Archiv der Kategorie: Literatur

Roman um Emanzipation, Mut, Schuld und politische Manipulation

In ihrer ersten Romanveröffentlichung „Wenn alle schweigen“ erzählt die in Dortmund beheimatete Autorin Cornelia Ertmer (Jahrgang 1953) mit schonungsloser Direktheit und viel Empathie die Geschichte dreier Frauen vor dem Hintergrund der Kaiserzeit, dem I. und II. Weltkrieg bis in Nachkriegszeit hinein.

Erna, Tochter Martha und Enkelin Clara sind jeweils unter den gegebenen Umständen auf der Suche nach Glück, Liebe und einem selbstbestimmten, eigenständigem Leben.

Familiengeschichte um Emanzipation durch die Jahrzehnte. (Cover © OCM Verlag)
Familiengeschichte um Emanzipation durch die Jahrzehnte. (Cover © OCM Verlag)

Während Erna als Frau eines Heuerlings im Münsterland in den engen und starren politischen wie religiösen Grenzen des ausgehenden 19. Jahrhunderts gefangen ist, versucht sich ihre vergewaltigte und ausgestoßene Tochter Martha sich so gut es geht dagegen zu wehren und findet Mitstreiterinnen in ihrem bestreben nach Eigenständigkeit.

Erst Ernas Enkelin Clara gelingt es, sich aus den Fesseln der traditionellen Geschlechterrolle und geltenden Konventionen zu befreien. Sie könnte ein glückliches Leben führen, wären da nicht die Schicksalsschläge, die ihr ihren Mann und ihre Tochter rauben. Ihre verstorbene Mutter hat das Geheimnis um ihren leiblichen Vater mit ins Grab genommen. Erst nach dem II. Weltkrieg gelingt es ihr , die Spurensuche nach dem Vater wieder aufzunehmen.

Das Schweigen aus Scham oder anderen Gründe spielt eine große Rolle in dem Roman. Die Autorin lässt ihre Leser*innen anhand wichtigen und prägenden Jahreszahlen für die für die Romanhandlung bedeutenden Personen teilhaben. Dabei wird das gesellschaftspolitische Leben zwischen 1895 bis in die Nachkriegsära unter Adenauer sichtbar und die Auswirkungen von gezielter Propaganda und Krieg vor Augen geführt. Die zunehmende Entmenschlichung und persönliche Kampf dagegen wird in den Textzeilen spürbar.

Cornelia Ertmers Roman ist ein Plädoyer gegen stumpfes schwarz-weiß denken und eine Aufforderung, mutig seinen kritischen Verstand zu gebrauchen. Auch heutzutage müssen Frauen immer noch um gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Ausbeutung und einiges mehr kämpfen.

Die Stammbäume der beiden Familien, die für den Romans von Bedeutung sind, wurden am Anfang und Ende im Deckblatt zum besseren Verständnis der Zusammenhänge aufgezeichnet.

Keine leichte, heitere Lektüre, aber ein interessantes geschichtliche Zeitdokument, dass uns auch für unsere heutige Zeit einiges zu sagen hat.

Cornelia Ertmer
Wenn alle schweigen
OCM Verlag, ISBN 978-3-949902-01-7, 286 Seiten

Auch als E-Book erhältlich.

Krimi um Brückensprünge im Dortmunder Umfeld

Heinrich Peuckmann, Jahrgang 1940 und wohnhaft in Kamen, langjähriges Mitglied in der Krimiautorenvereinigung „Das Syndikat“ sowie im PEN, hat unter dem Titel „Sprung von der Brücke“ einen neuen Kriminalroman um den inzwischen aus dem Dienst ausgeschiedenen Dortmunder Kommissar Bernhard Völkel herausgebracht.

Der Protagonist mit sympathischen kleinen Schwächen und einen liebevollen Blick auf „sein Dortmund“ wird wieder einmal in einen mysteriösen Fall hineingezogen.

