Was werden wir vermissen – „Goodbye / Farewell“

Die Klimakatastrophe hängt wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen. Was werden wir vermissen? Wovon müssen wir Abschied nehmen? In der Performance „Goodbye / Farewell“ suchten am 1. November 2024 im Theater im Depot Antje Velsinger und das Kollektiv new trouble gemeinsam mit dem Publikum nach Antworten. Diese kamen direkt von den Zuschauenden und wurden zu einem Teil des Stücks.

Eine Reise des Abschieds und der Reflexion

Die Klimakrise bringt weit mehr als nur Umweltveränderungen mit sich. Es geht um den drohenden Verlust von Ökosystemen, Kulturen und alltäglichen Erfahrungen, die uns mit unserer Umwelt verbinden. Dazu gehören die Biodiversität, aber auch küstennahe Orte oder Landstriche, die zunehmend durch Waldbrände bedroht sind. Die Zuschauerinnen und Zuschauer notierten, was sie glauben zu verlieren, an eine Tafel. Diese Begriffe bauten die Akteurinnen und Akteure in ihre Choreografie ein und ließen das Publikum so direkt am Stück teilhaben.

Die Partizipation ging weiter: In Gruppen aufgeteilt, setzten sich die Besucherinnen und Besucher mit Fragen auseinander. Unsere Gruppe beschäftigte sich mit dem Thema: Worauf sollten wir verzichten, um die Klimakrise nicht weiter zu verschärfen? Die Antworten überraschten kaum: weniger Fleischkonsum, Verzicht auf Fast Fashion und weniger Flugreisen.

Die vier Akteure von "Goodbye / Farewell". (Foto: (c) Charlotte Ducousso)
Die vier Akteure von „Goodbye / Farewell“. (Foto: (c) Charlotte Ducousso)

Auch diese Themen wurden in die Choreografien integriert, die abwechselnd energetisch und sehr melancholisch wirkten. Besonders berührend war die Solo-Choreografie von Sunday Israel Akpan, dessen Stimme durch Loops vervielfältigt wurde, was dem Ganzen eine intensive, eindrucksvolle Tiefe verlieh. Auch die Tänzerin Mihyun Ko und der Tänzer David Pallant bereicherten das Stück durch ihre präzise und eindringliche Darbietung.

Die innere Zerrissenheit zwischen dem Wunsch, festzuhalten, und der Notwendigkeit, loszulassen, wurde in dem Stück sehr deutlich spürbar. Der Abschied von bestimmten Dingen zeigte, dass auch wir uns der Veränderung stellen müssen.




Kooperation statt Rivalität – Infinity Kiss

Lynn Margulis, eine einflussreiche Biologin und Evolutionstheoretikerin, entwickelte die Theorie der Endosymbiose und erweiterte damit die klassische Evolutionstheorie um eine entscheidende Dimension. Ihre Hypothese besagt, dass komplexe eukaryotische Zellen – also Zellen mit Zellkern, wie sie bei Pflanzen, Tieren und Pilzen vorkommen – durch eine symbiotische Vereinigung verschiedener prokaryotischer Zellen entstanden sind. Die Arbeit von Margulis veränderte unser Verständnis von Evolution grundlegend und verdeutlichte, dass das Leben auf der Erde nicht nur durch Rivalität, sondern auch durch Kooperation geformt wird.

Dieser Artikel ist jedoch kein wissenschaftlicher Beitrag über Evolutionsbiologie, sondern soll als Grundlage für das Verständnis des Tanztheaterstücks Infinity Kiss dienen, das auf den Theorien von Lynn Margulis basiert. Die Aufführung fand am 26. Oktober 2024 im Theater im Depot statt.

Von der Rivalität zur Symbiose: Das Konzept hinter „Infinity Kiss“

Cajsa Godée, Camila Malenchini und Layton Lachman, ein in Berlin lebender US-amerikanischer Künstler*in und Choreograf*in, sind die Hauptakteure in dem etwa 60 Minuten langen Stück. Statt wie in der klassischen Evolutionstheorie die Rivalität der einzelnen Individuen darzustellen, erschuf Lachman eine Symbiose – eine Zusammenarbeit. Ganz im Sinne von Margulis‘ Theorien verwandelten sich die Körper auf der Bühne zu einem völlig neuen Organismus. Während die Choreografie anfangs leichte „Human Centipede“-Vibes aufwies, wandelte sich Infinity Kiss allmählich zu einem polymorphen System, das sich ständig verändert und schließlich miteinander verschmilzt.

Szene aus "infinity kiss" von Layton Lachmann. Foto: (c) Mari Vass
Szene aus „infinity kiss“ von Layton Lachmann. Foto: (c) Mari Vass

Das Tanztheaterstück Infinity Kiss stellt eine Suche nach symbiotischen Wesen und kollaborativen Unterstützungsstrukturen dar. Es bietet einen faszinierenden Abend, der neue Einblicke vermittelt – nicht nur in die Evolutionsbiologie, sondern auch in die Erkenntnis, dass Zusammenarbeit und Symbiose oft zu besseren Ergebnissen führen können als reine Konkurrenz.




Das LesArt.Festival „denkt!“

Kultveranstaltungen wie Lesungen im Stadion, das KindergartenBuchTheaterfestival, die Gala oder neue Entdeckungen und spannende Diskussionen versprechen vielseitigen Literaturspaß beim Festival LesArt im November.

Egal ob Bestseller oder Neuentdeckungen, gestandene Literaturprofis wie Susanne Fröhlich und Moritz Rinke oder aufstrebende Talente – die 25. Ausgabe des Literaturfestivals bietet unter dem Titel „denkt!“ vom 8. bis zum 16. November für jedes Alter ein facettenreiches Programm.

