

Was auffällt: Wenn Dada in Dortmund eine Zukunft haben soll, muss an einer Verjüngungskur (Publikum und AkteurInnen) gearbeitet werden. Mit Calvin Kleemann ist DADADO sicherlich auf einem guten Weg, der aber weiter beschritten werden sollte.




Eine Geschichte von Mut und Fantasie

Im Schauspielhaus Dortmund konnte das Publikum (ab 6 Jahre) am 24.11.2023 die Uraufführung des KJT-Familienstücks „Die Abenteuer von Don Quijote und Sancho Panza“ nach Miguel de Cervantes unter der Regie von KJT-Intendanten Andreas Gruhn erleben. Fast das gesamte Ensemble des KJT war beteiligt.



Die Geschichte handelt vom kleinen Landadeligen Alonso Quijano „irgendwo“ in Mancha (Spanien), der schon viele Ritterromane gelesen hat und sich immer mehr in die Rolle eines fahrenden Ritters hineinsteigert. Er zieht mit einer rostigen Rüstung, einem alten Rappen, und seinem treuen (Schildknappen) Diener Sancho Panza aus, um gegen Ungerechtigkeit und für Freiheit zu kämpfen. 

Thomas Ehrlichmann (Sancho Panza) und Rainer Kleinespel (Don Quijote). Foto: (C) Birgit Hupfeld
Thomas Ehrlichmann (Sancho Panza) und Rainer Kleinespel (Don Quijote). Foto: (C) Birgit Hupfeld

Don Quijote ist jetzt sein Name, später erhält er den Zusatz „Ritter der traurigen Gestalt“. Freund*innen und Verwandte und der Pfarrer halten ihn für etwas verrückt. Man möchten ihn wieder nach Hause holen und von seinem „Wahn“ abbringen.

Der treue Diener Sancho Panza ist im Gegensatz zum (scheinbar furchtlosen)  idealistisch-fantasievollen Träumer Don Quijote ein kleinerer, immer hungriger, und praktisch denkender Mensch mit gesundem Menschenverstand.  

Beide erleben auf ihrer Reise viele Abenteuer. Kampf gegen Windmühlen („verzauberte Riesen“), Hilfe für eine von Don Quijote als seine „Herzensdame Dulcinea von Toboso“ gesehene Küchenmagd und einiges mehr. Das geht nicht ohne schmerzhafte Blessuren ab. Viele der Personen, denen sie begegnen, machen sich über den Ritter von der traurigen Gestalt lustig. Durch eine List wird versucht, ihn von seinem „Ritterwahn“ weg zu bringen und wieder nach Hause zu holen…

Das Ganze wird auf der Bühne lebendig aus der Sicht von Sancho Panza (Thomas Ehrlichmann) erzählt. Zusätzlich bot er auch kleine musikalische Beiträge. Mit viel Herzblut und Engagement versetzte sich Rainer Kleinespel in die Rolle des Don Quijote. Bianca Lammert sang unter anderem als die verehrte „Dulcinea“ berührend den Song „Cucurrucucu Palom“ (Lola Beltrán).

Alle beteiligten Darsteller*innen ging mit viel Spielfreude in die unterschiedlichen Charaktere auf.

Das Bühnenbild war passend mit einer aufklappbaren Front aus Bücherattrappen und einigen Büchern ausgestattet, die gegebenenfalls zu einem Berg mit zwei Seitenaufgängen umfunktioniert wurde.

Schöne Landschaftsprojektionen im Hintergrund und die dazu ausgewählte Musik von Michael Kessler sorgten für ein „Spanien-Feeling“.

Am Ende bleibt als kleines Credo: Der Einsatz für eine gerechtere Welt und Freiheit sollte auch gegen Unverständnis und Widerstände unbeirrt weitergeführt werden.

Ein Stück für die ganze Familie, wobei die Altersangabe (ab 6 Jahre) beachtet werden sollte. Kleineren Kindern fällt die Aufmerksamkeit bei der zeitlichen Länge des Stückes wohl etwas schwer. Infos zu weiteren Aufführungsterminen im Schauspielhaus erfahren Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/ 50 27 222.