Heinrich Peuckmann, Sprung von der Brücke, Lychatz Verlag, ISBN: 978-3-9481 43-06-0, 9,95 €
Heinrich Peuckmann, Sprung von der Brücke, Lychatz Verlag, ISBN: 978-3-9481 43-06-0, 9,95 €

Ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde ist von einer Brücke auf die Gleise vor einen Zug gesprungen. War es wirklich Selbstmord? Seine Familie glaubt das nicht. Nach und nach kommen auch Völkel immer mehr Zweifel an dieser Theorie. Im Laufe der Ermittlungen und weiteren „Brückensprüngen“ kommt die ganze Tragweite des dramatischen und tragischen Hintergrunds ans Licht…

Der Krimi lässt sich leicht und flüssig lesen und hat einen guten Spannungsbogen auf zwei Erzählebenen. Erst gegen Ende löst sich der Plot für die Leserinnen und Leser mit seiner Dimension und Reichweite in die Vergangenheit vollständig auf. Ein Drama um Rache, Schuldgefühle, Feigheit, Verantwortung, Verdrängung und Ängste.

Der Roman offenbart menschliche Schwächen und regt zum Nachdenken über unser persönliches Verhalten in Situationen an, die Eigenverantwortung und Courage verlangen.

Eine spannende Lektüre, passend für die Urlaubszeit.

Heinrich Peuckmann, Sprung von der Brücke

ISBN: 978-3-9481 43-06-0

Kriminalroman. (2021)

Lychatz Verlag 9,95 Euro (D) Seiten: 222

Neuer Stadtbeschreiber Elias Hirschl vorgestellt

Der neue Stadtbeschreiber für Dortmund, Elias Hirschl, hat seit Anfang Mai sein Quartier im Kreuzviertel bezogen. Für sechs Monate wird der sympathische Wiener in Dortmund arbeiten und einen speziellen Blick auf Dortmund werfen. Der 28-jährige ist den Kennern des Poetry Slams schon durch einige Auftritte in Dortmund und Bochum bekannt und in NRW gut vernetzt.

Für das halbe Jahr hat er sich einiges vorgenommen. Neben der Wortkunst als Slammer möchte er Musiktexte schreiben, Essays und Artikel verfassen. Sein Hauptaugenmerk legt er auf einen neuen Roman, der hier entstehen soll. Den Inhalt skizziert er als einen Text über eine neue Arbeitswelt, gekennzeichnet durch prekäre Arbeit oder eine neue Form von Fließbandarbeit, z. B. die der Clickworker. Das Thema Entfremdung der Arbeit und undurchsichtige Strukturen soll ebenfalls mit einfließen. Für die Handlung stellt er sich einen fiktionalen Ort vor. Hirschl orientiert sich an der Transformationsleistung des Ruhrgebiets. „Das Ruhrgebiet ist zerfleddert in einzelne Städte, vieles, was früher das Stadtleben bestimmt hat, ist weg. Neues entsteht. Es gibt hier eine aktive Start up Szene.“ Seine Recherchen werden sich auch mit der Bergbau- und Stahlgeschichte der Stadt befassen.

Dortmunds 3. Stadtschreiber, Elias Hirschl, stellt sich vor. (Foto: © Anja Cord)
Dortmunds 3. Stadtschreiber, Elias Hirschl, stellt sich vor. (Foto: © Anja Cord)

Kulturdezernent Jörg Stüdemann bezeichnet Elias Hirschl als wichtigen Autor. „Mit seinem Buch „Salonfähig“ habe er die österreichische Gesellschaft aufgemischt. Seine Bewerbung für das Stipendium zeigte seine Affinität zum Poetry Slam, das Interesse am Strukturwandel und seine Liebe zur Musik“. Zusammen mit dem Rapper Selbstlaut bildet Hirschl das Musikduo „Ein Gespenst“.