Die schönsten Dinge der Welt: Fußball und Literatur

Ein Highlight ist zum Beispiel die Veranstaltung LesArt.Stadion, bei der die schönsten Dinge der Welt – Fußball und Literatur – zusammenkommen, nämlich bei zwei Lesungen in den Kabinen von Borussia Dortmund. Moritz Rinke und Ronald Reng erzählen, wie weit die große Liebe zum Fußball führen kann. Der eine blickt auf sein eigenes Fan-Dasein, der andere hat drei aufstrebende Talente, ihr Glück und Scheitern, begleitet.

Bekannte Literat*innen: Roman, Wissenschaft und kluge Betrachtungen

Auch ist „Literaturpreis Ruhr“-Gewinnerin Enis Maci wieder da: Zusammen mit Pascal Richmann stellt sie ihren ersten gemeinsamen Roman „Pando“ vor. Derviş Hızarcı erzählt mit „Zwischen Hass und Haltung“ von einer besonderen Bildungsreise in unsere heutige Migrationsgesellschaft – und was wir noch lernen müssen, damit wir zu einer Gemeinschaft werden. Zum Thema künstliche Intelligenz gibt es kluge Einblicke der Wissenschaftsautorin Manuela Lenzen. Ihr Buch „Der elektronische Spiegel“ handelt von dem Abenteuer, Intelligenz zu verstehen, indem man sie nachbaut. Terézia Mora beschreibt in ihrem Roman die Geschichte einer toxischen Beziehung. Und die beliebte Schauspielerin Claudia Wenzel wirft einen emotionalen und kritischen Blick auf ihr Leben in der DDR und das wiedervereinigte Deutschland.

Die Wissenschaftsautorin Manuela Lenzen gibt Einblicke in Psychologie, Neurowissenschaften, Biologie, Philosophie und KI-Forschung.Foto: © Martin Klaus
Die Wissenschaftsautorin Manuela Lenzen gibt Einblicke in Psychologie, Neurowissenschaften, Biologie, Philosophie und KI-Forschung.
Foto: © Martin Klaus

 

Programm für den Literatur-Nachwuchs

Das Festival bietet auch Leseförderung, von den Kleinsten bis zu Schüler*innen: Beim KindergartenBuchTheaterfestival bringen Kinder aus 15 Dortmunder Kitas Bilderbücher auf die Bühne, außerdem gibt es Schreibwerkstätten für Schüler*innen. Und: Studierende der TU Dortmund feiern im Rahmen des Held*innenabends ihre lokalen Künstler*innen.

Einer der Höhepunkte des Festivals ist der LesArt.Preis der jungen Literatur, der bei der großen Abschlussgala verliehen wird, moderiert von Gregor Schnittker. Zum Abend gehört eine Lesung der bekannten Autorin Susanne Fröhlich.

Tickets gibt es auf www.LesArt.Ruhr. Beim Vorverkauf können unterschiedliche Gebühren anfallen. Das LesArt.Festival wird veranstaltet vom Kulturbüro der Stadt Dortmund, der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, Kultur und Projekte e.V. und literaturhaus.dortmund. Unterstützt wird es von der Sparkasse Dortmund.
 

Interview mit Hartmut Salmen, Leiter des LesArt.Festivals, geführt
von Ars tremonia

Ars tremonia: Das diesjährige Motto des Festivals lautet „denkt!“. Was möchten Sie den Besucher*innen damit vermitteln?

Hartmut Salmen: „denkt!“ gehört zu einem Dreisatz, den wir in den letzten Jahren entwickelt haben. Es begann mit „kommt!“ und „hört!“, nun ist es „denkt!“. Nach der Corona-Zeit wollten wir die Menschen zurück zur Kultur bringen, zu Lesungen und neuen Gedankenwelten. Im Folgejahr stand „hört!“ für Zuhören und Verstehen. Dieses Jahr setzen wir auf „denkt!“, um die Vielfalt von Gedanken und das Hinterfragen von Vorurteilen zu fördern. Wir leben in einer Zeit, in der oft vorschnell geurteilt wird. „denkt!“ fordert dazu auf, sich Zeit zum Reflektieren zu nehmen, sich auf andere Perspektiven einzulassen. Unser Motto soll ein stetiger Impuls sein: kommt! hört! denkt!

Ars tremonia: Welche Herausforderungen begegnen Ihnen bei der Auswahl der Autor*innen und Themen für ein so vielseitiges Programm wie beim LesArt.Festival?

Hartmut Salmen: Es gibt eine Vielzahl an Faktoren, die für ein gelungenes Festival zusammenspielen müssen. Die Bücher müssen zum Thema passen, und die Autor*innen müssen Zeit für die Lesungen haben. Auch die Veranstaltungsräume und verlässliche Partner wie das Kulturbüro, die Stadt- und Landesbibliothek und die Sparkasse Dortmund – die seit 25 Jahren das Festival ermöglichen – sind entscheidend. Hinzu kommt ein eingespieltes Team, das organisatorisch alles bewältigt.

Ars tremonia: Manuela Lenzens Buch „Der elektronische Spiegel“ beschäftigt sich mit Künstlicher Intelligenz (KI). Wie schätzen Sie die Auswirkungen von KI auf die Literatur ein?

Hartmut Salmen: Die rasante Entwicklung der KI kann beunruhigend wirken, als könnte sie uns bald überholen. Doch, wie Lenzen aufzeigt, läuft die Forschung bereits seit 70 Jahren, und KI bleibt in vielen Bereichen hinter den Erwartungen zurück. Computer können komplexe Wenn-Dann-Szenarien abspielen, doch wie Lenzen schreibt, sind Herausforderungen wie Flexibilität, Kreativität und gesunder Menschenverstand bisher unerreichbar. KI-generierte Texte sind meist eine Neuzusammenstellung bestehender Inhalte und oft seelenlos. Ich denke nicht, dass reine KI-Texte die Literatur bereichern werden. Aber wenn Autor*innen KI als kreatives Werkzeug nutzen, kann dies spannende neue Möglichkeiten schaffen. Im Zentrum bleibt aber stets das menschliche Denken.