Jenseits der Schwerkraft – Festival Beyond Gravity

Newton, Einstein und andere aufgepasst: Das Festival „Beyond Gravity“ bringt vom 17. bis zum 26. November 2023 die Schwerkraft durcheinander. Schon das erste Wochenende bot unglaubliche Erlebnisse in der Virtuellen Realität, vom Fahrstuhlfahren über Wüstenwind, der über die Haut streicht, bis hin zu modernem Tanztheater, bei dem der Zuschauer mittendrin ist.



Das Festival, das im Theater im Depot und in der Akademie für Theater und Digitalität stattfindet, zeigt auch eine Richtung, in der sich das Tanztheater hinbewegen kann: Eine Mischung zwischen VR und „echten“ Menschen.

Dabei sollte es aber nicht vergessen werden, dass dieser Weg auch einige Hürden hat: Die VR-Brillen, die bis jetzt zum Einsatz kamen, verursachen noch hohe Kosten. 50 Personen gleichzeitig in virtuelle Tanzräume zu schicken, wäre vermutlich unbezahlbar. Ein anderes Problem, das ich persönlich teile: 38,1 % aller Erwachsenen in Deutschland tragen eine Brille. Es muss daher auf diese nicht kleine Gruppe geachtet werden.

Kommen wir zum bisherigen Programm. Das erste, was ich am 17.11.23 besucht habe war „I AM (VR)“ von Susanne Kennedy und Markus Selg, die für diese Arbeit mit Rodrik Biersteker zusammengearbeitet haben. Das war unglaublich. Auf einem Fluss fahrend gelang ich in einen Raum mit vielen weiteren Kammern, von denen sich eine als Waldschlucht entpuppte, ein Fahrstuhl brachte mich nach oben und ich fuhr über eine Planetenoberfläche. Eine Wahnsinnsreise.

Der zweite Beitrag an diesen Abend war „Coded Rituals“, vom Cistifellea Collective (Dortmund) & Camila Scholtbach (Tänzerin). Ein Tanztheaterstück, das in zwei Teilen aufgebaut war. Der erste Teil spielte in einem hellen Kasten, der mit durchsichtiger Folie umspannt war. Im Innern befand sich die Tänzerin, die sich langsam aus ihrem Käfig befreite. Eine Analogie mit dem Verpuppen eines Insekts war zu erkennen. Im zweiten Teil tanzte Scholtbach nicht mehr alleine, sondern hatte virtuelle Begleitung, hier drehte es sich offenbar um Reproduktion.

“One Window is Enough” von Sara Escribano Maenza (Köln), Anna Schneider (Hamburg) & Lieve Vanderschaeve (Bonn) führte uns wieder teilweise in virtuelle Welten.

Die Choreografin Sara Escribano präsentiert in Zusammenarbeit mit der Tanzkünstlerin Anna Schneider und der Videokünstlerin Lieve Vanderschaeve eine Mischung aus Tanzperformance und digitaler Kunst.

In einem Spiel zwischen Körper und Technologie, bei dem der Körper eine Quelle und die Technologie ein Übersetzer/Mitgestalter der Choreografie ist, lassen sie Bewegung entstehen. Dabei entführten sie die BesucherInnen in eine Wüste und schafften es sogar mit Windmaschinen einen Sandsturm erlebbar zu machen. Der zweite Part ihres Programms fand wieder in der Realität statt, beide Tänzerinnen tanzten auf und mit einer Schaukel.

Am Samstag (18.11.23) stand mein erster Besuch in der Akademie für Theater und Digitalität auf dem Programm. „Das Totale Tanz Theater 360“ nimmt Ideen von Oskar Schlemmer aus den 1920er Jahren auf und bringt sie in die virtuelle Zukunft. Erschaffen von der Interactive Media Foundation und Filmtank, in Ko-Kreation mit Artificial Rome tauchen die Besucher mittels VR-Brille in einen gewaltigen, virtuellen Bühnenbau ein und durchlaufen mit einer von ihnen aktivierten Tanzmaschine eine tänzerische Choreographie über drei Ebenen. Dabei begleitet sie die Frage nach ihrer wirklichen Einflussmöglichkeit auf Raum und Maschine. Aus dem Ineinandergreifen von menschengemachter Choreographie, persönlicher Intervention sowie maschinellem Algorithmus ergeben sich dabei immer neue Formen der Bewegung und des Tanzes im Raum.