An Dortmund gefällt ihm besonders, dass in fast jeder Straße Bäume stehen, das kennt er aus seiner Heimatstadt nicht. Die U-Bahn bezeichnet er als „niedlich“. Da ist er aus Wien andere Dimensionen gewohnt. Insgesamt fühlt er sich hier schon sehr wohl und stellt die Überlegung an, gleich ganz hier zu bleiben.

Elias Hirschl plant, den Aufenthalt in Dortmund auch für Lesungen und Poetry Slam-Auftritte zu nutzen. Kennenlernen kann man Elias Hirschl zum Beispiel am 27. Mai beim Stadtfest DortBunt, wo er sich um 15 Uhr auf der Bühne am Deutschen Fußballmuseum vorstellt. Außerdem wird er regelmäßig an einem Blog schreiben (www.literaturhaus-dortmund.de/blog)
Er erhält ein monatliches Honorar von 1800 Euro.
Das Stadtbeschreiber-Stipendium wird seit 2020 jährlich vergeben und setzt sich inhaltlich mit Transformationsprozessen in Dortmund auseinander. In der Zeit des Stipendiums arbeitet der/die Stipendiat*in eng mit dem Kulturbüro, dem Literaturhaus Dortmund und weiteren Institutionen der regionalen Literaturszene zusammen, bringt sich in die Stadtgesellschaft ein und vernetzt sich mit lokalen Literaturakteur*innen.

Nicht scheint, wie es ist in der perfekten Welt

Die Handlung des neuen Kriminalromans von Joner Storesang (1969 in Essen geboren und vom Ruhrgebiet geprägt) ist in Duisburg angesiedelt und hat den interessanten Titel „Perfect World. Nichts scheint, wie es ist“. In diesem Krimi wird die aktuell zunehmenden mafiösen Unterwanderung in unserer Gesellschaft thematisiert.

Eva Bellheim, die Protagonistin und Ich-Erzählerin der Kriminalgeschichte ist die taffe Image-Beraterin des Bürgermeisters. Das Leben mit ihrem Mann Daniel, einem Versicherungsvertreter, und den beiden wohlgeratenen Kindern verlief bisher in geregelten Bahnen. Plötzlich wird ihr Leben von einem auf den anderen Tag aus den Fugen. Ihr Mann verschwindet ganz überraschend.

Joner Storesang: Perfect World. Nichts scheint, wie es ist. (Cover: © grafit Verlag)

Joner Storesang: Perfect World. Nichts scheint, wie es ist. (Cover: © grafit Verlag)

An eine von der Polizei vermutete Geliebte glaubt Eva nicht recht. Auf ihrer Suche nach der Wahrheit findet sie heraus, dass Daniel ein gefährliches Doppelleben führt und in korrupte Machenschaft eines russischen Mafiaclans verstrickt ist. Es gibt sogar noch ein großes Geheimnis.

In einer Welt voll Gewalt, Betrug, Korruption und Verrat zählt ein Menschenleben nicht viel – auch nicht das von Eva und ihren Kindern…

In dieser rasanten Geschichte nimmt uns die Protagonistin mit und lässt die Leserinnen und Leser ganz nah in das dramatische Geschehen eintauchen. Es ist schon erstaunlich, wie ein „männlicher Autor“ sich so stark in eine Frau hineinversetzten kann.

Dazu bietet er auch Verfolgungsjagden, Entführungen, Intrige, starke Frauen und viele überraschende Wendungen. Das ganze spannend und gleichzeitig mit Sensibilität und Feingefühl geschrieben. Eine Achterbahn der Gefühle für beim Lesen.

Verstärkt wird die Sogwirkung noch dadurch, das Storesang zwei Ebenen in die Geschichte einbaut.

Trotz seine manchmal brutal-realistischen Direktheit ist das Buch in einer angenehmen, gut lesbaren Sprache geschrieben. Man fühlt, leidet und fiebert mit Eva Bellheim mit.