Ars tremonia: Wie wichtig ist es Ihnen, junge Leser*innen und zukünftige Autor*innen durch Formate wie das KindergartenBuchTheaterfestival und Schreibwerkstätten anzusprechen?

Hartmut Salmen: Das ist absolut essenziell. Ohne junge Leserinnen und Autorinnen stagniert Kultur irgendwann. Junge Menschen bringen neue Ideen und wissen oft nichts von vermeintlichen „Unmöglichkeiten“, wodurch sie Dinge einfach ausprobieren. Wir möchten diesen Bereich gern weiter ausbauen.

Ars tremonia: Welche Bedeutung hat der LesArt.Preis der jungen Literatur für das Festival, und wie sehen Sie die Rolle junger Stimmen in der Literatur?

Hartmut Salmen: Der LesArt.Preis ist eine großartige Unterstützung für junge Dortmunder Autorinnen. Einige Preisträgerinnen wie Lisa Roy, Jörg Albrecht, Tobias Rauh und Evi Spies haben beeindruckende literarische Wege eingeschlagen. Junge Stimmen bringen frische Perspektiven und spiegeln, wie sich das Leben und unsere Gesellschaft verändern. Das ist ihre Rolle in der Literatur: neue Denkweisen und Weltanschauungen zu teilen.




Lara Croft mit Existenzfragen

Das Queere Theater Kollektiv präsentierte am 25. Oktober 2024 im Theater Fletch Bizzel seine neue Produktion „Subterranean Deception – A Digital Dread“. Bereits 2023 zeigte das Kollektiv mit „Tanz der Krähen“ im Theater im Depot ein Stück, das dem Horror- bzw. Grusel-Genre zugeordnet werden sollte. Auch „Subterranean Deception – A Digital Dread“ wurde als „audiovisuelle Horror-Performance“ angekündigt. Natürlich ist die Definition von „Horror“ subjektiv, doch aus meiner Sicht erzeugte das Stück keine Schrecken. Ein Großteil der Handlung drehte sich um die Erkundungen eines Höhlenforschers auf einem fremden Planeten. Auf der Bühne des Fletch Bizzels sah man eine Art Lara Croft, die in den Requisiten herumkletterte und sich zunehmend mit der Expeditionsleiterin in Konflikt begab.

Verständlichkeit und Spracheinsatz

Das Stück war in einfachem Englisch gehalten, um es einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Diese Idee ist zwar grundsätzlich löblich, aber es ist davon auszugehen, dass Nicht-Muttersprachler Verständnisschwierigkeiten hatten.

Szene aus dem Stück  "Subterranean Deception – A Digital Dread“. Foto: Queeres Theater Kollektiv
Szene aus dem Stück
„Subterranean Deception – A Digital Dread“. Foto: Queeres Theater Kollektiv

Positiv hervorzuheben war der Einsatz von Tracking-Technologie, die es ermöglichte, die Bewegungen der Darsteller*innen in Echtzeit mit digitalen Projektionen zu synchronisieren – ein innovativer Ansatz, der zeigt, wohin sich das Theater der Zukunft entwickeln könnte. Dafür gebührt dem Queeren Theater Kollektiv Anerkennung.

Auch die Wahl des Science-Fiction-Genres erwies sich als sinnvoll, da in diesem Genre Themen wie Queerness und Transidentität schon länger behandelt werden. Ein Beispiel findet sich in der Serie Star Trek: The Next Generation, in der eine Episode durch das geschlechtslose Volk der J’naii Fragen zur Geschlechteridentität aufwirft. Eine Figur, Soren, entwickelt eine „ungewöhnliche“ weibliche Identität und verliebt sich in Riker. Diese Episode thematisiert geschlechtliche Identität und Diskriminierung und kann als Parallele zu trans und nicht-binären Erfahrungen interpretiert werden.

Was bleibt? Beide Darsteller*innen haben ihre Arbeit überzeugend umgesetzt, und die audiovisuellen Elemente konnten ebenfalls überzeugen. Inhaltlich konnte mich das Stück jedoch leider nicht abholen.




Kammerkonzert an einem außergewöhnlichen Ort

Die Kokerei Hansa ist ein Architektur- und Industriedenkmal in Huckarde, das unter anderem für Kunst- und Kulturveranstaltungen genutzt wird. Bereits in der vergangenen Spielzeit fand ein Kammerkonzert in der Kompressorenhalle statt, und am 24. Oktober 2024 diente das Salzlager als Konzertort.

Im Salzlager wurde früher Ammoniumsulfat gelagert, ein Nebenprodukt der Koksherstellung, das als Dünger verwendet wurde. An diesem Abend zeugten nur noch die Förderbänder und Maschinen von dieser Vergangenheit. Im Mittelpunkt standen neun Musiker der Dortmunder Philharmoniker, die ein abwechslungsreiches Programm darboten.

Beethoven, Klein und Mozart im Fokus

Das Oktett in Es-Dur, op. 103, von Ludwig van Beethoven wurde vermutlich zwischen 1792 und 1793 komponiert, in einer Phase, als Beethoven noch stark vom Stil der Wiener Klassik und insbesondere von Mozart beeinflusst war. Ursprünglich für zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Hörner und zwei Fagotte geschrieben, trägt das Werk eine leichte, unterhaltsame und charmante Note und gehört zur sogenannten Harmoniemusik, einer Form höfischer Bläsermusik.

Mit dabei: Alina Heinl (Klarinette). Foto: (c) Leszek Januszewski.
Mit dabei: Alina Heinl (Klarinette). Foto: (c) Leszek Januszewski.

Ein bedrückendes Zeitzeugnis ist das Divertimento für Bläseroktett von Gideon Klein. Der tschechische Komponist verarbeitete in diesem Werk die Besetzung seines Landes durch die Wehrmacht. Es offenbart eine bemerkenswerte künstlerische Tiefe und formale Raffinesse, die die Tragik und zugleich die künstlerische Widerstandskraft des Komponisten unter schwierigen Bedingungen widerspiegelt.