The Dead Code Must Be Alive!” von Brigitte Huezo brachte am Sonntag (19.11.23) wieder die Kombination zwischen realer Tänzerin auf der Bühne und zeitgliecher Animation auf drei Bildschirmen. Während sich ein Tänzer über die Bühne bewegt, entfaltet sich ein unendlicher virtueller Raum um einen Avatar, der seine Bewegungen widerspiegelt. Der physische und der virtuelle Körper sind untrennbar miteinander verbunden, aber nie ohne Reibung. Denn es ist nicht alles perfekt im Cyberspace.




Parodie um Ehe-Frust und patriarchalem Machtgehabe

In der Oper Dortmund feierte am 11.11.2023 „Orpheus in der Unterwelt“ von Jacques Offenbach (1819 – 1880) unter der Regie von Nikolaus Habjan seine Premiere.



Eingepackt in die mythologische Götterwelt schoss damals der deutsch-französischem Komponisten in dieser Opéra-bouffon zwei (Akte und vier Bilder, Libretto von Hector Crémieux und Ludovic Halévy) humorvoll gegen die französische Gesellschaft im Zweiten Kaiserreich (Napoleon III.).

Rinnat Moriah (Eurydike) und das Tanzensemble. Foto: (c) Björn Hickmann
Rinnat Moriah (Eurydike) und das Tanzensemble. Foto: (c) Björn Hickmann

Mit seiner neun Inszenierung übertrug Habjan die Geschichte mit kleinen subtilen Anspielungen auf den „Rosenkrieg“ zwischen Schauspieler Johnny Depp und Amber Heard. Der ursprüngliche komisch-humorvolle Charakter zwischen Erotik und Lächerlichkeit blieb erhalten.

Zur Story: Der seiner Frau Eurydike überdrüssige Orpheus ist hier nur ein Geigenlehrer. Beide können sich kaum noch ausstehen und betrügen sich gegenseitig. Trennen können sie sich wegen der „Öffentlichen Meinung“ nicht. Die ist streng und unerbittlich. Als es dem als Physiotherapeut getarnte Gott der Unterwelt Pluto gelingt, Eurydike in das Totenreich zu entführen, soll Orpheus im Olymp (mit seinen unzufriedenen Göttern und Göttinnen) von Herrscher Jupiter auf Geheiß der Öffentlichen Meinung seine Frau aus der Unterwelt zurückverlangen. Da zudem sowohl der lüsterne Jupiter selbst als auch Pluto Eurydike für sich haben wollen, wird es spannend. Eine List von Jupiter sorgt für eine Entscheidung…

Den modernen Erden-Vordergrund auf der Bühne bildete ein großes Schwimmbecken mit Liege zum Ausruhen. Die führte den Dirigenten Motonori Kobayashi direkt über eine Beckenleiter zur Dortmunder Philharmoniker. Diese sorgte für sensible musikalische Begleitung der Handlung.

Ein wunderbares Tanzensemble und der engagierte Opernchor Theater Dortmund sorgten für Stimmung beim Publikum und komische Momente.

Das große Aufgebot an starken Stimmen aus dem Dortmunder Opernensemble plus einem Geiger (Nemanja Belej) hatte ausgiebig Gelegenheit, seine komische Seite auszuleben.

Für besonderen Spaß sorgten neben den Scharmützeln zwischen Zachary Wilson (Orpheus) und Eurydike (Rinnat Moriah) die Zusammenkünfte von Morgan Moody (Jupiter) und Fritz Steinbrecher (Pluto). Die Göttinnen und die „Öffentliche Meinung“ (Maria Hiefinger) zeigten, unterstützt von Pluto, gehörige Frauenpower. Da bekam der „alte Jupiter“ schon mal zu hören, dass ein Seitensprung nicht automatisch jung macht.