Eine spannende Lektüre für die Urlaubszeit.

Joner Storesang: Perfect World. Nichts scheint, wie es ist.

Kriminalroman: Grafit in der Emons Verlag GnbH 2022 (Köln)

Originalausgabe : ISBN 978-3-89425-791-0

320 Seiten Euro (D) 13,00 (A) 13,40

Nelly-Sachs-Preis 2021 – Verleihung in schwierigen Zeiten

In einem feierlichen Rahmen konnte die coronabedingt verschobene Verleihung des Nelly-Sachs-Preises 2021 an die Schriftstellerin (und Schauspielerin) Katerina Poladjan nun am 03.04.2022 im Dortmunder Orchesterzentrum durchgeführt werden.

Mit diesem mit 15.000 Euro dotierten Literaturpreis ehrt und fördert die Stadt Dortmund alternierend weibliche und männliche Persönlichkeiten, die im Sinne von Nelly Sachs für ihre besonderen schöpferischen Leistungen auf dem Gebiet des literarischen (sowie geistigen) Lebens, und die mit ihren Werken zur Völkerverständigung beitragen.

Katerina Polodjan trägt sich ins Goldene Buch der Stadt Dortmund ein, beobachtet von Oberbürgermeister Thomas Westphal. (Foto: © Roland Gorecki, Dortmund Agentur)
Katerina Polodjan trägt sich ins Goldene Buch der Stadt Dortmund ein, beobachtet von Oberbürgermeister Thomas Westphal. (Foto: © Roland Gorecki, Dortmund Agentur)

Von einer sachkundigen Jury wurde die 1971 in Russland geboren, aber schon seit ihrem siebten Lebensjahr in Deutschland aufgewachsene Katerina Poladjan als Preisträgerin auserwählt.

Sie überzeugte unter anderem ihr Roman „Hier sind Löwen“ (Geschichte Armeniens, dort kamen ihr Großvater und Vater her) und ihr neuer Roman „Zukunftsmusik“ ,Situation 1985 , nachdem Gorbatschow Präsident der damaligen UdSSR wurde).

Nach der Begrüßung durch Oberbürgermeister Thomas Westphal bekam die Autorin den renommierten Preis überreicht und trug sich in das Goldene Buch unserer Stadt ein.

In ihrer bewegenden Laudatio würdigte Jurymitglied, Autorin und Übersetzerin Léda Forgó das literarische Werk von Poladjan. Dabei ging sie vor allem auf den leichten, aber gleichzeitig tiefsinnigen, symbolisch-poetischen, fantasievollen und speziell zwischen den Zeilen starken Schreibstil hin. Ihre Dankesrede, die Katerina Poladjan für den ursprünglich geplanten Termin der Preisverleihung im Dezember 2021 vorbereitet hatte, sei nun eine andere geworden, sagte die Autorin. Zu allen Zeiten hätten sich Literaten gezwungen gesehen, zum Krieg Stellung zu nehmen.

Musikalisch umrahmt wurde das Programm sensibel von dem Duo Nurith mit Werken von Kurt Weil, Sergei W. Rachmaninow und Fanny Hensel (Schwanenlied).

Morde im Iserlohner Umfeld

Zwanzig Autorinnen und Autoren der deutschsprachigen Krimiszene haben ihren vielseitigen Beitrag für die Anthologie „Im Mordfall Iserlohn“ (Kathrin Heinrichs/Walter Wehner, Hrsg.) geleistet. Es ist eine Anthologie zur diesjährigen CRIMINALE (alljährliches Treffen der Autorenvereinigung „Syndikat“) der Stadt im Sauerland.

Die unkonventionellen und facettenreichen Storys bieten die volle Palette literarischer Möglichkeiten des Genres. Die sprachliche Bandbreite reicht von poetisch-bildhaft, dann wieder locker und robust-derb.