Mozarts Serenade in c-Moll, KV 388, auch als Bläseroktett oder Nachtmusique bekannt, hebt sich von der sonst heiteren und geselligen Tradition der Serenade ab. Komponiert um 1782 für zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Hörner und zwei Fagotte, verleiht die Tonart c-Moll dem Werk eine ungewöhnlich ernste und dramatische Ausdruckskraft, die klassische Erwartungen an das Genre durchbricht.

Ein gelungener Kammermusikabend in einer außergewöhnlichen Umgebung. Mitwirkende waren Reika Kosaka und Stefanie Dietz (Oboe), Alina Heinl und Amely Preuten (Klarinette), Minori Tsuchiyama und Pablo Gonzáles Hernández (Fagott), Sofie Herstvik Berge und Peter Loreck (Horn) sowie Tomoko Tadokoro (Kontrabass).




Ungewöhnliche Perspektiven: „Vs. Frühwerk“ im Künstlerhaus Dortmund

Bis zum 1. Dezember 2024 präsentiert das Künstlerhaus Dortmund eine außergewöhnliche Ausstellung. Unter dem Titel „Vs. Frühwerk“ wird eine aktuelle Arbeit einem Frühwerk gegenübergestellt. Diese Ausstellung bietet einen faszinierenden Einblick in die künstlerische Entwicklung über die Zeit hinweg. Sie zeigt nicht nur den Reifeprozess der Künstler*innen, sondern auch, wie sich Themen, Techniken und der persönliche Ausdruck verändert haben. Kuratiert wurde diese Ausstellung von Cornelius Grau.

Helga Beisheim

Helga Beisheim beschreibt ihre künstlerische Arbeit als stark geprägt von ihrer Umgebung, insbesondere durch den Bergbau und die Baukultur in Langendreer. Ihre Arbeit von 1974 ist ein Beispiel dafür. Später fasziniert sie die Technik des Holz- und Linolschnitts. Diese hat sie über Jahrzehnte hinweg durch verschiedene Variationen von Papier und Farben weiterentwickelt. Ihre Kunst ist von Neugier, Experimentierfreude und spielerischer Umsetzung von Ideen gekennzeichnet, wobei sie unterschiedliche Medien nutzt.

Linus Clostermann

Linus Clostermann ist der jüngste Künstler in der Ausstellung. Sein Frühwerk, eine Wolfsspinne, malte er mit Wasserfarben im Alter von acht Jahren. In seinen aktuellen Arbeiten lässt sich Clostermann von Geschichten aus Horror-, Fantasy- und Science-Fiction-Welten inspirieren. Er schafft Kunstwerke, die sich auf besondere Weise an den Ausstellungsort anpassen.

Der Wandel der Zeit

Ein bemerkenswertes Experiment: In seiner Arbeit „In 10 Minuten“ von 2009 ließ Björn Drenkwitz zehn Darstellerinnen die vergehende Zeit vor der Kamera subjektiv einschätzen und messen. Zehn Jahre später wiederholte er das Projekt mit allen noch verfügbaren Darstellerinnen. Dadurch wurde das subjektive Empfinden der 10 Minuten sichtbar. Auch der Vergleich beider Arbeiten verdeutlicht das Verstreichen eines ganzen Jahrzehnts. Dies zeigt sich besonders in der Veränderung der Gesichter der Darsteller*innen und wirft die Frage auf, ob sich das Zeitempfinden im Laufe eines Lebens verändert.

Alexander Endrullat

Zwischen den beiden Werken von Alexander Endrullat liegen genau zehn Jahre. Dennoch sind sie extrem unterschiedlich. Sein Frühwerk ist ein Ölbild, das cartoonartig wirkt. Für seine aktuelle Arbeit verwendete er Macbooks und Matchbox-Autos. Das Auftauchen eines Autos stellt ein verbindendes Element beider Arbeiten dar. Das Ausprobieren neuer Materialien hilft ihm, Themen unterschiedlich umzusetzen. Besonders spannend findet der Künstler es, die traditionellen Grenzen von Technik und Darstellung zu erweitern. Indem Alexander Endrullat seine Umgebung genau beobachtet, entstehen klare, reduzierte Szenen und Geschichten.

Martin Huidobro

Bei den beiden Arbeiten von Martin Huidobro zeigt sich eine Entwicklung. In beiden Werken (1994 und 2024) geht es um Feuer, jedoch unterschiedlich gestaltet. Huidobro verwendet in seinen Bildern Zeichen und Symbole aus dem Alltag. Dabei vermischt er Malerei, Design, Skulptur und Architektur. Er reduziert Formen und Farben auf das Wesentliche und zeigt, wie man die Welt durch Kunst wahrnehmen kann.

Blick in den großen raum des Künstlerhauses Dortmund mit den beiden Arbeiten von Annette Wesseling.
Blick in den großen Raum des Künstlerhauses Dortmund mit den beiden Arbeiten von Annette Wesseling.

Santiago Isignares

Der Videokünstler Santiago Isignares präsentiert zwei Video-Performances. Er beleuchtet widersprüchliche Aspekte des Lebens, die wir normalerweise unterdrücken oder auslöschen. Dies wird besonders in seinem ersten Video von 2015 deutlich. Isignares möchte mit Humor, Ironie und der Angst, die durch das verspielte Objekt entsteht, zum Nachdenken anregen – durch Bilder, die gleichzeitig grotesk, unheimlich und niedlich wirken.

Analog und digital: Roman Lang

Analog und digital: So könnte man den Unterschied zwischen den Arbeiten von Roman Lang (2013 und 2024) benennen. Während „FEN“ von Fehlern eines analogen Fernsehgerätes inspiriert ist, könnte das neuere „FoA-1“ die Störungen eines digitalen Bildschirms darstellen. Indem Lang Irritationen und Fehler in seine Bildsysteme einbaut, lädt er den Betrachter ein, aktiv zu werden – zum Beispiel eine Lücke im Bild zu füllen. So wird der Betrachter Teil des Kunstwerks.