Ein großes Kompliment gebührt Denise Heschl für die witzig-passende Kostümwahl und für die großartige Tanz-Choreografie von Adriana Naldoni.

Natürlich war der Höllen-Cancan ein Höhepunkt.

Die Inszenierung überzeugte zudem durch gutes Timing und überraschenden lustigen Einfällen, die Darstellenden auch mit ihrem Mimik Spiel.

Eine gelungene Aufführung, die mit feiner Satire und Humor das Publikum zum Lachen zu bringen.

Infos zu weiteren Aufführungsterminen erhalten Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/ 50 27 222.




Was wollen und brauchen wir wirklich?

Im Dortmunder Schauspielhaus hatte die Inszenierung von Paul Spittler nach William Shakespeares Komödie „Was ihr wollt“ am 14.11.2023 seine Premiere.



Dieses Spiel um das hartnäckige und  Werben des selbstverliebten Herzog Orsino von Illyrien um die Liebe der Gräfin Olivia, eines getrennten Zwillingspaare, Geschlechterrollenwechsel, Machtausübung, Täuschungen und scheinbar unmöglichen Beziehungen bietet viel Stoff für unsere heutige Zeit.

Was ihr wollt: Sarah Quarshie, Linda Elsner, Viet Anh Alexander Tran, Raphael Westermeier und Antje Prust. (Foto: (c) Birgit Hupfeld)
Was ihr wollt: Sarah Quarshie, Linda Elsner, Viet Anh Alexander Tran, Raphael Westermeier und Antje Prust. (Foto: (c) Birgit Hupfeld)

Der Regisseur versucht die Verbindung zum 21. Jahrhundert vor allem durch die spezielle Rolle des Narren (Antje Prust), der hier keine nur von außen erklärend-kommentiere Funktion hat. Der Narr ist mitten drin in einer bunten karnevalesken Spaßgesellschafft. Diese möchte generell eigentlich nicht nachdenken außer über Rausch, Flirten, einem zotigen Gag, die persönliche Beförderung, oder einer kleinen Intrige etwa gegen den herablassenden Haushofmeister Malvolio.

Der Herzog Orsino (Raphael Westermeier) und die (um ihren verstorbenen Bruder trauernde) Gräfin Olivia leben selbstgefällig mit Macht oder Reichtum im Hintergrund. Leider nutzt ihnen das in vermeintlichen Liebesdingen wenig. Der arrogante Haushofmeister Malvolio (Ekkehard Freye) im Dienst der Gräfin sieht auf die anderen Bewohner, wie die lustige Zofe Maria (Sarah Quarshie) oder ständig betrunkenen Onkel Toby Rülps (Nika Mišković). Der etwas tumbe, für die Gräfin schwärmende Ritter Sir Andrew Leichenwang (Adi Hrustemović) wird gerne für ihre Intrige gegen den Malvolio einspannen.

Die schiffsbrüchige Viola (gerettet von einem Kapitän), von ihrem Zwillingsbruder Sebastian getrennt, dient verkleidet als Cesario dem Herzog und verliebt sich in ihn. Währenddessen wird der Zwillingsbruder von dem unglücklich in ihn verliebten Antonio (Alexander Darkhoff, auch als Kapitän) gerettet. Die Doppelrolle Viola/Sebastian wurde von Ensemble-Neuzugang Viet Anh Alexander Tran verkörpert. Narr Feste versucht verzweifelt (und vergeblich) in dem Chaos auf das Wesentliche hinzuweisen. Alle suchen doch hinter ihrer Maskerade nach Zugehörigkeit, Wertschätzung, Respekt, Soziale Gerechtigkeit, Freiheit, egal welches Geschlecht oder sexuellen Orientierung, gläubig oder nicht gläubig, und der „wahren Liebe“. Keiner will richtig zuhören. Ablenken ist angesagt.