Die Geschichten sind mal ironisch-humorvoll, dramatisch schockierend, nachdenklich, skurril bis schräg. Die Leserinnen und Leser werden in die Geschichten durch den persönlich ansprechenden Sprachstiel hineingezogen, und können ihren Gefühlen freien Lauf lassen.

Autor: Kathrin_Walter Heinrichs_Wehner Titel: Im Mordfall Iserlohn Reihe: Kurzkrimis aus dem Sauerland, Region: NRW ET:  März 2021 ISBN 978-3-7408-1126-6, (i4)_(1126-6) ebook: 978-3-96041-719-4, (e2)_(719-4)
Autor: Kathrin_Walter Heinrichs_Wehner Titel: Im Mordfall Iserlohn Reihe: Kurzkrimis aus dem Sauerland, Region: NRW ET: März 2021 ISBN 978-3-7408-1126-6, (i4)_(1126-6) ebook: 978-3-96041-719-4, (e2)_(719-4)

Nebenbei lernen wir Sehenswürdigkeiten wie Danzturm, Seilersee und andere rund um die Stadt kennen. Denn Iserlohn ist das Bindeglied für alle Kriminalgeschichten.

Kathrin Heinrichs ist mit ihrer tragisch-nachdenklichen Story „Freier Fall“ und Peter Godazgar mit „In der Werkstatt“ (eine mit speziellem Rechtsempfinden) für den mit 1.000 Euro dotierten GLAUSER-Preis 2022 nominiert.

Mich persönlich hat besonders der erste Kurzkrimi „Candy“ von Sunil Mann mit seinen besonderen Wendungen und Thematik in den Bann gezogen.

Den Bleistift gefährlich angespitzt hatten:

Uli Aechtner, Raoul Biltgen, Katja Bohnet, Christiane Dieckerhoff, Wulf Dorn, Marlies Ferber, Peter Gerdes, Brigitte Glaser, Peter Gordazgar, Maren Graf, Kathrin Heinrichs, Carsten Sebastian Henn, Herbert Knorr, Sandra Lüpkes, Sunil Mann, Rudi Müllenbach, Elke Pistor, Jutta Profit, Klaus Stickelbroeck und Walter Wehner.

Im Mordfall Iserlohn ISBN 978-3-1126-6
Kurzkrimis aus dem Sauerland – Broschur
Heinrichs/Wehner (Hrsg.) 256 Seiten
Köln: Emons Verlag 2021 (D) 12.00 Euro (A) 12.40 Euro

Ein Abend für den Hooligan der Inbrunst – Wiglaf Droste

Am 09. November 2021 feierte das lesArt Festival mit „Teach me laughter, save my soul“ einen Mann, der sehr streitbar war und dabei eine satirische und literarische Eloquenz hatte, die ihresgleichen suchte: Wiglaf Droste. Er wird gerne als „Tucholsky unserer Tage“ bezeichnet, der Abend im domicil zeigte, wie vielschichtig und unbequem dieser Mann war, der 2019 leider viel zu früh verstarb.

Zu Beginn gab es eine Art Einführung zur Hauptperson. In dem etwa 15minütigen Film wird sehr schnell klar, dass Wiglaf Droste sich nicht scheute nach beiden Seiten auszuteilen. Klar hasste er Nazis, doch auch die typischen Esoterik-Linken bekamen ihr Fett weg. Er schrieb unter anderem für die taz, Titanic, junge Welt und andere Medien, später gab er mit Sternekoch Vincent Klink die Zeitschrift „Häuptling eigener Herd“ heraus. Darüber hinaus war er ein veritabler Sänger, seine erste Platte hieß „Grönemeyer kann nicht tanzen“ und imitierte den Bochumer Sänger sehr gut. Mit dem Essener Spardosen-Terzett veröffentlichte er einige Alben. Natürlich veröffentlichte er auch viele Bücher.