Jae Jin Park

Nicht nur Katzen sind von Schalten fasziniert: Künstlerin Jae Jin Park beschäftigt sich intensiv mit den Wechselwirkungen von Licht und Raum. In ihrer Arbeit „Lichtraum (Kokon)“ verwendet sie viele kleine Verpackungsschachteln. Diese fallen ihr eines Tages ins Auge. Bei genauerem Hinsehen erkennt sie darin kleine Räume. Jae Jin Park möchte diese versteckten Räume durch Licht sichtbar machen. Ihr Ziel ist es, ein Objekt zu schaffen, das sich ständig mit dem natürlichen Licht verändert. Dabei vergleicht sie diesen Prozess mit dem einer Raupe, die einen Kokon baut, um sich zu verwandeln.

Iwona Rozbiewska

Iwona Rozbiewska lässt sich in ihrer Kunst von Architektur, Design und alltäglichen Erlebnissen inspirieren. Ein zentrales Merkmal ihrer Arbeit ist das künstlerische Experimentieren mit Objekten, Konzepten und Materialien. Ihre Installation „Untitled (The Cemetery)“ aus dem Jahr 2012 vereint Skulptur, Design und Gebrauchsgegenstand. Unterschiedlich geformte, grau gestrichene Körper aus Spanplatten sind zu einer abstrakten Skulptur zusammengesetzt. In späteren Werken greift Rozbiewska Motive wie Spiralen und „Idylle“ auf. Diese erscheinen sowohl als physische Formen als auch als symbolische Themen.

Sigrid Schewior

Sigrid Schewior entwickelt ihre Arbeit im Austausch zwischen traditioneller Kunst und digitalen Technologien. Dabei entsteht ein komplexes Werk, das dem Betrachter ein erweitertes Verständnis der Welt ermöglicht. Während ihrer Studienzeit hat sie Installationen aus Malmaterialien geschaffen. Später konzentrierte sie sich auf Fragen zur Bildrealität und den Unterschied zwischen realem Raum und Flächenraum. So verbindet sie malerische und grafische Eingriffe in ihren Fotoarbeiten.

Zusammenarbeit mit Mannheim: „Two Decks Networkx“

Wer das Künstlerhaus betritt, wird durch eine grüne Wiese aus Fichtenholz begrüßt. Dies ist das Frühwerk von Annette Wesseling aus dem Jahr 1993. Alle Elemente wurden auf die gleiche Weise hergestellt und haben eine ähnliche Form. Gleichzeitig weisen die Holzstücke eine individuelle Vielfalt auf. Das Spätwerk von Annette Wesseling zeigt gefärbte Baumwollstoffe, die der Sonne ausgesetzt waren. Sie spricht vom Reifen der Bilder an der Sonne.

Das Frühwerk von Gitta Witzke aus dem Jahr 1972 ist vom Surrealismus inspiriert. In ihren aktuellen Arbeiten scheint sie von abstrakter Kunst beeinflusst zu sein, doch das ist eine Täuschung. Fore-edge Painting bezeichnet eine versteckte Buchschnittdekoration. Diese wird beim Durchblättern und im geschlossenen Zustand des Buches unsichtbar. Die Malerei zeigt sich nur, wenn man die Blätter zusammenpresst.

Auf der ersten Etage des Künstlerhauses läuft eine weitere Ausstellung parallel. „Two Decks Networkx“ ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Dortmunder Künstlerhaus und dem Alten Güteramt Mannheim. Nachdem Dortmunder Künstler*innen in Mannheim ausgestellt haben, ist „Two Decks Networkx“ sozusagen der Gegenbesuch. Elf Künstler*innen zeigen ihre Arbeiten, die unterschiedlichen Gattungen wie Malerei, Fotografie oder Installation angehören.




„Klein sein und bleiben!“ – Eine Neuinterpretation von Walsers Klassiker durch das „Pour Ensemble“

Das inklusive „Pour Ensemble“ präsentierte am 12.10.24 im Theater im Depot das Stück „Klein sein und bleiben!“, basierend auf dem Roman „Jakob von Gunten“ von Robert Walser. Das „Pour Ensemble“ überzeugte mit einer eindrucksvollen Mischung aus Schauspiel, Musik und Choreografie und bot eine frische, inklusive Perspektive auf das bekannte Werk.

„Jakob von Gunten“ ist ein Roman von Robert Walser, der 1909 veröffentlicht wurde. Die Geschichte wird in Form eines Tagebuchs erzählt, das der junge Jakob von Gunten führt. Er besucht das fiktive Internat „Benjamenta-Institut“, eine merkwürdige, fast kafkaeske Schule, in der den Schülern Unterwürfigkeit und Demut beigebracht werden. Jakob, ein rebellischer Schüler, hadert mit den strengen Regeln der Schule. Insgeheim ist er in die Lehrerin Lisa Benjamenta verliebt, die Schwester des Institutsleiters Herr Benjamenta.

Das "Pour Ensemble" bei "Jakob von Gunten". Foto: (c) Andre Scollick
Das „Pour Ensemble“ bei „Jakob von Gunten“. Foto: (c) Andre Scollick

Wer verkörperte Jakob? Alle auf der Bühne! Das „Pour Ensemble“ entschied sich für ein außergewöhnliches Konzept: Alle Darsteller trugen identische Kostüme und teilten sich die Rolle. Bunte Punkte fanden sich nicht nur auf der Kleidung, sondern auch im Bühnenbild und auf dem Boden wieder, was die Inszenierung visuell aufwertete.

 

Jakob von Gunten: Die Freiheit im „Klein Sein“



In der Geschichte versucht Jakob von Gunten, sich dem Leistungsdruck zu entziehen. Er will „klein“ bleiben, da er in dieser Kleinheit eine Form von Freiheit und Unabhängigkeit sieht. Anders als viele andere Figuren, die nach Macht, Erfolg oder sozialem Aufstieg streben, empfindet Jakob das Streben nach Größe als belastend. Durch das „klein Sein“ will er den gesellschaftlichen Erwartungen entkommen und seine Identität auf widersprüchliche Weise bewahren. Diese Philosophie spiegelte das „Pour Ensemble“ eindrucksvoll auf der Bühne wider.