Bei den heutigen Krisen und Problemen, Klimawandel, Flüchtlingsproblematik, Kriege, soziale Ungerechtigkeit, Armut und Wohnungsnot, Hungersnöte in der Welt, Umweltkatastrophen, Vereinsamung usw. geht es vielen Menschen ähnlich. Aber das ist keine Lösung für die Probleme.

Die frisch-frechen und neuen Texte für den Narren von Laura Naumann brachten einen besonderen Bezug zur Jetzt-Zeit mit einem kritisch-ironischen Blick auf Geschlechterrollen, Machtstrukturen und Spaßgesellschaft.

Optisch, vielleicht ein wenig dick aufgetragen, zog die Inszenierung alle Register. Abgefahrene Kostüme, Männer in Frauenkleidung und umgekehrt. Über alle Geschlechtergrenzen hinweg tobten sich die Schauspieler*innen mit viel Spielfreude auf der Bühne aus. Eine schwierige Balance zwischen Klamauk und ernsthaften Hintergrund.

Häufiger Wechsel des Bühnenbildes (Drehbühne), Video-Einspielung oder witzige Song oder Tanz-Passagen wurden geschickt eingesetzt.

Wer sich selber ein Urteil bilden möchte: Infos zu weiteren Aufführungsterminen finden Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder 0231/55 27 222




Festival-Abschluss mit trashiger Theater-Performance

Das Festival der Freien Tanz- und Theaterszene Dortmunds „Szene machen“.dott endete am Sonntag, den 29.10.2023 mit der Theater-Stückentwicklung unter dem Titel „We ate that up“ (Texte: Juli Mahid Carly & Sar Adina Scheer) im hiesigen Fletch Bizzel.



Sar Adina Scheer ist sicher schon einigen als neue Schauspieler*in des Dortmunder Kinder und Jugendtheaters ein Begriff (zuletzt etwa bei Supertrumpf).

Die beiden Darstellenden präsentieren hier in der Rolle von zwei pubertierenden vierzehnjährigen Tessa (Sar Adina Scheer) und Shamini einem „Testpublikum“ ihr Programm für die Olympischen Sommerspiele der Performancekunst in Addis Abeba.

Da sie, wie durch viele Medien vermittelt denken, ein „normschöner, perfekter Körper“ würde ihnen mehr Empathie und Erfolg bei den Zuschauenden bescheren. Wie weit gehen die jungen Menschen, um ihren Körper vermeintlichen Schönheits-Idealen anzugleichen? Welche Rolle spielen Formate wie „Germanys next Topmodell“ oder Werbung. Es gibt ja immer was am Körper zu verbessern. Im Augenblick wird mit einer sogenannte „Abnehm-Spritze“ (eigentlich für Diabetiker entwickelt) in den sozialen Medien geworben, die gefährliche Folgen für Menschen, die sie einnehmen, haben kann.

In ihrer Performance arbeiten sich Tessa und Shamani nicht nur an ihren Performance-Ikonen rund um Erika Fischer-Lichte, Marina Abramovic und Yoko Ono ab, sondern auch an der Mutter oder Mario Barth (besonders witzige Parodie) ab.

Das Ganze wird mit viel Witz, Ironie (Selbstironie), diversen Maskierungen, Perücken und Kostümwechseln und ganz viel Spielfreude zelebriert.

Bilder, Musiksongs, Tanz, unterschiedlichste Objekte sowie Videoschaltungen wurden effektvoll eingesetzt. Mit Geschlechtern und Geschlechterrollen spielte die Stückentwicklung selbstverständlich wie so nebenbei. Da konnte das Publikum Frauen von Männern, Männer von Frauen oder mit ihrem von Geburt an gegebenem Geschlecht in eingespielten Statements sprechen hören.

Nur mit einer große Schmerzperformance sehen Tessa und Shamini am Ende eine Möglichkeit, auch mit ihrem Körper Identifikationsfläche für die Zuschauer*innen sein zu können.