Ein Abend für einen alten Weggefährten. (v.l.n.r.) Danny Dzuik, Rayk Wieland, Ralf Sotschek, Fritz Eckenga und Klaus Bittermann feierten Wiglaf Droste. (Foto: © Hartmut Salmen)
Ein Abend für einen alten Weggefährten. (v.l.n.r.) Danny Dzuik, Rayk Wieland, Ralf Sotschek, Fritz Eckenga und Klaus Bittermann feierten Wiglaf Droste. (Foto: © Hartmut Salmen)

An diesem Abend erzählten seine Werkgefährten Fritz Eckenga, Ralf Sotschek, der Irland-Korrespondent der taz, Rayk Wieland oder der Verleger Klaus Bittermann Geschichten über ihn und mit ihm. Was auffällt, die Geschichten sind häufig alkoholgeschwängert und es macht deutlich, dass es bei Droste ziemliche Abstürze gab. Daher starb er auch schon mit 57 Jahren an Leberzirrhose. Musikalisch wurde der Abend begleitet von Danny Dziuk, der am Klavier Lieder von Droste oder die von ihm inspiriert wurden, zu Gehör brachte.

Alles in allem fehlt jemand wie Droste in unseren Corona-Zeiten.

Wladimir Kaminer im MKK

Zu Gast bei LesArt, dem Literaturfestival Dortmund war am 11.11.21 Bestsellerautor Wladimir Kaminer. Lässig, abwechselnd mit einem Glas Wasser oder einem Glas Rotwein in der Hand an einem kleinen Bistrotisch stehend, bezauberte er das Publikum in der Rotunde des Museums für Kunst und Kulturgeschichte mit seinen Geschichten.

Wladimir Kaminer ist ein russischstämmiger Autor. Er lebt mit seiner Familie in Berlin und erfreut seit 20 Jahren seine Leser- und Hörerschaft mit einem schier unerschöpflichen Output an amüsanten Geschichten.

Wladimir Kaminer verzauberte seine Zuhörerschaft bei seiner Lesung im MKK. (Foto: © Anja Cord)
Wladimir Kaminer verzauberte seine Zuhörerschaft bei seiner Lesung im MKK. (Foto: © Anja Cord)

Diesmal stellte er Texte aus den Büchern „Rotkäppchen raucht auf dem Balkon“ und „Wellenreiter“ vor. Kaminer nennt die Bücher Teil einer Corona-Trilogie. Das dritte Buch ist gerade im Entstehen.

Beim Vortrag der ersten Geschichte erfuhren die Zuhörer wie seine Mutter das abgelegte Smartphone der Enkelin geschenkt bekam und mit welchen Schwierigkeiten die fast neunzigjährige Dame zu kämpfen hatte. Als sie eine SpieleApp herunterladen wollte, sollte sie die Erlaubnis ihrer Eltern einholen, um weiterzuspielen. Dann fehlte das Passwort und Wladimir Kaminer berichtete die witzigen Umstände, die ihn praktisch zum Elternteil seiner Mutter machten, der ihr den Umgang mit den gefährlichen Apps zubilligte.

Auch erfuhr das Publikum, dass Kaminers Tochter ihn zum Titel des ersten Buches inspirierte. Während eines Gesprächs mit seiner Mutter und seiner Tochter über Rotkäppchen und dessen Motivation zur Großmutter in den Wald zu gehen, ging seine Tochter zum Rauchen auf den Balkon und, voilà, der Titel des Buches war geboren.

Kaminer plauderte witzig, charmant und unterhaltsam. Er erzählte von Dreharbeiten einer Deutschlandreise, die beinah Corona zum Opfer gefallen wäre, ihn dann aber doch ins fast menschenleere Neuschwanstein oder nach Oberammergau führte. Dort aß er mit ‚Jesus‘ eine „Weißwurst und trank mit dessen Schwester ein Bier“. Egal worüber er berichtet, der Schriftsteller zieht seine Zuhörer in seinen Bann.