Für die gelungene Inszenierung war nicht nur der Regisseur Jakob Fedler verantwortlich, sondern auch das gesamte „Pour Ensemble“. Das Zusammenspiel von Darstellern mit und ohne Behinderung zeigte eine gelungene integrative Leistung. Mit dabei war auch Linus Ebner, der mehrere Jahre Mitglied des Dortmunder Schauspielensembles war.

Die musikalische Begleitung bereicherte die Aufführung enorm. Violine, Akkordeon und Gesang verliehen dem Stück eine alpenländische Atmosphäre, die auch Robert Walser, als Schweizer, gefallen hätte.

„Klein sein und bleiben!“ beeindruckte zusätzlich durch den feinen Humor, den Jakob Fedler in die Inszenierung eingebaut hatte und der sich auf das „Pour Ensemble“ übertrug. Der wohlverdiente Applaus belohnte das „Pour Ensemble“ für einen rundum gelungenen Abend.




Spanisches Temperament mit Al Ayre Español

Italien, Frankreich, Deutschland oder England: Diese Länder sind bekannt für ihre Rolle im Barock. Aber Spanien? Das Ensemble Al Ayre Español bewies am 11. Oktober 2024 im Reinoldihaus beim Festival Klangvokal, wie bereichernd das musikalische Erbe Spaniens im 17. Jahrhundert war. Schon 2015 hatte das Ensemble in der Marienkirche beeindruckt.

Die Volksmusik prägte die spanische Barockmusik entscheidend. Bei jedem Stück spürten die Zuhörer*innen die Magie alter Volkslieder, die im Programm „¡oigan, miren y vengan a ver!“ (Hör, schau und komm und sieh!) zum Leben erweckt wurden. Auch die Gitarre spielte eine zentrale Rolle und hatte in vielen Werken eine Schlüsselposition.

Moderne Erstaufführungen spanischer Barockwerke durch Al Ayre Español

Eduardo López Banzo, der Leiter des Ensembles, transkribierte die meisten Stücke aus Originalmanuskripten. So wurden Werke von Komponisten wie Matías Juan de Veana oder Sebastián Durón nach Jahrhunderten wieder lebendig. Zwei Sonaten von Arcangelo Corelli, die italienische Akzente setzten, ergänzten das Programm.

Mit spanischer BArockmusik überzeugte das Ensemble "Al Ayre Español" das Publikum bei Klangvokal. (Foto: (c) Klangvokal)
Mit spanischer BArockmusik überzeugte das Ensemble „Al Ayre Español“ das Publikum bei Klangvokal. (Foto: (c) Klangvokal)

Trotz der eher sakralen Themen blieb die fröhliche Stimmung der Volksmusik stets präsent und sprang schnell von der Bühne auf das Publikum über. Den Höhepunkt bildete „¿Ola qué?“ (Was nun). Duróns Villancico, vorgetragen von allen Musikerinnen des Al Ayre Español und den Sängerinnen von Vozes del Ayre, riss das Publikum beinahe von den Stühlen. Das Konzert zeigte eindrucksvoll, wie lebendig und mitreißend spanische Barockmusik sein kann – und wie sie frischen Wind in die Konzertwelt bringt.




Silke Schönfeld – Das kannst du dir nicht ausdenken

Der Titel des Beitrags ist eine Übersetzung des Ausstellungstitels „You Can’t Make This Up“. Der HMKV (Hartware MedienKunstVerein) präsentiert vom 12.10.24 bis zum 02.02.25 die Dortmunder Künstlerin Silke Schönfeld auf der Ebene 3 des Dortmunder U. Die Ausstellung „You Can’t Make This Up“ zeigt fünf großformatige Video-Installationen, darunter eine Neuproduktion.

Silke Schönfeld: Menschlichkeit und soziale Strukturen

Für Silke Schönfeld, die 2018 mit dem Förderpreis für junge Künstler*innen der Stadt Dortmund in der Sparte „Foto, Film und Medienkunst“ ausgezeichnet wurde, steht das Thema Menschlichkeit im Mittelpunkt. Ihre Filme verbinden persönliche Geschichten mit historischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen. Dabei richtet sie den Fokus auf feine soziale Phänomene und von Gemeinschaften geprägte Strukturen.

Der vielfach preisgekrönte Kurzfilm Ich darf sie immer alles fragen (2023) wird ebenfalls im HMKV gezeigt. Seine Festivalpremiere feierte er 2023 bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen, wo er den NRW-Wettbewerb gewann. Im selben Jahr erhielt Silke Schönfeld für diesen Film den Deutschen Kurzfilmpreis in der Kategorie Dokumentarfilm bis 30 Minuten.

Die einzelnen Arbeiten im Ausstellungsraum sind durch verschiedenfarbige Vorhänge abgetrennt. Diese haben, laut Inke Arns, der Leiterin des HMKV, die Funktion, zu verhüllen und zu verbergen. Die Besucher*innen müssen also aktiv durch die Vorhänge gehen, um zu den Filmen zu gelangen.

Die Themen der Filme sind vielfältig. In Ein Prozent – imagined communities (2019) geht es um eine neurechte Bürgerinitiative in Sachsen, während Nothing in this world can take the place of persistence (2022) den Strukturwandel im Ruhrgebiet thematisiert. In Herne eröffnete 1976 die erste McDonald’s-Filiale im Ruhrgebiet, heute steht die Ladenfläche leer. No More Butter Scenes (2024) untersucht das Verhältnis von Zustimmung und Intimität im Schauspielberuf. Zwei Kurzfilme greifen familiäre Themen auf: Ich darf sie immer alles fragen (2023) behandelt ein transgenerationales Trauma zwischen Mutter und Tochter. Die Unvorzeigbarkeit dessen, was nie hätte geschehen sollen (2024) beleuchtet nationalsozialistische Erziehungsideale in der deutschen Nachkriegsgesellschaft.