Es werden verschiedene Metaebenen vermischt, und so komplexe Themen wie Klassismus oder Gewalt der Sprache verhandelt.

Das Festivalende zeigte die Lebendigkeit der darstellenden Künste. Ein wenig schade war, dass es manchmal schwierig war, den schnellen Wortgefechten akustisch genau folgen zu können. Vielleicht ist das ja ein Problem des Alters?




ghostlike – Die Geister, die ich rief

Geister spuken selten mit Bettlaken durch die Räume, öffnen Schubladen oder treiben anderen Schabernack. Echte Geister verfolgen jemanden, weil es ungelöste Konflikte gibt, die in der Vergangenheit ihren Ursprung haben. Manchmal werden wir selbst zu Geistern.



Damit beschäftigte sich das Stück „ghostlike“ von Serna Pau, das am 20. Oktober 2023 im Rahmen des Festivals „szene machen!“ im Theater im Depot lief. Auf der Bühne waren Maren Becker, Yasmin Fahbod und Hannes Siebert.

„ghostlike“ ist eine Performance, die den Zuschauenden in die Zeit der Textadventures der 80er Jahre zurückführt. Die drei Performer:innen erzählen, was sie auf ihrer Erkundungstour durch eine spukende Villa erleben und brauchen dabei die Hilfe des Publikums. Denn jeder bekam eine Taschenlampe und konnte so helfen, die drei Hauptcharaktere durch ihr Abenteuer zu führen. Auch die Musik klang größtenteils nach C64, bis auf ein Disco-Hit und „Back for Good“ von „Take that“.

Welche Geister mussten bekämpft werden? Zunächst einmal die Geister der Vergangenheit. Denn der Sohn des Villabesitzers war homosexuell und der Vater ließ ihn und seine Freunde von der Polizei verhaften. Dann ging es um eine ehemalige Mitbewohnerin, die grußlos verschwand, aber offene Fragen hinterließ. Die dritte Person konnte selbst unsichtbar, also zum Geist werden, was durchaus Vorteile, aber auch Nachteile hatte.

Gekämpft wurde aber nicht. Es gab keine rundenbasierten Kämpfe oder ähnliches, aber es war ein erster Weg, Theater mit „Gamification“ zu verbinden. Natürlich kein „Baldur’s Gate 3“ in Theaterform, aber Sterna Pau hat ein spannendes Projekt vorgelegt und ich bin neugierig wie der Weg in Richtung Zuschauerinteraktion weitergeht.      




Schwanensee und der Kampf mit den inneren Dämonen

Xin Peng Wang (Intendant Ballett Dortmund) hat sich in seinem 20. Jubiläumsjahr zum dritten Mal an das komplexe und wohl bekannteste klassische Ballett Schwanensee von Peter Tschaikowsky (Musik) herangewagt und eine Neufassung 2023 kreiert.



Sein Konzept bietet einen neuen Blickwinkel auf das Handlungsgeschehen, übernimmt jedoch den zweiten und vierten Akt der tradierten Schwanensee-Choreografie.

Die Premiere fand am 21.10.2023 im Dortmunder Opernhaus statt.

Im Zentrum steht jetzt Siegfried, hier ein empfindsamer, nostalgischer aber wohlhabender Künstler. Er wird von dunklen Wahnvorstellungen (personifiziert von Rotbart), seinen Sehnsüchten und innerer Zerrissenheit geplagt. Sein Atelier ist voll von (teils unfertigen) Bildern von Seerosen und Schwänen.

Iana Salenko & Dinu Tamazlacaru. Foto: (c) Leszek Januszewski
Iana Salenko & Dinu Tamazlacaru. Foto: (c) Leszek Januszewski

Immer mehr steigert er sich in seine Halluzinationen hinein und flüchtet in seine Fantasiewelt „Schwanensee“. Odette ist hier nur ein Produkt seiner Sehnsüchte, Sinnbild für die Suche nach wahrer Liebe, Identität und Befreiung.