Kaminer beweist eine verblüffende Beobachtungsgabe und einen sehr genauen Blick auf Menschen und ihre Marotten.

Die Lachmuskeln wurden an diesem Abend reichlich beansprucht.

Das waren die kurzweiligsten und amüsantesten zwei Stunden, die ich seit langer Zeit erleben durfte.

Fußball in den 70er Jahren oder als Paul Breitner die Scherben besuchte

Man kann wirklich nicht sagen, dass die 70er Jahre ein erfolgreiches Jahrzehnt für den Ballspielverein Borussia aus Dortmund war. In der Saison 71/72 ging es für vier Spielzeiten in die Zweitklassigkeit und am Ende der Spielzeit 78/79 stand das 0:12 gegen Borussia Mönchengladbach.Mit diesen JAhren beschäftigen sich die Fußballbücher von Alexander Heflik und Bernd-M. Beyer. Während sich Beyer mit der Saison 71/72 und dessen Einbettung in die kulturelle Gesamtsituation der Bundesrepublik beschäftigt, thematisiert Hefliks Buch einen tragischen Helden: Erwin Kostedde. Passenderweise fanden die Lesungen im Rahmen des Les.Art-Festivals am 08. November 2021 in den Umkleidekabinen des Westfalenstadions statt.

Alexander Heflik erzählte die tragische Geschichte von Erwin Kostedde, dem ersten schwarzen NAtionalspieler. (Foto: © Hartmut Salmen)

Da ich mich entscheiden musste, begann ich mit der Heimkabine und lauschte zunächst den Worten von Alexander Heflik. Es gibt sicherlich viele tragische Helden und einer trägt den Namen Erwin Kostedde. Ein begnadeter Fußballer, der erste schwarze Nationalspieler, aber auch jemand, der gut darin war, falsche Entscheidungen zu treffen. Ob es nun der richtige Verein für die Karriere war oder finanzielle Optionen. Kostedde hatte erfolgreiche Zeiten in Offenbach und in Belgien sowie spät in seiner Karriere in Bremen, wo er zum dritten Mal auf Otto Rehagel traf. Er hatte bereits in Offenbach und in Bremen mit ihm trainiert. Von 1976 bis 1978 spielte Kostedde auch in Dortmund. Er traf gleich beim ersten Spiel nach dem Wiederaufstieg gegen den HSV doppelt. In der zweiten Saison lief es dann nicht mehr so rund für den Stürmer.

Wegen seiner Hautfarbe war Kostedde ähnlich wie Jimmy Hartwig Opfer von Rassismus. Bei Kostedde war seine Hautfarbe sogar der Grund, dass man ihn fälschlicherweise verdächtigte, eine Spielhalle überfallen zu haben. Er musste mehrere Monate in Untersuchungshaft verbringen.

Die 70er Jahre waren nicht nur eine Hochzeit der deutschen Nationalmannschaft, sondern war auch eine gesellschaftlich spannende Zeit.Bernd-M. Beyer berichtete darüber. (Foto: © Hartmut Salmen)
Die 70er Jahre waren nicht nur eine Hochzeit der deutschen Nationalmannschaft, sondern war auch eine gesellschaftlich spannende Zeit.Bernd-M. Beyer berichtete darüber. (Foto: © Hartmut Salmen)