Silke Schönfeld präsentiert ihre Ausstellung beim HMKV. (Foto: (c) Tommy Scheer)
Silke Schönfeld präsentiert ihre Ausstellung beim HMKV. (Foto: (c) Tommy Scheer)

Veranstaltungen

Sofern nicht anders angegeben ist der Eintritt zur Ausstellung und zu allen Veranstaltungen frei.

  • JEDEN 1. SONNTAG IM MONAT, 12:00 — 17:00 UHR

Familiensonntag mit Rätselheft und Mitmachaktion

Wir bauen ein Papierkino

HMKV IM DORTMUNDER U | EBENE 3

  • MO. 21.– FR. 25.10.2024, 10:00 — 14:00 UHR

Herbstferien-Workshop Grrrls ins Rampenlicht! Mut, Wut & Grenzen setzen

Für Mädchen* von 12 – 16 Jahren, Anmeldung über vermittlung@hmkv.de

HMKV IM DORTMUNDER U | EBENE 3

  • MI. 23.10.2024, 19:00 — 21:00 UHR, EINLASS 18:30 UHR

Tutorials

Buchpräsentation (Buchreihe Digitale Bildkulturen, September 2024, Wagenbach Verlag).

Autorin Inke Arns im Gespräch mit dem Herausgeber Wolfgang Ullrich

HMKV IM DORTMUNDER U | EBENE 3

  • DO. 24.10.2024, 19:00 — 21:00 UHR, EINLASS 18:30 UHR

In Her Shoes

Kurzfilmprogramm und Artist Talk

Alex Gerbaulet Margit (2002), Franzis Kabisch getty abortions (2023), Cana Bilir-Meier Semra

Ertan (2013) und Katrin Esser Proxys – Part 1 (2023)

moderiert von Silke Schönfeld und Florian Wüst

HMKV im Dortmunder U | EBENE 3

  • DO. 14.11.2024, 19:00 — 21:00 UHR, EINLASS 18:30 UHR

Serious Games

Kurzfilmprogramm und Artist Talk

Valeria Hofmann alien0089 (2023) und Stefan Panhans & Andrea Winkler Free-roam À Rebours,

Mod#I.1 (2016) im Rahmen des Next Level Festivals

HMKV im Dortmunder U | EBENE 3

  • FR. 06.12.2024, 19:00 — 21:00 UHR, EINLASS 18:30 UHR

Choreographing Intimacy

Gespräch mit Intimitätskoordinatorin Teresa Maria Hager, Stuntkoordinatorin Samia Hofmann

und Künstlerin Silke Schönfeld

HMKV im Dortmunder U | EBENE 3

  • SA. 18.01.2025, 10:00 — 14:30 UHR

And Action!

Stunt-Workshop für Jugendliche von 14 bis 18 Jahren mit Stuntkoordinatorin Samia Hoffmann

(u.a. Hunger Games)

Information und Anmeldung über vermittlung@hmkv.de

HMKV IM DORTMUNDER U | EBENE 3

Die Veranstaltungen am 24.10. und 14.11. finden im Rahmen der Veranstaltungsreihe Kleiner Freitag des Dortmunder U statt.

 

Führungen

  • JEDEN SONNTAG UND FEIERTAGS, 16:00 UHR

Öffentliche Führung

  • SA., 25.01.2025, 16:00 UHR

Kuratorinnen- und Künstlerinnenführung mit Inke Arns und Silke Schönfeld

  • SO. 27.10.2024, 15:00 UHR

Öffentliche Führung auf Englisch

  • SA. 09.11.2024, 15:00 UHR

Öffentliche Führung auf Ukrainisch




Zeitinsel Beat Furrer – Auf der Suche nach den Grenzen von Sprache und Klang

Mit vier Konzertabenden würdigte das Dortmunder Konzerthaus das Wirken des schweizerischen Komponisten Beat Furrer mit einer Zeitinsel. Furrer, der in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag feiert, war selbst anwesend und dirigierte an zwei Tagen seine Werke. Ein Bericht über die vier Zeitinseltage.

Zeitinsel Beat Furrer Tag 1 – Enigma Zyklus

Der Donnerstag, der 03.10.24, präsentierte gleich zwei Avantgardisten der Musik. Neben Beat Furrer wurden noch Kompositionen von Giovanni Gabrieli gespielt, der den Übergang zwischen Renaissance und Barock mitgeprägt hat.
Doch der Schwerpunkt lag auf dem Zyklus „Enigma“. Beat Furrer benutzt dabei Texte des Universalgelehrten Leonardo da Vinci. Die Fragmentierung der Texte und ihre oft wissenschaftlich-philosophische Natur stehen im Einklang mit Furrers musikalischer Sprache, die das Publikum in einen Zustand des Suchens, Fragens und der ständigen Veränderung versetzt. Furrer experimentiert in „Enigma“ mit der menschlichen Stimme als Instrument, zerlegt Sprache in ihre klanglichen Elemente und schafft dadurch eine komplexe, spannungsgeladene Klangwelt.
Die barocken Kompositionen von Gabrieli, Orlando di Lasso und Antonio Lotti fügten sich überraschenderweise gut in die eher avantgardistische Musik Furrers ein. Das ist auch dem Chorwerk Ruhr zu verdanken, das unter der Leitung von Zoltán Pad eine bravouröse Leistung zeigte.