Odile (schwarzer Schwan), ebenfalls seiner Imagination entsprungen, verkörpert seine geheime dunkle Seite. und Fantasien. Die neue Version von Schwanensee bietet einen tiefen Einblick in die Seele und den Kampf mit der dunklen Seite Siegfrieds. Diese Ambivalenz und innere Konflikte bewegen ja auch heute viele Menschen und treiben sie zu fluchten in Phantasiewelten oder Drogen.

Die bewegende Musik Tschaikowskys, mal sanft melancholisch, dann wieder kraftvoll leidenschaftlich, wurde von der Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von GMD Gabriel Feltz mit viel Empathie live passgenau zur Handlung live gespielt.

Das große Aufgebot an Balletttänzer*innen, vom hiesigen Ballettensemble, Juniorballett NRW bis zu auswärtigen Gästen und Stipendiaten, bot klassischen Spitzentanz auf hohem Niveau.

Neben ihrem besonderen tänzerischen Können überzeugten Gastsolist Dino Tamazlacaru (Siegfried), Gastsolistin Iana Salenko (Odette/Odile), Simon Jones (Rotbart), Amanda Vieira (Siegfrieds Mutter), Márcio Barros Mota (Freund Benno) mit ihrer Darstellung der unterschiedlichen Charaktere und Emotionen.

Der Ballettabend ein vielschichtiges und emotional mitreißendes Tanzerlebnis, geschickt mit Projektionen und Spiegelungen verstärkt.

Die gelungene Mischung von traditionellem klassischem Ballett der Extraklasse und dynamischen neoklassischen Elementen und Ausdrucksformen und ein interessanter Blick der neuen Schwanensee-Version wurde vom Publikum mit viel Applaus begeistert gefeiert.

Infos zu weiteren Aufführungsterminen finden Sie wie immer unter www.theaterdo.de oder Tel.: 0231/50 27 222




Geierabend feiert „Pott, Land, Fluss“

Premiere des Dortmunder Alternativkarnevals direkt nach Weihnachten

Dortmund. Der Geierabend 2024 startet ungewöhnlich früh in seine anarchische Karnevalszeit. Bereits am 28. Dezember 2023 feiert das einzige Comedy/Kabarett-Ensemble des Ruhrgebiets die Premiere seines neuen Programms auf Zeche Zollern in Dortmund. Unter dem Titel „Pott, Land, Fluss“ buchstabiert man das Ruhrgebiet satirisch volkommen neu.



„Einmal im Jahr ist Ruhrgebiet“, formuliert Schauspielerin Sandra Schmitz selbstbewusst, „dann wird es bei uns auf Zeche turbulent.“ So schicken die Geier die von ihr gespielte, mehrfach Alleinerziehende Jessica Sch. auf Klassenfahrt ausgerechnet in den Kölner Dom. Die Experten von der Butterpause klagen: „Uns fragt ja keiner!“ Später am Abend fragen sich die Borussen von der Süd, ob es da nicht einen gewissen Samstag im Mai gegeben hat, möglicherweise. Im deutschen Kindergarten wird Abschied vom Pazifismus gefeiert mit früher Wehrertüchtigung und fröhlichem Friedenstaubenschießen.

Dazu wird die spielfreudige Band wieder Eigenes und gut Gecovertes mit satirischen Texten beisteuern. Diese stammen aus einem wachsenden, jungen Team. Zu den Schreibenden zählt Tobias Brodowy, sowas wie der „Chefsatiriker“ des WDR-Hörfunks, unlängst mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichnet.

Drei Stunden dauert die Reise durch „Pott, Land, Fluss“, die Pause kommt obendrauf. Insgesamt sind schon jetzt 30 Abende bis zum Veilchendienstag am 13. Februar 2024 im LWL-Industriemuseum geplant. „Der beste aller Orte für uns“, meint Steiger Martin Kaysh, der wieder durchs Programm führt, schräg und bissig, immer mit Blick auf die täglichen Schlagzeilen.