Nach 45 Minuten und 15 Minuten Pause ging es dann in die Gästekabine, wo Bayer aus seinem Buch „71/72 – Die Saison der Träumer“ las. Die Anfänge der 70er Jahre in Deutschland waren geprägt von der neuen Ära von Willy Brandt, der mit seiner Ostpolitik viele Türen öffnete, aber auch in konservativen Kreisen verhasst war. Die Anfänge der RAF machten sich bemerkbar, in der Bundesliga leckte man sich die Wunden nach dem Bundesligaskandal. Meister wurden die Bayern, die den BVB zu Hause mit 11:1 schlugen. Der BVB beendete die Saison als Tabellenvorletzter und stieg ab. Fußballerisch war die deutsche Nationalmannschaft 1972 an der Spitze. Sie wurde souverän Europameister und verzauberte mit ihrer Spielweise. Währenddessen kam 1972 ein prägendes Musikalbum auf dem Markt mit dem Titel „Keine Macht für Niemand“ von „Ton, Steine, Scherben“. Diese revolutionäre Platte fand Anklang bei einem Revoluzzer in München: Paul Breitner. Breitner, der sich mit Mao-Bild und „Pekinger Rundschau“ ablichten ließ, wurde die Platte von der Band geschenkt, worauf sich Breitner mit einem Gegenbesuch in Berlin revanchierte. Ein Europameister und Bayern-Star zu Gast bei einer Politrockband. Wäre heute nicht denkbar, oder?

Lebendige Lesung mit Christian Berkel

Im Rahmen des diesjährigen LesArt.Festivals in Dortmund las der bekannte Schauspieler und Autor Christian Berkel im Theater Fletch Bizzel am 06.11.2021 aus seinem neuen Roman „Ada“ (2018). Wegen Corona konnte die schon früher geplante Lesung erst jetzt stattfinden.

Nach seinem erfolgreichen autobiografischen Roman „Der Apfelbaum“ erschien als Folgeroman „Ada“. Im Mittelpunkt steht hier die Geschichte von Ada, die mit ihrer jüdischen Mutter Sala in der Nachkriegszeit zunächst nach Argentinien flieht und 1955 in ein ihr fremdes Deutschland nach Berlin zurückkehrt. In einem noch immer autoritären Land trifft sie auf den lang ersehnte Vater Otto (der war in Kriegsgefangenschaft). Das Familienglück bleibt jedoch aus. In einer „sprachlosen“ Gesellschaft stößt sie auf viel Schweigen (das betraf Opfer wie Täter) über die Kriegszeit und ihre jüdische Familienvergangenheit. Sie sehnt sich nach Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung.

Christian Berkel (links) im Gespräch mit Matthias Bongard. (Foto: © Hartmut Salmen)
Christian Berkel (links) im Gespräch mit Matthias Bongard. (Foto: © Hartmut Salmen)

Der Roman ist gleichzeitig ein Abriss der politischen Entwicklung von der Adenauer-Ära über die 1968er Aufbruchstimmung und Studentenrevolten (Experimentieren mit Drogen, freier Sexualität) bis hin zum Mauerfall 1989.

Berkel begibt sich als Ich-Erzähler empathisch in die weibliche Person der Ada. Wie er während der Lesung erklärte, fühlte er sich am Anfang damit etwas unsicher, ob er so als Mann in eine andere Identität schlüpfen könnte. Seine Verlegerin und Lektorin beruhigten ihn aber, dass das in Ordnung sei.

Der Autor las nicht nur aus seinem Buch, sondern das Publikum (falls es seinen „Apfelbaum“ nicht gelesen hatte) erfuhr auch viel über seine Lebensgeschichte und jüdischen Familienhintergrund, und das er sich damals nicht „richtig und ganz“ gefühlt hatte.

Bereichert wurde der Abend durch ein anschließendes Interview vom WDR Fernseh- und Rundfunkmoderator Matthias Bongard mit Christian Berkel. Da wurden Themen wie etwa der aktuelle Antisemitismus, Verunsicherungen, Verschwörungstheorien, Angst vor dem Fremden und mehr behandelt.

Deutlich wurde wieder einmal, dass Demokratie und Freiheit nichts Selbstverständliches sind. Gerade in einer Zeit zunehmender gesellschaftlicher Spaltung ist es notwendig, sich dafür aktiv einzusetzen und sich gegen die Instrumentalisierung von rechten Politikern und Kräften sowie Verschwörungstheoretikern zu schützen und wehren.

Eine interessante und lebendige Lesung.