Zeitinsel Beat Furrer Tag 2 – Schubert und Furrer

Die Kombination zwischen dem Romantiker Franz Schubert und dem Avantgardisten Beat Furrer klingt auf den ersten Blick merkwürdig, doch vielleicht gibt es ja Gemeinsamkeiten, beispielsweise in der Schaffung atmosphärischer Klangwelten.
Den Beginn am 04.10.24 machte Furrers Violinkonzert, die Solistin war Noa Wildschut, die in der vergangenen Spielzeit bereits in einem Kammerkonzert der Dortmunder Philharmoniker musiziert hatte. Furrer setzt in der Solovioline zahlreiche erweiterte Spieltechniken ein, um die klanglichen Möglichkeiten des Instruments zu erweitern. Dazu gehören Flageoletts, Sul Ponticello (Spielen nahe am Steg), Sul Tasto (Spielen über dem Griffbrett) und perkussive Klänge. Diese Techniken erzeugen ungewöhnliche Klangfarben, die das Konzert über die traditionellen Klangmöglichkeiten eines Violinkonzerts hinausführen. Das machte die Sache für Wildschut herausfordernd. Begleitet wurde Wildschut vom WDR Sinfonieorchester.
Im dritten Satz gesellt sich ein Akkordeon als „Vermittler“ zum Orchester hinzu, zieht sich gegen Ende aber wieder zurück. Freund oder Feind der Violine? Ein spannendes Konzert.
Franz Schuberts 4. Sinfonie in c-Moll, auch bekannt als die „Tragische“, ist ein Werk, das sich stilistisch zwischen der Klassik und der Frühromantik bewegt. Sie entstand 1816, als Schubert erst 19 Jahre alt war, und ist geprägt von starken dramatischen Kontrasten sowie einer intensiven Auseinandersetzung mit der klassischen Form. Die Wahl der Tonart c-Moll, die oft mit Schicksal und Ernsthaftigkeit assoziiert wird, verstärkt diese dramatische Wirkung. Schubert setzt in dieser Sinfonie auf starke dynamische Kontraste und ausdrucksstarke Harmonien, die eine dunkle, spannungsreiche Atmosphäre schaffen. Beat Furrer dirigierte das WDR Sinfonieorchester.

Das Konzerthaus Dortmund widmete dem Komponisten Beat Furrer eine eigene Zeitlinsel. (Foto: (c) Manu Theobald)
Das Konzerthaus Dortmund widmete dem Komponisten Beat Furrer eine eigene Zeitlinsel. (Foto: (c) Manu Theobald)

Zeitinsel Beat Furrer Tag 3 – Klangkosmos Furrer

Wieder eine Kombination mit Werken aus der Vergangenheit, diesmal aus dem 14. Jahrhundert, mit Werken von Beat Furrer. Zwei spannende Werke von Furrer gefielen mir besonders. Die Kombination zwischen Sopran und Saxophon („In mia vita da vuolp“) sowie zwischen Sopran und Posaune („Spazio immergente“) erforschte die Koexistenz zwischen Stimme und Instrument. Beide suchen und finden sich, entfernen sich voneinander, spielen miteinander und gehen sich aus dem Weg.
Passend dazu die Musik aus dem 14. Jahrhundert. „Fumeux fume par fumée“, komponiert von Solage um 1390, ist ein außergewöhnliches Werk aus dem Ars Subtilior, einem Stil der mittelalterlichen Musik. Die Texte beschreiben eine „raucherfüllte“ Atmosphäre und spielen mit Themen wie Dunkelheit, Verwirrung und möglicherweise Trunkenheit. Sowohl die Musik als auch die Worte schaffen eine surreale und traumhafte Stimmung.
Im Mittelpunkt stand „Akusmata“ von Beat Furrer. Es ist ein Werk für acht Stimmen und acht Instrumente, das 2019/2020 komponiert wurde. Es ist inspiriert von den geheimnisvollen und teils rätselhaften Sprüchen, die Pythagoras zugeschrieben werden. Furrer verarbeitet diese Sprüche musikalisch, indem er die harmonischen Strukturen dekonstruiert und die Beziehung zwischen Stimme und Instrument neu gestaltet. Das Ergebnis ist eine dichte und sich ständig verändernde Klangwelt, die den Hörer in eine mystische und nur im Ohr existierende Realität führt.
An dem Abend wirkten mit: Cantando Admont, das Klangforum Wien mit Cordula Bürgi als Dirigentin, Johanna Zimmer als Sopran, Gerald Preinfalk (Saxophon) und Mikael Rudolfsson an der Posaune.

Zeitinsel Beat Furrer Tag 4 – Begehren

Der letzte Abend der Zeitinsel Beat Furrer gehörte seiner Oper „Begehren“. Das Werk ist nicht als traditionelle Oper konzipiert, sondern als eine experimentelle Form von Musiktheater. Furrer bricht die lineare Erzählstruktur auf, indem er verschiedene Texte und musikalische Ebenen miteinander verschränkt. Die Gesangsstimmen und Instrumente interagieren auf vielschichtige Weise, wobei die Musik oft fragmentarisch und dissonant ist, was die Unmöglichkeit des Begehrens musikalisch darstellt. Die Geschichte ist angelehnt an die antike Erzählung von „Orpheus in der Unterwelt“, einem der ältesten Opernstoffe.
Ein zentrales Element von „Begehren“ ist die Interaktion von Stimme und Sprache. Die musikalischen Linien der Sänger sind oft zersplittert, fast gesprochen, was der expressiven Tiefe des Textes eine zusätzliche Dimension verleiht. Die Klanglandschaft ist geprägt von wiederholten Motiven, die Spannung und Unruhe erzeugen, was das zentrale Thema der unerfüllten Sehnsucht verstärkt.
Wieder waren Cantando Admont sowie das Klangforum Wien involviert. Sarah Aristidou spielte SIE, Christoph Brunner sang und sprach die männliche Hauptrolle. Beat Furrer dirigierte seine Oper selbst.

Somit gingen vier intensive Abende zu Ende, die den Komponisten Beat Furrer gut präsentierten. Es war zeitgenössische klassische Musik, und es war klar, dass es nicht jedermanns Geschmack traf. Dennoch war es eine spannende Auseinandersetzung mit Musik und Musikformen, die im üblichen, von Musik der Romantik geprägten Konzertleben selten vorkommt.