Tradition hat der vergebliche Versuch, 20 Kilo Stahlschrott an der Kette loszuwerden. Den Pannekopp-Orden wollen die Geier verleihen für „besondere“ Verdienste ums Ruhrgebiet. Seit 20 Jahren stimmt das Publikum über besonders peinliche Kandidaten ab. Ebenso lange wird der Preis am Veilchendienstag doch nicht abgeholt.

Zum liebevollen Drumherum gehört nicht nur die schönste Zeche der Welt mit ihrem wieder erstrahlten Fördergerüst und beeindruckender Lohnhalle. Die traditionelle Currywurst von Tante Amanda zählt ebenso dazu wie Tanz und Plausch mit den Bühnenakteuren nach der Vorstellung.

Neu sind zwei Ticketformen, die sich an Gruppen richten. Unter dem Motto „Lecker lachen“ erhält man als Bonus bei Buchung eines ganzen Tisches Stößchen und Currywurst kostenlos dazu. Bei der „Wilden Sechzehn“ zahlt man für einen 16-er Tisch nur den Preis von 14 Karten.

Mit dabei sind auch 2024 die Sponsoren und Unterstützer der Vorjahre. Stadt Dortmund, Kulturbetriebe sowie Sparkasse Dortmund, Brinkhoffs´s, DOGEWO21, LWL-Museum Zeche Zollern und dieses Jahr neu dabei Radio 91.2. Alle sind davon überzeugt, „dass der Geierabend wichtiger Teil der Stadt, ihrer Kultur und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner ist“, wie Hendrikje Spengler vom städtischen Kulturbüro formuliert.

Der Vorverkauf startet am 21. Oktober um 9:30 Uhr.

Tickets gibt es unter www.geierabend.de und in allen Vorverkaufsstellen von Ticketmaster.
In Dortmund empfiehlt der Geierabend „Ruhr Nachrichten Service Center“ an der Thier-Galerie, Silberstraße 21, Ticket-Hotline: 0231-905 90.

Geierabend 2024, Motto: „Pott, Land, Fluss“

Spielort: LWL-Industriemuseum Zeche Zollern II/IV, Grubenweg 5, 44388 Dortmund

Premiere: Donnerstag, 28. Dezember 2023




Doch lieber keine Prinzessin sein

„We’re not gonna take it”, übersetzt “Wir werden es nicht hinnehmen“, sangen „Twisted Sisters“ in den 80er Jahren. Ebenso will die Prinzessin (Wendy Krikken) und der Hauslehrer (Franz Schilling) ihre beengten Rollen nicht länger hinnehmen. Statt mit Hardrock wird bei „Prinzessin sein? Nein danke“ von Alexander Becker allerdings den Jüngsten (ab 4 Jahren) der Zauber der klassischen Oper nähergebracht. Ein Premierenbericht vom 10.Oktober 2023.



Tja, es ist nicht leicht, eine Prinzessin zu sein. Statt selbst zu entscheiden, was man möchte, muss frau auf die Hofetikette achten. Was getragen werden darf oder muss, bestimmt nicht sie. Dass alles funktioniert, darauf achtet ihr Hoflehrer, der aber bald feststellt, dass ihn sein Job anödet, da er eben die Etikette durchsetzen muss.

Wendy Krikken, Franz Schilling Foto: (c) Björn Hickmann 
Wendy Krikken, Franz Schilling Foto: (c) Björn Hickmann 

In der halben Stunde zoffen sich die beiden zunächst, um dann festzustellen, dass sie beide aus ihren Rollen ausbrechen wollen. Natürlich wird auch gesungen, beispielsweise aus der „Fledermaus“ mit „Mein Herr Marquis“, oder aus Mozarts „Hochzeit des Figaro“ „Will der Herr Graf ein Tänzchen wagen“. Für das Stück wurden die Texte passenderweise leicht umgeschrieben.

Ein vergnügliches Stück für Kinder, die damit ein wenig Spaß an der Oper bekommen.

Am 25. November 2023 ist das Stück um 15 Uhr erneut im Opernfoyer zu sehen. Für mobile Vorstellung kann man sich an das Team der Musiktheatervermittlung wenden unter jungeoper@theaterdo.de